Protokoll der Sitzung vom 01.12.2016

(Beifall bei der FDP und bei Jörg Hamann CDU)

Das bestätigen auch die Gymnasialdirektoren im Interview, das wir heute in der "Zeit" lesen konnten. Sie prangern an, dass eine sogenannte Matheoffensive verkündet wird, aber dass die eigentliche Voraussetzung dafür gar nicht erfüllt ist, nämlich überhaupt genügend ausgebildete Mathematiklehrerinnen und -lehrer zu finden. Also auch da Unterstützung aus der Schule. Vielleicht könnten Sie sich das dann einmal zu Herzen nehmen.

Diese Politik der Vernachlässigung der Kernkompetenzen rächt sich. Wir haben es erst vorgestern wieder gesehen: In der großen TIMSS-Studie liegt Deutschland im Fach Mathe unter dem EU-Durchschnitt. Wahrscheinlich hat Hamburg hier einen sehr kräftigen Teil dazu beigetragen, den Bundesdurchschnitt nach unten zu ziehen. Die Leidtragenden sind wie immer die Schülerinnen und Schüler, und um die sollte es uns allen hier gehen.

Also, während Rot-Grün weiter im Klein-Klein stecken bleibt und sich in den Leistungszielen immer gern nach unten orientiert, bleibt unser Ziel: In Bildung muss Hamburg ganz vorn sein. Wir orientieren uns nach oben und nicht nach unten.

(Beifall bei der FDP)

Und das heißt für uns: Nicht Bremen und Berlin, sondern Bayern und Sachsen, wohl wissend, dass wir uns nicht nur mit Stadtstaaten vergleichen sollten.

Der vorliegende Antrag einer Hamburg-spezifischen Auswertung allerdings kann helfen, eine genaue Ursachenanalyse zu erstellen. Vielleicht trägt das dazu bei, dass Sie die enormen Herausforderungen für Hamburgs Schulen endlich erkennen. Und deswegen stimmen wir diesem Antrag auch vorbehaltlos zu. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Bevor ich Herrn Dr. Wolf von der AfD-Fraktion das Wort erteile, möchte ich einmal darauf hinweisen, dass es mir scheint, dass es in dieser Debatte auch ums Hörverständnis geht. Und wir könnten da vielleicht beispielhaft sein. Ansonsten führen Sie Ihre Gespräche doch bitte draußen weiter. – Herr Dr. Wolf, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete! Länderübergreifende Vergleichstests sind ein wichtiges Instrument, um die Leistungsfähigkeit von Schulsystemen zu beurteilen. Sie geben einen Überblick über die Stärken und Schwächen in einzelnen Unterrichtsfächern und Kompetenzen und liefern uns Anhaltspunkte, inwieweit Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung in der Vergangenheit erfolgreich waren und wo weiter Handlungsbedarf besteht.

Ich musste etwas schmunzeln, als ich den Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN in meinem Postfach fand. Da schneiden Hamburger Schüler tatsächlich einmal in Bereichen etwas besser ab als in früheren Vergleichsstudien, und der Senat gibt sofort eine Folgeuntersuchung in Auftrag. Nicht dass wir das im Grundsatz falsch finden, aber so eine Reaktion hätten wir uns auch in der Vergangenheit gewünscht, als sich bei der letzten IQB-Untersuchung vor wenigen Jahren herausstellte, dass Hamburgs Schüler in den mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen rangieren und im Vergleich zu Schülern anderer Bundesländer Lernrückstände von bis zu zwei Schuljahren festzustellen waren.

Sei's drum. Im Ansatz ist es richtig, mittels einer Untersuchung nun genauer untersuchen zu wollen, wie sich die Hamburger Schulleistungen entwickelt haben. Dabei wird es hilfreich sein zu erfahren, ge

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

rade im Vergleich mit den anderen Ländern, wie Hamburg abschneidet im Vergleich zu den anderen Ländern und zum Bundesdurchschnitt, ob und welche Fortschritte Hamburger Schüler in den einzelnen untersuchten Kompetenzbereichen erzielt haben, wie die Schulleistungen regional ausfallen, welchen Einfluss geschlechtsspezifische, sozioökonomische und einwanderungsrelevante Faktoren auf den Schulerfolg haben.

Zwei Punkte möchte ich noch kurz beleuchten. Die Ergebnisse der Studien zeichnen ein durchaus gemischtes Bild. Das klang auch schon bei meinen Vorrednern an.

(Glocke)

(unterbrechend) : Herr Dr. Wolf, Entschuldigung. – Herr Dr. Baumann, Sie telefonieren zum zweiten Mal im Plenarsaal. Ich bitte um Berücksichtigung unserer Hausregeln. Danke. – Bitte fahren Sie fort, Herr Dr. Wolf.

Danke. – Zum Fach Englisch. Hier werden einerseits Leistungsverbesserungen im Vergleich zur letzten Erhebung aus dem Jahr 2009 für die Bereiche Leseund Hörverstehen attestiert. Da freuen wir uns ebenso und begrüßen das. Gleichzeitig muss man genauer hinschauen. Im Vergleich der Mittelwerte schneidet Hamburg in diesen Bereichen nicht signifikant besser ab als der bundesdeutsche Gesamtdurchschnitt. Das relativiert die Jubelmeldungen doch ein Stück weit.

Es wurde auch schon mehrfach angesprochen, dass Hamburg sehr schlecht im Bereich der deutschen Orthografiekenntnisse abschneidet und dort auf dem beschämenden vorletzten Platz liegt. Schlechter ist nur noch – Sie wissen oder ahnen es – Bremen.

Hamburg weist im Vergleich zum Bundesdurchschnitt einen Lernrückstand von einem Schuljahr und im Vergleich zu den Spitzenreitern aus Bayern einen Lernrückstand von mehr als zwei Schuljahren auf. Das ist ein Desaster. Die angesprochene Rechtschreiboffensive zeigt zumindest das Bewusstsein, dass hier etwas im Argen liegt.

Die schlechten Ergebnisse im Fach Deutsch

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Mathematik!)

auf Mathematik gehe ich jetzt nicht ein – liegen leider im Trend. Im Vergleich zur letzten Erhebung haben sich die Ergebnisse deutschlandweit verschlechtert. Das hat auch etwas, um diesen Punkt nur kurz anzureißen – es klang auch schon an –, mit der Zuwanderungspolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zu tun, denn die Ergebnisse belegen höchst signifikante Zusammenhänge zwi

schen Migrationshintergrund und den Kompetenzen im Bereich Lesen, Zuhören und Orthografie im Fach Deutsch. Natürlich nicht überraschend. Was allerdings zu beachten ist, ist, dass die Einflüsse der hohen Flüchtlingszuwanderung aus dem vergangenen Jahr in den Testergebnissen dabei noch gar nicht enthalten sind.

Ein weiterer Punkt als Anregung und Gesichtspunkt für die anstehende Untersuchung, die auch wir begrüßen, ist, dass in Hamburg wie in den meisten rot und rot-grün regierten Ländern ein pädagogischer Ansatz der größtmöglichen Heterogenität in einer Klasse vertreten wird, gern auch mit dem Begriff Binnenpluralismus bezeichnet. Den Gegenpol bilden Bayern und Sachsen, wo der pädagogische Ansatz einer stärkeren Homogenität in den Klassen und Lerngruppen vertreten wird. Interessante Aufschlüsse kann gerade auch ein vertiefter Ländervergleich hierzu geben. Wir sind gespannt darauf.

Zusammenfassend: Erstens ist der Ansatz, hier weiter in die Tiefe zu gehen, sinnvoll und wir unterstützen und begrüßen das und werden dem Antrag zustimmen. Zweitens besteht für Selbstbeweihräucherung allerdings keinerlei Anlass. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Das Wort bekommt nun Frau Heyenn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nachdem ich den Antrag von SPD und GRÜNEN gelesen habe, habe ich mir den Bildungsbericht noch einmal zu Gemüte geführt. Dann habe ich mich gefragt, ob die Koalition eigentlich will, dass Herr Rabe den Bericht einmal liest. Und soll er uns vielleicht in einem Vierteljahr dann erzählen, was darin steht? Das ist doch wirklich alles sehr seltsam.

Wenn man den Bildungsbericht insgesamt als Selbstbefassung im Schulausschuss besprechen würde, würde das Sinn machen, weil das, was in dem ersten und zweiten Spiegelstrich gefordert wird, alles im Bildungsbericht steht, und zwar für alle Neuntklässlerinnen und Neuntklässler, MSA und ESA, in Prozenten. Zum Beispiel für Deutsch steht darin, dass an den Stadtteilschulen den Mindeststandard in Lesen 26 Prozent verfehlen, in Zuhören 21 Prozent, in Orthografie 19 Prozent. Und so geht das weiter bis hin zu den Gymnasien. Alles ist in Prozentzahlen genau aufgelistet. Insofern weiß ich überhaupt nicht, was Sie mit dem ersten und zweiten Spiegelstrich erreichen wollen.

Und im Bildungsbericht steht dann auch noch zusammenfassend folgender Satz – ich zitiere –:

"Die Trendschätzungen für das Fach Deutsch zeigen, dass sich in Hamburg der Anteil der Neuntklässlerinnen und Neunt

(Dr. Alexander Wolf)

klässler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf, die den Mindeststandard für den MSA verfehlen, zwischen 2009 und 2015 kaum verändert hat. Im Bereich Orthografie ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die den Mindeststandard noch nicht erreichen, signifikant größer und der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die den Regelstandard erreichen oder übertreffen, signifikant kleiner als in Deutschland insgesamt."

Das ist richtig. Im Fach Englisch sieht es in Hamburg besser aus. Und die Trendschätzungen im Fach Englisch ergeben auch, dass es dort signifikant bessere Ergebnisse gibt, aber insgesamt ein ähnliches Muster wie in Deutschland, so ist es insgesamt im Bildungsbericht nachzulesen.

Und so viel zu Ihrem Satz in dem Antrag:

"Im Vergleich zur vorangegangenen Untersuchung im Jahr 2009 haben sich die Leistungen der Hamburger Schülerinnen und Schüler im Jahr 2015 erkennbar verbessert."

In der Wissenschaft heißt das, signifikant erkennbar verbessert hat sich nur ein Kompetenzbereich in Englisch, mehr nicht.

Was mich sehr stutzig macht, ist Ihr dritter Spiegelstrich, in dem Sie den Bildungsbericht auswerten lassen wollen nach dem Migrationsstatus. Ich habe in mehreren Anfragen abgefragt, wie zum Beispiel der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in bestimmten Klassenstufen ist. Und ich habe auf meine Anfragen regelmäßig zur Antwort bekommen – ich zitiere –:

"Die Daten liegen in der erfragten Verknüpfung nicht vor."

Dann frage ich mich natürlich, wie das denn funktionieren soll, wenn diese Daten gar nicht vorliegen.

Viel gravierender und dringender scheint mir allerdings zu sein, was auf Seite 417 im Bildungsbericht steht – ich zitiere –:

"Während bundesweit der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und den gemessenen Leistungen zurückgegangen ist, ist er in Hamburg gestiegen."

Besonders krass ist es im Fach Englisch beim Leseverstehen. So viel also zu den positiven Nachrichten über Englisch. Das sind Durchschnittsnoten, aber wenn ich einmal genauer hinschaue, gibt es auch im Fach Englisch eine große Anzahl von Schülerinnen und Schülern – nämlich die mit dem sozioökonomischen Hintergrund, der nicht so gut ist –, die hier die Verlierer sind.

Und später steht in dem Bericht noch:

"In Berlin und in Hamburg fällt auf, dass insbesondere Schülerinnen und Schüler mit ei

nem niedrigen sozioökonomischen Status im Vergleich zum entsprechenden Gesamtwert für Deutschland besonders geringe Kompetenzen erzielen."

So scheint es mir doch viel sinnvoller, eine Auswertung nicht nach dem Migrationshintergrund zu machen, der doch offenkundig gar nicht erfasst ist, sondern nach einem sozioökonomischen Status. Es wäre sehr wichtig, dass hier der Senat auch nicht wartet, bis die Antwort auf diesen Antrag kommen soll, sondern dass jetzt schon Maßnahmen ergriffen werden, um den Zusammenhang zwischen Elternhaus und Schulerfolg und Schulmisserfolg drastisch zu senken, weil es in anderen Bundesländern offenkundig geklappt hat. In Berlin und in Hamburg ist das immer noch desaströs. Das, finde ich, ist der eigentliche Auftrag für den Senat aus dem Bildungsbericht, und den sollten Sie sofort angehen.

(Beifall bei Anna-Elisabeth von Treuenfels- Frowein FDP und Nebahat Güçlü fraktions- los)

Nun bekommt Herr Senator Rabe das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Jahrelang haben wir Schulpolitik gemacht, aber ein wenig doch Schulpolitik im Blindflug. Wir haben engagiert über Methoden gestritten, über Schulstrukturen und didaktische Konzepte, über Noten oder nicht, Diktate oder nicht, Frontalunterricht oder nicht, Kompetenzorientierung oder nicht, Frau von Treuenfels-Frowein, Gymnasium, Realschule, Gesamtschule oder gar nicht, aber wir haben eine entscheidende Frage jahrelang nicht gestellt: Werden die Schülerinnen und Schüler eigentlich am Ende dieser Veränderungen, die wir da alle auf den Weg bringen, klüger oder nicht?