Natürlich haben wir die Zeit seit gestern Mittag genutzt, um den vorliegenden Kompromiss so gut wie möglich zu analysieren, und wir haben dabei auch erste Eindrücke und Erkenntnisse gewonnen. Auffallend ist zunächst, dass der Zusatzantrag jede Menge Willensbekundungen, Absichtserklärungen und Ersuchen an den Senat enthält. In vielen Worten wird der Ist-Zustand beschrieben, und es werden Maßnahmen aufgezählt, die bereits von der Bürgerschaft beschlossen wurden. Hard Facts findet man in den Petita eher weniger, und eine rechtsverbindliche Wirkung der ebenfalls zu beschließenden zahlreichen Bürgerverträge wird auch nicht erzielt. Das ist hier schon angesprochen worden.
Es scheint zwar gelungen, viele der ursprünglich geplanten Massenunterkünfte zu verhindern oder sie deutlich zu verkleinern. Das ist eine wichtige Voraussetzung für gelungene Integration. Wir können uns aber doch nicht des Eindrucks erwehren, und das haben Sie eben auch sehr explizit gesagt, dass diese Zugeständnisse eben nur deshalb gemacht wurden, weil die Zahl der neu angekommenen Flüchtlinge in diesem Jahr stark gesunken ist.
Steigen die Zahlen wieder, was derzeit niemand sicher vorhersagen oder ausschließen kann, dann steht eben die Hintertür für größere Unterkünfte doch wieder offen. Verlierer sind aber jetzt schon die Stadtteile, die ohnehin sozial belastet sind und in denen der Organisationsgrad gegen integrationsfeindliche Unterkünfte offenbar geringer gewesen ist als anderswo.
Was wir schmerzlich vermissen, ist der angesprochene Verteilungsschlüssel. Er ist nämlich die zentrale Voraussetzung, damit Integration in kleinen dezentralen Einheiten im gesamten Stadtgebiet gelingen kann, auch wenn die Zahl der ankommenden Flüchtlinge wieder steigt. Doch dieser Verteilungsschlüssel ist noch nicht vereinbart, und niemand kann heute sicher sagen, ob und wann er kommt.
(Dr. Andreas Dressel SPD: Einfach einmal lesen! Das steht auch drin! – Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Das hat sie nicht geschafft!)
Gut ist, dass Sie nun noch den Königsteiner Schlüssel für Flüchtlingsverteilung ändern wollen. Wir haben diese Forderung schon vor einiger Zeit erhoben. Dafür sind wir übrigens aus Ihren Reihen damals noch beschimpft worden. Ich wünsche mir jetzt aber auch ein bisschen Dampf und Engagement bei der Umsetzung, weniger Zaghaftigkeit, die schon im Antrag deutlich anklingt. Das wäre doch auch einmal eine schöne Aufgabe für den Bürgermeister, der sich da doch für sehr kompetent hält.
Eine weitere FDP-Forderung wurde aufgegriffen, und zwar die norddeutsche Kooperation, die ausgebaut werden soll. Auch hier sollten die Regierungsfraktionen dem Bürgermeister Druck machen und ihm gegebenenfalls das etwas angeknackste Selbstvertrauen in seinen Problemlösungskompetenzen wieder ein wenig stärken.
Zum Schluss noch ein paar Worte zur Finanzierung. Da fehlt nämlich von Ihnen alles. Dazu haben Sie nichts gesagt, gar nichts. Es ist richtig, beide Verhandlungspartner gehen von Mehrkosten aus, das schreiben Sie. Ich glaube, damit liegen Sie wirklich richtig. Dass diese Mehrkosten jedoch aus zusätzlichen Bundesmitteln oder aus wie auch immer gearteten Spielräumen im Haushalt finanziert werden sollen, ist viel zu vage. Nicht einmal ein Haushaltsvorbehalt ist irgendwo zu finden, und damit ist dieser Zusatzantrag aus haushaltspolitischer Sicht nichts anderes als eine Blackbox.
Und das gilt umso mehr, als der Antrag in der Anlage 2 sehr detailliert bereits Integrationszielwerte
und Integrationsindikatoren enthält. Es gibt also offenbar schon steuerungsrelevante oder eben Ressourcen begründende Kennzahlen, die sind da, und daraus sollten sich auch die entsprechenden Haushaltsmittelbedarfe ableiten lassen. Aber davon finden wir in der Drucksache nichts.
In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich auch die Frage, wie weit der Haushaltsplanentwurf, den der Senat vor wenigen Wochen beschlossen hat, überhaupt Bestand hat, oder ob er nicht längst überholt sein wird, wenn wir hier in wenigen Wochen direkt nach der Sommerpause mit den Beratungen beginnen werden.
Ich bin sicher, dass es nicht nur für die Abgeordneten der FDP-Fraktion unmöglich war, sich unter dem Korsett des engen Zeitplans von Rot-Grün angemessen mit dem Zusatzantrag zu befassen, ihn wirklich zu analysieren und ihn ausgiebig zu beraten. Wir bitten daher noch einmal um Zustimmung zu einer Sondersitzung im August, auf der wir dann über diesen Antrag beschließen.
Sollte dieser Antrag, und so sieht es offenbar aus, keine Mehrheit finden, dann sehen wir uns auch nicht in der Lage, Ihrem Antrag zuzustimmen, wir werden ihn heute ablehnen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die rot-grüne Regierung hat heute wieder in höchsten Tönen ihr angebliches Eingehen auf die Bürgerinnen und Bürger gelobt,
wie sehr sie sich um diese bemüht und deren Vorschläge gern aufgenommen habe, wie sehr sie ihre Begehren und Ängste aufgegriffen habe und darauf eingegangen sei. Dabei weiß doch jeder, das Entgegenkommen speist sich nicht aus demokratischem Gewissen, Herr Dressel, sondern nur aus zwei Dingen im Kern. Zum einen aus der drohenden Volksabstimmung gegen die Politik des Senats, die auch in Hamburg zur Generalabstimmung der Bürger und Wähler über eine chaotische, unerwünschte Politik der Masseneinwanderung insgesamt geworden wäre. Das wissen Sie.
Wir reden über die Bürger, über die Wähler, über den Souverän, für den Sie verantwortlich sind. Wie dramatisch diese Klatsche geworden wäre, diese
Abrechnung der Bürger mit der Flüchtlingspolitik in Hamburg, hat doch schon der Erfolg der Unterschriftenaktion gezeigt. Die Bürgerinitiative hätte sechs Monate Zeit gehabt, um 10 000 Unterstützerunterschriften von Bürgern zu sammeln, sie konnten aber aus dem Stand und binnen weniger Stunden und Tage gleich 26 000 Unterschriften gewinnen. Da war dem Senat klar, Volksbegehren und Volksentscheid wären eine Generalabstimmung und Generalabrechnung der Bürger über eine verfehlte Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik insgesamt geworden. Diese Riesenklatsche für die Politik wollte der Senat verhindern.
Das bedeutet aber, die Zustimmung des rot-grünen Senats zu dem Kompromiss, die Abkehr von der Politik der Arroganz den Bürgern gegenüber war also nur getrieben von einem, von der nackten Angst vor dem eigenen Volk, der freien Willensäußerung der Wähler.
Das hat Sie im Kern angetrieben. Das war es, was Ihre Energie ausgemacht hat. Sie hätten auf jeden Fall jede Abstimmung verloren. Das wissen Sie, und das müssen wir einmal feststellen.
Die Abstimmung wäre eine Abstimmung über die verfehlten Wege der Politik in Hamburg und Berlin. Darum wäre es gegangen.
Der zweite Grund für das derzeitige Entgegenkommen ist die momentan etwas geringere Zahl der nach Deutschland Strömenden, weil andere Durchgangsstaaten, fernab von uns, ihre Grenzen abgeriegelt haben.
Es ist kein Geschenk. Mit dieser Abriegelung verlieren wir alle, insbesondere die Flüchtlinge selbst. Von denen sind nämlich an der türkisch-syrischen Grenze schon 60 erschossen worden aufgrund des Abkommens, das Ihre Kanzlerin mit der Türkei geschlossen hat.
So ist das nämlich. Ist damit zu rechnen, dass es langfristig bei diesen niedrigeren Zahlen bleibt? Darauf käme es doch an, wenn diese Abmachung Bestand haben sollte. Ist damit zu rechnen, dass der auf dieser Basis verkündete Großsiedlungsfrieden, nennen wir ihn einmal so, dauerhaft bleibt? Der Bundesinnenminister der CDU auf jeden Fall
warnt davor, die niedrigeren Zahlen langfristig zu prognostizieren. Aber mit welchen Zahlen sollen wir dann rechnen? Wie valide ist das Ganze? Womit rechnet der Senat wirklich, nicht in Meinungsäußerungen, nicht in Papieren und Absichtserklärungen, sondern in der Realität selbst? Papier ist geduldig.
Schauen wir einmal an, was in Stein gebaut ist, beispielsweise in Rahlstedt. Die Kapazität der nagelneuen Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung unseres rot-grünen Senats – ich habe sie besucht und mit der Managerin gesprochen, eine bewundernswerte Frau, was sie alles schafft in kurzer Zeit – ist darauf ausgelegt, dass 365 Tage im Jahr im Zwei-Schicht-Betrieb 400 Migrantinnen und Migranten am Tag komplett und mit allem, was dazugehört, aufgenommen werden können. Der Senat hat sich dort für eine Gesamtkapazität von 150 000 Menschen im Jahr entschieden und dafür bereits 40 Millionen Euro an Steuergeldern investiert. Nur um zu vergleichen, was diese Zahl, diese maximale Kapazität,
bedeutet, wo das Geld hineingeflossen ist: Damit könnte man die gesamte Hamburger Bevölkerung von 1,8 Millionen in 12 Jahren komplett einmal austauschen. Das ist wohl eine Gigantomanie am falschen Platz und lässt die Möglichkeiten einer vernünftigen politischen Lösung und Steuerung der Flüchtlingshilfe und Zuwanderung außer Acht. Und das darf so nicht sein.
Ich unterstelle Ihnen dabei gar nicht, dass Sie diese Maximalkapazität wirklich austesten und ausproben wollen, ich hoffe nicht, aber ausschließen kann man es nicht, denn Sie haben entsprechend investiert. Andernfalls hätten Sie die 40 Millionen Euro an Steuergeldern verschwendet, und das wollen wir nicht annehmen.
Das ist eine einfache Rechnung, brauchen Sie nur zu multiplizieren, 400 am Tag mal 365. Wenn Sie es bis jetzt noch nicht gemacht haben, machen wir es jetzt gemeinsam, das können Sie mit Ihrem Taschenrechner machen.
Bei solchen Langfristerwartungen kann der heute zu beschließende Großsiedlungsfrieden leicht zur Episode werden, wenn sich an der Flüchtlingspolitik nichts grundsätzlich ändert. Und für diese grundsätzliche Änderung, die notwendig ist, steht allein die AfD. Leider ist das so.
Unter anderem deshalb wirkt es etwas unverfroren, wenn die CDU wieder versucht, als Opposition in Hamburg die Landesregierung vor sich her zu treiben. Herr Trepoll hat, glaube ich, den Senat als Brandstifter tituliert, der hier unterwegs war und
jetzt den eigenen Brand löschen muss. Dabei ist es doch die CDU selbst, Herr Trepoll, die im Bund unter Kanzlerin Merkel das ganze Ausmaß des Problems verursacht hat. Deswegen können Sie doch nicht so tun, als seien Sie aufseiten der Bürgerinitiativen und der Bürger, die die Zahlen verringern wollen. Die Riesenzahlen im Bund und in Hamburg hat die CDU zu verantworten. Leider ist das so.