Protokoll der Sitzung vom 15.02.2017

Zu Ihrem Modell, Herr Kruse. Es ist interessant, einmal darüber nachzudenken. Ich will es auch gar

(Dr. Jörn Kruse)

nicht in Bausch und Bogen verdammen. Es hat aber einen Nachteil. Etwas haben Sie übersehen. Ich habe mich in Vorbereitung auf die heutige Debatte mit der juristischen Fachliteratur auseinandergesetzt

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Super, Urs!)

und dabei auch einmal bei dem guten alten Maunz/Dürig, 78. Lieferung, Artikel 98, Randnummer 60 nachgeschaut. Maunz/Dürig, der bekanntlich nicht zur linksradikalen Literatur gehört, würde bei dem System, das Sie vorschlagen, bemängeln, dass die Legitimationskette für ein Gremium, das so weitreichende Entscheidungen trifft wie der Richterwahlausschuss, letzten Endes auf das Wahlvolk zurückgehen muss.

(Milan Pein SPD: Ganz genau!)

Was Sie allerdings vorschlagen, Kollege Kruse, ist, dass die Legitimationskette – ich rede jetzt fast gegen meine eigenen Interessen – auf Menschen mit zweitem juristischen Staatsexamen zurückgeht. Die sind zwar nicht unbedingt schlechter, aber eben auch nicht besser,

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

und man wird nicht sagen können, dass ein solches System tatsächlich demokratischer ist im Sinne der Rückkopplung und der entsprechenden Legitimationskette. Ich glaube, dass wir sehr gut daran tun, weiterhin auf unserer hamburgisches System, das mit Bedacht in seinem feinen Austarieren zwischen Vertretern aller Gewalten und als Reaktion auf das Dritte Reich geschaffen worden ist, zu bauen. Außer dieser Stimme aus der AfD, die ich in ihrer Kritik als etwas zu harsch empfinde, habe ich keine weitere gehört. Ich habe sehr wohl verstanden, dass Sie Hamburg deswegen nicht als Unrechtsstaat brandmarken,

(Zuruf von Dr. Andreas Dressel SPD)

aber ich finde, Sie sollten, nachdem Sie vielleicht einmal einen Blick in den Maunz/Dürig geworfen und über die Legitimationsketten-Argumentation nachgedacht haben, noch einmal in sich gehen. Wir jedenfalls sehen keine Basis für eine konstruktive Debatte über ein derartiges Gremium in Anbetracht des sehr guten Richterwahlausschusses in Hamburg und werden Ihren Antrag daher ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Tabbert. – Als Nächster spricht Herr Seelmaecker von der CDU-Fraktion.

Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren Kollegen! Oberlehrer,

hörte ich es schon raunen. Das freut mich; der Oberlehrer macht etwas Gutes, er bringt etwas bei. Das will ich gern tun.

Die Einleitung liest sich erst einmal ganz gut, Herr Professor Kruse. In ihr sind ein paar allgemeine Erwägungen enthalten, die ich gar nicht schlecht finde. Wenn es dann aber um das Konkrete geht, fehlt meines Erachtens die Substanz.

(Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg übernimmt den Vorsitz.)

Zwei Hauptthesen habe ich herausgegriffen. Zunächst zur ersten These, keine Gewaltenteilung. Nicht weniger als eine Verletzung des Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz ist also angesprochen. Das Argument, das Sie anführen: Da neun Mitglieder des Richterwahlausschusses von der Bürgerschaft gewählt werden, sei die Gewaltenteilung nicht gewährleistet. Gleichzeitig impliziert dies eine Behauptung. Die drei Mitglieder, die auf Vorschlag der Richter vom Senat berufen werden, und die beiden Mitglieder, die von der Anwaltskammer berufen werden, sind nach Ihrer Auffassung unverdächtig. Diese Behauptung halte ich für sachlich unzutreffend, denn Mitglieder einer Kammer, und seien es auch die der Rechtsanwaltskammer, sind nicht besser und nicht schlechter, sie sind nicht neutraler; auch sie sind Interessenvertreter, nämlich Interessenvertreter der Anwaltschaft. Was macht nun also bei den neun Mitgliedern der Unterschied aus, dass sie von der Bürgerschaft gewählt werden? Das erscheint Ihnen suspekt. Sie seien nicht legitimiert, sagen Sie, denn hier greife die Legislative über in die Judikative. Übergriff – dahinter steckt dieses AfD-typische Argument: Die da oben machen, was sie wollen, das ist nicht legitimiert und nicht in Ordnung. An dieser Stelle bedienen Sie sich des Arguments der Gewaltenteilung, das hier aber nicht trägt, denn unsere Verfassung hat neben der Gewaltenteilung auch eine Gewaltenverschränkung vorgesehen, und das in vielen Fällen. Ein Beispiel ist die institutionelle Verschränkung. Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Regierung, wird im September von der Legislative wiedergewählt werden.

(Dorothee Martin SPD: Neu gewählt!)

Hier haben wir also einen klassischen Fall der Gewaltenverschränkung. Wir haben außerdem eine personelle Verschränkung. Diverse Regierungsmitglieder im Bundestag sind gleichzeitig Mitglieder des Deutschen Bundestags. Oder nehmen Sie den Bundesrat,

(Zuruf von Dirk Nockemann AfD)

in dem die Länderexekutiven an der Legislative des Bundes mitwirken. Dasselbe gilt für Verordnungsermächtigungen, wo wir eine Delegation von Legislativgewalt in die Exekutive haben. Es gibt also zahlreiche Beispiele für Gewaltenverschränkung.

(Urs Tabbert)

(Dr. Jörn Kruse AfD: Sie sprechen mir aus dem Herzen!)

Sie haben wir auch hier und das ist auch richtig so.

Die zweite Hauptthese: Die Parteien könnten durch den Richterwahlausschuss beeinflussen, dass bestimmte Richter in höhere Positionen gelangen und andere nicht. Diese Behauptung trifft schlicht nicht zu, denn in Artikel 33 Absatz 2 unseres Grundgesetzes steht, dass alle Menschen in Deutschland nach Eignung, Befähigung und Leistung befördert werden.

(Dirk Nockemann AfD: Das glauben Sie aber auch nur!)

Das trifft selbstverständlich auch auf die Richter zu – und auch auf alle anderen Beamten, Herr Nockemann. Das sollten Sie wissen.

(Dirk Nockemann AfD: Soll ich jetzt Nein sa- gen?)

Völlig unabhängig vom Richterwahlausschuss ist also derjenige Richter zu befördern, der am besten geeignet ist, die beste Leistung bringt und am besten befähigt ist. Das bestimmt nicht der Richterwahlausschuss, sondern richtet sich nach den dienstlichen Beurteilungen, die ein Richter bekommen hat – durch Juristen, so, wie Sie es gern wollen, nämlich vom Dienstvorgesetzten. Hat der Richter ordentliche Arbeit gemacht? Was kann er? Kann er Menschen führen? Schreibt er ordentlich begründete Urteile? Das hält der Dienstvorgesetzte in seiner Beurteilung fest. Das heißt, wir haben erst einmal eine Legitimation durch die Beurteilung, und wenn das einem Richter nicht passt, kann er Widerspruch gegen seine Beurteilung einreichen und dagegen klagen. Das passiert in Hamburg durchaus; wir haben vor dem Verwaltungsgericht Konkurrentenklagen von Richtern. Das ist völlig legitim und zeigt, dass unser System funktioniert.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜ- NEN und der FDP)

Der Richterwahlausschuss dient letztlich nur der Kontrolle und der Legitimation. Das funktioniert in der Praxis bei uns in Hamburg hervorragend. Wir bekommen in der Regel die Originalpersonalakten der Richter. Das bekommen Sie in keiner Deputation. Wir bekommen sie mit viel zeitlichem Vorlauf – auch das ist anders als in allen Deputationen in Hamburg –, und wir bekommen sie sogar mit nach Hause, weil uns geglaubt wird, dass wir kein Schindluder mit den Daten treiben. Das funktioniert also wirklich gut.

Abschließend erlauben Sie mir bitte noch zwei Hinweise. Zum einen ist der Antrag nicht nur unbegründet, sondern auch unzulässig, denn der Richterwahlausschuss und seine Zusammensetzung stehen in Artikel 63 unserer hamburgischen Verfassung. Wir bräuchten also ein verfassungsän

derndes Gesetz – was Sie nicht vorgelegt haben. Auch insofern funktioniert das nicht.

Und zu guter Letzt: Ich glaube, selbst mit einer Justizversammlung hätten wir am Ende den AfDArchetyp, Herrn Schill – als solchen betrachte ich ihn –, nicht verhindern können, denn dessen Charakterlosigkeit hat sich erst in der politischen Erpressung manifestiert; er war ja vorher Richter geworden. – Danke sehr.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜ- NEN und der FDP)

Vielen Dank, Herr Seelmaecker. – Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie um besondere Aufmerksamkeit. Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Flocken für seine Äußerungen in der letzten Sitzung am 1. Februar 2017 einen Ordnungsruf. – Und nun hat Frau Dr. Timm von der GRÜNEN Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die AfD erzeugt mit diesem Antrag ein falsches Bild. Sie vermittelt den Eindruck, dass die Justiz verfilzt ist und das System der Richterwahl gegen die Gewaltenteilung verstößt. Das ist falsch und gefährlich. Richtig ist, dass die Justiz in Deutschland ausgesprochen gut funktioniert. Sie ist ein echtes Korrektiv zur Politik, gerade auch das Bundesverfassungsgericht mit seinen vielen richtungsweisenden Entscheidungen. Dass das so ist, zeigt die aktuelle Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Elbvertiefung. Man kann in der Sache unterschiedlicher Meinung sein, aber es kann niemand bestreiten, dass das Gericht sich sehr gründlich und vertieft mit der Materie auseinandergesetzt hat, obwohl das ein sehr komplexes, weites Feld ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Unsere Justiz hat ein sehr hohes Niveau. Sie ist bei den Entscheidungen gründlich, genau, differenziert und trotzdem lebensnah. So habe ich die Gerichte in meiner beruflichen Tätigkeit als Behördenjuristin in Hamburg kennengelernt.

Die deutsche Justiz funktioniert also, sie funktioniert hervorragend, und es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern. Und weil das so ist, arbeitet der Antrag mit Unterstellungen. Da ist von Kuhhandel und Parteienfilz die Rede. Dabei hat sich das durch die hamburgische Verfassung vorgesehene Verfahren mit den Richterwahlausschüssen über Jahrzehnte bewährt – die Kollegen haben es ausgeführt –, im Gegensatz zu dem Verfahren in den USA, wo Trump im Alleingang irgendwelche ultrakonservativen Richter benennt, die dann auch noch lebenslang im Amt sind. Herr Kruse, das war es dann mit den Grenzen des Rechts, von denen Sie vorhin sprachen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

(Richard Seelmaecker)

Dieses Beispiel aus Amerika zeigt, dass das dort ein echtes Problem ist. Da kann man ein neues System mit weniger Macht für den Präsidenten fordern, denn das ist tatsächlich gefährlich für die Demokratie. Aber so ist es hier eben nicht. Dieser Antrag redet Probleme herbei, wo gar keine sind. Vor allem aber gefährdet der Antrag mit dem vorgeschlagenen Verfahren die Unabhängigkeit der Justiz und erreicht somit genau das Gegenteil. Wenn nämlich ausschließlich juristische Fachverbände in einer Justizversammlung über die Richterwahl bestimmen, dann ist das ein intransparentes Verfahren, das demokratisch nicht legitimiert ist, weil jede Anbindung an Exekutive und Legislative fehlt, und genau das verstößt gegen die Gewaltenteilung; es ist nicht so, wie Sie es genau andersherum darstellen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das ist mit Artikel 20 Grundgesetz nicht vereinbar, weil alle Staatsgewalt vom Volk ausgehen muss. Das ist der entscheidende Grundsatz, das ist das Wesen der Demokratie. Hierzu bedarf es immer einer Legitimationskette – auch Jura übrigens, erstes oder zweites Semester. Diese Voraussetzungen sind im jetzigen System durch die ausgewogene Besetzung des Richterwahlausschusses gegeben, die gerade verhindert, dass eine Partei mit ihren Leuten durchmarschieren kann; auch das haben die Kollegen schon im Detail ausgeführt. Außerdem wird die Auswahl nach Leistung gewährleistet. Das ist eine zwingende Voraussetzung und notwendig, um weiterhin die Qualität der Gerichtsentscheidungen und der Rechtsprechung zu gewährleisten. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Timm. – Das Wort hat Herr Dolzer von der Fraktion DIE LINKE.

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident! Eine noch weitergehende Demokratisierung der Richterwahl ist an sich eine sehr gute Idee. Wenn man aber demokratietheoretisch genauer darauf blickt – Urs Tabbert hat es schon gesagt –, könnte man im Grunde genommen, wenn man es noch weiter demokratisieren wollte, letztendlich die Wählerinnen und Wähler über die Richter und Richterinnen bestimmen lassen. Dann wären wir bei einer Forderung, die der KBW irgendwann einmal aufgestellt hat. Ich weiß nicht, ob die AfD in diese Richtung gehen wollte; ich denke, eher nicht, wenn ich mir den Antrag genau anschaue.

Es sind bereits viele Argumente genannt worden. Die Legitimationskette haben Frau Timm und Herr Tabbert ausgeführt. Der uns vorliegende Antrag würde, wenn man ihn sich genauer ansieht, auch

nicht unbedingt zu einer Demokratisierung führen, sondern dazu, dass ein anderes Klientel im Richterwahlausschuss sitzen würde, nämlich hauptsächlich nur Juristeninnen und Juristen. Das wäre auf keinen Fall eine Demokratisierung,