Protokoll der Sitzung vom 16.09.2015

Die nächste Frage: Hat das Hamburger Abitur keinen Wert mehr? Diese Bedenken hört man alljährlich, wenn im Sommer die Abiturzahlen bekannt gegeben werden, und das im Übrigen nicht erst seit fünf, sechs oder sieben Jahren. Viele von uns werden in dem Sommer, in dem sie ihr Abitur gemacht haben, in der Zeitung gelesen haben, das habe in Hamburg alles keinen Wert und nur die Bremer seien noch schlechter. Belegt worden ist das niemals.

(Beifall bei Uwe Giffei SPD)

9 300 Schülerinnen und Schüler haben im Sommer 2015 das Abitur bestanden, und die FDP sagt, das sei ein Abitur light. Sie warnt in diesem Zusammenhang vor einem Akademisierungswahn und steigert sich in die Formulierung:

"Wir glauben aber nicht, dass der Trend zu jährlich immer mehr Abiturienten mit immer besseren Notendurchschnitten in Hamburg vernünftig ist."

Das verstehe wer will. Das ist von dem, was wir in der Schulpolitik machen, meilenweit entfernt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Karin Prien CDU: Das stimmt!)

Vielleicht zeigt diese Formulierung auch sehr augenfällig auf, worin die Unterschiede in unserer Art, Schulpolitik zu machen, bestehen. Die Befürchtung, dass Hamburgs Abitur immer schwächer wird, wird Steffi von Berg gleich in ihrem Redebeitrag ausführlicher beleuchten und vermutlich viele der Legenden, die sich darum ranken, widerlegen.

Die Große Anfrage der FDP-Fraktion macht aber auch deutlich, dass sich seit 2012, als mit der Umsetzung und Implementierung der Bildungsstandards begonnen wurde, in Hamburg unglaublich viel getan hat. Es gibt viele Beispiele dafür, ich will nur eines nennen, nämlich die Ausweitung von

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

4 auf 27 Fächer in den Abiturprüfungen. 2017 werden nach KMK-Beschluss gleich schwere Aufgaben in zentralen Fächern gestellt. Das Abitur wird an einem Tag abgelegt, mit exakt denselben Aufgaben. Mindestens elf Bundesländer nehmen daran teil, und es liegt bei der FDP, in der KMK – wenn Sie denn dort noch jemanden haben, der für Sie redet, das habe ich nicht recherchiert – auch die anderen Bundesländer dazu aufzufordern, sich zu beteiligen. Dann könnten wir vielleicht sagen, dass es 2018 alle Bundesländer sind.

Hamburg ist in den Vorbereitungen für das Zentralabitur gut aufgestellt. Viele der FDP-Forderungen, die Frau von Treuenfels gestellt hat, sind entweder auf dem Weg oder müssten, wie gesagt, vielleicht auch von Ihnen offensiv in der KMK diskutiert werden. Es gibt eine Qualitätsoffensive im Fach Mathematik. Als heutiges Ergebnis: 92 Prozent aller Schulklassen und Lerngruppen an Gymnasien und Stadtteilschulen bekommen Unterricht von ausgebildeten Mathematiklehrern. Das war früher anders. 95 Prozent aller Schulklassen der weiterführenden Schulen haben vier Stunden Mathematikunterricht. Auch das war schon einmal anders. In Englisch, wo es bereits zentrale Aufgabenteile gibt, liegen die Hamburger Ergebnisse über dem Bundesdurchschnitt. Und ein Wort zur Verbesserung des Rechtschreibunterrichts: Es gibt jährliche Tests in den Klassen 1 bis 10. Auch das wird Auswirkungen auf die Qualität des Abiturs haben.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Na, das hoffen wir!)

Im Dezember 2014 hat die Schulbehörde eine Ombudsstelle für besondere Begabungen eingerichtet, das will ich hier noch einmal benennen, weil es von Ihnen allzu oft heißt, wir würden die Gruppe der besonders Begabten total aus dem Auge verlieren.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Das hat ja auch lange genug gedauert, bis Sie das gemacht haben!)

Der Senat hat sich in den Koalitionsverhandlungen ausdrücklich zu zentralen Abschlussprüfungen auf Bundesebene bekannt. Die sehr ausführliche Beantwortung der Großen Anfrage lässt überhaupt keinen anderen Schluss zu. Hamburgs Schülerinnen und Schüler sind für das Zentralabitur gut gerüstet. Sie sind konkurrenzfähig, auch im Wettbewerb um Studienplätze und Ausbildungsplätze. Ich denke, das alles trägt dazu bei, dass Hamburgs Abiturienten, ohne dass sie sozusagen schwarze Wolken über ihren Köpfen hängen haben, 2017 mit großem Selbstbewusstsein das Zentralabitur bestehen werden. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Wort bekommt nun Frau Prien von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst einmal vielen Dank, Frau von Treuenfels, für die Große Anfrage. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns damit beschäftigen. Ich hätte mir allerdings angesichts der Tatsache, dass Senator Rabe sich als KMK-Präsident um dieses Thema gekümmert hat, eine etwas umfassendere Beantwortung der Anfrage gewünscht; die Berufung auf das Verfassungsgerichtsurteil in diesem Zusammenhang fanden wir nicht sehr schön.

Zentralabitur ist in diesem Zusammenhang ein Euphemismus, um nicht zu sagen eine Mogelpackung, denn wir haben kein Zentralabitur. Auch 2017 werden wir kein Zentralabitur haben. Tatsächlich ist es so, dass sehr viele Eltern und sämtliche Wirtschaftsverbände seit vielen, vielen Jahren die bessere Vergleichbarkeit von Abschlussleistungen und Prüfungen fordern und dass das natürlich bei der zunehmenden Mobilität der Menschen in unserem Land auch zwingend erforderlich ist. Aber immer da, wo vernünftige Schritte im Hinblick auf eine bessere Vergleichbarkeit gemacht werden, haben natürlich immer wieder einzelne Bundesländer – und das sind im Allgemeinen genau die, die besonders schlecht aussehen im bundesweiten Ranking – erhebliche Bedenken, das dann auch konsequent umzusetzen. Und so ist es jetzt leider im Zusammenhang mit den neuen Regelungen zum sogenannten Zentralabitur eben auch.

Ich könnte Ihnen die eine oder andere Wahrnehmung aus der Öffentlichkeit darlegen. So hieß es zum Beispiel im Juli im "Spiegel":

"Sind Schüler in Niedersachsen dümmer als in Thüringen?"

Das fragt man sich natürlich, wenn die Abiturnoten in dem einen Land im Durchschnitt eine halbe Note schlechter ausfallen als in dem anderen. Aber noch viel schöner, Frau Duden, fand ich den Bericht der ideologisch unverdächtigen "taz", die die wunderbare Geschichte von Dennis und Marie erzählt hat. Die "taz" hat einmal nachgefragt, was die gleichen Prüfungsnoten für den Abiturschnitt der Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Bundesländern bedeuten. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Während Dennis in Hamburg einen Einserschnitt bekäme, hätte er in anderen Bundesländern große Mühe, das Abitur überhaupt zu bestehen, und würde in wiederum anderen Bundesländern allenfalls mit einem knappen Zweierschnitt aus der Prüfung herausgehen. So, meine Damen und Herren, sieht es um die Vergleichbarkeit der Abiturprüfungen aus, und das wird sich auch durch das sogenannte Zentralabitur nicht ändern. Das ist, wie gesagt, eine Mogelpackung.

Ich will Ihnen gern einmal vortragen, was Herr Meidinger vom Deutschen Philologenverband jüngst dazu gesagt hat: unterschiedliche Einbringungs

(Barbara Duden)

pflichten, eine differenzierte Anzahl von Prüfungsfächern und auseinanderdriftende Bewertungsgewichtungen. Mathematik und Deutsch sind mal verbindlich als schriftliches Prüfungsfach, mal nicht. In dem einen Land gibt es Leistungskurse, im anderen nicht, und überall jeweils eigene Systeme, wie stark die Abiturprüfung überhaupt von Bedeutung ist. In dem einen Bundesland, so auch in Hamburg, geht es nämlich nur um 20 Prozent des Endergebnisses, im anderen Bundesland sind es 40 Prozent. Da liegt es natürlich nahe, dass ein zentraler Aufgabenpool, der nicht einmal verpflichtend ist, wie Sie ausgeführt haben, Frau von Treuenfels, nicht viel bringen wird. Insofern gibt es auch überhaupt keinen Grund, sich auszuruhen auf den jetzigen Regelungen, sondern es ist tatsächlich, da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Frau von Treuenfels, dringend erforderlich, dieses System weiterzuentwickeln.

Aus unserer Sicht wäre es das nächste Ziel, an die Angleichung der Prüfungsordnungen für die Oberstufe in allen Bundesländern heranzugehen. Wer es wirklich ernst meint mit einem Zentralabitur in Deutschland, der muss auch die Gewichtungen und Einbringungsregelungen vereinheitlichen. Das wird die Herkulesaufgabe sein. Ich hoffe, dass Hamburg sich an diesem Prozess beteiligen wird. Wir werden uns jedenfalls, gern auch mit Ihnen zusammen, Frau von Treuenfels, an Vorschlägen beteiligen, die diesen Prozess weiter voranbringen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Von der GRÜNEN Fraktion bekommt nun Frau Dr. von Berg das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe mir die Lyrik Ihrer Großen Anfrage sehr aufmerksam durchgelesen, Frau von Treuenfels. Ähnlich wie bei Frau Duden hat sie auch bei mir den Eindruck von schwarzen Wolken hinterlassen: Es bestehe die Gefahr, dass das Niveau sinke, Hamburg habe ein schlechtes Niveau, Fachleute würden das bestätigen. Sie unterstellen uns immer, ideologisch zu sein. Als ich das gelesen habe, lag mir der Verdacht aber wirklich sehr nahe, dass die wahren Ideologen auf dieser Seite sitzen. Sie unterstellen, Hamburg mache ein schlechtes Abitur und das Niveau sinke hier.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Das hat überhaupt nichts mit Ideologie zu tun!)

Ihre Unterstellungen sind überhaupt nicht belegt, im Gegenteil, sie sind nämlich ganz einfach zu widerlegen. Vielleicht sollten Sie sich einfach einmal diese wunderbare Studie durchlesen, nicht nur selektiv und ideologisch, sondern tatsächlich auch einmal, was in der Zusammenfassung steht.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

In dieser Studie ist nämlich der Jahrgang 2005 mit den Jahrgängen 2011 und 2012 verglichen worden. Ich zitiere einmal, was dort zum Beispiel auf Seite 76 steht:

"Bemerkenswert ist […], dass die Testbesten des KESS-Jahrgangs in allen untersuchten Kompetenzbereichen insgesamt höhere Lernstände verzeichnen als die Testbesten des LAU-Jahrgangs – ein Hinweis darauf, dass unter den Rahmenbedingungen des G8 die Leistungsspitze erfolgreich gefördert werden konnte."

Außerdem ist auf Seite 77 zu lesen, dass die Abiturquote um 67 Prozent gestiegen und dass dieser Anstieg insbesondere bei Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen Elternhäusern zu beobachten ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das heißt: Wir haben mehr Bildungsbeteiligung. Wir haben höhere Leistungsspitzen. Wir haben eine gestiegene Abiturquote. Wir haben mehr Bildungsgerechtigkeit. Meine Damen und Herren, was ist daran bitte schön schlecht? Sagen Sie mir das. Warum kreiden Sie das an?

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Weil es eine Mogelpackung ist!)

Das ist nicht zu verstehen.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Doch, das ist zu verstehen!)

Sie sehen in der KESS-Studie, dass die Kompetenzen in vielen Bereichen sogar besser sind als 2005;

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Und was sind die Vergleichsarbeiten? Dazu sa- gen Sie lieber gar nichts!)

in anderen Bereichen muss man gucken. Warum ist es schlecht, bei unserer stark veränderten Schülerinnen- und Schülerschaft, bei der stark veränderten Gesellschaft, wenn wir es sogar schaffen, die Abiturquote auszuweiten?

Meine Damen und Herren! Das ist die richtige Bildungspolitik. Wir sind auf dem richtigen Weg,

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Das ist ja ganz was Neues!)

und wir müssen alle unsere Anstrengungen daran setzen, genau so weiterzugehen, und das macht unsere Regierung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Und wenn Sie immer mit Ihrem Vergleich mit den anderen Bundesländern kommen, muss ich Ihnen sagen, dann schauen Sie sich doch einmal die Bevölkerung dort an. Sachsen hat einen Anteil von

(Karin Prien)

Kindern mit Migrationshintergrund von 2 Prozent. Wir haben 45 Prozent. Schauen Sie einmal, was für eine Abiturquote Sachsen trotz dieser Zusammensetzung hat. Die haben 29,4 Prozent. Wir haben 53 Prozent. 53 Prozent der Schülerinnen und Schüler schaffen es durch unsere Schulen, durch unsere Anstrengungen, den höchsten Bildungsabschluss in der Schule zu erreichen. Das ist ein Bildungsversprechen, meine Damen und Herren. Das ist genau das, was unser Ziel ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)