Wir brauchen sehr dringend eine Antiarmutsstrategie. Es ist wirklich eine Zumutung für die Menschen, die es betrifft, wenn Sie dann von einem neuen SPD-Fraktionsvorsitzenden hören müssen, dass Hamburg schon alles richtig mache und dass es da überhaupt keinen Lernzuwachs gibt in Richtung, man müsse nachlegen und mehr machen. Wir wollen Ihnen erzählen, dass man sehr konkret auch auf Landesebene eine Menge machen kann, und deswegen werde ich ein paar konkrete Beispiele nennen.
Der neue Senat könnte sein eigenes Arbeitsmarktprogramm ernst nehmen und an den eh schon wenig ehrgeizigen Zielen nicht noch Abstriche machen, wie jüngst geschehen beim Projekt Tagwerk. Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten in Hamburg könnte der neue Senat die Grundsicherung im Alter deutlich erhöhen. Nehmen Sie ein weiteres Mal die Stadt München als Vorbild. Dort liegt die Grundsicherung weit über dem Bundesdurchschnitt. Das kann und das muss sich auch eine so reiche Stadt wie Hamburg leisten.
Der neue Senat könnte zur Linderung von Armut sofort ein kostenfreies Frühstück in den Kitas einführen, eine weitere Aufstockung der Landesmittel zu den BuT-Paketen veranlassen und gebührenfreie Zugänge für junge und alte Menschen zu kulturellen und sportlichen Aktivitäten schaffen. Natürlich muss er die offene Kinder- und Jugendarbeit ausbauen und nicht weiter kürzen.
Sie selbst haben in Ihrem Koalitionsvertrag hier einen Schwerpunkt gesetzt. Wie viel wert ist er Ihnen eigentlich selbst? Auf jeden Fall keinen zusätzlichen Cent – und das ist echt bitter.
Viele Bezirke fassen gerade interfraktionelle Beschlüsse, alle mit demselben Petitum an den neuen Senat: Gib den Bezirken mehr Mittel für die Kinder- und Jugendarbeit, für präventive Arbeit mit den Familien, für Beratungs- und Unterstützungsangebote und die flächendeckende, aufsuchende Seniorenarbeit. Hier läge ein wesentlicher Schlüssel für ein wirkliches Zusammenwachsen in den Stadtteilen, wenn Sie als Senat das endlich erkennen würden.
Ich hoffe sehr, dass Sie, Herr Tschentscher, anders als Ihr Vorgänger die Bezirke in ihren Bedarfen endlich ernst nehmen und dass Sie das auch im kommenden Doppelhaushalt abbilden werden.
Der neue Senat könnte auch deutlich mehr in Schulen investieren, für die Grund- und Stadtteilschulen, für die Inklusion und die Beschulung der geflüchteten Kinder und Jugendlichen. Die Schulen in den sogenannten sozial belasteten Gebieten bräuchten zudem ein besonderes Unterstützungsprogramm, in dem mehr Lehrkräfte Unterrichtsentlastung bekommen und die Klassen kleiner werden. Alle inklusiv arbeitenden Klassen bräuchten eine durchgehende Doppelbesetzung. Sie reden an der Realität der Schulen vorbei, wenn Sie hier nicht genau hingucken und nachbessern.
Sie legen nämlich im Moment selbst die Lunte an Ihren heiß begehrten Schulfrieden. Er lodert an allen Ecken und Enden; man muss nur genau hinschauen.
Der Senat könnte Sorge tragen für eine gute ärztliche Versorgung in allen Stadtteilen und verbesserte Rahmenbedingungen in der Pflege, sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für die Beschäftigten, schaffen. Die Volksinitiative hat dies mit knapp 30 000 Unterschriften gerade eindrücklich belegt. Auch hier könnte der neue Senat handeln. Er könnte gesetzlich festlegen, dass es einen bestimmten Personalschlüssel gibt, und da kann er sich gar nicht wegducken, weil ihm das andere Länder schon vorgemacht haben.
Der neue Senat könnte sofort ein wirksames Konzept zur Vermeidung von Obdachlosigkeit bzw. zur Unterstützung von obdachlosen Menschen vorlegen und umsetzen. Es ist völlig verrückt und völlig inakzeptabel, dass in einer so reichen Stadt wie Hamburg so viele arme Menschen auf der Straße leben müssen.
Last, but not least, Herr Bürgermeister: Setzen Sie sich Ihren Möglichkeiten entsprechend auf allen Ebenen dafür ein, den todbringenden Export von Rüstungsgütern und Munition durch den Hamburger Hafen zu unterbinden. Das wäre ein sinnvoller Beitrag zur Bekämpfung der Fluchtursachen.
Zum Schluss in eigener Sache: Ich fände es auch einen demokratischen Mehrwert hier im Parlament, wenn Sie auch der Arbeit der Opposition in Zukunft mehr Wertschätzung entgegenbrächten als Ihr Vorgänger.
Vielleicht würden Sie damit auch die eine oder andere Volksinitiative vermeiden, anstatt ihnen mit dem Gang vor das Verfassungsgericht zu drohen, wenn sie eine angemeldet haben.
Zum Schluss möchte ich noch einmal unser Angebot einer gemeinsamen Allianz erneuern, die auf sozialen Zusammenhalt und die Einhaltung von Grundrechten setzt, um menschenverachtenden und unsozialen Tendenzen im Parlament und in der Stadt entgegenzuwirken.
In diesem Sinne, Herr Bürgermeister, wünsche ich Ihnen eine glückliche Hand in Ihrem neuen Amt. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Boeddinghaus. – Es erhält als Nächster das Wort Herr Kruse von der Fraktion DIE LINKE.
Sehr geschätzter Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zu einigen Vorrednern, die hier jetzt vor mir gesprochen haben, habe ich mir die Mühe gemacht, mich mit der Regierungserklärung des Ersten Bürgermeisters auseinanderzusetzen, und dazu möchte ich jetzt auch gern reden.
Herr Tschentscher, Sie haben gesagt, Hamburgs beste Tage lägen noch vor uns. Das ist Ihre Aussage. Sie sind mit dieser Aussage quasi ins Amt gestartet und wir als Freie Demokraten unterstützen die positive Grundhaltung, die diese Aussage beinhaltet.
Sie nimmt sich ein positives Ziel vor, und das in Zeiten einer unruhiger werdenden Welt. Sie formuliert aber auch einen hohen Anspruch, denn Sie werden sich daran messen lassen müssen, dass Sie für das Erreichen dieser Ziele nur wenig Zeit haben werden. Wir wünschen Ihnen viel Glück dabei. Aber Sie legen die Latte für sich selbst sehr hoch.
Nur, damit Hamburgs beste Tage auch vor uns liegen, müssen Sie in Ihrer Politik die richtigen Schwerpunkte setzen. Dafür reicht eine positive Grundeinstellung dann nicht mehr aus. Dafür müssen Sie mutige Politik machen und auch ein
bisschen Leidenschaft zeigen. Mutig und leidenschaftlich war das, was wir hier heute von Ihnen gehört haben, nicht. Zwischenzeitlich war ich mir gar nicht sicher, ob nicht noch Herr Scholz zu uns spricht. Herr Tschentscher, ein uninspiriertes "Weiter so!" wird nicht reichen, um Hamburgs Potenziale voll auszuschöpfen.
Wir brauchen Trendwenden für die wichtigen Zukunftsziele in Digitalisierung, Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Bildung. Ich finde es mehr als bezeichnend, wenn sich die Regierungsfraktionen, Herr Kienscherf und Herr Tjarks, schon gar nicht mehr anwesend, hier ausschließlich an Herrn Trepoll abarbeiten. Das sagt wirklich sehr viel darüber aus, wie viele eigene Inhalte Sie hier eigentlich zu bieten haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Das lag an seiner Rede, die war so schlimm!)
Das größte Zukunftsthema in unserer Zeit in Deutschland, in Hamburg, die Digitalisierung, ist bei Ihnen ein absolutes Randthema. Es ist das Thema par excellence, das wie kein anderes Thema für Fortschritt und Entwicklung steht. In einer Zeit, in der die Geschwindigkeit von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderung zunimmt, muss allerdings auch der Staat agiler werden und es ist Ihre Aufgabe, Herr Tschentscher, dafür jetzt die Weichen zu stellen.
Wer sagt, dass Hamburgs beste Tage vor uns liegen, muss die Digitalpolitik zu seinem Schwerpunkt machen. Wenn wir dann die Regierungserklärung eine halbe Stunde vor Beginn der Sitzung in Papierform per Boten zugestellt bekommen,
Dazu fallen uns sehr viele Themen ein, die unter Ihrer Hand jetzt leider nicht mit dem nötigen Tempo angegangen werden. Fangen wir einmal an mit dem Breitbandausbau. Der Bund stellt uns seit 2015 über 15 Millionen Euro für den Anschluss unterversorgter Gebiete zur Verfügung. Allein der Senat hat es nicht vermocht, die Ausschreibung zu finalisieren. Blockieren Sie den Glasfaserausbau nicht mehr, beschleunigen Sie ihn.
Denn wie so oft ist es die Stadt, die die größten Hürden an dieser Stelle setzt. Ich habe letzte Woche mit einem Unternehmer gesprochen, der am
Breitbandausbau in dieser Stadt arbeitet. Er hat mir erklärt, 100 Kilometer Leitungsausbau brauchten mehrere tausend Einzelgenehmigungen. Es wäre an Ihnen, die Stadt und die Verwaltung effizienter zu machen, damit der Breitbandausbau nicht bis 2025 gelingen kann, sondern damit wir ihn noch in diesem Jahrzehnt abschließen können.