Protokoll der Sitzung vom 25.11.2015

(Christiane Schneider DIE LINKE: Alle am Hauptbahnhof?)

Natürlich ist ein Teil davon am Hamburger Hauptbahnhof angekommen. Die Gesamtzahl ist das, was der Hamburger Hauptbahnhof und alle anderen Bahnhöfe ausbaden müssen. Das muss man einmal in den Blick nehmen.

180 000 Flüchtlinge in diesen drei Wochen sind ein neuer Rekord. Das heißt, im Winter wird es nicht sinken, wie viele gehofft haben, es bleibt auch nicht gleich, es steigt weiter, und es steigt rasant weiter. Das müssen wir in den Blick nehmen.

Schauen wir uns diese Zahl einmal verantwortlich an. Wenn 180 000 die Zahl ist, die die Bundespolizei für die ersten drei Monate des Novembers gemeldet hat, dann bedeutet das, dass das nur die registrierten Flüchtlinge sind. Wir wissen, dass eine Großzahl nicht registrierter Flüchtlinge dazu kommt, sodass sich das durchaus im Bereich von 250 000 bewegen kann. Eine Viertelmillion in einem Monat. Lassen Sie uns diese Zahl nur einen Moment, unabhängig von allen Tagesaktualitäten, wägen. Eine Viertelmillion im Monat. Das ist die Realität – wenn es nicht weiter steigt. Im Moment steigt es weiter rasant,

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: "Es" steigt weiter! Er sagt "es"!)

da helfen auch Ihre Zwischenrufe nicht.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das ist überhaupt nicht das Thema!)

Sie können gern eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie mögen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Sie sollen mal einfach zum Thema reden!)

Das müssen Sie gerade sagen. Was wir uns von Ihnen alles am Thema vorbei anhören mussten. Hier ist nichts am Thema vorbei.

(Glocke)

Sie können in dem Bahnhof nicht helfen, wenn Sie das große Ganze nicht in den Blick nehmen.

(Jennyfer Dutschke)

(Martin Dolzer DIE LINKE: Wir retten nicht den Bahnhof! – Glocke)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Ich bitte noch einmal, dem Redner Gehör zu schenken oder sich außerhalb des Saals zu unterhalten.

Davon lassen wir uns auch nicht abbringen, die Zahlen sind einfach zu wichtig. 250 000 Flüchtlinge, eine Viertelmillion in einem Monat, noch dazu einem Wintermonat, würde bedeuten, dass 3 Millionen in einem Jahr kommen würden, wenn es nicht mehr und nicht weniger wird. Im Moment wird es aber deutlich mehr. Das sind die Dinge, mit denen wir zu tun haben, die wir im Hintergrund betrachten müssen, die wir eigentlich lösen müssten als Politiker, wenn wir es denn sein wollen.

(Beifall bei der AfD)

Verehrte Kollegen! Die Familienzusammenführung ist noch nicht einmal mit dabei. Aus den 3 Millionen werden schnell 10 oder 12 Millionen. Die einen oder anderen wollen das nicht hören, aber es ist so. Verantwortliche Politik muss das in den Blick nehmen. Die Flüchtlinge sind Opfer, Opfer der falschen Politik. Hier redet niemand gegen die Flüchtlinge, die Politik hat das verursacht. Ich habe vorhin gehört, Dublin III habe nichts zu bedeuten.

(Farid Müller GRÜNE: Hauptbahnhof!)

Dublin III ist geltendes Recht. Viele Leute haben sich eine Menge dabei gedacht, um genau die Dinge steuern zu können, die jetzt nicht gesteuert werden, aber Sie müssen gesteuert werden.

Sie können gern eine Zwischenfrage stellen, vielleicht auch einen qualifizierten Zwischenruf, auf den ich dann eingehen kann.

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Thema! Thema! – Glocke)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Ich gehe davon aus, Frau Schneider, dass der Redner Ihnen eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung gestattet hat.

Ich gestatte es, Frau Schneider.

Würden Sie bitte das Thema des Antrags, der hier debattiert wird, noch einmal nennen?

Darauf komme ich, das muss ich jetzt nicht nennen. Sie kennen es hoffentlich, oder muss ich es Ihnen vorlesen? Es ist Ihr eigener Antrag.

Sie haben genau das Problem, sich in diesem Detail zu verrennen, das Große aus dem Blick zu lassen und sich damit letztendlich an den Flüchtlingen zu versündigen, die in diesem Moment Hab und Gut in Afghanistan, Syrien oder anderswo verkaufen,

(Beifall bei der AfD)

den Erlös den Schlepperbanden geben und dann mittellos vor unseren Türen stehen. Damit müssen Sie sich befassen. Das ist Ihr Problem.

(Glocke)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Herr Dr. Baumann, gleichwohl sollten Sie auch zu den Details der gemeldeten Debatte kommen.

Das ist direkt der nächste Punkt, nachdem wir den Hintergrund ausgeleuchtet haben. Vor diesem Hintergrund ist das, was jetzt geschieht, wenn wir über den Hauptbahnhof oder andere Dinge reden, Flickwerk angesichts der großen Aufgabe, um die es geht. Es ist eine Flickschusterei, ein Eilen von Brandherd zu Brandherd, die durch falsche Politik an anderer Stelle verursacht wurden. Dort müssen wir uns engagieren. So ist es kurzatmig und hektisch: Jetzt sind wir beim Hauptbahnhof, morgen in Rissen, dann in Groß Borstel, am Arbeitsmarkt oder anderswo,

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Aber heute reden wir zum Hauptbahnhof!)

ohne Übersicht, mit falschen Erwartungen. Das ist ein Wegducken vor der wirklichen Größenordnung und dem richtigen Zwang zu handeln.

Die Ehrenamtlichen vor Ort, auch am Hauptbahnhof, sind da schon längst weiter. Sie haben sich selbst organisiert, auch mithilfe des runden Tisches, und haben die Sache, im Moment zumindest, wieder im Griff. Sie bitten sogar inständig – es gab eine große Berichterstattung im NDR, Sie werden es vielleicht gesehen haben –, dass erst einmal keine weiteren Helfer kommen mögen, weil sie die alle einarbeiten müssen. Sie haben so viele freiwillige Helfer, dass neue Helfer anzulernen so viel Zeit in Anspruch nähme, dass es das Tagesgeschäft hemmen würde. An ehrenamtlichem Engagement fehlt es nicht. Überhaupt muss man immer wieder die tolle Einsatzbereitschaft der Hamburger Bürger loben. Davor kann man nur den Hut ziehen und es überall unterstützen, wo es möglich ist. Auch wir unterstützen das, beispielsweise indem wir den CDU-Antrag unterstützen. Das ist keine Frage. Aber die Qualität des Engagements der Bürger, tagtäglich, Tag und Nacht, und ihre Leistungsfähigkeit deckt sich nicht mit dem, was manche in der Bürgerschaft zum Thema beitragen, die, wenn man auf die Kernprobleme aufmerksam

macht, die Politik eigentlich lösen muss, ungeduldig werden und sich in Details verrennen. Gegen die großen Fehler der Politik kommen auch die Ehrenamtlichen nicht an, egal, wie gut sie sich organisieren und wie sehr sie sich einbringen.

Es hat erste zarte Stoppversuche an der mazedonischen Grenze gegeben, einen Versuch, das Problem wirklich zu lösen. Manche Flüchtlingsgruppen haben sich, Sie werden es vielleicht gesehen haben, Nadel und Faden genommen und ihren Mund zugenäht. Das zeigt nur, was passiert, wenn wir nicht dringend die wirklichen Probleme lösen, um die es geht.

Jetzt kommen wir noch einmal ganz konkret zu dem Antrag der LINKEN. Was schlagen Sie – außer der Unterstützung der Ehrenamtlichen, die keiner im Haus infrage stellt – denn eigentlich vor? Ihr Vorschlag, um die Unterbringungsprobleme zu lösen: Wenn irgendwo ein ehemaliges Hotelgebäude steht, wie am Steintorweg zum Beispiel – Beschlagnahme. Wenn irgendwo ein leer stehendes Bürogebäude ist – Beschlagnahme. Wenn irgendwo ein leer stehendes Wohngebäude ist – Beschlagnahme. Das steht alles in Ihrem Antrag, Frau Schneider. Das sind Ihre Lösungen. Deswegen musste ich kurz skizzieren, was das wirkliche Problem ist. Angesichts dessen werden Ihre Lösungen nämlich mickrig und klein. Nicht nur, dass sie die Probleme nicht lösen, sie lassen auch die Herkunft der LINKEN und ihrer Vorgängerpartei, der SED, durchscheinen, wo das Eigentumsrecht überhaupt keine Rolle spielte. Beschlagnahme, Beschlagnahme, Beschlagnahme – das ist weder eine Lösung für dieses Problem noch für irgendein anderes.

(Beifall bei der AfD)

Einen Unterschied zu den linken Hausbesetzern gibt es, Frau Schneider: Die Hausbesetzer schreiben nicht erst Anträge, bevor sie einmarschieren und die Eigentümer enteignen.

(Christiane Blömeke GRÜNE: Wir reden zum Hauptbahnhof!)

Das sind Ihre Lösungen angesichts dieses Problems von Millionen Menschen, die auf uns zukommen – Beschlagnahme, Beschlagnahme, Beschlagnahme. Das ist kein seriöser Weg, das ist kein rechtsstaatlicher Weg.

(Jörg Hamann CDU: Können Sie das nicht untereinander klären?)

Meine Damen und Herren! Wir werden uns noch öfter mit diesem Thema befassen müssen, und dann hoffentlich fundierter und mehr auf die wirklichen Probleme eingehend als der Antrag der LINKEN. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der AfD – Milan Pein SPD: Das ist doch kein Zirkus hier!)

Jetzt hat das Wort Frau Senatorin Dr. Leonhardt.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die vorangegangenen Redebeiträge zu der Situation am Hauptbahnhof und zu der Situation der Menschen, die sich auf der Flucht vor Vertreibung, Terror und Bürgerkrieg auf den Weg gemacht haben, um ein besseres Leben für sich und ihre Familien zu suchen, zeigen deutlich, in welch einem Spannungsfeld wir uns befinden, wenn wir die Situation betrachten, wie sie sich für die Menschen am Hauptbahnhof im Moment darstellt.

Auf der einen Seite gibt es die Position, die von Frau Schneider geschildert wurde: Wir müssten das, was sich an ehrenamtlichem Engagement dankenswerterweise konstituiert hat, mindestens durch staatliche Maßnahmen so flankieren, dass es sich etabliert. Das geht übrigens, wenn ich die Presse verfolge, noch weiter, bis hin zu der Forderung, wir mögen es durch staatliches Engagement ersetzen.

Und dann gibt es die Position, die wir eben gehört haben und die in den Redebeiträgen der FDP – das fand ich besonders bemerkenswert –, aber auch der CDU durchgeklungen ist: Wir mögen bitte restriktiv handeln, alle einsammeln, hier registrieren und Dublin III – und was das für die Leute dort vor Ort bedeuten würde – zum Zuge kommen lassen, so sei die Situation im Nullkommanichts beherrschbar.

Ich glaube, es ist relativ eindeutig: Wenn man sich die Mühe macht, sich mit den Menschen vor Ort intensiv auseinanderzusetzen – und das tut meine Behörde seit Monaten –, wenn man sich mit den Wohlfahrtsverbänden auseinandersetzt, die inzwischen aktiv geworden sind, um die Ehrenamtlichen strukturell zu unterstützen, wenn diese aus sich selbst heraus etwas nicht leisten können oder auch nicht leisten wollen, weil sie es vorziehen, selbstorganisiert tätig zu bleiben, dann stellt man fest, dass es für eine solch komplexe Situation keine einfachen und schon gar keine plakativen Lösungen gibt, die auf Dauer weiterhelfen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)