Protokoll der Sitzung vom 26.04.2017

Vielen Dank, Herr Abaci. – Als Nächster erhält das Wort André Trepoll von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Integration von Menschen aus anderen Ländern, aus anderen Kulturen und mit anderen religiösen Überzeugungen bleibt eine Daueraufgabe für unsere Gesellschaft. Manchmal ist sie auch eine Herkulesaufgabe, wie die Ereignisse und Diskussionen der vergangenen Monate zeigen. Doch bei allen Problemen, die es gibt, ist mir eine Feststellung vorab wichtig: Der weit überwiegende Teil der Menschen mit ausländischen Wurzeln ist in Hamburg und deutschlandweit gut integriert. Diese Integrationsleistung vieler Millionen Menschen, die zu uns gekommen sind, verdient Anerkennung und Respekt. Das darf bei aller notwendigen Diskussion aus meiner Sicht nicht unter den Tisch fallen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Zugleich dürfen wir die Augen nicht vor den gravierenden Integrationsproblemen verschließen, die es insbesondere mit einem Teil der türkischstämmigen Menschen gibt. Die Diskussion um die DITIBMoscheen und der Ausgang des Referendums in der Türkei haben einmal mehr gezeigt, dass ein nicht unerheblicher Teil der türkischstämmigen Menschen in unserer Gesellschaft leider noch immer nicht angekommen ist. Wie kann es dann sein, dass es eine Zustimmung zu Erdogans Präsidialsystem in Hamburg mit knapp 60 Prozent gibt, die noch höher ausfällt als in türkischen Metropolen wie Istanbul oder Ankara? Um es klar zu sagen: Für mich ist es unbegreiflich, dass Menschen, die in unserer freiheitlichen Gesellschaft groß geworden sind und demokratische Eckpfeiler wie Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung genießen, mit ihrem Ja nun für die endgültige Demontage der Demokratie in der Türkei den Weg geebnet haben und Erdogan diese Ein-Mann-Herrschaft ermöglichen. Bei allem Respekt vor freien Wahlentscheidungen, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Abaci, ich halte auch nichts davon, diese Zahlen schönzurechnen.

(Kazim Abaci SPD: Das habe ich nicht ge- macht! – Milan Pein SPD: Das hat er nicht gemacht!)

Das muss man nicht machen und das sollten wir auch nicht tun, Herr Abaci.

(Kazim Abaci SPD: Das steht zurzeit nicht an! – Farid Müller GRÜNE: Das kann nur die Bundesregierung!)

Ich glaube, dass Präsident Erdogan jetzt bereits angekündigt hat, eine weitere rote Linie über

(Kazim Abaci)

schreiten zu wollen. Nun soll das türkische Volk über die Einführung der Todesstrafe abstimmen. Das muss man sich einmal vorstellen: Wollen wir es wirklich zulassen, dass Menschen in Hamburg beim Konsulat zur Wahlurne gehen können und über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen können? Ich finde, das muss mit allen Mitteln und ohne Wenn und Aber zurückgewiesen werden.

(Beifall bei der CDU)

Was ich in dieser politischen Debatte auch merkwürdig finde, ist das auffällige Schweigen des Ersten Bürgermeisters. Nicht nur, dass er heute wieder nicht da ist; ansonsten gibt es ja ellenlange Interviews zu Frankreich und Brexit und sonst etwas. Aber wo sind denn in dieser wichtigen Frage die Äußerungen von Herrn Scholz zum Ausgang des Referendums? Wo sind seine Äußerungen zum Abstimmungsverhalten der türkischstämmigen Menschen in unserer Stadt und zu dem fortlaufenden innertürkischen Konflikt? Das fällt auf. Bei dieser wichtigen Frage für unsere Stadt versteckt sich der Erste Bürgermeister. Das halte ich für nicht richtig.

(Beifall bei der CDU – Kazim Abaci SPD: Herr Trepoll, kleine Brötchen backen!)

Was ist jetzt bei uns zu tun? Ich sage Ihnen, wir können das weder mit Schaum vor dem Mund

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist deine Spezialität!)

und Ausgrenzung schaffen, wie es die AfD gern möchte, noch mit Wegschauen und Schönreden, Herr Dr. Dressel, wie es Rot-Grün hier seit langer Zeit betreibt. Beides ist gefährlich und dem friedlichen Miteinander in Zukunft nicht dienlich. Wir als Christdemokraten haben dazu eine klare Haltung. Wir müssen die liberalen Kräfte innerhalb der türkischen Gemeinde konsequent und gezielt politisch, organisatorisch und, das sage ich ausdrücklich, auch finanziell stärken. Ich denke an die alevitische Gemeinde, an die türkischen Christen oder auch an die türkische Gemeinde Hamburgs, die sich klar zu Deutschland und zu unseren Grundwerten bekennen. Zum anderen müssen wir endlich den Einfluss der türkischen Regierung auf unsere Bürger konsequent unterbinden. Das bedeutet konkret, dass wir die Imame brauchen, die in türkischen Moscheen predigen und an deutschen Universitäten ausgebildet werden. Der türkische Konsulatsunterricht gehört abgeschafft. Keine grundsätzliche doppelte Staatsbürgerschaft. Ich sage klar, die Menschen in der dritten und vierten Generation müssen sich entscheiden, wohin sie gehören möchten.

(Beifall bei der CDU – Glocke)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Herr Trepoll, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?

Nein, herzlichen Dank.

Der Vertrag mit DITIB muss ausgesetzt werden, solange es keine vollständige Unabhängigkeit vonseiten der Türkei gibt. Der Verfassungsschutz muss in den kritischen Moscheegemeinden, in denen Gläubige aufgehetzt und aufgewiegelt werden, konsequent aktiv werden. Integration funktioniert nicht allein; das muss das Fazit der Debatte der letzten Monate und Wochen sein. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Trepoll. – Als Nächste erhält das Wort Phyliss Demirel von der GRÜNEN Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Ergebnisse des Verfassungsreferendums in der Türkei sind erschreckend – das reden wir nicht schön –, vor allem für viele Menschen in der Türkei, aber auch für uns in Deutschland und auch in Hamburg. Bei der Wahl im türkischen Generalkonsulat in Hamburg haben mehr als die Hälfte der Wahlbeteiligten für den Weg der Türkei in eine autokratische Zukunft gestimmt. Ja-Stimmen überwiegen unter den Wahlbeteiligten auch in Belgien, Holland und Österreich – eine Entscheidung, unter der diese Wähler nicht zu leiden haben, sondern vor allem die Demokratinnen und Demokraten in der Türkei, die inhaftierten Journalisten, Akademiker, Oppositionelle und Andersdenkende. Das alles reden wir hier nicht schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir wissen nicht, wie viele mit Doppelpass mit Ja oder Nein gestimmt haben; das spielt keine Rolle. Wir müssen uns vielmehr mit der Frage auseinandersetzen, warum eine islamisch-nationalistische Partei für eine solch große Community in unserer Gesellschaft derartig attraktiv sein kann und wodurch und warum sich diese Menschen von solchen Despoten wie Erdogan angezogen fühlen. Es ist wichtig, dass wir diese Menschen in unser demokratisches Boot zurückholen. Das klappt nicht, indem wir ihre staatsbürgerlichen Rechte infrage stellen, sondern nur, indem wir zeigen, was wahre demokratische Partizipation ändern kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die Ja-Stimmen sind kein Ausdruck einer gescheiterten Integrationspolitik. Anzeichen für diese demokratische Identitätskrise gibt es auch in Europa genug. Wir müssen zusehen, wie wir diese Men

(André Trepoll)

schen erreichen. Wir müssen überlegen, was wir hier besser machen können. Dabei gilt es, Migrantinnen und Migranten beim Weg in unsere Gesellschaft zu fördern und zu fordern, mit den gleichen Chancen, mit den gleichen staatsbürgerlichen Rechten, frei von Diskriminierung. Diese Rechte darf man nicht immer wieder aus politischen Gründen infrage stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Genau das ist aber leider, was passiert, wenn die Neuorientierung der Integrationspolitik so aussehen soll wie aus der Sicht der AfD. Das zeigt uns die neue angeblich liberale Spitzenkandidatin Alice Weidel. Sie fordert, zahlreichen Deutschtürken die deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen und sie aus dem Land zu schicken – eine abstruse Forderung. Wir können und dürfen Menschen nicht das Abstimmungsrecht wegnehmen, egal, ob sie mit Ja oder mit Nein abstimmen. Sie wollen den Menschen das Wahlrecht beziehungsweise die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen, weil Ihnen das Ergebnis nicht passt. Das sind Methoden wie von Despoten wie Erdogan. Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Leider springen auch seriöse Politiker auf diesen Zug auf. In der Union möchte man als Reaktion auf das türkische Referendum einmal wieder die doppelte Staatsbürgerschaft zur Wahlkampagne machen. Das ist absurd.

(Farid Müller GRÜNE: Die Kanzlerin will das nicht!)

Gerade diese Politik schiebt die Menschen in eine Ecke und grenzt sie aus. Und gerade ein Despot wie Erdogan holt diese Menschen dann dort ab und gibt ihnen das Gefühl, er würde für sie da sein und sie vertreten. Auch das machen wir nicht mit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Trepoll sagte: "Ich bin in Harburg zu Hause, ich kenne die Probleme mit der Zuwanderung und Integration." Sie sagten letzten Monat in der "Bild"-Zeitung, man müsse mehr Druck ausüben, man solle auch die doppelte Staatsbürgerschaft infrage stellen. Wenn das Ihre Lösungsvorschläge sind, sind wir wirklich arm dran.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Hier wird jetzt die Integrationsfähigkeit aller türkischstämmigen Menschen infrage gestellt. Zu Ihrer Information, meine Damen und Herren von der rechten Seite dieses Hauses: Der Großteil der Deutschtürken fühlt sich als Teil dieser Gesellschaft. Sie sind erfolgreich, sie sind integriert und gehen ihren eigenen Weg. Und das ist auch gut so.

(André Trepoll CDU: Und trotzdem stimmen 60 Prozent mit Ja!)

Ja, wir haben Probleme, die wir gemeinsam lösen müssen. Wir müssen klare Kante zeigen, dass unsere demokratischen Werte nicht verhandelbar sind, dass vor allem Nationalismus in unserer Gesellschaft keinen Platz hat. Das gilt nicht nur für Erdogan-Anhänger in Hamburg, sondern für uns alle, für Deutschland und für Europa. Lassen Sie uns daran arbeiten, wie wir unsere Gesellschaft gemeinsam auf der Grundlage unseres Grundgesetzes gestalten, um unsere Konflikte friedlich lösen zu können. Wir wissen alle, wie kostbar diese demokratischen Werte sind, für die wir lange gekämpft haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Demirel. – Als Nächste erhält das Wort Frau Özdemir von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich würde das Ergebnis ein bisschen anders bewerten, nämlich dass es eine Niederlage für Erdogan ist, weil in dieser Wahlkampfphase die Opposition, die eigentlich sehr stark ist, im Gefängnis sitzt. Der Einzige, der es mit Erdogan aufnehmen konnte, war der HDP-Vorsitzende Demirtas. Unter diesen unfairen Bedingungen und trotz Wahlmanipulation, trotz Repressionen am Wahltag hat es die Opposition geschafft, ein solch starkes Ergebnis zu erreichen. Dafür müssen wir sie auf jeden Fall beglückwünschen und von nun an auch wirklich solidarisch sein und an ihrer Seite stehen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, den GRÜ- NEN und vereinzelt bei der FDP)

Ich glaube auch, dass es unter fairen Bedingungen einen Sieg gegeben hätte. Auch in Deutschland gab es keine sehr fairen Bedingungen für das Nein-Lager, weil im Endeffekt das Ja-Lager auch durch finanzielle Mittel gestärkter war.

Ich finde es wichtig, diese Debatte nüchtern zu führen und keine falschen Rückschlüsse über vorgebliche Mehrheiten zu ziehen, weil, wie meine Vorrednerinnen und Vorredner schon gesagt haben, eine bestimmte Anzahl Menschen zur Wahl gegangen sind, die dem Ja-Lager nicht zugestimmt haben. Problematisch ist, dass der größere Teil derer, die zur Wahl gegangen sind, Sehnsucht nach einem starken Mann an der Spitze hat, der alles entscheidet und religiöse, nationalistische und konservative Werte vertritt. Das ist in der Tat sehr beunruhigend. Aber wir müssen auch feststellen, dass zurzeit auch Menschen ohne Migrationshintergrund in Europa demokratische Werte angreifen und infrage stellen. Dadurch hat zum Beispiel auch die AfD Zulauf bekommen. Trotz der deutschen Geschichte gibt es heute noch immer Zustimmung zu Thesen, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit signalisieren. Auch dieser

(Phyliss Demirel)

Frage müssen wir uns zuwenden. Die Frage sollte doch nicht lauten, ob jetzt die doppelte Staatsbürgerschaft das Problem sei, sondern welche Art von Politik ermöglicht, dass Menschen sich demokratischen Werten zuwenden. Das ist eine Aufgabe, die wir alle angehen müssen.