Protokoll der Sitzung vom 22.05.2019

Frau Güçlü bekommt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir müssen uns hier Dinge anhören, die nicht nur unerträglich sind; sie sind falsch und sie sind verlogen durch und durch.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und ver- einzelt bei der LINKEN und der FDP)

Sie haben versucht, sowohl Herr Flocken als auch die AfD, eine sehr wichtige Debatte – und ich bin der LINKEN wirklich dankbar, dass Sie sie angemeldet hat – in eine völlig andere Richtung zu schieben. Aber ich frage Sie: Von wem geht denn diese Gefahr aus in Europa? Es sind Menschen wie Sie, die Ihr Gedankengut teilen und sich einerseits als Hüter der Ordnung gerieren, aber gegen genau diese Ordnung arbeiten und sie abschaffen wollen.

Sie stellen sich hier hin und tun so, als würden Sie für Werte einstehen. Was sind denn Ihre Werte?

(Dirk Nockemann AfD: Das habe ich Ihnen erzählt! Haben Sie nicht zugehört?)

Ablehnung, Respektlosigkeit vor Unterschiedlichkeit? Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt bedingungslos für alle, auch für Menschen, die Sie nicht gern sehen, und genauso für Flüchtlinge, Muslime, Menschen mit Migrationsgeschichte. Es ist ungeheuerlich, mit welcher Rhetorik Sie hier Hass säen, und ich kann Ihnen nur sagen: Sie sind die eigentlichen Hassprediger in unserer Gesellschaft und nicht immer die anderen, auf die Sie zeigen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

Ich möchte Sie, Herr Nockemann, fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass gegen 48 AfD-Mitglieder, teilweise auch Funktionäre, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen laufen wegen Betrug, Korruption, sexueller Nötigung. Das verschweigen Sie hier, Sie sprechen lieber von singulären Problemen. Nein, das sind keine singulären Probleme.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Es ist Ihrem Gedankengut immanent. Sie werden sich damit abfinden müssen, dass wir eine Gesellschaft haben, die in Vielfalt, in Einheit lebt, die Respekt vor dem anderen hat, die die Unterschiedlichkeit wertschätzt, solange alle Menschen die Grenzen, dass sie andere nicht beschneiden, akzeptieren. Aber Sie sind wirklich die Gefahr, Sie sind geistige Brandstifter.

(Dirk Nockemann AfD: Sie haben nichts ver- standen!)

Sie werden sehen, ich habe großes Vertrauen in die Menschen in Europa und ich habe großes Vertrauen in die Wählerinnen und Wähler. Ihre Maske ist schon lange abgefallen und Ihre wahre Fratze hervorgetreten.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LIN- KEN und vereinzelt bei der FDP)

(Dr. Ludwig Flocken)

Frau Güçlü, beim nächsten Mal gilt auch für Sie der parlamentarische Sprachgebrauch. – Jetzt gibt es eine Wortmeldung unseres Ersten Bürgermeisters. Das Wort hat Herr Dr. Tschentscher.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte dann doch wenige Tage vor der Europawahl gern noch einmal den Gedanken der europäischen Einigung in positiver Weise mit unserer Stadt verbinden. Hamburg ist seit jeher eine internationale Stadt. Wir sind, wie wir sagen, das Tor zur Welt. Viele Menschen sind in den vergangenen Jahrhunderten über Hamburg ausgewandert, und viele sind über unseren Hafen zu uns gekommen. Menschen aus über 180 Staaten leben in unserer Stadt, über 600 000 Bürgerinnen und Bürger haben, wie man technisch sagt, einen Migrationshintergrund. Für uns ist es deshalb selbstverständlich, dass unterschiedliche Kulturen und Religionen in Hamburg gemeinsam gelebt werden. Anders als es Populisten weismachen wollen, ist das kein Problem.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LIN- KEN, der FDP, vereinzelt bei der CDU und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Wir sehen diese Vielfalt als etwas Positives, das unsere Stadt lebendig, attraktiv und stark macht, stark für unsere Wirtschaft, stark in der Wissenschaft und in vielen anderen Bereichen, in denen es auf Internationalität und Offenheit ankommt. In diesem Geist haben wir auch viele Flüchtlinge aufgenommen in den letzten Jahren, die zu uns gekommen sind aus sehr, sehr ernsten Gründen. Tausende von ihnen haben mittlerweile eine Ausbildung, Qualifizierung oder Arbeit aufgenommen. Das ist sehr gut für die Integration und es hilft uns in einer Zeit, in der wir eine große Nachfrage nach Arbeitskräften haben. In dieser Offenheit und in diesem Geist gehen wir auch auf Europa zu.

Die Europäische Union hat unerwartet schwere Belastungen überstanden. Viele haben gesagt, daran zerbricht die Europäische Union: an der Finanzmarktkrise, der Staatsschuldenkrise. Aber die Verhandlungen über den Brexit haben gezeigt, Europa hält zusammen. Übrigens, Brexit hin oder her, die Freie und Hansestadt Hamburg gilt als die britischste Stadt Deutschlands. Wir werden auch in den nächsten 100 Jahren sehr gute Beziehungen zu Großbritannien pflegen, ob es nun zu dem Brexit kommt oder nicht. Da bin ich mir bei der internationalen Offenheit ziemlich sicher, die wir gerade gegenüber Großbritannien die letzten 100 Jahre hatten.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Aber es ist uns eben bewusst geworden, dass die europäische Einigung keine Selbstverständlichkeit ist, dass wir uns wieder aktiv dafür einsetzen müssen, denn wir wissen, vieles können wir nur gemeinsam erreichen: Klimaschutz, Wissenschaft und Technologieentwicklung, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, soziale Stabilität und demokratische Freiheit. Wir müssen sehen, die Welt hat sich weiterentwickelt, wir sind nicht mehr da, wo wir vor 40 Jahren waren ohne die Europäische Union. Wir sind allein in Deutschland im internationalen Maßstab gar nicht mehr handlungsfähig. Nur als ein gemeinsames Europa mit über 500 Millionen Menschen sind wir ein ernst zu nehmender Partner, ein starker Partner für andere in der Welt, für China, für Russland, die Vereinigten Staaten. Europa ist kein Problem, sondern es ist die Lösung für vieles, das uns in Deutschland, auch in Hamburg wichtig ist und was wir eben nur in einem gemeinsamen Europa erreichen können: faire Löhne und Arbeitsbedingungen, Fair Trade, gerechte internationale Besteuerung von Unternehmen, künstlerische Freiheit und Urheberrechte, Klimaschutz und vieles mehr. Das alles können wir in Hamburg und in Deutschland allein nicht erreichen, aber in einem gemeinsamen Europa können wir das.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und ver- einzelt bei der FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren! Hamburg ist wirtschaftlich stark und international. Wir sind eine vielfältige Stadt, in der Wohlstand und das Leben seit Jahrhunderten darauf beruhen, dass wir gute Beziehungen in alle Welt pflegen. Es geht bei der Europawahl genau darum: um wirtschaftliche Kraft und Wohlstand, um Demokratie und Freiheit. Deswegen wäre es ein großartiges Signal, wenn gerade die Bürgerinnen und Bürger der Freien und Hansestadt Hamburg an der Europawahl teilnehmen gegen Populismus, für Europa und damit für Hamburg. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD, den GRÜ- NEN, der FDP, vereinzelt bei der CDU und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Herr Dolzer bekommt das Wort für die Fraktion DIE LINKE.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin! Am letzten Wochenende gingen Hunderttausende Menschen in vielen Städten Europas auf die Straße. Sie demonstrierten gegen Nationalismus, gegen Rassismus, die menschenverachtende Flüchtlingspolitik der EU, der zufolge mehr als 50 000 Menschen in den letzten zehn Jahren starben, und gegen die wachsende Bedrohung durch rechtspopulistische und rechtsradikale Kräfte. Dieser Protest ist wichtig und notwendig, denn rassistische und faschistische

Kräfte zu bekämpfen, muss eine der Lehren sein aus Faschismus und Krieg – einem Krieg, der ganz Europa in Trümmer legte, 6 Millionen Jüdinnen und Juden, 500 000 Sinti und Roma, 27 Millionen Menschen aus Russland und vielen weiteren Millionen Menschen aus Deutschland und der ganzen Welt das Leben kostete.

In vielen Ländern Europas sind die radikalen Rechten erneut erstarkt, in einigen Ländern sind sie sogar an der Regierung beteiligt, wie Salvini in Italien, wie die gesamte Regierung in Ungarn oder die FPÖ in Österreich. Dieses Erstarken ist ein Ausdruck einer tiefen Krise der EU, deren Gründe wir nüchtern betrachten und analysieren müssen. Es ist ein großer Skandal, dieses Video, das jetzt aufgetaucht ist, aber eine viel größere besorgniserregendere Entwicklung ist, dass rechte Kräfte wie die ÖVP in Österreich mit der FPÖ – mit Rechtsradikalen – zusammengearbeitet haben. Das darf in Deutschland nicht passieren.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktions- los)

Wer ein vereintes und solidarisches Europa anstrebt, der muss ein Europa anstreben, in dem die Menschen respektvoll und solidarisch zusammenleben. Der muss aber auch die Gründe der Krise hinterfragen. Der muss sehen, dass die neoliberale Politik und die Austeritätspolitik Momente sind, die immer mehr Menschen ausgrenzen in Europa und die südeuropäischen Länder in Krisen getrieben haben – Stichwort Exportüberschüsse aus Zentraleuropa, insbesondere aus der Bundesrepublik, und die Reaktionen, die dort daraufhin passieren. Der muss sehen, dass es eben nicht reicht, eine gleichmachende Politik zu betreiben, wie Herr Tjarks das zum Beispiel gemacht hat. Es ist wichtig, dass wir lechts und rinks nicht verwechseln, wie das einmal gesagt worden ist;

(Dennis Gladiator CDU: Beides ist schlecht!)

ich glaube, das ist eher der Versuch zu kaschieren, dass man die wahren Momente der Krise der Europäischen Union nicht wahrnimmt. Die neoliberale Politik ist momentan gestrandet. Wir müssen das wahrnehmen. Wir müssen wahrnehmen, dass es wichtig ist, Menschen gleiche soziale Rechte zu geben, dass die regionalen Unterschiede ausgeglichen werden müssen, dass der Haushalt in Europa in diese Richtung geht, dass die regionalen Unterschiede ausgeglichen werden, dass die Menschen teilhaben können an der Gesellschaft, und zwar überall. Wenn wir das nicht machen, dann verharmlosen wir die Rechtspopulisten und geben ihnen die Nahrung, auf der sie aufbauen, denn sie bauen auf einer realen Krise auf – mit einfachen Lösungen und ausgrenzenden Lösungen.

Ich vermisse bei SPD und GRÜNEN, dass Sie auf dieses Argument eingegangen sind. Wir müssen

die Rechten wirklich stark bekämpfen und das, was dahintersteht. Sie müssen die Krise sehen und auch Ihre Verantwortung dafür, und deshalb: ganzheitliche Verantwortung für die Krise.

(Beifall bei der LINKEN – Dirk Kienscherf SPD: Sie sind doch auch ein Populist!)

Herr Giffei hat das Wort für die SPD-Fraktion.

(Zuruf)

– Ob ich das erfüllen kann, da bin ich mir nicht sicher.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig und notwendig, gerade jetzt vor der Europawahl nachdrücklich auf die Gefahren hinzuweisen, die das Erstarken der autoritären Nationalisten für die europäische Idee und die Europäische Union bedeuten. Die meisten meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben das Notwendige dazu bereits gesagt. Ich teile aber auch die in dem Titel der Aktuellen Stunde zum Ausdruck kommende Analyse, dass diese besorgniserregenden Entwicklungen ein Symptom von Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte sind. Es waren auch die blinde Deregulierung und Liberalisierung vor allem der Finanzmärkte, die zum großen Crash 2008 führten, die Bankenrettung notwendig machte und die sogenannte Eurokrise maßgeblich auslöste. Die Folgen waren große soziale Verwerfungen zwischen den und innerhalb der Staaten der Europäischen Union.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Europäische Union wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie ihren Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit bietet. Die Sozialdemokraten sind jedoch davon überzeugt, dass dies vor allem auch soziale Sicherheit bedeutet, soziale Sicherheit und die Perspektive, im Miteinander gemeinsam und nicht auf Kosten anderer die eigene Lebenssituation schrittweise verbessern zu können. Das meinen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Deutschland und Europa, wenn wir vom sozialen Europa sprechen, und dafür werben wir am nächsten Sonntag.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Was für Europa gilt, gilt auch für Hamburg. Es gilt, wachsam zu sein im Bereich des Rechtsextremismus und im Hinblick auf die nationalistische Rechte. Das ist der rot-grüne Senat durch ein aufmerksames Landesamt für Verfassungsschutz und auch im Bereich der Prävention durch das etablierte und erfolgreiche Landesprogramm "Hamburg – Stadt mit Courage", dessen tragender Bestandteil das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus ist. Vor allem aber gilt es, durch eine aktive soziale

(Martin Dolzer)

Politik dazu beizutragen, dass die Fliehkräfte in unserer Gesellschaft gemindert werden. Dieses Ziel steht im Zentrum der Politik dieser Koalition und dieses Senats:

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

durch eine ehrgeizige und erfolgreiche Wohnungsbaupolitik, durch die Ausschöpfung der verfügbaren Instrumente zum Schutz der Mieterinnen und Mieter, durch einen tariflichen Mindestlohn von 12 Euro bei allen bei der Stadt selbst Beschäftigten, durch zahlreiche Maßnahmen im Bereich der guten Arbeit, durch flächendeckende, kostenfreie Kitas, durch flächendeckendes Ganztagsschulangebot und durch eine ambitionierte und engagierte Integrationspolitik. Es ließe sich noch viel mehr anfügen.

SPD und GRÜNE arbeiten kontinuierlich für das soziale Hamburg. Zum einen, weil es gerecht ist, aber nicht zuletzt auch, weil es – und vielleicht ist uns das heute wieder bewusster als noch vor 15 Jahren – eine wichtige Voraussetzung für eine stabile, an den Werten des Grundgesetzes orientierte Demokratie ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Herr Westenberger bekommt das Wort für die CDU-Fraktion.