Protokoll der Sitzung vom 26.04.2017

(Christiane Schneider)

on die Hansestadt Hamburg für ihre vorbildliche Integrationspolitik von benachteiligten Roma und Sinti ausgezeichnet. Und die Entscheidung der Stadt, den Erhalt von Grabstätten ehemals NS-verfolgter Sinti und Roma sicherzustellen und die Kosten der Verlängerung auslaufender Ruherechte zu übernehmen, wurde von dem Vorsitzenden des Zentralrats als beispielhaft genannt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Und doch wissen wir, die Geschichte der Verfolgung und Diskriminierung von Sinti und Roma hat eine Kontinuität bis weit in die Bundesrepublik hinein. Das ist beschämend und kann auch nicht wiedergutgemacht werden. Es bleibt aber ein Postulat, diese Diskriminierungsgeschichte angemessen zu würdigen, wissenschaftlich und unter Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Akteure.

Die vorliegende Große Anfrage – und das war den Fragestellern ja auch klar – zeigt, dass Große Anfragen nicht das Instrument sind, eine solche wissenschaftliche Aufarbeitung zu leisten. Viele der Fragen zielen aber genau darauf ab, sie formulieren dezidiert zeitgeschichtliche Forschungsaufträge. Ich finde, der Senat hat in seinen Antworten deutlich über das hinaus, was von einem politischen Organ erwartet werden kann, Hinweise zur weiteren Bearbeitung dieser Fragen gegeben.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass es gut ist, dass bei uns Bearbeitung und Beantwortung zeitgeschichtlicher Fragen im Bereich von Wissenschaft und Zivilgesellschaft liegen. Dort gehören sie hin. Yaron Matras, auf dessen Werk "Roma und Cinti in Hamburg" die Fragesteller wiederholt Bezug nehmen, beschreibt die Erfolge im Kampf gegen Diskriminierung und dem Engagement für soziale Integration, auf die Hamburg zu Recht stolz sein kann. Und ich denke, hier ist auch skizziert, wie wir zu Fortschritten im Bereich der Erinnerungskultur gelangen, nämlich gemeinsam mit Roma und Sinti und ihren Organisationen.

Die Senatsantwort dokumentiert, dass die bisher erfolgte historische Aufarbeitung der staatlichen Diskriminierung von Sinti und Roma im Zusammenhang mit der Entwicklung der Gedenkstätte am Hannoverschen Bahnhof noch einmal eine neue Qualität bekommt. Die Aufarbeitung wird dort ihre Fortsetzung finden, angestoßen und begleitet von Opferverbänden und einer ganzen Reihe von zivilgesellschaftlichen Akteuren, und die Würdigung des geschehenen Unrechts wird mit der Übergabe des denk.mals Hannoverscher Bahnhof durch den Ersten Bürgermeister an die Öffentlichkeit am 10. Mai einen dauerhaften, sichtbaren Ort im Herzen unserer Stadt erhalten. Dort gehört es hin. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Grunwaldt von der CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, ich danke Ihnen für diese Anfrage – und das ist wirklich kein Lippenbekenntnis; dieses Wort kam ja heute schon mehrfach vor.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und der LINKEN)

Ich danke Ihnen für die Thematisierung, denn es ist völlig richtig, dass historische Aufarbeitung selbstverständlich nicht 1945 Stopp macht. Wenn wir ehrlich sind, sehen sich viele Menschen immer noch vielen Vorurteilen gegenübergestellt. Wir sind leider, leider noch lange nicht am Ende angelangt.

Allerdings finde ich es ein bisschen schade, dass wir heute nur – in Anführungszeichen – über die Große Anfrage debattieren; eine Forderung wäre schön gewesen, wie zum Beispiel heute in Ihrer Pressemitteilung oder von Ihnen, Frau Schneider, schon erwähnt. Es wäre doch gut, wenn wir hier einmal diskutieren würden über Rahmenvereinbarungen, wie es sie schon in anderen Bundesländern gibt.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Im Aus- schuss!)

Im Ausschuss? Ja. Aber gern auch im Großen. Ich freue mich natürlich, wenn wir das an den Ausschuss überweisen; wir stimmen dem zu.

Dem Senat muss ich allerdings recht geben – aber ich glaube, darin sind wir uns einig –, dass er mit der Auswertung der historischen Quellen in der Tat überfordert ist beziehungsweise dies die Grenzen einer parlamentarischen Anfrage sprengt.

Worüber ich mich freuen würde: Ich habe gesehen, dass mein Kollege Herr Hamann kürzlich eine Schriftliche Kleine Anfrage gestellt und Förderungen finanzieller Natur oder Unterstützung von Projekten abgefragt hat. Im Jahr 2006 zum Beispiel, Förderung der Rom und Cinti Union, unter anderem ein Zuschuss für das Symposium "Politik und Wissenschaft in der Antiziganismus-Forschung" in Höhe von 3 000 Euro und ein Zuschuss für die Konferenz "Der Völkermord an den Roma und Sinti – und kein Ende?" in Höhe von 11 966 Euro – übrigens zu Zeiten des CDU-geführten Senats; egal. Wenn wir solche konkreten Projekte hinsichtlich der Forschung gemeinsam auf den Weg bringen können, würde ich mich sehr freuen. Ich freue mich über die weitere Diskussion. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU, der LINKEN und bei Jens Meyer FDP und Farid Müller GRÜNE)

(Dr. Isabella Vértes-Schütter)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Gögge von der GRÜNEN Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erinnerung an die Verbrechen des Faschismus lebendig zu halten ist eine Aufgabe, der wir alle gemeinsam gerecht werden sollten, und die Bedeutung dieser Aufgabe wird umso klarer, wenn man sich vor Augen führt, wie unverhohlen und schamlos politische Kampfbegriffe wie "Mahnmal der Schande" oder "Schuldkult" inzwischen von Rechtsaußen wieder in der Öffentlichkeit verwendet werden.

Im Falle der Sinti und Roma ist zusätzlich anzumerken, dass die Diskriminierung nicht mit dem Nationalsozialismus begann und auch nicht mit ihm endete. Diese Gruppen wurden bereits vorher benachteiligt und auch in der Bundesrepublik kam es zu weiteren Diskriminierungen. Nichtsdestotrotz, die von der LINKEN gestellte Anfrage ist in ihrer extremen Tiefe nicht nur Teil der bereits in der Presse thematisierten Anfragenflut mit maximaler Forderung einzelner Behörden, sondern die angestoßene Debatte erscheint mir auch ein wenig bemüht, denn – es wurde bereits erwähnt – die Aufarbeitung solcher historischen und zeitgeschichtlichen Fragen ist keineswegs eine Aufgabe für die Senatskanzlei oder die Kernmannschaft des Staatsarchivs. Nein, im Gegenteil, die Verantwortung dafür haben Institutionen der Wissensvermittlung, Aufklärung und Bildung längst übernommen, und so sind neben zahlreichen Fachpublikationen auch Unterrichtsmaterialien für Schulen, zum Beispiel das konzeptionell hervorragende Werk "Entrechtung, Widerstand, Deportation 1933 - 1945 und die Zukunft der Erinnerung in Hamburg", in dem auch auf Sinti und Roma eingegangen wird, entstanden. Auch moderierte Podiumsdiskussionen mit Zeitzeugen sind Teil des Aufarbeitungsprozesses. So hatte die Landeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit dem Landesverein der Sinti in Hamburg zum Dreigenerationengespräch "Unser Ziel heißt: Respekt! Sinti und Roma auf dem langen Weg zur Gleichberechtigung." eingeladen. Die Berichte von Betroffenen machen klar nachfühlbar, wie Verfolgung und Diskriminierung über Generationen hinweg das Leben beeinträchtigen.

Ziel all dieser und ähnlicher Aktivitäten ist es zu verstehen, warum die Roma und Sinti ausgegrenzt und stigmatisiert wurden und teils werden. Dazu gehört auch, was nach 1945 geschah und wie Roma und Sinti in unserer heutigen Gesellschaft leben.

In Hamburg hat sich einiges verbessert, doch Vorurteile und Antiziganismus müssen weiterhin bekämpft werden. Sie habe es als Ergebnis der Großen Anfrage bereits gelesen: Die Hamburger

Aktivitäten der Vergangenheitsaufarbeitung sind durchaus bemerkenswert. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat sich anerkennend geäußert, und für die vorbildliche Integrationspolitik gab es sogar eine Auszeichnung der EU-Kommission. In wenigen Tagen – Sie haben es bereits gehört – wird das denk.mal Hannoverscher Bahnhof eingeweiht. Gemeinsam mit dem Landesverein der Sinti in Hamburg und der Rom und Cinti Union wurde dieser Gedenkort konzipiert und wurden die besonderen Wünsche beim Gedenken an die aus Hamburg deportierten Roma und Sinti umgesetzt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Eine umfassende, exemplarische und wissenschaftliche Aufarbeitung der Schicksale dieser NSOpfer wird im neuen Dokumentationszentrum am Lohsepark stattfinden. Ganz wichtig dabei wird die durch persönliche Schicksale eindringlich und nachfühlbar gemachte Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma nach 1945.

Meine Damen und Herren! Hamburg übernimmt Verantwortung bei der Aufarbeitung der Diskriminierungsgeschichte der Sinti und Roma. Die Verantwortung für den Umgang mit den Ergebnissen dieser Aufarbeitung liegt bei uns allen. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Meyer von der FDPFraktion.

Verehrtes Präsidium, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Unrecht, das Sinti und Roma über Jahrhunderte hinweg in ganz Europa erlitten haben, ist furchtbar, und der Völkermord in der Zeit des Nationalsozialismus war zweifellos der Gipfel dieses furchtbaren Unrechts. Aber auch darüber hinaus ist diese Volksgruppe lange Zeit staatlichen und gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt gewesen, nicht nur in deutschen Gebieten, aber eben auch dort. Dies ist scharf zu verurteilen. Es ist daher richtig, dass sich auch die Freie und Hansestadt Hamburg ihrer historischen Verantwortung für die Diskriminierung, Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma stellen muss, denn auch Hamburger Behörden haben daran mitgewirkt, und das nicht nur während, sondern, wie wir nach der langen Einführung in der Großen Anfrage der LINKEN richtigerweise lesen können, zumindest bezogen auf die Diskriminierung auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg. Insofern begrüßen wir als FDP vom Grundsatz her das Anliegen des Antrags der LinksFraktion. Es ist richtig, diese Thematik historisch aufzuarbeiten und politische Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Aber, und das muss an dieser Stelle genauso deutlich gesagt werden, die LINKEN unterschlagen weitestgehend, dass es bereits eine Fülle von Fachliteratur zur Geschichte der Sinti und Roma und deren Verfolgung gibt.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Das zitieren wir doch!)

Doch, das müssen Sie sich schon sagen lassen, Frau Sudmann.

Die wissenschaftliche Aufarbeitung existiert bereits, sie ist sehr breit gefächert und umfasst viele Aspekte. Selbst wenn eine weitere Vertiefung und Fokussierung auf die Rolle Hamburgs wünschenswert ist, trifft die Behauptung nicht zu, Deutschland und Hamburg hätten sich mit diesem Komplex noch nicht beschäftigt.

Die LINKEN unterschlagen auch, dass es mit dem denk.mal Hannoverscher Bahnhof – es wurde eben schon gesagt – eine neue Gedenkstätte gibt, die auch die staatliche Verfolgung von Roma und Sinti in Hamburg in den Jahren 1933 bis 1945 thematisiert. Auch andere Dokumentationszentren, Publikationen, zahlreiche Fortbildungsangebote für Lehrer, Bildungs- und Informationsveranstaltungen hierzu gibt es bereits in Hamburg. Das alles dokumentiert die vielfältigen Bemühungen dieser Stadt, dem Unrecht zu gedenken und dem Thema gerecht zu werden.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht angemessen, so zu tun, als hätte Hamburg die Verfolgung von Roma und Sinti völlig vergessen.

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE und Can- su Özdemir DIE LINKE: Wer tut das denn?)

Das klang so durch bei Ihnen.

Als Freie Demokraten sind wir sehr gern bereit, darüber zu diskutieren, wie man die wissenschaftliche Aufarbeitung noch weiter vorantreiben kann – Sie können im Ausschuss weiter krakeelen –, auch über Gedenkorte und den Umgang mit diesem dunklen Kapitel unserer Geschichte in der Bildungsarbeit können wir gern im Ausschuss fachlich beraten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Dr. Wolf von der AfDFraktion.

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Damen und Herren! Die Aufarbeitung von staatlicher Verfolgung und Diskriminierung gegenüber bestimmten Menschengruppen oder Minderheiten ist ein Merkmal freiheitlich-demokratischer Ordnungen und unterscheidet diese von anderen. Sie ist eines von mehreren Aspekten des Umgangs mit der Geschichte. Dazu gehört die

Aufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten an den Menschen, die man heute unter dem Begriff der Sinti und Roma zusammenfasst, sowie gegebenenfalls auch einer Diskriminierung in den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland. Dahinter stehen wir.

Die Frage stellt sich allerdings, wie intensiv eine derartige historische Aufarbeitung durch den Staat erfolgen soll. Dies ist eine Frage der politischen Gewichtung ebenso wie auch der verfügbaren Ressourcen. Angesichts der drängenden Probleme der Gegenwart scheint uns die hier von der LINKEN geforderte Vergangenheitsbewältigung als allzu rückwärtsgewandt.

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Meine Güte!)

Der Senat macht in seiner Antwort konkret und glaubhaft deutlich, dass eine Aufarbeitung der staatlichen Diskriminierung von Sinti und Roma nach 1945 stattgefunden hat und dass diese auch mit Unterstützung des Senats fortgeführt werden soll. Das ist aus unserer Sicht angemessen und verantwortungsvoll.

Zwei Dinge sind hier aber anzumerken. Erstens: Wir weisen den Ton der Anfrage der LINKEN zurück, die ihrerseits von Vorurteilen gegenüber der Polizei getränkt ist und so zu eklatanten Fehleinschätzungen und Vorwürfen gegenüber der Arbeit der Polizei und der Verwaltung kommt, wie sie jüngst auch Ihr Kollege Dolzer demonstrierte.

Und Zweitens: Neben dem Blick zurück, der geschichtlichen Aufarbeitung dieses Komplexes aus vergangenen Jahrzehnten, müssen wir den Blick in die Gegenwart richten. Konkret müssen wir uns fragen, inwieweit auch heute noch oder erneut Minderheiten in unserer demokratischen Gesellschaft von Ausgrenzung, mitunter sogar staatlich unterstützter Diskriminierung bedroht sind. Und wir müssen uns fragen, ob die historische Aufarbeitung nicht manchmal den Blick auf aktuelle Probleme verstellt. Das Beschimpfen, das Anspucken von jüdischen Schülern auf Schulhöfen, das Beschmieren von Wohnhäusern, das Abbrennen von Autos, das Bedrohen von Familienmitgliedern, das Zerstören von wirtschaftlichen Existenzen, gewerkschaftliches Mobben und vor wenigen Tagen erst das Vergiften von Hunden einer Wahlkreiskandidatin einer demokratischen Partei in Stormarn, direkt vor unserer Haustür,

(Kazim Abaci SPD: Worüber reden Sie über- haupt?)