Protokoll der Sitzung vom 18.01.2017

Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie von Umständen in Afghanistan sprachen, die sich auf den Einzelfall auswirken? Und wenn ja, wie müssen die Umstände in Afghanistan beschaffen sein, damit abgeschoben wird?

Herr Senator.

Meine Ausführungen bezogen sich auf das Prüfverfahren des Bundeamtes für Migration und Flüchtlinge, bei dem verschiedene Schutzkategorien eine Rolle spielen, wie Sie wissen, das Asylrecht, die Frage des anerkannten Flüchtlings, der subsidiäre Schutz und der Abschiebeschutz. In jeder dieser Kategorien werden die Umstände und Schutzgründe im Heimatland für den jeweiligen Einzelfall sehr genau geprüft, und dort werden auch die Umstände, die jetzt noch einmal das UNHCR in durchaus kritischer Weise würdigt und aktuell beschreibt, sehr genau mit einbezogen. Insofern finden sie in diesem Verfahren Berücksichtigung.

Vielen Dank. – Jetzt haben wiederum die anderen Fraktionen Gelegenheit zur Nachfrage. Herr Münster von der SPD-Fraktion beginnt, ihm folgt Herr Gladiator von der CDUFraktion.

Herr Senator, Sie haben eben ausführlich berichtet, dass alle in Hamburg lebenden Afghaninnen und Afghanen auf ihre aufenthaltsrechtliche Priorität oder Perspektive überprüft werden. Vor diesem Hintergrund frage ich: Werden die Afghanen, die hier keine Perspektive haben in dem Sinne, dass sie keinen aufenthaltsrechtlichen Status haben und Straftäter sind, abgeschoben?

Herr Senator.

Die Abschiebung von Straftätern hat allerhöchste Priorität. Bei jeder Maßnahme, die wir vorbereiten, werden zuallererst alle

(Senator Andy Grote)

Straftäter identifiziert, die zu dem jeweiligen Zeitpunkt abschiebefähig sind. Für diese wird zuallererst die konkrete Abschiebung vorbereitet, und diese Gruppe stellt regelmäßig auch den größten Teil derjenigen, die überhaupt von der Maßnahme betroffen sind.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Ein Drit- tel!)

Herr Gladiator von der CDU-Fraktion hat das Wort für eine weitere Nachfrage.

Zu Ihrer Priorisierung, Straftäter abzuschieben: Können Sie quantifizieren, wie viele andere betroffen sein werden? Ist das ein Ausschließungsgrund, der koalitionsintern gefunden wurde? Wie weit werden auch andere betroffen sein, weil die Sicherheitslage doch für alle gleich ist, nicht nur für Straftäter, sondern auch für andere, die kein Bleiberecht bekommen haben? Insofern, wie wird die Aufteilung sein? Vielleicht können Sie das quantifizieren.

Herr Senator.

Es gibt keine festen Quoten, aber ich glaube, es ist naheliegend, wenn man sich eine Gruppe, die nicht ganz klein ist und erst jetzt in die Rückführungsverfahren kommt, ansieht und weiß, dass es immer nur begrenzte Kontingente in den einzelnen Maßnahmen gibt, dass man dann diejenigen in den Blick nimmt, bei denen man das Interesse hat, dass sie nicht länger hier sind. Das sind die Straftäter und diejenigen, die den geringsten Schutz aufgrund ihrer Situation genießen oder für die es am wenigsten Argumente dafür gibt, mit ihrer Rückführung noch zu warten. Ich glaube, das ist eine plausible Priorisierung, wenn man sagt, Straftäter sind Nummer 1. Wie gesagt, das ist die größte Gruppe, ohne das jetzt in jedem Einzelfall genau quantifizieren zu können. Danach folgen alleinstehende Männer ohne Integrationserfolg und -nachweis, und dann wiederum diejenigen, die noch nicht so lange hier sind. Es sind die, die zuletzt gekommen sind und dann auch als Erste wieder zur Rückführung anstehen. Ich glaube, auch das ist ein angemessener Umgang mit den verschiedenen Gruppen, um die es geht.

Vielen Dank, Herr Senator. – Frau Möller von der GRÜNEN Fraktion.

Wir haben mit der großen afghanischen Community in Hamburg die Situation, dass es mehrere Fluchtgenerationen aus Afghanistan aufgrund der dortigen jeweiligen politischen Umstände gibt. Und es gab für einige Gruppen keine rechtliche Möglichkeit, ihren Aufenthalt

so einfach zu sichern, wie es heute aufgrund von Integrationsleistungen möglich ist. Die Frage also: Gibt es konkret für die aufgehobene Senatorenregelung eine Nachfolgeregelung, die dann die Aufenthaltsmöglichkeiten hier schaffen kann oder wird?

Herr Senator.

Wir sehen schon, dass diejenigen, die bisher in den Genuss der Senatorenregelung gekommen sind, in vielen Fällen durchaus schon eine ganze Anzahl von Jahren hier sind und insofern auch unter den Anwendungsbereich von Paragraf 25 a, b Aufenthaltsgesetz fallen können, nämlich dann, wenn eine bestimmte Aufenthaltsdauer und eben auch Integrationserfolge zusammenfallen. Das ist eine Konstellation, die auf viele dieser Fälle zutreffen dürfte, und insofern prüfen wir das aktiv und gehen davon aus, dass der allergrößte Teil derjenigen, die unter den Anwendungsbereich der Senatorenregelung fielen – ungefähr 90 Prozent der Betroffenen –, auch über die inzwischen zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten hier eine Aufenthaltsperspektive bekommen können.

Vielen Dank. – Von der FDP-Fraktion Herr Oetzel.

Herr Senator, Sie haben eben hinsichtlich der Notwendigkeit, Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen, auf den bundesgesetzlichen Rahmen verwiesen. Jetzt haben Sie aber im weiteren Verlauf der Senatorenbefragungen auch die politische Prioritätensetzung klargemacht. Das ist nach meiner Wahrnehmung ein gewisser Widerspruch. Vielleicht können Sie das noch weiter aufschlüsseln. Weiterhin haben Sie eben auch deutlich gemacht, dass diese Priorisierung weitergeht. Sie haben gesagt, zunächst möglichst Straftäter, dann alleinstehende Männer und dann möglicherweise weitere Gruppen. Wie weit geht denn diese Priorisierung und welche Gruppen gehören noch dazu?

Herr Senator.

Wir wenden Bundesrecht an, das heißt, diejenigen, die keinen Schutzstatus erhalten, keinen Schutzanspruch haben, auch nachdem sämtliche Rechtsmittel ausgeschöpft wurden, die auch keinen Anspruch auf einen anderen Aufenthaltstitel haben, zu dem aber zum Beispiel auch wiederum das gehört, was ich eben gesagt habe, stehen grundsätzlich zur Rückführung an. Das sind bundesrechtliche Vorschriften, die auch Aufenthaltsgründe setzen. Wir haben dann eine Gruppe, die ausreise- oder abschiebepflichtig wäre und innerhalb derer wir die Prioritätensetzun

(Senator Andy Grote)

gen so vornehmen, wie ich es beschrieben habe. Wenn man das weiterspinnen würde, würde man auch zur Gruppe der Paare kommen, dann zu den alleinstehenden Frauen, dann irgendwann zu Frauen mit Kindern, Familien und zu Menschen hohen Alters und Minderjährigen. Minderjährige werden grundsätzlich nicht rückgeführt. Auch bei den anderen Gruppen sehen wir eine Priorität, die so weit hinten ist, dass keine aktuelle Befürchtung besteht, dass sie abgeschoben werden.

Vielen Dank. – Von der AfD-Fraktion Herr Nockemann.

Herr Senator, wie darf ich mir so eine Abschiebung nach Afghanistan vorstellen? Da gibt es keine Busverbindungen wie hier, keine regelmäßig verkehrenden Züge. Was macht zum Beispiel ein Einzelreisender, wenn er in Kabul abgesetzt wird? Kümmert sich jemand um ihn?

Und die zweite Frage ist: Wieso kann SchleswigHolstein anders entscheiden als Sie, wenn Sie alle doch nur Bundesrecht ausführen?

Herr Senator.

Ich bedanke mich für diese sehr fürsorgliche Frage. Wir müssen zwei Fälle unterscheiden: die freiwillige Rückreise, für die es normalerweise auch besondere Unterstützungsmaßnahmen gibt, und die zwangsweise Rückführung, für die im Prinzip der Reiseweg auch frei wählbar ist. In der Regel erfolgen natürlich alle Rückreisen per Flugzeug. Das, nehme ich einmal an, ist Ihnen eigentlich auch bekannt. Zur Inempfangnahme hat es sehr unterschiedliche Berichte gegeben. Insofern verweise ich einfach einmal auf das aktuelle Schreiben des Bundesinnenministers, in dem er mitteilt, dass:

"[…] die im Dezember 2016 von Deutschland nach Afghanistan zurückgeführten Personen bei ihrer Ankunft in Kabul vom afghanischen Flüchtlingsministerium, von IOMMitarbeitern, von der gemeinnützigen humanitären Organisation für psychosoziale Betreuung, ipso, und von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der deutschen Botschaft und der Bundespolizei vor Ort in Empfang genommen und versorgt worden sind."

Diese Betreuung wird auch für alle weiteren Rückführungsaktivitäten nach Afghanistan sichergestellt.

Wenn Sie Schleswig-Holstein ansprechen, dann ist es so, dass der Kollege dort uns mitgeteilt hat, er erwäge eine dreimonatige Aussetzung der Abschiebungen und hätte im Konsultationsverfahren, das zwischen den Innenministern dazu verabredet ist, gern eine Rückmeldung dazu. Bislang gibt es

dazu keinerlei Rückmeldungen. Es wird voraussichtlich in Kürze eine Stellungnahme des Bundesinnenministers geben. Schleswig-Holstein hat dann die Möglichkeit – denn das ist das Einzige, was ein Land allein kann –, die Aussetzung auch ohne ein Einvernehmen für drei Monate anzuordnen. Mich überzeugt das nicht, weil ich damit im Grunde genommen nichts löse. Ich gehe nicht davon aus, dass wir in drei Monaten eine andere Situation haben als jetzt. Man würde die Situation vertagen, ohne sie zu lösen, und ich kann auch für die Betroffenen keinen echten Vorteil darin erkennen.

Vielen Dank, Herr Senator. – Nachdem alle Fraktionen die Gelegenheit zu einer Frage hatten, kommt nun Frau Güçlü mit einer Nachfrage für maximal 30 Sekunden.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Senator, Sie wissen, dass bei Reisen nach Afghanistan Minister und Ministerinnen zu Recht oftmals in einer Schar von Leibwächtern in das Land reisen. Mich würde ganz konkret interessieren, ob der Senat tatsächlich davon überzeugt ist, dass Afghanistan in all seinen Regionen ein so sicheres Land ist, dass tatsächlich dahin abgeschoben – so haben Sie es genannt –, also zurückgeführt werden kann.

Herr Senator.

Ich habe schon darauf hingewiesen, dass die Bewertungen der Sicherheitslage mit guten Gründen in die Zuständigkeit von Bundesbehörden fallen. Ich finde es schwierig, wenn jedes Bundesland eine eigene Einschätzung zur Lage in den Ländern dieser Welt vornimmt und abgibt.

Ich will aber schon, weil Sie auf das Thema zu sprechen kommen, wie man eigentlich hinreist und wie die Situation ist, zwei Anmerkungen machen. Selbstverständlich ist die Lage in Afghanistan – das ist, glaube ich, auch unstreitig – vielfach von Unsicherheit geprägt. Ich will aber auch darauf hinweisen, dass in großer Zahl eben nicht nur Politiker mit Leibwächtern nach Afghanistan reisen, sondern dass wir in großer Zahl Mitarbeiter staatlicher Entwicklungsorganisationen, Ingenieure, Lehrer, Pädagogen anderer Art, Polizisten und andere deutsche Staatsangehörige dort hinschicken, die alle ohne Leibwächter dort dafür arbeiten, dass es dem Land besser geht.

(Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Vielen Dank, meine Damen und Herren. Damit endet auch schon unsere heutige Senatsbefragung. Nachdem alle Fraktio

(Senator Andy Grote)

nen die Gelegenheit hatten und wir auch bei den 20 Minuten geblieben sind, kommen wir zu den Schlussabstimmungen, mit denen wir die Tagesordnung fortsetzen.

Ich rufe als Tagesordnungspunkt 7 unsere Berichte des Eingabenausschusses auf, die Drucksachen 21/7236 bis 21/7239.

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben – Drs 21/7236 –]

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben – Drs 21/7237 –]

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben – Drs 21/7238 –]

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben – Drs 21/7239 –]

Ich beginne mit dem Bericht aus Drucksache 21/ 7236. Wenn Sie mögen, können wir mit Ziffer 1 starten.

Wer möchte sich den Empfehlungen anschließen, die der Eingabenausschuss zu den Eingaben 616/16, 637/16, 685/16, 734/16, 756/16 und 793/16 abgegeben hat? – Wer schließt sich dem nicht an? – Enthaltungen? – Dann haben wir das bei einigen Enthaltungen einstimmig so beschlossen.

Wer schließt sich darüber hinaus den Empfehlungen zu den übrigen Eingaben an? – Auch hier die Gegenprobe. – Und die Enthaltungen? – Das war einstimmig.