Protokoll der Sitzung vom 10.05.2017

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Wir kennen jetzt dank der zum Einsatz kommenden Rechenmodelle nicht nur die Zahlen an den Messstationen, sondern wir wissen auch, wo sonst in der Stadt die Luft zu dick ist. Dazu gehört neben dem Hafen eine Vielzahl von Straßen, für die jetzt Maßnahmen ergriffen werden. Und wir können jetzt auch genau sagen, was welche Maßnahme bringt. Wir können das deshalb, weil wir uns nicht mehr auf die betrügerischen Angaben der Automobilindustrie verlassen, sondern wir haben die Herstellerangaben, wie es das Umweltbundesamt empfiehlt, mit dem Faktor 1,9 versehen, um zu realistischen Einschätzungen zu kommen.

Jetzt geht es darum, den Gesundheitsschutz für die Betroffenen wirklich zu verbessern. Wir werden nachher noch über emissionsfreie Busse sprechen. Wir drosseln und lenken den Verkehr an den belasteten Straßen. Wir werden auch hie und da Tempo 40 einführen, denn das ist das beste Tempo, um den Stickoxidausstoß zu verringern. Radverkehr und Fußverkehr werden gefördert und auch die Elektromobilität – 600 neue Ladepunkte; wir wollen insgesamt auf 1 000 kommen.

(Dennis Thering CDU: Wollen Sie seit einem Jahr schon haben!)

Da sind wir ja auch feste dabei.

Zwar reduzieren wir durch diese Kaskade an Maßnahmen die Luftbelastung schon erheblich, doch das wird an manchen Stellen eben noch nicht ausreichen. Deshalb müssen wir dort mehr tun. Dabei

(Stephan Gamm)

gehen wir schon mit Augenmaß vor, aber wir sagen auch sehr klar: Dort, wo weiterhin Bürgerinnen und Bürger über die Maßen belastet werden, müssen wir auch zu deren Schutz Durchfahrtsverbote für alte Dieselfahrzeuge erlassen. Das betrifft Abschnitte in der Max-Brauer-Allee und der Stresemannstraße. In der Max-Brauer-Allee betrifft das Pkw und Lkw unterhalb der Euro-Norm VI. Und selbstverständlich sollen diese Durchfahrtsverbote in Kraft treten, sobald durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden ist, dass wir das dürfen.

(Glocke)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Dennis Thering?

Nein. Er redet ja nachher noch zum Verkehrsthema.

(Zurufe)

Wir wollen selbstverständlich nicht darauf warten, bis dort irgendwann einmal eine Baustelle eingerichtet ist und man das vielleicht nicht mehr braucht. In der Stresemannstraße wird das Durchfahrtsverbot ja auch nur die Lkw betreffen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas zu dem Argument sagen, diese Durchfahrtsverbote seien unsozial.

(André Trepoll CDU: Sagen Sie es dem Bür- germeister!)

Wir halten es für unsozial, die Bevölkerung vermeidbaren Gesundheitsrisiken auszusetzen. Wir finden, dass vor allem das Verhalten der Hersteller, die versucht haben, uns mit trügerischen Abgaswerten eine heile und saubere Welt vorzugaukeln, unsozial ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Deshalb sind wir auch der Meinung, dass, wer diese Fahrzeuge in gutem Glauben erworben hat, von den Herstellern dafür entschädigt werden muss.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir ahnten es natürlich schon, aber es ist jetzt auch wirklich belegt: Die Belastungen aus dem Hafen sind viel zu hoch. In den elbnahen Bereichen gehen bis zu 80 Prozent der Stickoxidbelastung auf den Hafen zurück. Frau Dr. Schaal hat bereits einige Maßnahmen benannt, darum schenke ich mir das. Wir werden dort insbesondere mit dem Hafengeld schon ein bisschen Nachdenken bewegen können und wir werden mit den Barkassenkapitänen und den Schlepper-Reedereien sprechen, damit sie vielleicht endlich auch einmal ihre Rußfilter einbauen. Aus aktuellem Anlass möchte ich noch betonen, dass wir davon ausgehen, dass sich mit diesen Maßnahmen am Hafen auch der

Ausstoß von ultrafeinen Partikeln, auf den der NABU gerade hingewiesen hat, reduzieren wird.

Meine Damen und Herren, mit dem Luftreinhalteplan haben wir eine Wende eingeleitet hin zu mehr Luftqualität und besserer Gesundheit für alle Hamburgerinnen und Hamburger. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Als Nächstes erhält Stephan Jersch von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mutig und konsequent oder doch eher sorgfältig abgewogen – allein schon, wenn man die Anmeldungen zu diesem Thema sieht, merkt man, dass das umweltpolitische Schneckenmobil in Hamburg sowohl zwei Lenkräder hat als auch nach wie vor keine AU-Plakette mehr.

Die Grenzwerte, über die wir reden und um die sich dieser Luftreinhalteplan kümmern soll, gibt es seit 2010, und das Versprechen, das man hier aus den Regierungskreisen hört, ist das Versprechen einer schnellstmöglichen Einhaltung dieser Stickoxidgrenzwerte.

(Dr. Monika Schaal SPD: Das hat das Ge- richt gesagt!)

Stattdessen, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie die Umsetzung der proklamierten Sustainable Development Goals der UN, die Erfüllung des Klimaplans und natürlich ein EU-Vertragsverletzungsverfahren im Nacken. Angesichts dessen ist es mutig von Ihnen, sich zur Umsetzung der Einhaltung der Stickoxidgrenzwerte noch einen Nachschlag von 8 Jahren genehmigen zu wollen, sodass die Grenzwerte dann 15 Jahre, nachdem sie in Kraft getreten sind, in Hamburg tatsächlich eingehalten werden. Das ist völlig und abgrundtief schlecht; das ist zu schlecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Was sich deutlich zeigt: Der Koalitionsvertrag mit seinen Maßnähmchen ist völlig untauglich gewesen, irgendeinen Effekt in Hamburg zu zeitigen.

Im Luftreinhalteplan steht 5 9000 Tonnen jährlicher Stickoxidanfall durch den Straßenverkehr, und wir können in ihm lesen, dass allein Moorburg pro Jahr 2 400 Tonnen Stickoxide anfallen lässt. Um diese Baustellen wird sich nicht wirklich gekümmert, sondern es wird natürlich auf die nächstliegenden Sachen abgezielt. Und was vielleicht weniger auffällt, aber mit Sicherheit sehr bedeutend in Hamburg ist: Den Stickoxidemissionen für den Flugverkehr wird in diesem Plan eine mehr als 50-prozentige Steigerung gegenüber 2014 zugebilligt. Sie haben Baustellen ohne Ende, die Sie nicht wirklich angehen. Mutig, liebe Kolleginnen und Kollegen, sieht an

(Ulrike Sparr)

ders aus, als 3 700 Meter ausnahmedurchlöcherte Durchfahrtsverbote in Hamburg zu installieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Luftreinhalteplan ist auf Kante genäht und er gewährt eine achtjährige Übergangsfrist, die Sie eigentlich nicht verdient haben. Der Luftreinhalteplan ist, wenn man ihn liest, mehr das Werk von Statistikern und Mathematikern, als er eine Sammlung von Fakten ist. Dazu zählt mit Sicherheit, dass das Luftmessnetz in Hamburg immer weiter abgebaut wird und immer mehr durch statistische Modelle substituiert werden soll. Wenn wir dann in die Literaturliste dieses Luftreinhalteplans schauen, stellen wir interessanterweise fest, dass an drei Stellen tatsächlich noch Platzhalter für bisher unveröffentlichte Berichte aufgeführt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine solche Leistung, die jetzt zur öffentlichen Anhörung ausgelegt wird, ist gelinde gesagt eine Schlechtleistung. Das ist ein Vertrauensvorschuss für einen Senat, der diesen nicht verdient hat aufgrund seiner bisherigen Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu den Dingen, die aus diesen Zahlen hervorgehen sollen, gehört natürlich auch die wundersame Verminderung der ursprünglich einmal 220 000 von der Luftverschmutzung Betroffenen, die jetzt auf 40 000 Betroffene reduziert worden sind. All das gälte es wirklich einmal nachzuweisen und mit Fakten zu belegen.

(Dr. Monika Schaal SPD: Das können Sie ja mal nachrechnen! Sie können doch so was!)

Das habe ich in diesem Luftreinhalteplan nicht gefunden.

Die Datenbasis ist unvollständig und damit für mich untauglich. Das macht mich an dieser Stelle genauso sprachlos, wie die Luftqualität in Hamburg Bürgerinnen und Bürger atemlos macht.

(Beifall bei Sabine%oeddinghausund&hriV- tiane Schneider, beide DIE LINKE)

Es muss mehr passieren. Wir müssen schneller und mutiger – wobei mutiger eine Steigerung von mutig wäre, und mutig kann ich an dieser Stelle nirgendwo feststellen –,

(Beifall bei der LINKEN)

wir müssen also schneller und mutig zu Maßnahmen greifen. Der einzige Mut, der angesichts dieses Luftreinhalteplans wirklich bewiesen worden ist, ist, mit König Olaf über Durchfahrtsverbote zu sprechen. Das war Mut, den Sie bewiesen haben. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Nächstes erhält das Wort Herr Dr. Duwe von der FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Luftreinhalteplanung in Hamburg ist eine unendliche Geschichte. Die Älteren unter uns werden sich vielleicht erinnern: 2004 wurde der erste Luftreinhalteplan erstellt, 2012 wurde er fortgeschrieben. 80 Maßnahmen standen darin. Von diesen 80 Maßnahmen sind bisher elf durchgeführt worden und 69 noch nicht. Jetzt haben wir eine zweite Fortschreibung, die vor allen Dingen der Tatsache geschuldet ist, dass betroffene Menschen vor Gericht gegangen sind, vor dem Verwaltungsgericht recht bekommen und beim zweiten Mal sogar erreicht haben, dass ein Ordnungsgeld für die Stadt verhängt würde, falls nicht bis Ende Juni 2017 ein Luftreinhalteplan erstellt wird. Und was hat der Senat gemacht? Er hat gearbeitet und wir haben den Entwurf eines Dokuments, auf dem "Luftreinhalteplan" steht. Wenn man sich dann aber anschaut, was darin steht oder nicht darin steht und welche Maßnahmen vorgeschlagen werden – ohne Priorität, ohne Preisschild, und ob das nun wirklich alles so klappt, wie man sich das vorstellt … –, ist mein persönlicher Eindruck am besten bildlich zu beschreiben. Vielleicht kennen Sie die Eishockeyschläger-Theorie von der Erderwärmung. Bis 1900 geht es gerade weg und von 1900 an mit einem Mal wahnsinnig hoch. Wenn Sie die Kurve der CO2-Emissionen in Hamburg anschauen, ist sie am Anfang auch immer relativ gerade. Dreht man den Eishockeyschläger jetzt einmal um 180 Grad, geht es von 2014 an mit einem mal rapide abwärts und 2025 landen wir wie durch ein Wunder unterhalb aller Grenzwerter.

(Wolfgang Rose SPD: Das waren aber 90 Grad!)

Das sind 180 Grad.

Aus meiner Erfahrung als Gutachter in diversen Umweltangelegenheiten sage ich Ihnen, wenn ich so eine Prognose als Ergebnis meines Modells gesehen hätte, hätte ich mir gesagt: Das kann gar nicht sein. Das muss ich noch 27-mal überprüfen, ob das wirklich so sein kann. Denn wenn ich das veröffentliche, wird mir jeder sagen: Ist ja toll. Der Senat hat es bei Ihnen bestellt und es kommt genau das Ergebnis heraus, das er haben wollte.

Ich glaube das nicht. Es gab einmal einen grünen Bundesaußenminister, der gesagt hat: I am not convinced. Und das sage ich hier auch: I am not convinced durch diesen Reinhalteplan.