Protokoll der Sitzung vom 25.11.2015

Da muss man als Oppositionspolitiker den Integrationskünstlern von Rot-Grün fast dankbar sein, dass auch Sie gemerkt haben, dass der Senat dringend Hilfestellung braucht, und Sie in der Folge einen leidlich guten Antrag zusammengezimmert haben, auch wenn Sie den Inhalt in weiten Teilen abgeschrieben haben. Aber immerhin, besser spät als nie.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Stimmen Sie zu, Herr Oetzel!)

Ich stimme selbstverständlich zu.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Dann kann er so schlecht nicht sein, wenn Sie sogar zustim- men!)

Habe ich auch nicht gesagt. Ich habe gesagt, es ist ein leidlich guter Antrag, den Sie zusammengezimmert haben, und besser als das, was der Senat bisher gemacht hat. Vielen Dank, Herr Dr. Tjarks.

Der Zusatzantrag der CDU ist aber aus unserer Sicht noch eine sinnvolle Ergänzung. Wir werden daher auch diesem Antrag zustimmen und finden es schade, dass wir ihn nicht weiter im Ausschuss diskutieren werden.

Aber noch ein Wort zu unserem Zusatzantrag. Bisher haben wir von den Roten und den GRÜNEN nur gehört, dass sie die Zusatzanträge der CDU und der LINKEN ablehnen werden. Ich habe also noch leise Hoffnungen, dass Sie vielleicht noch unserem Antrag zustimmen werden.

(Beifall bei der FDP – Kazim Abaci SPD: Leider nicht!)

Ein besonders wichtiger Aspekt fällt nämlich im vorliegenden Antrag fast völlig unter den Tisch, und das ist die Vermittlung unserer freiheitlichen und liberalen Werte, die unsere Gesellschaft zusammenhalten

(Kazim Abaci SPD: Das ist doch selbstver- ständlich!)

und sicherlich auch mit dafür verantwortlich sind, dass derzeit viele der Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, eine neue Zukunft gerade in unserer Stadt und in unserem Land suchen. Wir Freien Demokraten stehen zu 100 Prozent zu unserer Verantwortung, den Kriegsflüchtlingen zu helfen. Aber eines muss jeder verstehen, der auf Zeit oder dauerhaft ein Mitglied unserer Gesellschaft ist oder sein möchte: Auf Toleranz, Gleichberechtigung, Religionsund Meinungsfreiheit, Antirassismus und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung jedes Einzelnen gibt es in Deutschland keinen Rabatt.

(Beifall bei der FDP)

Wir fordern daher, dass die Vermittlung unserer Werte neben dem Erwerb der deutschen Sprache als gleichrangiges Hauptziel in den Flüchtlingsunterricht aufgenommen wird. Die Formulierung dazu im Ursprungsantrag ist uns an dieser Stelle viel zu vage. Nötig ist ein konkretes Konzept, das zügig entwickelt und dann auch umgesetzt werden muss. Denn sonst wird aus der Flüchtlingskrise schon bald eine Integrationskrise,

(Ksenija Bekeris SPD: Ach, Herr Oetzel!)

die uns dann noch vor weit größere Herausforderungen als derzeit stellen wird. In diesem Sinne bitte ich Sie, unserem Zusatzantrag zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Von der AfD bekommt nun Herr Dr. Wolf das Wort.

Sehr geehrtes Präsidium, meine Damen und Herren! Wieder einmal müssen wir über die Lösung eines Problems miteinander sprechen, welches wir in dem Ausmaß nicht hätten, wenn sich Bund und Länder an Recht und Gesetz hielten. Wieder einmal ist man gezwungen, das Richtige im Falschen zu tun. Der vorgelegte Antrag versucht, dies zu tun, aber er macht vieles nur noch falscher. Hier treffen sich zu viel egalitaristische Bildungspolitik und utopistische Willkommenskultur.

Richtig an Ihrem Antrag ist, dass in Hamburg die bisherigen Angebote der Beschulung von Asylsuchenden deutlich über die Standards anderer Bundesländer hinausgehen. Aber ist das notwendig? Bisher hat die Beschulung der minderjährigen Asylsuchenden in Hamburg – und hier muss ich der positiven Selbstdarstellung der Koalitionsfrak

(Sabine Boeddinghaus)

tionen widersprechen – leider hauptsächlich schlechte Ergebnisse bei hohen Kosten verursacht

(Dorothee Martin SPD: Hä?)

und die Schulen und die Lehrkräfte, so die Rückmeldung der Lehrer, die in derartigen Schulen und Klassen unterrichten, erheblich belastet, wenn nicht überlastet. Dies ist in dem Antrag zwischen den Zeilen auch herauszulesen, und deswegen wird eine Reform angestrebt – in vielen Punkten aber in die falsche Richtung.

Wie Sie oben auf Seite 2 zugeben, ist es um die Anwesenheitsdisziplin der Flüchtlingskinder, insbesondere der Jugendlichen, nicht gut bestellt. Oft betragen die Abwesenheitsquoten über 50 Prozent, was nicht so recht dazu passen will, dass diese Schüler angeblich so motiviert sind. Ob das, was derzeit oftmals wenig angenommen wird, jetzt als Ganztagsangebot ausgebaut werden muss, dahinter kann man doch wirklich ein großes Fragezeichen setzen. Wer schon zum Halbtagsunterricht nicht freiwillig erscheint, wird der plötzlich bereitwillig zum Ganztagsunterricht erscheinen? Bei mir überwiegen die Zweifel und die Skepsis.

Die weiteren Ausführungen in Ihrem Antrag, dass guter Unterricht gute Rahmenbedingungen brauche, sind natürlich richtig. Sie schreiben, die Schüler sollten von gut ausgebildeten Pädagogen ein hochwertiges Unterrichtsangebot bekommen. Auch hochwertiger Sprachunterricht sei von Anfang an notwendig. Das stimmt. Allerdings bedeutet das natürlich, dass in solchen Schülergruppen nur Fachlehrer mit Facultas Deutsch einzusetzen sind, die nach Möglichkeit auch noch eine Zusatzausbildung für Deutsch als Fremdsprache haben. Wo sind gegenwärtig diese Kollegen an den betroffenen Schulen?

Zu den einzelnen Punkten Ihres Antrags. Den Punkten 2, 4, 5, 7, 9 und 11 könnten wir zustimmen.

Zu Punkt 1 ist eine differenzierte Betrachtung angebracht. Ich persönlich sehe es so, wie es zum Beispiel auch der Chef der SPD in Thüringen, Bausewein, formuliert hat, dass die Schulpflicht problematisch ist und man darüber streiten kann, ob diese nicht erst nach positivem Abschluss des Asylverfahrens greifen sollte, auch wenn ich einräume, dass man mit fundierten Gründen beide Meinungen guten Gewissens vertreten kann. Trotzdem soll und kann natürlich motivierten Flüchtlingen in den Aufnahmeeinrichtungen ein Bildungsangebot unterbreitet werden, allerdings unter Berücksichtigung des Rahmens, in dem Lehrkräfte und Räume vorhanden sind.

Zu Punkt 3. Woher kommt das gut ausgebildete Fachpersonal an den Schulen für die zusätzlichen Klassen? An praktisch keiner der betroffenen Schulen wird das gut ausgebildete Personal in der nötigen Stärke vorhanden sein. Das heißt, wenn

es zusätzliche Schüler und Klassen in Klassenstärken von 14 bis 18 Schülern gibt – das finden wir sinnvoll, denn diese Soll-Stärke ist das Maximum, mit dem in derartigen Klassen noch sinnvoll Unterricht erteilt werden kann –, dann muss vorher sichergestellt sein, dass mit den Schülern externes Fachpersonal an die Schule kommt, damit dieses den zusätzlichen Unterrichtsaufwand bewerkstelligen kann. Keinesfalls darf es so laufen, dass zuerst die Klassen kommen, im Extremfall im laufenden Schuljahr, und das Kollegium dann sehen muss, wie sie irgendwie aufbewahrt werden, bis das Lehrpersonal im nötigen Umfang an die Schulen kommt – so lauten mehrere Rückmeldungen in diesem Zusammenhang.

Zu Ihrer Ziffer 6. Fortbildungsangebote für Deutsch als Fremdsprache sind ausschließlich für Deutschlehrer mit Facultas geeignet. Oder glauben Sie, dass ein Lehrer, der sechs Jahre Lehramt Berufsschule studiert und anderthalb Jahre das Referendariat mit den Fachseminaren Wirtschaft oder Englisch absolviert hat, plötzlich durch eine einwöchige Fortbildung zu einem qualifizierten Deutschlehrer mit Sonderqualifikation Deutsch als Fremdsprache wird? Falls ja: Warum braucht man dann noch ein erstes und zweites Staatsexamen zum Eintritt in den Schuldienst, statt einfach direkt nach dem Abitur eine einwöchige Fortbildung zu machen und dann Fachlehrer für Flüchtlingsbeschulung zu sein? So geht es doch nicht.

Zu Ihrem Punkt 8. Laufende Schulwechsel zwei Wochen nach dem Unterkunftswechsel führen zu unnötigem institutionalisiertem Chaos an den Schulen. Schulwechsel und insbesondere die Einrichtungen neuer Migrantenklassen sollten zum Schuljahreswechsel stattfinden, um die für guten Unterricht geforderten guten Rahmenbedingungen zu gewährleisten, auch wenn dann der eine oder andere im Einzelfall einmal etwas warten muss.

Auch Ihren Punkt 10 müssen wir ablehnen. Bevor es ein Ganztagsangebot von Anfang an in den Schulen geben kann, müssen Sie zunächst beantworten, woher die Räume kommen, woher die freiwilligen und entsprechend qualifizierten Lehrer kommen, ob die häufig überforderten Lehrer und Schüler ausreichend mit Sozialpädagogen unterstützt werden, um störungsfreien Unterricht zu gewährleisten, was das alles zusätzlich kostet und woher das Geld kommt. Solange es keine Antworten auf diese Fragen gibt, kann unserer Auffassung nach mit der Ganztagsbeschulung nicht begonnen werden. Daher können wir dem Antrag in der vorliegenden Form nicht zustimmen.

Noch kurz zwei Sätze zu den Zusatzanträgen. In dem Zusatzantrag der CDU erscheinen uns mehrere Punkte sinnvoll, während wir andere Punkte ablehnen. Wir haben eine ziffernweise Abstimmung beantragt. Sinnvoll und interessant ist insbesondere der Punkt 2, in dem, ähnlich wie in dem

Zusatzantrag der FDP, den wir unterstützen werden, eine Vermittlung der hiesigen Werte und Grundgedanken der freiheitlich demokratischen Grundordnung – man kann den Begriff Leitkultur verwenden, man muss es nicht tun – gefordert wird und wichtige Ansätze in Richtung Entwicklung eines Lehrplans für die Flüchtlingsbeschulung stecken. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, bevor ich nun Frau Heyenn das Wort erteile, möchte ich, wie die Präsidentin das zu Beginn der Sitzung schon getan hat, darauf hinweisen, dass es tatsächlich ausreichend Sitzplätze im Plenarsaal gibt. Ich würde gern diese kleinen Gesprächsgruppen auflösen. Sprechen Sie draußen weiter oder folgen Sie der Debatte. Vielen Dank. – Frau Heyenn, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ungefähr ein Viertel der ankommenden Flüchtlinge in Hamburg sind Kinder und Jugendliche. Ganz wichtig ist, dass diese Kinder und Jugendlichen von Anfang an eine möglichst gute Bildung und Ausbildung bekommen. Das ist die beste Voraussetzung für eine gelingende Integration.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

In Hamburg werden die Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus beschult. Damit ist Hamburg ein Vorbild für andere Bundesländer. Das ist nicht erfunden worden, weil wir die Flüchtlingsbewegung haben, das ist seinerzeit von der Senatorin Christa Goetsch eingesetzt worden, und wir können ihr gar nicht dankbar genug sein, dass sie das damals durchgesetzt hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Die Fraktionen von SPD und GRÜNEN haben nun einen Antrag eingebracht, "Gute Schule von Anfang an". Zu begrüßen ist, dass innerhalb der ersten vier Wochen ein entsprechendes Schulangebot sichergestellt werden soll. Flüchtlingskinder und Jugendliche sollten so schnell wie möglich ins Bildungssystem integriert werden, aber eine separate Beschulung sollte auf ein Minimum beschränkt sein. Es sollte eben keine Migrantenklassen geben und keine Flüchtlingsklassen. Die Kinder und Jugendlichen gehören so schnell wie möglich in die Regelklassen.

Und was ist eigentlich mit den Gymnasien? Ich habe bei Ihnen, Frau Prien, genau zugehört.

(Dennis Thering CDU: Da können Sie noch was lernen!)

Ich weiß nicht, ob man das lernen sollte.

Sie haben von einer Quotierung für die Grundschulen und die Stadtteilschulen gesprochen. Es kann doch aber nicht sein, dass wir, genau wie bei der Inklusion, die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Integration der Flüchtlingskinder und der Jugendlichen allein den Stadtteilschulen und somit den Stadtteilschülerinnen und Stadtteilschülern überlassen. Das kann so nicht gehen, und deswegen sollten wir darauf achten, dass auch die Gymnasien ihren Anteil leisten. Interessant wäre zu wissen, wie hoch der Anteil der jungen Flüchtlinge ist, die an Gymnasien beschult werden. Wichtig ist doch, dass die Kinder und Jugendlichen entsprechend ihren Potenzialen den Zugang zu Stadtteilschulen und Gymnasien erhalten und das nicht auf eine Schulform reduziert ist.

(Beifall bei den GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Zu begrüßen ist, dass SPD und GRÜNE die Lehrkräfte in Erstaufnahmeeinrichtungen in den Vorbereitungsklassen in arbeits- und personalorganisatorischer Hinsicht mit den Lehrkräften in Regelklassen gleichstellen wollen. Dies ist lange überfällig. Gleiches Geld für gleiche Arbeit sollte es für angestellte und teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte genauso geben wie für die Honorarkräfte. Vor ein paar Tagen hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gefordert, Lehrkräfte für Integrationskurse anzustellen und gut zu bezahlen. Die GEW warnt vor Engpässen an qualifizierten Lehrkräften und weist darauf hin, dass nach Abzug der Sozialabgaben bei vielen akademisch qualifizierten Lehrkräften, die von diesen Honoraren leben, ein Einkommen knapp über dem Hartz-IV-Niveau übrigbleibt. Diese Integrationskurse werden vor allem von der Volkshochschule erteilt, die im Zuständigkeitsbereich der Schulbehörde liegt. Hier besteht Handlungsbedarf, und das nicht erst seit der aktuellen Flüchtlingsbewegung.

Noch einmal ein Wort zu den Lehrern, den Schülern und dazu, dass sie alle überfordert seien. Ich möchte einmal ein Beispiel aus dieser Stadt nennen. Vor einiger Zeit hat die Erich Kästner Schule den Bertini-Preis bekommen, weil Lehrer und Schüler ein Tor in den Zaun zur benachbarten Flüchtlingsunterkunft eingebaut und ermöglicht haben, dass Flüchtlingskinder und Kinder, die in die Schule gehen, nachmittags miteinander spielen können. Das ist also nicht nur eine Herausforderung oder eine Überforderung, es ist auch eine große Inspiration für ein Miteinander. Wie Frau von Berg sagte: Kultur hilft uns allen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Nun zu den Unterrichtsräumen. Im Antrag ist von guten Unterrichtsräumen die Rede. Ich möchte einmal daran erinnern, dass wir, als die Flüchtlingsbewegung noch nicht so stark im Bewusstsein war, einen Schulentwicklungsplan vorgelegt bekommen

(Dr. Alexander Wolf)