Protokoll der Sitzung vom 15.01.2020

Ich möchte hier auf eine Regelung eingehen, die bereits beim Polizeigesetz von Bedeutung war und in der öffentlichen Diskussion eine wichtige Rolle

(Vizepräsident Dr. Kurt Duwe)

spielt. Die Quellentelekommunikationsüberwachung, kurz Quellen-TKÜ, zum Beispiel bei Messenger-Diensten, ist in der Öffentlichkeit, und nicht nur da, bisweilen mit der Onlinedurchsuchung verwechselt worden. Um eines vorweg zu sagen: Onlinedurchsuchungen wird es im Hamburger Verfassungsschutzgesetz nicht geben.

Was ist also die Quellen-TKÜ, und warum ist sie nötig? Kurz gesagt ist dies die Form der Telekommunikationsüberwachung, die Kommunikation erfasst, bevor sie verschlüsselt wird, nachdem sie entschlüsselt wurde beziehungsweise die deren Entschlüsselung ermöglicht. Mit der klassischen Telekommunikationsüberwachung lässt sich dies heute immer weniger erreichen, denn gerade die zu Überwachenden bedienen sich Verschlüsselungen. Durch Quellen-TKÜ werden nur die Kommunikationsinhalte erlangt, die auch durch konventionelle Überwachung erlangt werden würden, wären sie eben nicht verschlüsselt. Sie erweitert weder das Wissen des Verfassungsschutzes noch die Eingriffsbefugnisse.

Um es noch einmal zu betonen: Dies ist keine Onlinedurchsuchung, denn die Quellen-TKÜ gibt keinesfalls die Befugnis, alles zu durchsuchen, was sich auf einem Gerät, einem Computer oder einem Smartphone, befindet.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Aber die Möglichkeit!)

Es geht lediglich um die Inhalte einer Kommunikation von A nach B, und zwar einer laufenden Kommunikation im Anordnungszeitraum. Selbstverständlich kann eine derartige Überwachung nur durchgeführt werden, wenn sie von der G10-Kommission genehmigt worden ist.

Wir haben uns bei den Novellierungen der vorliegenden Gesetze auf das Notwendige beschränkt. Wir wollen, dass der Verfassungsschutz seiner unverzichtbaren Aufgabe weiterhin erfolgreich nachgehen kann, ohne dass es dabei zu Beeinträchtigungen der Privatsphäre oder Begrenzung der Freiheit des Einzelnen kommt, die über das Maß des unbedingt Gebotenen hinausgehen. Ganz ohne die Begrenzung der Freiheit geht es allerdings nicht, denn die wehrhafte Demokratie garantiert unsere Freiheit, indem sie sie zugleich begrenzt. Das Maß der Begrenzung muss von uns Bürgerinnen und Bürgern gebilligt und die Notwendigkeit eingesehen werden. Ich denke, es ist uns gelungen, das hier in den verschiedenen Gesetzen so zu gestalten, dass die gesellschaftliche Akzeptanz vorhanden sein wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Wort erhält nun der Abgeordnete Gladiator für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Verfassungsschutz leistet eine unverzichtbare Arbeit. Er verhindert Anschläge, er deckt wichtige Informationen über extremistische Bestrebungen auf, und er informiert die Öffentlichkeit über Gefahren und auch über extremistische Gruppierungen, die zum Beispiel legitime Demonstrationen unterwandern und für ihre Zwecke missbrauchen wollen. Kurzum, der Verfassungsschutz schützt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere freie Art zu leben.

Und das ist wichtiger denn je. Die Bedrohungen durch Rechtsextremisten nehmen bundesweit zu, Hass und Hetze vergiften das gesellschaftliche Klima, und gerade in den Hochburgen des Linksextremismus in Berlin, Leipzig und Hamburg erleben wir Einschüchterungsversuche, Angriffe und Gewalt linksextremer Täter. Aber auch die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist nach wie vor hoch, und deshalb ist es wichtig, dass wir einen demokratisch verfassten und handlungsfähigen Verfassungsschutz haben.

Handlungsfähig ist der Verfassungsschutz aber nur dann, wenn wir als Gesetzgeber die notwendigen Befugnisse und Instrumente zur Verfügung stellen. Nur dann kann größtmögliche Sicherheit in Freiheit gewährleistet werden. Das heißt auch, neue Befugnisse sind nie Selbstzweck, sondern dienen dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger und dem Schutz unserer Freiheit. Und in diese Richtung geht in der Tat der vorliegende Gesetzentwurf.

Ein wichtiger Punkt dabei ist die Befugnis zur Speicherung und Verarbeitung von Daten Minderjähriger, um zum Beispiel Hinweise auf Kindeswohlgefährdung zukünftig an Jugendämter weitergeben zu dürfen. Das ist bisher nicht möglich, und deshalb haben wir als CDU-Fraktion bereits vor einem Jahr genau diese Befugnis hier im Parlament beantragt. Es freut mich und es ist gut, dass SPD und GRÜNE nun endlich nach einem Jahr unserem Vorschlag folgen und den Schutz gefährdeter Kinder auch in diesem Bereich ernst nehmen. Besser spät als nie.

Es ist zudem richtig, dass dem Verfassungsschutz das Werkzeug der Quellen-TKÜ an die Hand gegeben wird. Das ist dringend notwendig, denn ohne sie wird der Verfassungsschutz zukünftig blind und taub sein. Und weil das so wichtig ist, haben wir auch die Einführung der Quellen-TKÜ bereits vor einem Jahr in diesem Hause beantragt, und auch hier ist es gut, dass SPD und GRÜNE nun dieser Forderung endlich folgen, auch wenn leider viel Zeit verloren ging. Liebe Kollegen der SPD und der GRÜNEN, man kann nur sagen: Zum Glück ist in der Zwischenzeit nichts passiert.

Die Sachverständigenanhörung hat aber auch gezeigt, dass die Quellen-TKÜ nicht ausreicht. Und hier liegt auch die größte Schwäche des Gesetzentwurfs, denn die GRÜNEN haben verhindert,

(Sören Schumacher)

dass die Onlinedurchsuchung in das Gesetz aufgenommen wird. Das ist tatsächlich ein echtes Sicherheitsrisiko, für das Sie, liebe Kollegen von SPD und GRÜNEN, nun die Verantwortung tragen. Denn ohne die Onlinedurchsuchung, das hat Staatsrat Krösser in der Senatsbefragung zutreffend beschrieben, darf der Verfassungsschutz nur die laufende Kommunikation überwachen. Kommunikation, die vor diesem Zeitpunkt stattfand, und auch Daten, die auf dem überwachten Gerät gespeichert sind, dürfen nicht ausgelesen werden. Konkret heißt das: Hört der Verfassungsschutz zum Beispiel ab, dass ein Anschlag, wie letzte Woche besprochen, stattfinden soll, fehlt es an der Rechtsgrundlage, auf die Chatprotokolle der letzten Woche zugreifen zu können. Das ist ein Sicherheitsrisiko, und dieser Missstand muss dringend behoben werden.

(Beifall bei der CDU)

Das hat übrigens auch die Expertenanhörung bestätigt. Dort wurde auch durch den Sachverständigen der SPD deutlich, dass ein moderner Verfassungsschutz diese Kompetenz dringend braucht. Es wurde übrigens auch zweifelsfrei deutlich, dass es keine verfassungsrechtlichen Bedenken gibt, denn das Bundesverfassungsgericht hat die Zulässigkeit der Onlinedurchsuchung bereits bestätigt. Darum ist es völlig unverständlich, dass SPD und GRÜNE diese Sicherheitslücke bewusst nicht schließen wollen. Wir können nicht immer nur darüber reden, dass wir mit allen Mitteln des Rechtsstaats gegen extremistische und terroristische Gefahren vorgehen wollen, wir müssen den Sicherheitsbehörden dann auch die Instrumente an die Hand geben, damit sie genau das schaffen können. Genau dieser Verantwortung stellen wir uns, und deshalb beantragen wir heute die Einführung der Onlinedurchsuchung unter Richtervorbehalt – nicht nach eigenem Ermessen, sondern unter Richtervorbehalt. Wir beantragen zudem, dass dem Verfassungsschutz eine Zuständigkeit für die Beobachtung der organisierten Kriminalität gegeben wird. Hier gibt es immer mehr Verwebungen, und Beispiele haben gezeigt, dass durch diese Kompetenz Erkenntnislücken geschlossen werden können. Hessen und Saarland beispielsweise sind uns hier voraus, und dem sollten wir folgen.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung. SPD und GRÜNEN fehlt aber erkennbar die gemeinsame Kraft und Konsequenz, gegen die Gefahren des Extremismus und des internationalen Terrorismus vorzugehen. Deshalb bitte ich Sie dringend um Zustimmung zu unserem Zusatzantrag, mit dem wir die rot-grünen Sicherheitslücken in dem Gesetzentwurf schließen wollen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält nun die Abgeordnete Möller für die GRÜNE Fraktion.

(André Trepoll CDU: Da kommt die grüne Si- cherheitslücke!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ja, das mit dem Verfassungsschutz … Die Aufgabe des Verfassungsschutzes scheint eigentlich total einfach: Die Ämter sollen diese Verfassung schützen, und gleichzeitig – das kann, glaube ich, niemand ignorieren – hat der Verfassungsschutz, nicht nur seit einigen Jahren, sondern eigentlich seit seiner Anfangszeit, ein massives Legitimationsproblem. Das hat vor allem etwas damit zu tun, dass es für Parlamentarierinnen und Parlamentarier zwar eine auch in der Verfassung stehende Kontrollmöglichkeit gibt, gleichzeitig aber eine Menge Verschwörungstheorien politischer Ansätze der diversen Parteien und Fraktionen, die sich auch hier im Haus finden, in Bezug auf das bestehen, was der Verfassungsschutz eigentlich für uns, für unsere Republik, für die Stabilität dieses Rechtsstaates machen und tun soll.

Wenn Sie sich die Mühe machen wollen, weil Sie das Thema wirklich spannend finden – und da appelliere ich an viele Kolleginnen und Kollegen und nicht nur an uns, die wir uns tagtäglich damit beschäftigen –, dann lesen Sie einmal die Wortprotokolle. Dann werden Sie nämlich mitnichten feststellen, dass die Expertinnen und Experten Herrn Gladiator recht geben, sondern sie geraten an der Stelle gern auch untereinander in Streit, vor allem bei dieser Chimäre Onlinedurchsuchung; das war schon beim Polizeigesetz so. Etwas, was zu einem Schlagwort wird, rettet noch lange nicht die Republik.

(Dennis Gladiator CDU: Das ist doch kein Schlagwort!)

Auch wenn Sie mehrfach sagen, Rot-Grün habe keine Kraft und so weiter, ist die technische Umsetzung der Onlinedurchsuchung hoch umstritten. Wir haben die Onlinedurchsuchung jetzt im strafprozessualen Bereich. Da soll sie sich gern bewähren, und dann kann man sehen, ob sie in Polizeigesetze gehört, ob sie in ein Verfassungsschutzgesetz gehört.

(Dennis Gladiator CDU: Das kann zu spät werden!)

Aus unserer Sicht nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was uns ein Anliegen war, ist die Stärkung der parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten. Wir haben den parlamentarischen Kontrollausschuss mit weiteren Kontrollrechten gestärkt, vor allem bei den Punkten, die in der öffentlichen Diskussion strittig sind.

(Dennis Gladiator)

Der eine Punkt ist dabei die Senkung des Alters der Personen, über die Daten verarbeitet werden dürfen. Sie wissen, dass Jugendliche ab 14 Jahren strafmündig sind. Die meisten Bundesländer, die ihr Verfassungsschutzgesetz novelliert haben, sind hier dieser Altersgrenze gefolgt, und das tut Hamburg jetzt auch. Über die tatsächliche Begrenzung überhaupt jedweder Verarbeitung von Daten auf zwölf Jahre kann man lange diskutieren; das haben wir auch. Diese zwei Jahre im Alter der zu beobachtenden oder überhaupt wahrzunehmenden Personen, die wir dem Verfassungsschutz an der Stelle noch zugestanden haben, dienen tatsächlich lediglich dem Kindeswohl, dem Jugendschutz. Alle Fälle von Beobachtungen und Verarbeitungen von Daten Minderjähriger sind erstens Einzelfälle und werden zweitens den PKA erreichen. Wir werden uns sehr viel mehr Arbeit im Kontrollgremium machen müssen, aber auch können, um hier ein Auge darauf zu haben, wie verantwortlich der Verfassungsschutz mit den Daten umgeht, die er erhebt, und was er damit tut.

Wenn wir uns die vielen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse anschauen, die es in den anderen Bundesländern zu diversen Fragen zum Agieren des Verfassungsschutzes gibt, dann kann man sagen, dass der Hamburger Verfassungsschutz im Moment an dieser Stelle gut dasteht. Wir wollen, dass das so bleibt, und stärken deshalb die parlamentarischen Kontrollrechte. Um das an dieser Stelle noch einmal deutlich zu sagen: Es geht hier nicht um ein grundsätzliches Misstrauen gegen das Handeln, sondern es geht um das Wahrnehmen eines verfassungsgemäßen Rechts durch uns als Abgeordnete.

Im Übrigen gilt das auch für die G10-Fälle, für die jetzt tatsächlich die Quellen-TKÜ, Herr Schumacher hat darüber gesprochen, ermöglicht wird. Hier wird es nach einem Jahr eine Evaluation geben, hier wird die G10-Kommission verstärkt werden durch Expertinnen und Experten aus dem IT-Bereich, damit die Mitglieder dieser Kommission sich auch tatsächlich sachlich-fachlich damit auseinandersetzen können. Wir sehen die Kritik von der linken Seite als zu starke Verschärfung, wir sehen die Kritik der CDU,

(Glocke)

und ich glaube, damit ist die Mitte vielleicht doch der richtige Platz für diesen Entwurf der rot-grünen Koalition.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das Wort erhält nun die Abgeordnete Schneider für die Fraktion DIE LINKE.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber

Herr Präsident! Wir entscheiden heute über ein Gesetz, das den Hamburger Verfassungsschutz mit erheblichen neuen Befugnissen ausstattet. Keine zehn Jahre ist es her, Herr Schumacher, dass sich der NSU selbst enttarnte und das desaströse Totalversagen deutscher Sicherheitsbehörden, insbesondere der Verfassungsschutzämter, erkennbar wurde. Während in anderen Tatortländern Untersuchungsausschüsse eingerichtet wurden, die wenigstens etwas Licht in das Dunkel der Inlandsgeheimdienste brachten, wurde in Hamburg die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses abgelehnt

(Dennis Gladiator CDU: Sie hätten im PKA mal aufpassen sollen!)

und nicht einmal ansatzweise die Rolle des Landesamts in der militanten Hamburger Neonaziszene um die Jahrtausendwende in den 1990er- und 2000er-Jahren und deren Rolle in dem bundesweiten NSU-Netzwerk aufgeklärt.

(Dirk Nockemann AfD: Nur gegen rechts, Frau Schröder!)

Daran will ich heute erinnern, denn es geht in der Debatte darum, ob wir dem Verfassungsschutz in unserer Stadt wirklich mehr Befugnisse geben wollen. Wir wollen das nicht, und wir haben unsere Kritik am Gesetzentwurf im Ausschuss deutlich gemacht. Damit kein Zweifel aufkommt: DIE LINKE will einen starken Verfassungsschutz, selbstverständlich. Der vitalste Verfassungsschutz aber ist eine lebendige, wachsame Zivilgesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Anstelle einer nachrichtendienstlichen Behörde wollen wir eine Informations- und Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie, die die Zivilgesellschaft unterstützt.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Geheimdienst ist der Verfassungsschutz nicht kontrollierbar; ihm widerstrebt Artikel 5 Grundgesetz. Er ist ein Fremdkörper in einer offenen demokratischen Gesellschaft. Wir sind nicht die Einzigen, die das so sehen. Als unverdächtige Kronzeugin zitiere ich Bernadette Droste, früher im Bundesamt für Verfassungsschutz, später Leiterin des Hessischen Landesamts. Sie verfasste das "Handbuch des Verfassungsschutzrechts", in dem es heißt – ich zitiere –:

"Geheime staatliche Tätigkeit widerspricht an sich dem in der deutschen Verfassung angelegten Prinzip der offenen Gesellschaft."