Protokoll der Sitzung vom 22.06.2011

(Dora Heyenn DIE LINKE: Je mehr Sie re- den, desto mehr unterschreiben!)

Ich möchte aber an der Stelle, und das ist viel wichtiger, noch eines betonen. Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, ein Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts. Denn wir müssen uns fragen,

(Heike Sudmann DIE LINKE: Das ist nicht das Thema!)

ob das Haushaltsrecht des Parlaments, das eines unserer vornehmsten und verantwortungsvollsten

(Dr. Monika Schaal)

Rechte ist, ausgehebelt werden kann durch eine Volksinitiative, die draußen herumläuft und den Leuten sagt, dass sie unterschreiben sollen, wenn sie für die Energiewende sind, obwohl es tatsächlich heißen müsste: Sind Sie dafür, dass Hamburger Steuerzahler 2,5 Milliarden Euro ausgeben,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Es werden ja im- mer mehr!)

um Kupferleitungen und Rohrleitungen zu kaufen?

(Beifall bei der CDU)

Das Hamburgische Verfassungsgericht hat zu Artikel 50, der das Finanztabu normiert, schon 2005 den Volksentscheid "VolXUNI" für unwirksam erklärt mit einer sehr deutlichen und ausdrücklichen Begründung und auch in der Verhandlung am letzten Montag noch einmal angedeutet, dass es diese Linie durchaus weiter verfolgt. Das Verfassungsgericht sagt zu der Frage, wann ein Volksentscheid in Haushaltsangelegenheiten eingreift, dass dies nicht schon dann der Fall ist, wenn nur Kosten ausgelöst werden, denn kleinere Kosten sind in jedem Fall mit jeder Umsetzung verbunden.

(Glocke)

Herr Dr. Scheuerl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?

– Nein, an dieser Stelle nicht.

Haushaltsangelegenheiten sind betroffen und damit ist ein Volksinitiativbegehren unwirksam und verfassungswidrig, wenn wesentlich in die Haushaltsangelegenheiten und wesentlich in das Gleichgewicht des Haushalts eingegriffen wird. Damals ging es, ich betone einmal, nur um 850 Millionen Euro des Haushalts 2003, die berührt worden wären, und schon bei 850 Millionen Euro hat das Verfassungsgericht 2005 ganz klar gesagt: 9,9 Prozent des Haushalts sind berührt und das ist klar verfassungswidrig und verstößt gegen Artikel 50.

Das heißt, wenn wir mit 2 oder 2,5 Milliarden Euro oder einem noch höheren Kaufpreis operieren, ist auch ganz klar, dass dieses Volksbegehren verfassungswidrig wegen Verstoßes gegen Artikel 50 und somit unwirksam ist. Man kann an der Stelle auch nicht argumentieren, es gäbe die Einnahmegarantie aus dem Energiewirtschaftsgesetz – damit würde Herr Kerstan möglicherweise noch kommen, das sagt er sonst immer gerne –, denn das Energiewirtschaftsgesetz setzt die Regulierungsperioden bis 2018 fest. Alles, was darüber hinausgeht, ist im Moment Spekulation. Ob danach und in welcher Höhe Gewinne garantiert werden, die auch der Steuerzahler aus seinen Gebühren garantiert, ist reine Spekulation. Das Volksbegehren ist nett

und es hat eine kleine Unterstützung gehabt von 5 Prozent der Wahlberechtigten. Es ist nett, um vielleicht den Senat zu ärgern und Streit in der SPD zu provozieren, Voscherau gegen Scholz, oder bei den Gewerkschaften Mitgliederwerbung ver.di gegen IG Metall. Das sind alles nette Dinge, aber es ist gut für die Hamburger und Hamburg, dass es verfassungswidrig und unwirksam ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Dann hat jetzt Herr Kerstan das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und meine Herren! Als vor etwa zehn Jahren die Politik entschieden hatte, die HEW zu verkaufen, wurden folgende Gründe genannt: mehr Wettbewerb, sinkende Preise, bessere Versorgung und alle würden davon profitieren. Zehn Jahre später sind wir in diesem Hause alle einig, dass der Verkauf der HEW ein schwerer Fehler war und alle diese schönen Bilder nicht eingetreten sind. Nun melden sich die Akteure von damals zu Wort. Altbürgermeister Voscherau, der diesen Verkauf vorbereitet hat, sagte, er war schon damals dagegen, das Netz mit zu verkaufen, er konnte sich bloß damals gegen seinen Finanzsenator und seinen Umweltsenator nicht durchsetzen. Altbürgermeister Runde, der damals gegen den Willen von Herrn Voscherau, wenn ich dem glauben kann, diesen Verkauf durchgesetzt hatte, erst als Finanzsenator, dann als Bürgermeister, sagt heute, man bräuchte mindestens 50,1 Prozent, wenn man wirklich substanziellen Einfluss auf die Netze haben wolle.

Das sind wichtige Hinweise, Herr Bürgermeister, denn zehn Jahre später nach diesem schweren Fehler, den wir als Grüne damals leider Gottes für die erste Tranche mitgetragen haben, sind Sie gerade dabei, den gleichen Fehler zum zweiten Mal zu machen, sehenden Auges und wider besseres Wissen.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass in Ihrer eigenen Partei der Widerstand dagegen wächst und Sie auch die Bürgerinnen und Bürger in dieser Frage nicht mehr hinter sich haben. Das Volksbegehren "UNSER HAMBURG – UNSER NETZ" hat in den letzten Wochen Zehntausende von Unterschriften gesammelt und ich bin mir sicher, dass morgen eine beeindruckende Zahl von Unterschriften zustande kommen wird. Dann, Herr Bürgermeister, müssen Sie sich damit auseinandersetzen, wenn es zum ersten Mal in Ihrer kurzen Regierungszeit Widerstand gibt, Widerstand, den Sie aus Ihrer Partei nicht gewöhnt sind, nämlich denjenigen zu hinterfragen, der ihr diesen großen Wahlsieg beschert hat, auch wenn er in der Sache auf dem Holzweg ist. Aber Sie müssen einfach zur

(Dr. Walter Scheuerl)

Kenntnis nehmen, dass trotz der absoluten Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ein großer Teil der Bevölkerung in dieser wichtigen Zukunftsfrage nicht Ihrer Meinung ist. Jetzt müssen Sie sich entscheiden, wie Sie mit der direkten Demokratie umgehen.

Ich möchte Sie einfach an Ihre Worte vom SPD-Parteitag am 17. Dezember erinnern, als Sie eine Rede als Spitzenkandidat gehalten haben. Sie haben damals gesagt, Sie seien ein Anhänger von Volksentscheiden. Die Politik würde durch sie besser, schon deshalb, weil sie Parteien und Politiker vor Übermut bewahre. Wer sich über den erkennbaren Willen der Bürgerinnen und Bürger hinwegsetze, müsse damit rechnen, dass er stolpere. Recht haben Sie, Herr Bürgermeister. Mehr als Zehntausende von Unterschriften geben den Willen von vielen Bürgern in dieser Stadt recht deutlich an. Jetzt müssen Sie beweisen, ob Sie diese Worte einfach nur fahrlässig dahingesprochen haben oder sie ernst meinen. Sie müssen jetzt Ihren sturen und falschen Kurs ändern, Herr Bürgermeister.

(Beifall bei der GAL)

Letztlich geht es um eine entscheidende Frage. Man hörte vor wenigen Wochen von Ihrem Senatssprecher Herrn Holstein Beunruhigendes. Es kam die Ansage, für den Bürgermeister sei es völlig unerheblich, ob das Bürgerbegehren erfolgreich sein werde oder nicht, er würde weiter mit den Atomkonzernen verhandeln.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Das ist ja ein Skandal!)

Herr Bürgermeister, was für eine Aussage ist das für einen Spitzenkandidaten, der bei der Wahl mit dem Versprechen angetreten ist, diese Stadt gut regieren zu wollen und nicht gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger?

(Dirk Kienscherf SPD: Das müssen Sie ge- rade sagen, Herr Kerstan! – Klaus-Peter Hesse CDU: Herr Kerstan, Sie haben mit denen auch verhandelt!)

Ist Ihnen eigentlich bewusst, was Sie mit einer solchen Aussage auch für die anerkannte Politik und die Akzeptanz von Demokratie in dieser Stadt anrichten, Herr Bürgermeister? Haben Sie sich das überlegt? Noch haben Sie Zeit, diesen falschen Kurs zu korrigieren. Ich kann nur an Sie appellieren, nicht nur mit den Atomkonzernen, sondern mit den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt zu reden, mit der Initiative, die eindeutig sagt, dass sie nicht Ihrer Meinung ist, Herr Bürgermeister.

(Glocke – Beifall bei der GAL)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kienscherf?

– Nein, ich möchte jetzt keine Frage zulassen.

Zum anderen: Welches Politikverständnis äußert sich darin, dass Sie sagen, dies habe keine Auswirkungen auf die Politik der SPD? In der Verfassung steht, die Bürgerschaft muss sich mit einem Volksbegehren auseinandersetzen. Da kommen Sie ins Spiel, Herr Dressel. Wir beide gemeinsam, SPD und GAL, haben immer dafür gekämpft, dass Volksentscheide verbindlich sein müssen. Sie können sich jetzt nicht hinter dem falschen Kurs Ihres Bürgermeisters verstecken. Wir erwarten von Ihnen persönlich und von Ihrer Fraktion, dafür zu sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger in dieser entscheidenden Frage das letzte Wort haben werden, Herr Dressel.

(Andy Grote SPD: Dass Sie immer so sicher sind, was die Bürger wollen! Das ist auch schon mal schiefgegangen! – Glocke)

Herr Kerstan, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Der letzte Satz: Herr Bürgermeister, ändern Sie diesen falschen Kurs für Hamburg, für die Energiewende und für die Demokratie in dieser Stadt. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort erhält nun Herr Dr. Kluth.

(Dirk Kienscherf SPD: Die Schulreform ha- ben Sie vorangetrieben, vorangetrieben, vorangetrieben und hier werfen Sie uns das vor!)

Sie haben das Wort, Herr Dr. Kluth.

– Ich wollte Herrn Kienscherf noch Gelegenheit geben, seine Ausführungen zu Ende zu bringen.

Herr Kienscherf kann sich gerne melden.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn man sich heute die Homepage der Initiative "UNSER HAMBURG – UNSER NETZ" anschaut, dann sieht man drei Argumente, mit denen für die Rekommunalisierung geworben wird: Hamburg braucht eine konzernunabhängige Energieversorgung,

(Beifall bei der LINKEN und bei Jens Ker- stan GAL)

(Jens Kerstan)

Hamburg braucht eine Energiewende und Hamburg braucht sichere Arbeitsplätze.

(Beifall bei der LINKEN und bei Jens Ker- stan GAL)

Außerdem finden Sie auf der Homepage der Initiative seit Kurzem auch Henning Voscherau. Mir ist dabei spontan eingefallen: Alter schützt vor Torheit nicht. Eigentlich, Herr Dressel, erwarte ich jetzt Beifall von Ihrer Fraktion.