Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist erstaunlich, was Rot-Grün sich unter Integration einfallen lässt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Text des Antrags lese ich, gestalterisches Mitwirken an Gesellschaft und Wirtschaft solle gefördert werden. Bedauerlicherweise konnte ich im gesamten Antrag nichts zur Gesellschaft feststellen, vielmehr, dass, wie von Kollege Ovens bereits erwähnt, das Fördern durch Ausschöpfen der wirtschaftlichen Potenziale stattfinden solle. Das passt nicht zusammen. Das ist genauso abstrus wie das Fördern und Fordern und das Versagen dieser Parole unter SPD-Ministern.
Wenn ich lese, es gehe darum, gleiche, diskriminierungsfreie Zugangsmöglichkeiten für alle Gruppen in dieser Gesellschaft zu Förderprogrammen zu schaffen, und darum, Eigeninitiative zu fördern, sowie darum, Frauen zu fördern, dann kann ich nur sagen: Machen Sie Ihre Arbeit; das ist eine Selbstverständlichkeit. Sie beantragen Selbstverständlichkeiten; deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Dieser Antrag ist nichts anderes als ein weiteres Versatzstück rot-grüner Unzulänglichkeiten. Statt Probleme anzugehen, satteln Sie einfach noch ein
weiteres Thema obendrauf. Wenn der Kollege Duge das eine oder andere Zitat gebracht hat, dann kann ich nur sagen: Sehen Sie sich doch einmal wirklich an, welche Erfahrungen mit Wirtschaft, Selbstständigen, Solo-Selbstständigen, Kleinunternehmerinnen und Kleinunternehmern gemacht worden sind. Erst im Januar 2016 hat die KfW dazu eine Pressemitteilung herausgebracht, in der festgestellt wurde, dass es in erster Linie die schlechte Arbeitsmarktsituation ist, die Migrantinnen und Migranten auf dem Arbeitsmarkt vorfinden und in die Selbstständigkeit treibt. Es ist die Einschätzung zu größerer Risikobereitschaft, aber auch eine deutlich höhere Abbruchquote in der Selbstständigkeit wegen mangelnden Wissens und wenn sich auf dem Arbeitsmarkt etwas tut. Das wiederum stimmt mit dem überein, was zumindest in Nordrhein-Westfalen ermittelt worden ist. Noch 2013 hatte ein Viertel der dort selbstständigen Solo-Unternehmer ein Stundeneinkommen von unter 8,50 Euro. Was Sie hier ohne sozialen Unterbau machen, ohne an den bereits aufgetretenen sozialen Missständen gearbeitet zu haben, dann aber noch einmal eins draufzusetzen, das schafft neue soziale Ungerechtigkeiten, das schafft für die Menschen, die dieses Risiko eingehen, eine unwägbare Chance. Da sind 20 000 Euro, das sage ich ganz klar, wenn man nichts hat, tatsächlich ein Schuldenberg, der sich vor einem mangels irgendwelcher Vorbereitungen für eine Selbstständigkeit auftürmen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist wirklich unverantwortlich. Hier muss von Ihnen wirklich ein bisschen mehr Arbeit an der sozialen Struktur geleistet werden.
Der nicht allzu fern liegende Gedanke liegt nah, dass es wieder nur darum geht, eine weitere Statistik zu bereinigen. Die vielfachen Bereinigungen unserer eigentlichen Arbeitslosenstatistik durch diverse Maßnahmen haben die Zahlen ohnehin schon verfälscht, und an dieser Stelle – aus den Augen, aus dem Sinn – sind die Migrantinnen und Migranten aus der Statistik herausgefallen. Das kann nicht wirklich unser Ziel sein. Es geht um soziale Absicherung und um eine Zukunft für die Menschen. Der Schutz der Menschen in Not muss eindeutig einen Vorrang vor irgendwelchen ökonomischen Interessen haben.
Deswegen ist ganz klar: Räumen Sie erst einmal Ihren sozialpolitischen Trümmerhaufen ab, bevor Sie neue Menschen in diesen Trümmerhaufen hineinschicken. Wir werden diesem Antrag ohne Unterbau nicht zustimmen können. – Danke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Jersch, der einzige Trümmerhaufen, den ich im Moment sehe, ist das geistige Konstrukt,
Unternehmertum als unwägbare Chance zu begreifen und alles Schlechte, was dadurch passieren kann, mit migrantischem Unternehmertum zu verknüpfen und dann den Bogen nach Berlin zu spannen, um zu sagen, die Arbeitsmarktstatistik solle nur bereinigt werden, …
Sorry, vielleicht liegt es daran, dass es schon 19.30 Uhr ist, aber meine Kreativität reicht dafür leider nicht mehr aus.
Ich finde, wir sollten über den Antrag reden. Wir haben uns den Antrag angesehen. Wir haben uns die Ziele dieses Antrags angesehen, die wir im Kern teilen. Deswegen werden wir dem Antrag heute auch zustimmen.
Denn natürlich – das erwähnen Redner gerade auch aus Ihrer Fraktion mindestens alle zwei Wochen, manchmal auch mehrmals täglich – ist Integration in den Arbeitsmarkt die Chance, um Menschen auch gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Arbeitsmarkt bedeutet nicht nur klassisches angestelltes Verhältnis, sondern auch, Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Ziele selbst zu verwirklichen. Beim Thema Selbstverwirklichen kommt man schnell auch auf Selbstständigkeit. Es geht nicht darum, dass Menschen in die Selbstständigkeit gedrängt werden sollen, sondern darum, dass Menschen, die ohnehin das Mindset, die Befähigung dazu haben, nur sich jetzt leider gerade in unserem Land aufhalten, obwohl sie das wahrscheinlich niemals wollten, die Möglichkeit gegeben wird, sich selbstständig zu machen, und der Staat sie dabei unterstützt, ihre Fähigkeiten einzusetzen. Es geht darum, Performern die Möglichkeit zu geben, in diesem Land einen Beitrag zu leisten. Warum Sie nicht dafür sind, kann ich mir, ehrlich gesagt, nicht erklären.
In dieser Legislaturperiode befinde ich mich erstmals in der Rolle, einen Antrag der Regierungskoalition zu verteidigen.
Das aber, finde ich, gehört an dieser Stelle dazu. Als Rot-Grün möchte ich Ihnen noch zwei, drei Gedanken mit auf den Weg geben. Bedenken Sie bitte nicht nur, dass Leute eigene Unternehmen gründen möchten, sondern bedenken Sie auch das Thema Betriebsübergänge. Zum Thema migrantische Betriebsübergänge haben wir in der letzten Legislaturperiode einen Antrag eingebracht. Es gab daraufhin ein gemeinsames Petitum vieler Fraktionen, das sich in dem jetzigen Antrag nicht wiederfindet. Folgendes möchte ich Ihnen gern mit auf den Weg geben: Natürlich ist es schwierig für Migranten – wir haben das Thema Sprache, wir haben das Thema Bürokratie, wir haben auch das Thema Markt, das der Kollege Ovens angesprochen hat; all das muss man sehr genau verstehen. Es wäre sinnvoll, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir in den nächsten Jahren die im migrantischen Umfeld anstehenden sehr häufigen Betriebsübergänge sowie die Potenziale von Flüchtlingen nutzen und die Ressourcen heben können. Denn darum geht es Ihnen: Potenziale von Migranten heben, Performern die Möglichkeit geben, auch Teilhabe an der Gesellschaft zu haben und der Gesellschaft damit ein Stück weit auch etwas zurückzugeben. Was daran schlecht sein soll, hat sich mir in mehreren Oppositionsreden heute leider nicht erschlossen. Deswegen stimmen wir zu und fänden es außerdem gut, wenn wir uns in ein bis zwei Jahren noch einmal im Ausschuss damit beschäftigen könnten. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wozu Anträge manchmal gut sind. Wir haben jetzt eine Vorlesung von Professor Kruse gehört, hätte ich beinahe gesagt, von der FDP in Richtung der LINKEN. Das war fast schon ein bisschen Perlen vor die Säue geworfen, wenn das noch parlamentarischer Sprachgebrauch ist.
Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre- chend): Sie haben das jetzt gerade zurückgenommen, oder?
Lassen Sie uns noch einmal zum Thema zurückkommen. Existenzgründungen sind, besonders, wenn sie erfolgreich sind, immer eine gute Sache, das ist keine Frage. Und DIHK-Studien zeigen, dass das bei Migranten besonders wichtig ist. Wir sollten uns dem Thema also ganz besonders widmen. Denn unter anderem ist einer der größten Antriebe, sich selbstständig zu machen, etwas zu gründen, nicht, weil Leute eine tolle Idee haben und hinterher bei "Forbes 400" auftauchen, wie wir vorhin gehört haben; das ist eher die Minderheit. Der größte Teil geht in die Selbstständigkeit, weil er vorher – das zeigen die Statistiken – erwerbslos war. Das ist eine Chance, der Erwerbslosigkeit in bestimmte Arten der Erwerbstätigkeit zu entfliehen, die man dann auf selbstständige Art erreicht. Dieselben Statistiken zeigen, dass man genau da ansetzen muss. Migranten sind ungefähr doppelt so hoch erwerbslos, 8 Prozent zu 4,3 Prozent der übrigen Bevölkerung.
Statistiken zeigen auch, dass gerade Migranten bestimmte Fertigkeiten haben, die wir in Selbstständigkeit nutzen können: Gastgewerbe, Restaurants – wir sehen das doch alle – und Imbissgeschichten, Obst, Gemüse, Blumen, überall da sind sie weit überrepräsentiert. Das sind im Grunde die Gründungen, um die es geht, Selbstständigkeiten, die geschaffen werden und Unterstützung verdienen. Aber die Richtung des Antrags ist gut. Wir sind noch nicht lange im Parlament, sehen aber, dass sich immer mehr umtut, nämlich, dass in gewisser Weise – nehmen Sie es mir nicht böse, Herr Schmidt – politische Arbeit simuliert wird. Das Thema ist besetzt, das haben Sie gut gemacht, das ist richtig, aber Sie haben es nicht wirklich erledigt und weitergebracht. Das beginnt schon in Petitum 1. Hier wird der Senat gebeten, Migranten Zugang zu bestehenden Programmen für Existenzgründung zu erleichtern. Was heißt das denn? Irgendeine Idee muss doch dahinter sein. Ist das so entscheidungsfähig? Doch wohl nicht. Was heißt erleichtern? An welchen Schrauben soll denn konkret gedreht werden? Sollen gleiche Förderungsbedingungen gelten wie bei den anderen? Ist das die Idee?
Und vor allen Dingen auch, wem genau von den Migranten sollen diese Förderungen widerfahren? Denn wir wissen, dass es Probleme gibt. Jede Maßnahme der Migrationspolitik muss von zwei Seiten betrachtet werden. Migrationspolitik hat eine Brückenfunktion. Was wir machen, hat in unserem Land, aber auch in den Herkunftsländern eine Wirkung. Da Sie prinzipiell Migranten in die Selbstständigkeit fördern wollen, würde das auch für den großen Teil der Flüchtlinge gelten, die keinerlei Schutzrechte genießen und die wir jetzt zum Schutz aufgenommen haben. Dazu taucht bei Ihnen überhaupt nichts auf. Sollen auch diejenigen, die keine Bleiberechte haben, mit öffentlichen Mitteln gefördert und selbstständig werden? Das zumindest hätten Sie deutlich machen und darüber nachdenken müssen, bevor Sie das in dieser Art und Weise in das Parlament einbringen.
Und, sehr wichtig: Was passiert mit den übrigen Antragstellern, für die das Programm ursprünglich gedacht ist? Bekommen diese jetzt weniger oder wollen Sie das ganze Ding aufstocken? Sie haben irgendetwas angedacht, Sie haben ein Thema besetzt, bringen es hier ein, aber im Grunde ist es nicht bewältigt und nicht entscheidungsfähig. Solche Anträge können Sie zu wichtigen Themen wie diesem nicht vorlegen.
Wie gesagt, das Anliegen insgesamt ist okay; da muss etwas gemacht werden. Aber es geht dann weiter: Petitum 2, der Senat solle sich bei bundesfinanzierten Programmen für diese Ziele einsetzen, ohne dass sie in Petitum 1 genau definiert sind. In Petitum 3 wird es dann konkreter; es ist okay, dass Sie Beratung für Migranten über Existenzgründungsprogramme im W.I.R.-Programm einführen. Hier haben Sie auch Ihre Arbeit gemacht und sprechen von Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive. Da macht das auch Sinn.
Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre- chend): Herr Dr. Baumann, einen Augenblick, bitte. – Ich bitte die Rednerinnen und Redner, denen ich nicht das Wort erteilt habe, zu schweigen, sich vielleicht zu melden oder nach draußen zu gehen. – Danke.
In Petitum 3 greifen Sie Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive auf. Warum nicht schon vorn im Petitum 1, da hätte das Sinn gemacht? Dann geht es weiter: Fachbehörden und Wirtschaftsförderung der Bezirke sollen prüfen, wie weit Gewerbeflächen ausgeweitet werden müssen. Wir wissen, Gewerbeflächen gibt es nie genug, aber eine sol
che Prüfung kann der Senat doch auch ohne Beschluss in der Bürgerschaft veranlassen. Warum müssen wir darüber diskutieren? Das müsste geprüft werden, dann hier vorgelegt werden und dann entscheiden wir, was vernünftig ist oder geben es in den Ausschuss.