Protokoll der Sitzung vom 05.06.2019

(Dirk Nockemann AfD: Etwas anderes wol- len wir doch auch nicht!)

Die Tatsache, dass wir bereits 63 Klimaschulen haben, und ein nicht zu übersehendes Engagement der Schülerinnen- und Schülerschaft in diesem Bereich zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind, und vor allem, dass die Schülerinnen

(Dr. Alexander Wolf)

und Schüler ganz sicher keine Nachhilfe von der AfD brauchen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

Und weil wir schon dabei sind, Nettigkeiten auszutauschen, so bilateral: Mir ist etwas aufgefallen, ein Argumentationsmuster, das mich ärgert – und weil Sie schon die Parallele zur Religion gezogen haben –: Wann immer jemand etwas Sinnvolles, Gutes oder Richtiges tut, können Sie sich nicht einfach daran erfreuen und weitergehen. Nein, Sie suchen penibel nach diesem einen Punkt, den diese Person als scheinbar inkonsequent darstellt, und diffamieren sie dann. Dies haben Sie im Übrigen mit religiösen Fundamentalisten gemein.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LIN- KEN und bei Anna-Elisabeth von Treuen- fels-Frowein FDP)

Das ist eine kleine Denksportaufgabe für Sie, weil ja auch Selbstreflexion heute ein bisschen Thema ist.

Es wird Sie also nicht überraschen: Wir lehnen Ihren Antrag und auch die Überweisung ab, allein schon der Lächerlichkeit wegen. Und während Ihr Parteivorsitzender Alexander Gauland in einem Interview der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" sagte – ich zitiere –:

"Ich glaube nicht, dass es gegen den Klimawandel irgendetwas gibt, was wir Menschen machen können",

sage ich Ihnen: Doch. Kann man, muss man, machen wir. Ihnen kann nur geholfen werden, wenn Sie zu diesem – und ich fürchte, auch zu weiteren Themen – noch einmal die Schulbank drücken. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP)

Das Wort erhält nun für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Gamm.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Tja, was soll ich zu diesem Antrag der AfD sagen? Wenn das Ihr Beitrag ist, um auf die Bewegung "Fridays for Future" zu reagieren, kann ich nur sagen: Dann mal gute Nacht.

(Beifall bei der CDU und bei Jens Meyer FDP)

Auf mich wirkt der Inhalt dieses Antrags so, als sei jemand in die Rolle einer beleidigten Leberwurst geschlüpft und möchte ein wenig nachtreten, da er nicht den Hauch einer Idee hat, wie er auf diese Schülerbewegung reagieren soll. Wenn ich mir über eines absolut im Klaren bin, dann darüber,

dass diese Art der Auseinandersetzung und Konfrontation sicherlich der eindeutig falsche Weg ist.

Dennoch mache ich keinen Hehl daraus, dass ich dem Engagement und der Argumentation der Schülerinnen und Schüler durchaus skeptisch gegenüberstehe. Unbestreitbar ist jedoch, dass sie es geschafft haben, eine hohe Aufmerksamkeit zu erzielen. Doch nachdem das erreicht wurde, ist nun die entscheidende Frage: Was kommt danach? Erhellend war für mich daher die Teilnahme an der Veranstaltung "100 Jahre Wahlrecht für alle". Jeder von den Kollegen, der auch dort war, erinnert sich, es gab da so eine Art Speed-Dating oder Speed-Meeting zwischen Bürgern und Abgeordneten. Ich hatte anderthalb Stunden die Gelegenheit, mit insgesamt 15 Schülern zu sprechen, die allesamt bei "Fridays for Future" engagiert waren, und da gab es für mich drei wesentliche Erkenntnisse. Erstens, was ich nicht erwartet habe, dass die Schüler deutlich selbstkritischer waren, als ich es gedacht habe, und dass sie durchaus eine sehr gesunde, skeptische Haltung dieser einfach proklamierten Lösungen gegenüber an den Tag gelegt und sehr wohl auch hinterfragt haben, was dort eigentlich für Lösungen kommuniziert werden. Und – und das ist sicherlich mit der wichtigste Punkt – es gibt einfach einen sehr, sehr hohen Wissensdurst und durchaus auch ein Gespür dafür, dass dieses Thema wohl doch viel, viel komplexer ist, als es derzeit an den Schulen in Breite diskutiert wird. Es gibt eben keine einfachen Lösungen für eine hochkomplexe und gesamtwirtschaftliche Herausforderung. Daher muss es letzten Endes unser aller Aufgabe sein, mehr Wissen zu vermitteln und weg von dieser teilweise fast schon manisch-emotional geführten Art der Debatte zu kommen. Ich bin daher davon überzeugt, dass wir alle daran mitwirken müssen, eine Versachlichung der gesamten Debatte zu erreichen.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der FDP und bei Dr. Alexander Wolf AfD)

Denn jedem Schüler, mit dem ich gesprochen habe, leuchtete ein, dass wir das Weltklima nicht werden retten können, wenn wir abrupt alle Kohlekraftwerke in Deutschland von heute auf morgen vom Netz nehmen, ohne eine gleichwertige Kompensationslösung zu haben. Denn das hohe Niveau des Umwelt-, Arten- und Klimaschutzes in unserem Land hängt natürlich untrennbar mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes zusammen. Und diese Frage wird umso absurder, wenn man sich vor Augen führt, dass es in ganz Deutschland 153 Kohlekraftwerke gibt, aber allein in diesem Jahr in China 256 neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen.

Deshalb muss es uns gelingen – und das ist ein Appell an alle politischen Vertreter –, wieder sachlicher über einen wirklichen Lösungspfad zu diskutieren. Und da muss natürlich an erster Stelle sehr

(Danial Ilkhanipour)

wohl die Umsetzung von konkreten und wirksamen Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes in Deutschland stehen, dann muss aber auch das Vorantreiben technologischer Innovationen wieder einen höheren Stellenwert bekommen. Deutschland muss Real-Labor werden, um den Beweis zu erbringen, dass technische Lösungen auch wirtschaftlich funktionieren.

(Beifall bei der CDU)

Hier, das will ich durchaus selbstkritisch festhalten, brauchen wir deutlich mehr Flexibilität und mehr Geschwindigkeit, als wir in der Vergangenheit auch auf Bundesebene erreicht haben. Ich bin der Meinung, da müssen auch die GRÜNEN eine viel konsistentere Politik vertreten. Denn was nicht geht, ist einerseits einen stärkeren Ausbau von On- und Offshore-Windkraftanlagen zu fordern, gleichzeitig aber auf lokaler Ebene den Netzausbau an jeder Stelle zu blockieren und zu verzögern, wo sich die Gelegenheit bietet. Das, meine Damen und Herren, ist unredlich.

(Beifall bei der CDU und bei Jens Meyer FDP)

Genau diese Sachverhalte müssen wir den Schülerinnen und Schülern vermitteln. Das ist die entscheidende Herausforderung, bei der wir alle unseren Beitrag zu leisten haben. Insofern ist klar, dass wir dem Antrag der AfD an dieser Stelle nicht zustimmen können. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält nun die Abgeordnete Sparr für die GRÜNE Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Gamm ist irgendwie ein bisschen ruhiger geworden. Sie zeigen jetzt auf einmal, nachdem die neue Linie durchgegeben wurde, ein bisschen Nachdenklichkeit.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Ja, freuen Sie sich doch darüber! – Dennis Gladiator CDU: Können Sie nicht ei- ne ernsthafte Debatte führen?)

Ich würde mich gern darüber freuen. Aber wenn Sie dann so etwas sagen wie Deutschland müsse Real-Labor werden für Energiewendethemen

(Dennis Gladiator CDU: Ich kann Sie einfach nicht ernst nehmen!)

und dann gleichzeitig an jedem Ende versuchen, das zu hintertreiben, relativiert sich das doch wieder ziemlich stark.

(Beifall bei den GRÜNEN – Dennis Gladiator CDU: Ich kann Sie einfach nicht ernst neh- men!)

Genauso: "Fridays for Future" zu diffamieren, Herr Wolf, finde ich auch den falschen Weg. Denn die schieben eben nicht die Schuld auf die anderen, sondern sind auch sehr selbstkritisch, was ihren eigenen Lebensstil angeht. Das sind junge Leute, die sich kaum noch trauen, mal 'ne Bulette zu essen, und die im Urlaub am besten gar nicht mehr wegfahren.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Das sind keine Opfer!)

Jetzt zum eigentlichen Thema. In ihrem Europawahlprogramm erklärte die AfD:

"Wir bezweifeln aus guten Gründen, dass der Mensch den jüngsten Klimawandel, insbesondere die gegenwärtige Erwärmung, maßgeblich beeinflusst hat oder gar steuern könnte. Klimaschutzpolitik ist daher ein Irrweg."

Entsprechend konnte man in den letzten Monaten auf Ihren Wahlplakaten auch lesen "Diesel ist super", "Diesel retten!", "Klimanotstand und andere grüne Fake-News".

Stefan Rahmstorf, Physiker beim Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, berichtete vor Kurzem im "Deutschlandfunk Kultur":

"Jeder Klimaforscher, der sich öffentlich zu dem Thema exponiert äußert, kriegt Morddrohungen. Habe ich auch schon bekommen, auch gegen meine Familie. Daran muss man sich, leider Gottes, fast gewöhnen, wenn man Dinge sagt, die manchen Menschen gegen das eigene Weltbild gehen und die keine sachlichen Gegenargumente haben."

Ich behaupte nicht, dass Sie persönlich von der Hamburger AfD solche Attacken begehen, aber Sie müssen sich schon zurechnen lassen, dass der Tonfall, den Ihre Partei in die politische Debatte einbringt, manche ermuntert, ihr Mütchen so zu kühlen. Aber das ist ein Nebenschauplatz. Hauptschauplatz ist hier, wo Sie sich als Klimaschützer aufspielen, und das ist lachhaft.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Sabine Boeddinghaus DIE LINKE)

Die Schulen, die sich um das Siegel "Klimaschule" bewerben, müssen strenge Kriterien erfüllen; davon war hier schon die Rede. Klimaplan aufstellen, pädagogische Ziele und CO2-Einsparziele festlegen, und vor allem, dies demokratisch in der Schule verankern. Die Schülerinnen und Schüler müssen eingebunden werden, die Schulkonferenz muss zustimmen. Sie können sicher sein: Wenn eine Schule das Siegel "Klimaschule" erhält, wird sich automatisch die Anzahl der Flugreisen in sehr engen Grenzen halten. Aber, und das ist wichtig, die Entscheidung, welche Maßnahmen zur Erreichung des CO2-Ziels ergriffen werden, trifft die

(Stephan Gamm)

Schulgemeinschaft, niemand sonst. Jegliche Form von Verpflichtung zu bestimmten Maßnahmen würde der Idee widersprechen, Schülerinnen und Schüler zu selbstreflektiertem Handeln anzuregen.

Das Programm der Klimaschulen verfolgt das Ziel, Treibhausgasemissionen zu reduzieren und gleichzeitig Bewusstseinsbildung und Klimakompetenzen in der Schule zu verstärken. Und genau da scheint mir der Kern Ihres Antrags betroffen. Diese Idee einer eigenständigen Bewusstseinsbildung stört Sie, denn wer weiß, was dabei herauskommt. Sie wollen an den Schulen keine demokratische Kultur fördern. Sie wollen, wie mit Ihrem merkwürdigen Petz-Portal, Misstrauen säen, Sie wollen Maßgaben von oben, Sie wollen Gängelung.

(Dirk Nockemann AfD: Alles Quatsch!)

Und so kommt es dann zu diesem merkwürdigen Antrag, der im Grunde eine Restriktion erreichen will und dies mit einem gönnerhaften Tonfall verbrämt. Sie wollen in gnädiger Herablassung den Schülerinnen und Schülern Hilfe in ihrem Gewissenskonflikt, ob man denn fliegen dürfe oder nicht, anbieten, indem Sie das Klimaschulsiegel davon abhängig machen, dass auf Klassenreisen mit dem Flugzeug weitgehend, zumindest bei Reisen ins europäische Ausland, verzichtet wird. Und das, obwohl Ihre Fraktion "skeptisch gegenüber dem häufig quasi-religiösen Anspruch der derzeitigen Klimaschutzbewegung" ist. Meine Güte, dieses Entgegenkommen, diese Liberalität. Es ist wirklich nicht zu glauben. Das hat unsere junge Generation nicht verdient.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)