Protokoll der Sitzung vom 14.04.2016

pädagogische Wissenschaft und Lehre steht heute dort, wo die medizinische Wissenschaft und Lehre vor den preußischen Reformen stand. Die medizinischen Fakultäten waren damals Elfenbeintürme für Professoren und Studenten ohne Patientenkontakt. Begründung: Die reine Lehre, die galenische Lehre kann nur vertreten, wer nicht in die Niederungen der Praxis hinabsteigen muss. Vor 200 Jahren war dann Schluss damit. Unikliniken entstanden, und Studenten in den klinischen Fächern kann seitdem nur unterrichten, wer auch Patienten behandelt. Flugs entwickelte sich die Medizin in Deutschland und dort, wo es ähnliche Entwicklungen gab, namentlich in England und Frankreich, nicht jedoch in den Ländern, die bei dem mittelalterlichen System blieben.

In den pädagogischen Fakultäten ist es heute noch so, dass angehende Lehrer in Pädagogik von Professoren unterrichtet werden, die selbst seit Jahren oder Jahrzehnten nicht vor einer Schulklasse gestanden haben oder es noch nie getan haben. Dazu kommen Probleme in der interdisziplinären Zusammenarbeit. In der medizinischen Forschung geht die Interdisziplinarität so weit, dass Nobelpreisträger – in Medizin wohlgemerkt – mehrheitlich kein abgeschlossenes Medizinstudium vorweisen können, wohl aber zumeist eine Habilitation in Biologie, Biochemie, Chemie, Physik oder Randfächern davon.

An der Seite der pädagogischen Wissenschaften haben die Neurowissenschaften Ende des 20. Jahrhunderts mit neuen Methoden dramatische Fortschritte gemacht, das funktionelle Kernspin ist nicht das Einzige. Seit 20 Jahren kann das Gehirn, das lernende Gehirn zumal, bei der Arbeit beobachtet werden. Leider sehen viele Pädagogikprofessoren dies nicht als Chance, sondern als Bedrohung ihrer Kompetenz und verweigern den Dialog.

Der Antrag der FDP ist bitter nötig. Warum Sie allerdings Kammerbürokraten den Vorzug vor gestandenen Handwerksmeistern und Handelsunternehmen geben, bleibt unklar. Außerdem sollten Neurowissenschaftler einbezogen werden.

(Gerhard Lein SPD: Und Orthopäden!)

Das ist natürlich ein Risiko für die Bewohner des Elfenbeinturms: Vermutlich würde gefordert werden, dass Pädagogikprofessoren aktuelle praktische pädagogische Tätigkeit vorweisen müssen – für die Professoren und Professorinnen unbequem, für die Schüler sicherlich ein Gewinn. – Vielen Dank.

Das Wort bekommt nun Frau von Treuenfels-Frowein von der FDPFraktion.

Gestatten Sie mir ein letztes Wort. Ich finde es in

teressant, wie der Antrag hier gewertet wird. Ich gestehe Ihnen zu, dass jeder so seine Lieblingsverbände hat; die einen möchten natürlich am liebsten nur die GEW und die anderen möchten vielleicht nur die Wirtschaftsverbände dabeihaben. Aber genau deswegen haben wir uns da mit Absicht breit aufgestellt, und natürlich hätten wir auch die GEW einbezogen. Wir haben keine Angst vor deren Meinung. Ich bin neulich dort gewesen, und es gibt da so mehr oder minder einige Überschneidungen, man würde sich wundern. Wir sind da nämlich wirklich viel offener, als Sie uns hier immer versuchen unterzuschieben. Der Punkt ist, und das ist die politische Botschaft, die ich hier senden möchte, und deswegen sage ich es auch noch einmal: Die Kammern muss man frühzeitig mit einbinden und meinetwegen auch die GEW. Wir können uns auch darüber unterhalten, wen wir alles mit einbinden.

Sie tun es nun sowieso nicht, deswegen müssen wir das auch nicht noch einmal im Schulausschuss haben. Aber die Praktiker erst hinterher zu befragen, ihnen ein Konzept vorzulegen – Frau Heyenn hat es gerade genau richtig geschildert –, zu dem sie dann sagen, das sähen sie aber alles ganz anders und das und das fänden sie gar nicht gut – also es glaubt doch niemand mehr an den Weihnachtsmann. Es ist doch völlig klar, dass hinterher nichts mehr verändert wird.

Auch wenn ich Ihnen glaube, Frau von Berg, dass Sie wahrscheinlich das Ansinnen teilen und dass Sie sich sicherlich darum bemühen werden – das werde ich jetzt auch tun, jetzt müssen wir wieder mit kleinen Schritten vorangehen – abzufragen, ob sie sich diese Expertise holen, so finde ich das wirklich nicht ausreichend. Und ich bin enttäuscht darüber, dass gerade die Sozialdemokraten, die doch so viel von Praxis und mittleren Abschlüssen halten sollten, sich wirklich in einem Elfenbeinturm befinden und einfach nur mit Theoretikern ein Konzept ausarbeiten wollen, und unsere Schüler haben hinterher wieder das Nachsehen.

Ich habe mir diese Präsentation angehört. Man versteht wirklich nur die Hälfte von dem, was eigentlich gemeint ist, und zwar nicht, weil wir zu blöd sind, sondern weil es so supertheoretisch ist, und ich schätze einmal, so wird es im Unterricht hinterher auch aussehen. Das finde ich schade. Und ich finde vor allen Dingen schade, dass Sie immer davon reden, wie sehr Sie die Stadtteilschule stärken wollen, während wir ja immer nur die Gymnasien schützen wollten, sich aber zurückhalten, wenn es darum geht, wirklich Bezug auf die späteren Anforderungen zu nehmen.

Ich will überhaupt nicht sagen, dass die Wirtschaftsverbände zu bestimmen hätten, wie später die Kinder aus der Schule kommen. Das ist ja kein Abfragemodus, so habe ich das auch nicht gemeint. Aber diejenigen, die in der Praxis stehen,

(Dr. Ludwig Flocken)

wissen sehr viel besser, was hinterher bei den Jugendlichen, die vielleicht in eine duale Ausbildung gehen wollen, abgefragt wird. Und das ist doch eine einfache, sehr pragmatische Lösung. Ich weiß nicht, wie man sich da als Sozialdemokrat überhaupt verweigern kann. Das bleibt mir ein Rätsel. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Wenn nun keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 21/3555 an den Schulausschuss zu? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dieses Überweisungsbegehren abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung in der Sache.

Wer sich dem FDP-Antrag aus der Drucksache 21/3555 anschließen möchte, den bitte ich nun um das Handzeichen. – Auch hier die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5, Drucksache 21/3417, Große Anfrage der AfD-Fraktion: Kann Hamburg die Kosten für die Asyl- und Migrationskrise stemmen?

[Große Anfrage der AfD-Fraktion: Kann Hamburg die Kosten für die Asyl- und Migrationskrise stemmen? – Drs 21/3417 –]

Vonseiten der AfD-Fraktion liegt hierzu ein Antrag auf Überweisung federführend an den Haushaltsausschuss sowie mitberatend an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration vor.

Wer wünscht dazu das Wort? – Frau Oelschläger von der AfD-Fraktion, Sie bekommen es.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wir als AfD-Fraktion haben den Senat im Rahmen einer Großen Anfrage zu seiner Kosteneinschätzung rund um die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge in Hamburg befragt. Die Antworten sind gelinde gesagt überschaubar. Jeder Unternehmer, der einigermaßen erfolgreich ist, kennt in seinem Unternehmen seine Fixkosten, variablen Kosten und kann Stückkosten berechnen. Anders funktionieren erfolgreiche Unternehmen nicht. Nun sind Migranten keine Handelsware, sondern Menschen. Sie haben ein Recht auf Würde und ich würde mich jederzeit dagegen verwahren, ihnen ein Preisschild umzuhängen. Jeder Mensch ist auch verschieden. Der eine braucht mehr ärztliche Betreuung, der andere frühstückt mehr.

(Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg übernimmt den Vorsitz.)

Trotzdem muss auch die Bundesregierung die Kosten für die Versorgung von Asylbewerbern abschätzen, um zu Verrechnungspreisen mit Ländern und Gemeinden zu kommen. Dies ist im September 2015 geschehen, als Bund und Länder sich darauf einigten, dass der Bund künftig 670 Euro pro Flüchtling übernimmt. Dass die Übernahme von Kosten in dieser Höhe nicht ausreicht, ist klar. Berücksichtigen wir nur Essen, Taschengeld, Unterbringung und Krankheitskosten, wird es nach unserer Schätzung schon knapp. Rechnen wir dann noch die Kosten für die Beschulung von Flüchtlingskindern, Kosten für Sicherheitsdienste und Polizeieinsätze, für Feuerwehr und Verwaltung sowie soziale Dienste hinzu, dürften 670 Euro pro Person sogar bei Weitem nicht ausreichen.

Wir sind nun einigermaßen erstaunt und auch entsetzt, dass dem Senat anscheinend keine genauen Zahlen vorliegen. Gerade vom sonst so vorausschauenden Finanzsenator sind wir das eigentlich nicht gewohnt. Da hätten wir wenigstens eine halbwegs belastbare Schätzung erwartet. Stattdessen antwortet der Senat, dass die Kosten für, wie es umschreibend heißt, Personen mit aktueller Migrationserfahrung in der Haushaltssystematik nicht gesondert erfasst werden. Vielmehr könnten beispielsweise die Kosten der Unterbringung, Versorgung, Integration und Verwaltung nur im Rahmen einer allgemeinen Plausibilitätserwägung geschätzt werden. Das ist ein Armutszeugnis. So kommen Sie nicht zu einer finanzpolitischen Lösung, an der alle Parteien mitwirken und die am Ende auch einen breiten Rückhalt findet.

Dabei geht es uns gar nicht darum, eine centgenaue Aufstellung der Kosten zu erhalten. Uns allen ist sicher klar, dass die Umlage zum Beispiel von übergeordneten Verwaltungskosten gewissen Unschärfen unterliegt. Aber eine Näherung sollte möglich sein und auch im eigenen Interesse des Senats liegen. Die im Rahmen einer gesonderten Behördenumfrage erhobenen Daten sind dabei ein erster Anfang, vermögen aber darüber hinaus nicht zufriedenstellend die fiskalische Seite der Migrationskrise zu beleuchten.

Wir nehmen diese Art der Beantwortung unserer Anfrage im Übrigen nicht persönlich. Es ist viel schlimmer, denn auch die Anfrage aus dem Haus der CDU-Fraktion zu dieser Thematik ist ähnlich lieblos und nichtssagend beantwortet worden wie jetzt die unsrige.

Der Senat will – was schlimm wäre – oder kann – was noch schlimmer wäre – eigentlich einfache Fragen zu einem wichtigen Thema in einem großen und im Vorfeld nicht berücksichtigten Kostenblock im Haushalt nicht beantworten. Im vergangenen Jahr habe ich nicht gegen eine Ermächtigung gestimmt, in der dem Senat für die außeror

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

dentlichen Aufwendungen der Flüchtlingsunterbringung 501 Millionen Euro für die Jahre 2015 und 2016 bewilligt wurden. Wir hatten großes Verständnis dafür, dass ungewöhnliche Situationen außergewöhnlicher Maßnahmen bedürfen. Die bereits absehbar stark gestiegenen und weiter steigenden Flüchtlingszahlen führten bereits im August 2015 dazu, dass sämtliche Planungen auf den Kopf gestellt werden mussten. Inzwischen sollte aber ein gewisses Maß an Planungssicherheit erreicht sein. Vor allem sollte inzwischen bekannt sein, wofür denn das Geld ausgegeben wurde und aktuell ausgegeben wird. Nicht weniger, aber auch nicht mehr haben wir gefragt.

Im Ergebnis scheint der Senat kein Interesse an einer derartigen Erkenntnis zu haben; es werden ganze Bereiche völlig ausgeblendet und ganze Kostenblöcke völlig unberücksichtigt gelassen. Dass also offensichtlich keine zielführenden Datenerhebungen vorgenommen werden, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Senat. Dieser Senat handelt in der Flüchtlingskrise nicht wie ein verantwortungsbewusster und erfolgsorientierter Unternehmer. Wir fordern daher, an dieser Stelle deutlich nachzubessern und die Kosten der folgenschweren Fehlentscheidung auf Bundesebene zumindest genau so und transparent darzustellen, dass es der Thematik angemessen ist. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Frau Oelschläger. – Das Wort hat Frau Bekeris von der SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Dass die AfD immer auf der Suche nach einem Anlass ist, den Hamburgerinnen und Hamburgern Angst vor Geflüchteten zu machen, das wissen wir schon länger,

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN – Dr. Bernd Baumann AfD: Sie ha- ben Angst vor der AfD!)

und da wundert es mich nicht, dass die gewählte Überschrift der Großen Anfrage eigentlich schon am Thema schlicht vorbeigeht, denn wir haben es in Hamburg nicht mit einer Migrationskrise zu tun, sondern wir spüren in Hamburg die Auswirkungen vieler Krisen, nämlich Krisen in Afghanistan, in Syrien oder Eritrea, die die Menschen aus ihren Heimatländern vertreiben.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LIN- KEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Ich glaube, die AfD will das aber auch gar nicht verstehen.

In der Großen Anfrage ist dokumentiert, wie wenig die AfD sich bemüht, sich in der Sache zu informieren. Fast die gesamte Antwort des Senats besteht daraus, auf Fragen zu verweisen, die Sie bereits einmal gestellt haben und deren Antworten Sie mit einigen Mausklicks in der Datenbank auch hätten wieder zusammensuchen können, und damit hätte sich das auch erledigt.

(Dr. Bernd Baumann AfD: Da steht aber nichts drin!)

Bei dieser Gelegenheit möchte ich einmal einen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bürgerschaftskanzlei loswerden, denn die Freitextsuche funktioniert ganz hervorragend.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

Man muss sich als Parlamentarierin und Parlamentarier eben auch ein kleines bisschen mit dem Handwerkszeug auseinandersetzen, um sachlich zu arbeiten, aber darum scheint es der AfD tatsächlich nicht zu gehen.

Ich möchte trotzdem noch einige sachliche Anmerkungen machen. Hamburg hat maßgeblich daran mitgewirkt, dass im Asylpaket I eine strukturelle und nachhaltige Beteiligung des Bundes an den Kosten der Betreuung und Unterbringung der Flüchtlinge zustande gekommen ist. Ab dem 1. Januar 2016 werden für jeden Flüchtling vom Tag der Registrierung bis zur Erstellung eines Bescheids durch das BAMF monatlich 670 Euro gezahlt, und das ist auch richtig so, weil wichtige Stellschrauben für den Integrations- und Unterbringungsbedarf beim Bund liegen.

Hierfür nur zwei Beispiele. Erstens: Der Bund muss durch die vorausschauende Außenpolitik Fluchtursachen erkennen und, wenn möglich, dazu beitragen, sie zu beheben. Und zweitens: Der Bund hat mit dem BAMF maßgeblichen Einfluss auf die Verfahrensdauer und die Bleibeperspektive der Flüchtlinge. Deshalb ist es gut, und das kann man gar nicht oft genug wiederholen, dass der Einstieg in die strukturelle Beteiligung des Bundes an den Kosten damit gelungen ist.

(Beifall bei der SPD)

Angesichts der nicht unerheblichen Mittel, die Hamburg aus seinem Haushalt mobilisiert hat, haben wir mit einem Zusatzantrag zur letzten Mehrbedarfsdrucksache dafür gesorgt, dass hier Transparenz und Kontrolle herrschen. Da muss sich also keine Fraktion Sorgen machen. Die Große Anfrage der AfD dagegen bringt kaum nennenswerte Ergebnisse. Das verwundert auch nicht, denn sie ist unpräzise formuliert und hat entscheidende Fakten nicht beachtet. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Christiane Schneider DIE LINKE)