Protokoll der Sitzung vom 12.11.2015

Selbstverständlich sind Gewalttaten als politische Aktionsformen immer verwerflich, und zwar egal, aus welcher Richtung sie kommen und mit welchen Ideologien sie möglicherweise begründet werden. Bei der Bekämpfung strafbarer Aktionsformen gibt es also richtigerweise keine Unterschiede. Straftat ist Straftat.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Bei der Präventionsarbeit jedoch, die Inhalt und Ziel des Landesprogramms "Hamburg – Stadt mit Courage" ist, ergibt eine Gleichsetzung oder Gleichbehandlung von Links- und Rechtsextremismus überhaupt keinen Sinn, es sei denn, der Sinn ist die gewollte Schwächung der Prävention gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN – Dr. Bernd Baumann AfD: Wer soll das verstehen?)

Auch wenn man einen übergeordneten Extremismus-Begriff abstrakt formulieren kann, wie die Bundeszentrale für politische Bildung es tut, oder wenn Hannah Arendts Beschäftigung mit Totalitarismus als übergeordnetem Phänomen sicher eine Auseinandersetzung lohnt, so gibt es doch konkret keinen gemeinsamen inhaltlichen Kern und keine gemeinsame Grundlage von Links- und Rechtsextremismus und deshalb auch keinen angemessenen gemeinsamen Präventionsansatz.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

(Dr. Alexander Wolf)

Der Rechtsextremismus hat bei aller Differenzierung in den Ausprägungen und Erscheinungsformen einen klar identifizierbaren ideologischen Kern. Die wesentlichen Elemente dieses Kerns sind die Ungleichheit und Ungleichwertigkeit von Menschengruppen, die Überhöhung des Eigenen und die Herabwertung des Fremden, die Umdeutung sozialer Konflikte als Rassen- oder Nationenkonflikte,

(Dr. Bernd Baumann AfD: Was für ein Blöd- sinn!)

die Bevorzugung autoritärer gegenüber demokratischen Herrschaftsformen und die prinzipielle Bejahung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Das Landesprogramm "Hamburg – Stadt mit Courage" fußt auf der Auseinandersetzung mit diesen Ideologien, vor allem aber mit der behaupteten Ungleichheit und Ungleichwertigkeit von Menschen und der daraus erwachsenen gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Christiane Schneider DIE LINKE – Dr. Bernd Baumann AfD: Wer behauptet das denn?)

Es entwickelt und unterstützt gezielt Projekte, die hier ansetzen, um rechtsextreme Einstellungsmuster, zum Beispiel Fremdenfeindlichkeit, die sich gegen Flüchtlinge entlädt, möglichst an der Wurzel zu bekämpfen. Daraus wird deutlich, dass eine Ausdehnung dieser Programme und Maßnahmen auf den Linksextremismus, was auch immer man darunter versteht, zwangsläufig zu ihrer inhaltlichen Entkernung und Verwässerung führen würde, und zwar auf Kosten ihrer Wirksamkeit. Das aber werden wir nicht zulassen. Dem werden wir nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN – Glocke)

Herr Kollege Rose, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Flocken?

Wolfgang Rose SPD (fortfahrend) :* Nein. – Nichtsdestoweniger ist natürlich auch Prävention gegen antidemokratische Einstellungen von links sinnvoll und möglich. Eine aktuelle wissenschaftliche Auswertung für die Bundesregierung kommt zu dem Schluss, dass dies am besten durch eine gute Demokratiepädagogik im allgemeinen Schulunterricht gelingt, und dieser Aufgabe stellen wir uns in unseren Schulen in Hamburg selbstverständlich auch.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von der AfD)

Hier ist es nicht so, dass wer am lautesten schreit recht hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von Dirk Nockemann AfD)

Wir setzen bei der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Erscheinungsformen extremistischer Haltungen und Aktionen also auf die intellektuelle, differenzierte und wissenschaftlich begründete Konzeption politischer Programme. Der Antrag der AfD wird diesem Anspruch nicht gerecht, sondern zielt in durchsichtiger Absicht erneut auf rechtspopulistische Effekte, und darum lehnen wir ihn ab.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

Das Wort erhält der Abgeordnete Warnholz von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Was für ein passender Tag für einen Antrag gegen Extremismus: Heute jährt sich zum 33. Mal die Festnahme der RAF-Terroristen Brigitte Mohnhaupt und Adelheid Schulz. Wie der Antrag der AfD richtig erkennt, ist der Linksextremismus in unserer Stadt allgegenwärtig, doch der Senat – der Innensenator fehlt wieder einmal – ergreift keinerlei Mittel. Der Senat ist nicht nur auf einem Auge, sondern auf beiden Augen blind.

(Beifall bei der FDP und der AfD)

Denn obwohl der Verfassungsschutz und zahlreiche Schriftliche Kleine Anfragen belegen, wie viele Straftaten aus der linksautonomen Szene begangen werden, wird der Linksextremismus mit keinem Wort im Koalitionsvertrag erwähnt. Weder vorbeugende noch bekämpfende Maßnahmen werden ergriffen. Vor allem die Polizistinnen und Polizisten, aber auch unbescholtene Bürger werden so immer wieder Opfer linker Gewalt.

(Zuruf von Arno Münster SPD)

Nun sei doch mal ruhig, Arno, dich haben sie heute schon fertig gemacht.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Die Hamburger rot-grüne Regierung verharmlost diese Probleme nur. Es darf, liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserer Stadt, in unserem Land keinen Platz für Extremismus geben, egal ob von links oder von rechts.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der AfD)

Linke Gewalt ist keinen Deut besser als rechte. Sie darf daher – darin sind wir uns hoffentlich alle oder fast alle einig – nicht geduldet werden. Trotzdem schießt der Antrag der AfD am Ziel vorbei.

(Farid Müller GRÜNE: Immerhin!)

Er ist ein untauglicher Versuch, sich zu profilieren, und macht einen entscheidenden Fehler: Er will Maßnahmen gegen links und rechts in einem Pro

(Wolfgang Rose)

gramm vereinen. Das ist kontraproduktiv. Es braucht vielmehr differenzierte Programme, die auf die unterschiedlichen Zielgruppen und Zugänge eingehen. Nur so kann auf die jeweiligen Erscheinungsformen des Extremismus reagiert werden. Genau das haben wir als CDU mit unserem Antrag im August dieses Jahres gefordert. Ich hoffe daher inständig, dass SPD und GRÜNE zur Vernunft kommen und ein Programm gegen Linksextremismus entwickeln. Den vorliegenden Antrag lehnen wir aber ab, denn er ist nicht zielführend; er ist sogar unvernünftig. Der Senat muss aber endlich aktiv werden, und zwar gegen jede Form des Extremismus, also auch gegen Linksextremismus, und diesen konsequent bekämpfen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der AfD)

Frau Möller von der GRÜNEN Fraktion bekommt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Warnholz, vielleicht hätten Sie an den 9. November 1938 erinnern sollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich glaube, das wäre dem Thema angemessener gewesen.

Man muss sich einmal Zahlen aus den ersten neun Monaten anschauen, um sich dem aktuellen Sachstand von politischem Extremismus, von politischem Rechtsextremismus in dieser Republik überhaupt nähern zu können. In den Veröffentlichungen des BKA kann man eine Steigerung erkennen, die eigentlich sprachlos macht. Im Jahr 2013 gab es 58 Fälle politisch motivierter Kriminalität rechts außen. Im Jahr 2014 gab es 177 Fälle – ich beziehe mich auf die Bundesstatistik – politisch motivierter Kriminalität rechts.

(Dirk Nockemann AfD: Wir reden über Ham- burg, nicht über den Bund!)

Allein von Januar bis September gab es 461 Fälle

(Dirk Nockemann AfD: Und wie sieht es in Hamburg aus?)

politisch motivierter Kriminalität rechts. Die Anzahl der rechtspolitisch motivierten Gewalttaten ist um 22 Prozent gestiegen, während die Anzahl der linkspolitisch motivierten Kriminalität um 6,5 Prozent gesunken ist.

Es gab ein Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin – damals kandidierte sie für das Bürgermeisteramt –, bei dem sie fast getötet wurde. Nahezu täglich gibt es Übergriffe und Angriffe auf Einrichtungen, in denen Flüchtlinge unterkommen, auf Flüchtlinge als Personen, aber auch auf ehrenamtliche Unterstützerinnen und Unterstützer, die in der

Flüchtlingshilfe tätig sind. Das alles ist meinen beiden Vorrednern leider nicht einmal einen Halbsatz wert gewesen.

Herr Rose hat schon darauf hingewiesen, dass das Bundesministerium eine wissenschaftliche Arbeit zur Auswertung des laufenden Präventionsprogramms auf Bundesebene vergeben hat. Laut Zwischenergebnis kann man davon ausgehen, dass die präventive Arbeit – die auf Bundesebene unter der Großen Koalition durchaus auch den klaren Auftrag hat, sich um linksautonome Szenen zu kümmern – dermaßen verändert wird, dass insgesamt die politische Bildung, die Warnung vor jeglichem Extremismus, Aufgabe ist und bleiben wird, der sich alle Bundesländer zu widmen haben. Die politische Bildung ist in dieser Stadt genauso wie in allen Bundesländern die Grundlage dafür, dass alle sich dem Grundgesetz und unserer Verfassung auch wirklich zuwenden und sich auch auf sie verlassen können. Ich stelle mir die Frage, ob Sie als Vertreter beziehungsweise Vertreterin der AfD sich manchmal nicht doch ein bisschen befangen fühlen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Herr Jarchow von der FDP-Fraktion, Sie bekommen das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn ich mir diese Debatte vergegenwärtige, wünsche ich mir manchmal einen etwas übergreifenderen Konsens, dass wir alle gegen Extremismus sind, ob von rechts, ob von links oder ob er religiös begründet ist. Ich wünsche mir, dass wir wenigstens diese Gemeinsamkeit etwas mehr herausstellen würden, anstatt aufzurechnen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD)