Protokoll der Sitzung vom 14.11.2018

(Farid Müller GRÜNE: War!)

Das steht doch gar nicht außerhalb der Diskussion; das muss auch Rot-Grün aushalten. Aber es ist etwas anderes, solche konkreten Punkte zu diskutieren, als über die Verwahrlosung der Stadt, die Ge

sellschaft und alles Mögliche zu reden und zu lamentieren. Und dann kommt der versiffte 68er und was Sie uns noch alles erklären wollen. Das sind zwei verschiedene Themen, und es besteht auch kein Interesse daran, konkrete Diskussionen über Probleme zu führen, die wir dringend in dieser Stadt brauchen.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich will Ihnen auch sagen: Natürlich gibt es eine Auseinandersetzung in dieser Stadt. Im Zusammenhang mit Grünflächen habe ich das eben schon gesagt, auch im Zusammenhang mit Graffiti, über die man sich auseinandersetzen muss. Auch in meiner Fraktion gibt es da große Unterschiede. Ich selbst wohne an der Sternschanze, bin begeistert von dem, was dort zum Teil gemacht wird, bin etwas genervt davon, dass bei mir in der Straße Hunderte von Besuchern vorbeikommen, die dort die Graffiti fotografieren, Künstler, die sich das angucken und in die Welt herumposten mit dem Ergebnis, dass immer noch mehr kommen. Auch diese Seite kann man kritisch sehen. Aber es ist natürlich auch so, dass Graffiti schon immer etwas war, von dem Sie wahrscheinlich gar keine Vorstellung haben: Freiheit von Ausdruck und Kunst, das ist zum Teil auch in Graffiti auszudrücken.

(Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und bei Wolfgang Rose SPD)

Damit müssen Sie sich auch auseinandersetzen. Das ist natürlich auch ein Teil lebendiger Stadtgesellschaft. Mein Problem ist dabei Folgendes: Man kann sagen, Sie sind nicht fähig dazu, in einer Stadtgesellschaft Politik zu machen.

(Zuruf: Ja!)

Das ist okay. Das Problem ist, dass es trotzdem sehr gefährlich ist, was Sie machen, denn gleich hinterher kommt Herr Nockemann

(Dr. Alexander Wolf AfD: Ja, genau!)

und stellt hinter jeden Graffitimaler irgendeinen Polizisten. Was wird das für eine Gesellschaft sein, die wir dann dort erleben? Was bedeutet diese autoritäre Art und Weise nach dem Motto, wir sind mit Polizeistaat in der Lage, diese Probleme zu lösen?

Dann geht es noch weiter, denn Sie sind zum Beispiel auch gegen Scheidungen, das sei auch eine Verwahrlosung der Gesellschaft, wie ich mitbekommen habe, Höhepunkt sei die Familie, die aufrechtzuerhalten ist. Auch das mit Polizeistaat durchzusetzen funktioniert nicht. Sie sind nicht realitätstauglich,

(Dennis Gladiator CDU: Sie auch nicht!)

dafür müssen Sie das einigermaßen hinbekommen, und Sie sind gefährlich für diese Stadt und für die Gesellschaft.

(Ulrike Sparr)

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Meyer das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass ausgerechnet die AfD-Fraktion die Verwahrlosung von Stadt und Gesellschaft thematisiert, finde ich bemerkenswert.

(Beifall bei der FDP, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

So sind es doch immer wieder die Anheizer aus Ihren Reihen, meine Damen und Herren hier vom rechten Rand des Hauses, die bewusst die Grenzen des guten Geschmacks, des Anstands und des respektvollen Miteinanders überschreiten.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Auch wenn Sie in der Aktuellen Stunde nur auf die sichtbaren Verwahrlosungen abheben möchten, so ist doch die unsichtbare Verwahrlosung von Sprache und Gedankengut für unsere Gesellschaft das größere Problem.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN – Dirk No- ckemann AfD: Was für ein Bogen!)

Sie hatten uns in der letzten Bürgerschaftssitzung am 1. November gleich zwei Anträge vorgelegt, die sich mit dem Thema Graffiti, Kunst oder Schmiererei, je nachdem, wie man das beurteilen mag, befassten. Für eine Fraktion, die sich mit Kunst und Kultur ansonsten eher schwertut, fand ich das schon sehr beachtlich.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜ- NEN)

Wenn Sie sich erinnern, hatten wir Ihren Anträgen sogar zugestimmt, denn Verteilerkästen zu verschönern und auch die Bahn als eines der größten Graffitiopfer einzubeziehen, hatten wir befürwortet.

(Dr. Monika Schaal SPD: Passiert ja ohne- hin!)

Heute bescheren Sie uns später allerdings noch einen Antrag, der unter anderem eine Meldestelle fordert, und da hört unsere Zustimmungsfähigkeit dann auf. Meldestellen für Graffitikunst gibt es bereits in dieser Stadt. Es sind die örtlichen Polizeireviere, in denen Sie Anzeige wegen Sachbeschädigung erstatten können.

(Dirk Nockemann AfD: Wer verfolgt das? Niemand!)

Herr Nockemann, hören Sie doch zu.

Das Problem ist nur, dass es meist bei den Anzeigen bleibt und eine Aufklärung dieser Straftaten nur in den seltensten Fällen stattfindet. Und da sind wir dann bei der grundsätzlichen Feststellung, dass es dem rot-grünen Senat nicht gelingt, Menschen ausreichend vor Straftaten zu schützen, geschweige denn geschehene Taten aufzuklären und die Justiz so auszustatten, dass schnelle und effektive Verurteilungen von Straftätern möglich sind.

(Beifall bei der FDP)

Den Ansatz, in öffentlichen Räumen Graffitikunst zu fördern, unterstützen wir Freie Demokraten gern und mit Überzeugung. Sachbeschädigung aber, egal, ob an öffentlichem oder privatem Eigentum, muss als solche benannt und mit aller juristischer Konsequenz verfolgt und geahndet werden.

(Beifall bei der FDP)

Hier ist Rot-Grün gefordert, den Pfad des Laissezfaire endlich zu verlassen und mehr Verantwortung für unsere Stadt und unsere Bürgerinnen und Bürger zu übernehmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Flocken.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Volksvertreter! Graffiti schaden einer Gemeinschaft einmal direkt materiell und dadurch, weil sie antisoziales und kleinkriminelles Verhalten fördern, am besten nachgewiesen von Kaiser in Groningen, Holland, 2008, aber auch von vielen anderen.

Was wissen wir über die Motivation der Schmierer? Die Uni Potsdam hat dazu eine hervorragende Untersuchung vorgelegt, eine Vorstudie mit offenen Interviews und eine Hauptstudie mit Fragebogen, je 150 online und offline. Natürlich kommen nur bewusste oder bewusst werdende Motive und solche, die offen kommuniziert werden, damit zur Erfassung. Die Ergebnisse sind wenig überraschend: Es ist der Kick, ähnlich wie bei Extremkletterern, den illegale Sprayer erleben. Das wissen wir alle. Außerdem andere Motivationen wie Kreativität, das Gruppenerlebnis, einige empfinden einen Lebenssinn, Anerkennung oder ein Flow-Erlebnis, das ist auch alles so weit bekannt.

Nun vier Ergebnisse, die manchen überraschen. Erstens: Allgemeine Ablehnung der Gesellschaft ist selten. Sie kommt vor, aber nur bei deutlich weniger als 10 Prozent der Schmierer. Das ist auch verständlich, zumal heute, einige Jahre nach der Studie, wo man mit einer Aussage wie Deutschland ist sch… – na ja, ich spreche es nicht aus – vom Bundesaußenminister gelobt werden und vom Bundespräsidenten eingeladen werden kann, und die Bundestagsvizepräsidentin läuft solchen Sprü

(Norbert Hackbusch)

chen hinterher. Wie soll man mit solchen Sprüchen überhaupt noch provozieren?

Zweitens: In der Szene leben ein starker Leistungsgedanke und ein Konkurrenzverhalten. Wie man das umlenken kann, darauf gehe ich jetzt nicht ein.

Drittens: Herr Ehlebracht, durch legales Schmieren kann illegales nicht verhindert werden. Ich kann mich erinnern, vor 14 Jahren, als ich in England war, wurde dort intensiv über diese Frage auf einer sehr dünnen Faktenbasis diskutiert. Heute liegen diese Fakten vor, und es ist eindeutig: Durch legales Schmieren kann illegales nicht verhindert werden. Diejenigen, die die Gelegenheit bekommen, legal zu schmieren, schmieren meist illegal weiter.

Viertens: Ab 20 Jahren hören fast alle Schmierer auf. Weshalb? Da gibt es verschiedene Gründe. Erstens der Verfolgungsdruck, der Fahndungsdruck, die konsequenten Urteile in Strafverfahren und Zivilverfahren, anschaulich, wenn Sie das Straßenbild zwischen München und Berlin vergleichen. Zweitens ein Phänomen, das viele von Ihnen vielleicht aus dem persönlichen Umfeld bei Sportlern kennen: Jugendliche, die sehr ambitioniert Sport treiben, erreichen irgendwann ein Level, das sich nicht mehr ohne unmäßige Anstrengung verbessern lässt. So ist das auch bei den Sprayern, und die hören dann auf.

Fünftens, das ist das Lieblingsthema der LINKEN: Die drohende Verelendung durch schlechte Arbeitsbedingungen, Nachtschichten, unzulänglichen Arbeitsschutz, das Risiko von Arbeitsunfällen, immer wieder auch tödlichen, giftigen Materialien ist man exponiert. Es ist die sehr schlechte Bezahlung, die Arbeitskleidung und Materialien müssen selbst gestellt werden, zudem das Risiko von lästigen Konflikten mit Lehrern, Eltern, Spießern und Gerichten.

Wenn man jetzt genauer wissen will, wo man in das Motivationsgefüge eingreifen kann, dann muss man eine Longitudinalstudie machen zur Motivationsforschung, zur Aussteigerforschung. Diese Studien sind lange überfällig und könnten vielleicht hier in Hamburg gemacht werden. – Vielen Dank.

Das Wort bekommt Herr Nockemann für die AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat schon eine sehr skurrile Debatte, die wir hier führen.

(Lachen bei der SPD)

Die AfD meldet zu Recht das Thema Verwahrlosung und Graffiti in dieser Stadt an.