Protokoll der Sitzung vom 02.07.2014

tungsvermögen und Ausgangsvoraussetzungen individuell auf den jeweils bestmöglichen Abschluss vorzubereiten."

Ich frage: Die Gymnasien nicht? Das kann doch wohl nicht angehen, das ist doch wohl nicht wahr.

Und dann geht es weiter:

"Zudem stehen sie vor der Herausforderung, eine zunehmende Zahl von Inklusionskindern zu beschulen […]."

Die Gymnasien nicht? Wo sind wir hier eigentlich? Elitärer geht es bald gar nicht mehr.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Dann kommt der Gipfel. Zu den Gymnasien schreiben Sie:

"Sie [die Gymnasien] wollen und sollen keine Schulform für alle sein."

Das hätten Sie beim Volksentscheid einmal den Eltern erzählen sollen, die Sie alle gelockt haben zu unterschreiben. Sie haben einen völlig anderen Eindruck erweckt, nämlich dass alle zum Gymnasium gehen können. Und jetzt müssen sie auch vom Gymnasium individuell und sorgsam beschult werden und nichts anderes.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Jetzt kommen wir zu Ihren vier Forderungen. Es wurde schon gesagt, dass bei den Zeugnissen die Noten nicht immer das sind, was das Leistungsvermögen eines Kindes zeigt, denn auch Lehrer sind nur Menschen, das habe ich jedenfalls mal gehört. Sie können sich auch irren, und viele irren sich, ich nehme auch mich überhaupt nicht aus. Noten sind darüber hinaus natürlich auch ein unglaubliches Druckmittel. Die Schülerinnen und Schüler in der heutigen Schule haben schon so viel Druck, und deshalb bin ich heilfroh, dass wir es geschafft haben, in ganz bestimmten Jahrgängen keine Notenzeugnisse zu geben. Das wollen Sie wieder zurückdrehen, und das nenne ich Steinzeit.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Dann wird es abenteuerlich. Auf der einen Seite wollen Sie die selbstverantwortete Schule stärken, aber jetzt wollen Sie allen Ernstes, nachdem wir dies vor einigen Monaten aus dem Schulgesetz herausgestrichen haben, wiederum zwei verbindliche Lernentwicklungsgespräche hineinschreiben. Aber es ist gegen unsere Stimmen so geändert worden – weil wir es total albern finden –, dass es mindestens ein Lernentwicklungsgespräch geben muss. Das heißt, die Schulen können selbst entscheiden, ob sie ein zweites haben wollen. Dann muss man es doch nicht wieder hineinschreiben. Das ist doch auch selbstverantwortete Schule, das

muss man nicht noch extra von oben verordnen, da widersprechen Sie sich komplett.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Wenn da steht, der Senat werde ersucht, einen Leitfaden mit Hinweisen auf die im gymnasialen Bildungsgang zu erwartenden Kenntnisse, Kompetenzen und Haltungen für das Beratungsgespräch zum Zeugnis vor der Anmelderunde zu entwickeln, dann heißt das doch nichts anderes, als dass Eltern abgeschreckt werden sollen, ihr Kind auf das Gymnasium zu schicken.

Dann wollen Sie ein diagnostisches Verfahren, und das sieht dann folgendermaßen aus. Es sollen diagnostische Verfahren für die Eltern angeboten werden, deren Kinder keine Gymnasialempfehlung bekommen. Das heißt, sie bekommen einen Brief. Dann können sie sich in der Schule zurückmelden und sagen, sie nehmen das diagnostische Verfahren für ihr Kind an. Das ist eine doppelte und dreifache Diskriminierung von Kindern, die keine Gymnasialempfehlung haben, und das bei der Tatsache, dass 40 Prozent der Gymnasialempfehlungen falsch sind. Das ist Steinzeit.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der SPD und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Das Wort bekommt der fraktionslose Abgeordnete Dr. Scheuerl.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Da alle noch kurz etwas zur G9-Initiative gesagt haben, will ich das auch tun. Haben Sie doch nicht solche Angst und pfeifen Sie nicht so laut im Wald, warten Sie doch einfach das Volksbegehren ab.

(Wolfgang Rose SPD: Hier hat keiner Angst!)

Ein Volksbegehren ist eine urdemokratische Angelegenheit, das steht in unserer Verfassung. Die Initiatoren haben die Arbeit, die Menschen werden befragt, die Menschen, die Sie auch im nächsten Februar teilweise wiederwählen sollen. Das Ganze ist Basisdemokratie nach der hamburgischen Verfassung, warten wir doch einmal das Ergebnis ab.

Ich will noch einmal Frau Dr. von Berg ansprechen. Frau Dr. von Berg, wir diskutieren in der Tat drei Anträge, zwei davon von der CDU. Ich muss Ihnen in Ihrer Analyse völlig zustimmen, wenn Sie sagen, dass die CDU – sehen Sie mir das nach, meine ehemaligen Fraktionskollegen – im Moment ihren Kompass in der Bildungspolitik verloren hat. Ich will das zu den Anträgen anhand von drei Details ansprechen.

Der erste Punkt – Frau Heyenn, Sie haben das auch zu Recht kritisiert: In der Begründung des einen Antrags ist zu lesen, das Gymnasium wolle und solle keine Schule für alle sein. Das ist grundfalsch. Das Gymnasium – und dafür haben wir uns damals beim Volksentscheid gegen die Primarschulpläne eingesetzt – ist selbstverständlich eine Schule für alle Kinder und Jugendlichen, aus allen Stadtteilen, aus allen Einkommensschichten, aus allen sozialen Gruppen und aus allen Familien unter der Voraussetzung, dass die Kinder leistungsbereit, arbeitsbereit und leistungsfähig sind und eine allgemeine Hochschulreife anstreben. Das ist eine inhaltliche Voraussetzung für das Gymnasium, aber bitte schön für alle Kinder und Jugendlichen dieser Stadt. Es mag eine ungeschickte Begründung in der Formulierung sein, aber ich denke, so etwas sollte in Bürgerschaftsdrucksachen nicht passieren.

Noch wichtiger ist mir ein anderer Punkt in dem Antrag zur Frage der Stärkung der G8-Gymnasien. Frau Prien und liebe CDU-Fraktion, wir stärken die Gymnasien sicherlich nicht dadurch, dass wir beantragen, dass der Senat die Bildungspläne, wie es hier zu lesen ist, unter Einbeziehung der Rückmeldung von Ausbildungsbetrieben reduziert und konzentriert auf den wichtigen und zeitgemäßen Stoff. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das Gymnasium ist vom Bildungsauftrag im Schulgesetz her die Schulform, die von Anfang an, ab Klasse 5 bis zum Abitur, zur allgemeinen Hochschulreife führen soll. Ich kann doch nicht die Bildungspläne am Gymnasium, das auf die allgemeine Hochschulreife, auf das Studium in einem beliebigen Fach vorbereiten soll, daran ausrichten, was Ausbildungsbetriebe für ihre Auszubildenden nach Klasse 10 vielleicht als sinnvolle und zweckmäßige Anregungen begreifen. Das wäre eine Verkennung des Bildungsauftrags der Gymnasien.

Die Anregungen von Ausbildungsbetrieben haben sicherlich ihre Rechtfertigung, wenn es darum geht, sich einmal die Bildungspläne der Stadtteilschulen anzuschauen, wenn dort zum Beispiel auf den mittleren Schulabschluss, den Realschulabschluss oder den Hauptschulabschluss, den ersten Bildungsabschluss, vorbereitet wird. Aber in einer Schulform, die von Gesetzes wegen auf die allgemeine Hochschulreife auszurichten ist und ausgerichtet ist, haben die Anregungen und Wünsche von Ausbildungsbetrieben reichlich wenig zu tun.

Wichtig und richtig ist selbstverständlich noch der Antrag auf Einführung der Möglichkeit der Klassenwiederholung, des Sitzenbleibens als pädagogische Maßnahme der Zeugniskonferenz, denn wir haben gerade in der letzten Woche die Zahlen dazu gehört. Wenn 593 Zehntklässler am Gymnasium im Halbjahreszeugnis eine Versetzungsverwarnung bekommen haben, dann bedeutet das, dass fast jeder Zehnte, der bis dorthin am Gymnasium hochgeschoben worden ist, zwanghaft aufrücken

(Dora Heyenn)

musste, nach Einschätzung der Zeugniskonferenz in der zehnten Klasse im Prinzip ohne vernünftige Schulbildung dasteht und voraussichtlich nicht versetzt wird. Das heißt, diese Kinder und Jugendlichen sind pädagogisch falsch hochgeschoben worden. Denen hätte man zwischendurch die Möglichkeit geben müssen, ihren Lernstoff zu konsolidieren und auch ein Jahr zu wiederholen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Das Wort bekommt Frau Prien von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nur noch ein paar wenige Bemerkungen. Herr Holster, Sie haben recht, die meisten Forderungen, die Sie heute in unserem Antrag wiedergefunden haben, haben wir tatsächlich schon im vergangenen Herbst gestellt. Das sollte Ihnen doch zu denken geben. Wir haben die Forderungen gestellt, und die Schulkonferenzen teilen sie mit uns. Deshalb ist es richtig, sie nochmals aufzustellen, und deshalb müssen Sie sich auch damit auseinandersetzen.

(Beifall bei Robert Heinemann CDU)

Der CDU ein Rollback zu unterstellen, ist schon eine ziemliche Kahlheit. Tatsache ist, Frau von Berg, dass man in der Politik auch in der Lage sein muss, falsche Weichenstellungen zurückzudrehen. Und das Meiste von dem, was wir heute fordern und was Sie jetzt kritisieren, wollten Sie, und wir haben es mitgetragen. Davon war eben manches ein Fehler, diese Fehler korrigieren wir jetzt, und das ist auch gut so.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD: Oh, oh!)

Im Übrigen ist es schon sehr lustig, Frau Heyenn und auch Frau von Treuenfels, dass Sie sich heute, anstatt sich mit unseren Anträgen auseinanderzusetzen, in interessanter Interpretation von Dingen, die nicht in den Anträgen stehen, versucht haben.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Ich habe sie so- gar zitiert!)

Ihre Überlegung darüber war schon sehr anregend, was wir uns wohl gedacht haben könnten, was nicht in den Anträgen steht und was wir trotzdem gemeint haben. Tun Sie mir den Gefallen und beschäftigen Sie sich mit dem, was wir beantragen und nicht mit dem, was Sie meinen, was ich vielleicht gedacht haben könnte.

Ich komme zu dem sehr viel ernsthafteren Punkt, nämlich dass Lehrer sich irren können. Lehrer können sich irren und Politiker tun es auch gelegentlich, aber sie irren sich eben nicht nur bei der No

tenvergabe, sondern auch bei den Berichtszeugnissen. Die Verwendung von Textbausteinen in den Berichtszeugnissen ist oft auch nicht zielführend und verwirrend für Eltern. Für mehr Klarheit ist es aber wichtig, dass man den Eltern beides an die Hand gibt. Das hat mit Steinzeit überhaupt nichts zu tun, das ist ein Totschlagargument, führt aber in Wahrheit zu gar nichts. Es geht nicht darum, die Eltern abzuschrecken,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Doch, natürlich! Darum geht's!)

es geht darum, den Eltern eine realistische Einschätzung der Leistungsfähigkeit und des Entwicklungsstandes ihrer Kinder an die Hand zu geben. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, dass das kritisiert wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt der Senator Rabe.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur vier Thesen kurz ergänzen. Die erste These: Das Gymnasium in Hamburg ist eine ausgesprochen erfolgreiche Schulform. Die Anmeldungen steigen, die Abiturquoten steigen, und sowohl internationale als nationale als auch Hamburger Studien bestätigen, dass die Schülerinnen und Schüler in der Leistung zulegen.

(Beifall bei der SPD)

Und weil das so ist und weil das Gymnasium so viel Anerkennung, aber auch so viel Erfolg hat, sollten wir mit all unseren Reformideen sehr behutsam sein. Diese Behutsamkeit finde ich wichtig. Natürlich kann man Schulen besser machen und sich dabei insbesondere die Organisation einer Schule ansehen.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Scheuerl?

Natürlich.

Vielen Dank.