Protokoll der Sitzung vom 22.05.2019

von Rechtsstaatlichkeit und von zentralen Grundrechten gestärkt aus den Wahlen hervorgehen, eine Verachtung, die, wie man zweifelsfrei seit Ende letzter Woche weiß, einhergeht mit dem Bestreben, den Staat zur Beute zu machen?

Nein, dieses Strache-Video, diese öffentlich gewordene Selbstentblößung ist nicht Ausrutscher eines Einzelnen. In dankenswerter Klarheit macht dieses Video das Politik- und Staatsverständnis der europäischen Rechten deutlich, von der Pressefreiheit bis zu illegalen Spenden. Auch die AfD demonstriert dieses Verständnis täglich.

Nach dem Video verlor die FPÖ 5 Prozent in den Umfragen, doch die Töne, die am Tag danach beim gemeinsamen Auftritt der rechten Nationalisten aus elf europäischen Ländern in Mailand zu hören waren, lassen ahnen, dass sich die europäische Rechte weiter radikalisiert. Da wurden die Wahlen als Referendum zwischen Leben und Tod – Leben und Tod – bezeichnet. Und da kündigte man Widerstand und Rückeroberung an – Rückeroberung. Da wurde das kriegerische Bild bemüht vom wahren Soldaten, der nicht kämpft, weil er hasst, was vor ihm liegt, sondern liebt, was hinter ihm liegt.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Pfui!)

Drohungen, die sich gegen die europäischen Eliten, vor allem aber und unmissverständlich gegen in Europa lebende Menschen, Europäerinnen und Europäer mit Migrationsgeschichte, richten, die zum Feind erklärt werden. In dieser "Schwarzen Internationale", wie die italienische Presse die versammelte europäische Rechte nannte, war die AfD mit Herrn Meuthen dabei.

An demselben Wochenende sind in Hamburg 15 000 Menschen unter dem Motto "Ein Europa für Alle – Deine Stimme gegen Nationalismus!" auf die Straßen gegangen, viele Zehntausende in anderen deutschen und europäischen Großstädten. Das waren große, bunte Demonstrationen, die auf die Rechtsentwicklung eindrucksvolle Antworten gegeben haben.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, den GRÜ- NEN, der FDP und bei Nebahat Güçlü frakti- onslos)

Pro-europäische Antworten. Antworten, die aber auch deutlich machen, dass Europa sich ändern muss, wenn es eine Zukunft haben will, wie es im Aufruf hieß. Wann hat es so große Demonstrationen für Europa schon einmal gegeben? Sie sind Ausdruck dessen, dass das aktive Interesse an Europa wächst. Sie zeigen, dass sich in Auseinandersetzung mit dem erstarkenden Nationalismus, aber auch mit dem Zustand der EU, mit der Abschottung, mit den neoliberalen Konzepten, die die soziale Zerklüftung vertiefen,

(Zuruf von Michael Kruse FDP)

mit Aufrüstung und Waffenexporten und so weiter eine gesellschaftliche Diskussion entwickelt, wie es mit Europa weitergehen muss, damit es weitergehen kann.

Diese Debatte ist eine große Chance. Sie ist auch eine Herausforderung für uns. Wir als demokratische Parteien müssen zuhören und die Diskussion mit allen führen, die die EU sozial, solidarisch und demokratisch weiterentwickeln wollen. Wir müssen diese Diskussion auch miteinander führen. Wir müssen Argumente austauschen. Wir können uns streiten, von mir aus auch heftig. Aber eines muss aufhören: die Relativierungen der Gefahr, die von der Rechtsentwicklung, von Nationalismus und Rassismus ausgehen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, den GRÜ- NEN und bei Ewald Aukes FDP und Neba- hat Güçlü fraktionslos)

Die ÖVP hat mit ihrer Koalition mit der FPÖ das politische Koordinatensystem in Österreich deutlich nach rechts verschoben. Nach dem Auseinanderbrechen der Koalition rudern auch die konservativen Kräfte in der CDU zurück, die bis dato mit einer Zusammenarbeit mit der AfD offen sympathisiert haben.

(André Trepoll CDU: Welche denn? Wer war das denn?)

Bei dieser Absage soll es bitte bleiben.

Sachsen zum Beispiel. Auch Sachsen.

(André Trepoll CDU: Ach! Stimmt doch gar nicht!)

Aufhören muss die Delegitimierung von Antifaschismus wie jüngst durch Innensenator Grote, der etwa die Verteidigung des multikulturellen Anspruchs Altonas durch die Antifa Altona Ost gleichsetzt mit Angriffen auf das interkulturelle Zusammenleben durch extreme Rechte.

Und dass Sie, Herr Tjarks, uns in Ihrem "Welt"-Interview mit der AfD gleichsetzen und davon schwadronieren, wir kannibalisierten uns mit der AfD um Protestwähler, das ist eine billige Polemik auf Kosten eines antifaschistischen Grundkonsenses.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Lassen Sie uns streiten, aber lassen Sie uns das demokratische und friedliche Zusammenleben gegen Nationalismus und Rassismus verteidigen, in Hamburg und in Europa. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Herr Ilkhanipour bekommt nun das Wort für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren!

"Was willst du überhaupt? Als Rucksackdeutsche hast du hier gar nichts zu melden."

"Geh doch zurück in dein Terrorland, wo du herkommst."

"Dich kriegen wir auch noch."

Das sind nur drei Beispiele aus meinem persönlichen Bekanntenkreis und bei Weitem nicht die schlimmsten, denn mit Rücksicht auf den parlamentarischen Sprachgebrauch halte ich mich hier zurück. Drei Beispiele, was sich Frauen und Männer mit Migrationshintergrund seit geraumer Zeit anhören müssen. Ich sage das, weil wir, wenn wir über das Erstarken von Rechtspopulismus und extremismus sprechen, häufig abstrakt auf die Gefahren hinweisen, auf die Bedrohung unserer Demokratie, unsere Meinungs- und Pressefreiheit, unser friedliches Zusammenleben. Dies auch zu Recht, denn schließlich bedroht keine Gruppe von Menschen den Frieden in Europa und unsere freiheitlichen Werte mehr als die Rechtspopulisten, Rechtsextremen und Neofaschisten.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LIN- KEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos, Carl-Edgar Jarchow und Michael Kruse, bei- de FDP)

Aber was wir selten tun, ist, auf die vielen Tausend Nadelstiche zu achten, die Menschen in unserem Umfeld ganz konkret seit geraumer Zeit jeden Tag erleben, auf die Frauen und Männer, die immer häufiger Hass, Anfeindungen und Beleidigungen ausgesetzt sind. Und wenn man von irgendeinem Erfolg der Rechtspopulisten da draußen und auch hier im Haus sprechen kann, dann doch, dass sie mit ihrer Rhetorik dafür gesorgt haben, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger verbal und auch physisch attackiert werden und sich in ihrer Heimat, ob nun Wahlheimat oder gebürtig, nicht mehr wohl- und einige auch nicht mehr sicher fühlen. Sich dort, wo man aufgewachsen ist, nicht mehr willkommen und unsicher zu fühlen, das macht etwas mit einem, das verändert einen.

Und dabei geht es uns in Hamburg, wenn man den Vergleich ziehen mag, noch recht gut. Keine brennenden Unterkünfte, keine von Trommeln begleiteten Fackelmärsche. Die internationale Tradition unserer Stadt, die wachsame Politik, die sich gegen die Gefahren von rechts wehrt – ich erinnere an die Warnung unseres Innensenators vor den "Merkel muss weg"-Kundgebungen –, aber vor allem die großartige Zivilgesellschaft verhinderte Schlimmeres. Und hierfür möchte ich mich bei den Hamburgerinnen und Hamburgern bedanken, die regelmäßig nicht nur ein Zeichen setzen, sondern den unmittelbar Betroffenen auch Kraft geben.

(Christiane Schneider)

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LIN- KEN, der FDP und bei Nebahat Güçlü frakti- onslos)

Deutlich schlimmer sieht es bei unseren europäischen Nachbarn aus, bei denen sich diese Kräfte in den Regierungen festsetzen konnten. Salvinis Vorstoß in Italien, Migrantenkinder zu trennen und nicht mit anderen Kindern essen zu lassen, oder Österreich mit der NS-Rhetorik, Migranten konzentrieren und ihnen eine Sonderbehandlung zuteilwerden lassen zu wollen – in meinen Augen der viel größere Skandal als das, was jetzt durch die Medien geht.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LIN- KEN und bei Anna-Elisabeth von Treuen- fels-Frowein FDP)

Und vor Kraft kaum laufend treffen sie sich, die rechte Internationale in Mailand, die Salvinis, Le Pens, Meuthens dieser Welt. Rechte Internationale, ein Oxymoron par excellence. Und das Treffen, das sie als Erfolg verkaufen, ist in Wahrheit entlarvend, denn auch hier gibt es keine gemeinsamen Lösungen für die Probleme, sondern nur Dagegensein, denn zu mehr ist rechtspopulistische Politik nicht in der Lage. Der gemeinsame Nenner ist reine Destruktivität. Der Unterschied zwischen uns und ihnen ist evident: Wir suchen in all unserer Unterschiedlichkeit nach Lösungen, sie nur nach Problemen.

(Dr. Alexander Wolf AfD: So ein Unsinn!)

Wir machen Politik für die Menschen, sie gegen sie. Wir wollen erschaffen, sie zerstören. Und das ist auch der Grund, weshalb rechte Politik nicht funktionieren kann. Wo immer sie sich durchsetzt, hinterlässt sie Chaos, wie beim Brexit oder in Österreich anschaulich zu sehen ist. Und ja, sie ist auch selbstzerstörerisch, wie man an den AfD-Vorständen und auch an der Selbstdezimierung der Hamburger AfD-Fraktion sehen kann. Aber darauf dürfen und werden wir nicht warten, denn der Schaden, den sie bis dahin anrichten, ist enorm.

Also ist die Botschaft auch klar: Wir werden nicht weichen. Wir werden sie bekämpfen. Aber anders, als sie denken oder hoffen. Denn wenn sie uns jagen wollen, werden wir sie entlarven. Während sie mit den Ängsten der Menschen spielen, appellieren wir an deren Mut. Während sie die dunkelsten Seiten von uns beschwören, bringen wir die besten Seiten im Menschen zum Vorschein. Während sie Lügen über uns verbreiten, erzählen wir die Wahrheit über sie. Und während sie Hass säen, ist Menschlichkeit unsere Antwort.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LIN- KEN, der FDP und bei Nebahat Güçlü frakti- onslos und Jörg Hamann CDU)

Während sich am Wochenende die Rechte Europas zusammengetan hat, um zu überlegen, wie sie

ihr Gift besser verbreiten und Europa und unsere europäische Gesellschaft weiter spalten kann, haben sich Menschen in Hamburg und in ganz Europa versammelt, um für ein offenes und tolerantes und freies Europa zu demonstrieren, ein Europa für uns alle. Und dies war erst der Anfang. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LIN- KEN, der FDP und bei Nebahat Güçlü frakti- onslos und Jörg Hamann CDU)

Für die CDU-Fraktion bekommt jetzt Herr Westenberger das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Schneider, die Hamburger CDU in die Nähe der AfD zu rücken,

(Christiane Schneider DIE LINKE: Nein, ha- be ich auch nicht! – Heike Sudmann DIE LINKE: Wir sind ja nicht in Sachsen!)

das preise ich einmal Ihrer jungen politischen Leidenschaft ein. Und in dem Zusammenhang erlauben Sie mir noch eine Kritik: Das Thema Europa ausschließlich oder so intensiv und leidenschaftlich, wie Sie das in eine Verbindung mit Strache gebracht haben … Ich glaube, da kann Europa mehr, da können wir in diesem Haus mehr für Europa tun, als Sie das in Ihrer doch, wie gesagt, sehr leidenschaftlichen Rede gemacht haben.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Ich glaube, in dieser Zeit und in der Welt, in der wir leben, in der seit 1989 ganze Staatensysteme zerfallen, die noch Ausdruck einer Kolonialherrschaft sind, in der sich politische und wirtschaftliche Macht verschiebt, von Kontinenten zu Kontinenten, hin zu Ländern wie Indien und China, die künftig riesige Marktmächte sein werden, in dieser Zeit müssen wir der Bevölkerung und auch zum Wohle Europas hier aus diesem Hause eine Antwort liefern. Wir müssen den Menschen erklären, warum es sinnvoll ist, mit Europa gemeinschaftlich für unsere Werte und Ziele zu kämpfen, statt sich in eine politische Komfortzone zu flüchten nach dem Motto: Das ist mir alles zu viel, das schaffe ich nicht mehr, das ist mir zu groß, da ziehe ich mich lieber zurück. Ich glaube, wir brauchen eine Bevölkerung, die Ausdruck einer lebendigen Wertegemeinschaft ist. Und ich glaube, wir brauchen eine Gesellschaft, die ihren Wohlfahrtsstaat auch fortentwickeln möchte. Und das ist unsere Aufgabe als Landesparlamente und als Bundesparlament, natürlich der Kollegen im Europäischen Parlament auch, das ganz, ganz weit nach vorn zu tragen.

Es gibt Menschen, die sagen – egal auf welcher Seite dieses Hauses –: Wir haben ganz einfache Lösungen. Das mit der Welt, die zusammen

(Danial Ilkhanipour)