Protokoll der Sitzung vom 15.03.2000

(Präsident Hinrich Kuessner übernimmt den Vorsitz.)

Wir sehen zwei Möglichkeiten, dieses in der Praxis umzusetzen: Die eine Möglichkeit ist, dass in der Rechtsvorschrift – sei es Gesetz, sei es Rechtsverordnung, die die Aufgabe überträgt – auch die Mittelübertragung geregelt wird oder dass alternativ die Mittelübertragung im FAG geregelt wird. Beide Varianten sollten möglich sein. Wesentlich ist, dass die Mittel für den Zeitpunkt an berechnet werden, an dem die Aufgabenübertragung erfolgt, gegebenenfalls auch rückwirkend. Wir wollen also einen engen sachlichen, rechtlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Aufgaben- und Mittelübertragung schaffen.

Die nächste Formulierung, die eine genauere Betrachtungsweise verdient, ist die Formulierung „entsprechender finanzieller Ausgleich“. Uns geht es mit dem Wort „entsprechend“ insbesondere darum, die Kosten umfassend zu erfassen, die tatsächlich notwendig sind, um diese Aufgabe zu erfüllen. Und dabei gehen wir von den tatsächlich vorhandenen Zuständen und Umständen aus, also nicht von irgendwelchen fiktiven Idealsituationen, sondern von realen Bedingungen.

Der nächste Punkt, auf den ich verweisen möchte, scheint mir von besonderer Bedeutung zu sein. Und hier haben wir positive Erfahrungen aus Schleswig-Holstein zugrunde gelegt. Wir halten es für eine zentrale Bedingung, dass die Kostenabschätzung – also die Voraussage, wie viel wird es denn voraussichtlich kosten, diese Aufgabe zu erfüllen – nicht allein von der Landesregierung vorgenommen wird, sondern dass diese Kostenabschätzung unter Einbindung der kommunalen Verbände, in der Regel also des Städte- und Gemeindetages und des Landkreistages, vorgenommen wird. Wir halten es für wesentlich und für unverzichtbar, dieses auch im Gesetz festzuschreiben.

Der nächste Punkt, der rein vom Volumen her ein bisschen breiter angelegt ist in unserem Gesetzentwurf, ist die Frage des Gegenstromprinzips. Bei den Diskussionen im Innenausschuss hat uns diese Frage relativ breit befasst. Wir halten es für eine Selbstverständlichkeit, und darin

haben uns auch die Vertreter aus Schleswig-Holstein in der Anhörung bestärkt, dass zwischen Aufgaben- und Mittelübertragung ein enger unauflösbarer Zusammenhang bestehen muss. Dieses kann aber doch im Umkehrschluss nur bedeuten, dass, wenn ich eine Aufgabe übertragen habe und die Mittel übertragen habe, diese Aufgabe zu erfüllen, dass diese Mittelübertragung auch wieder entfällt, wenn ich diese Aufgabe – sei es, weil sie zeitlich befristet war, sei es, weil ich gesetzliche Vorgaben ändere – den Gemeinden wieder wegnehme.

Ich glaube, dass wir vielleicht unangemessen lang über dieses Thema geredet haben, weil der Tatbestand, dass eine Aufgabe den Gemeinden wieder weggenommen wird, ja ein relativ seltener ist. Der umgekehrte Tatbestand – Aufgabenübertragung – geschieht viel häufiger. Dennoch bin ich der Meinung, dass wir auch diesen Tatbestand erfassen sollten mit einer Regelung, wie wir sie hier vorgesehen haben.

Das Ganze bekommen Sie in der Textfassung in mehrfacher Ausfertigung. Das hat etwas damit zu tun, wie unsere Kommunalverfassung aufgebaut ist. Sie finden nämlich identische oder fast identische Texte einmal vorn im Bereich Gemeinde und einmal weiter hinten im Bereich Landkreis. Selbstverständlich müssen wir beide Textfassungen ändern. Deswegen sieht das alles ein bisschen sehr doppelt aus.

Der Ältestenrat schlägt vor, diesen Gesetzentwurf federführend in den Innenausschuss und mitberatend in den Finanzausschuss zu überweisen. Ich schlage Ihnen vor, dass wir diesem Vorschlag des Ältestenrates folgen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Innenminister Herr Timm. Bitte sehr.

(Minister Dr. Gottfried Timm: Ich würde meine Rede noch zurückstellen, um den Änderungs- antrag noch zur Kenntnis zu nehmen.)

Der Änderungsantrag der CDU ist noch nicht da. Sind Sie bereit, trotzdem zu diskutieren, oder wollen wir eine Auszeit machen? Das müssen Sie jetzt sagen.

(Zurufe aus dem Plenum: Auszeit! – Angelika Gramkow, PDS: Vielleicht disku- tieren wir erst und der Innenminister später.)

Eine Auszeit. Gut. Wie lange brauchen wir?

(Dr. Armin Jäger, CDU: Zehn Minuten.)

Wir unterbrechen die Sitzung für zehn Minuten. Ich setze die Sitzung um 17.15 Uhr fort.

Unterbrechung: 17.05 Uhr _____________

Wiederbeginn: 17.14 Uhr

Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.

Als Zwischenmeldung möchte ich Ihnen sagen, dass wir bisher 150 Direkteinschaltungen in die Internet-Übertragung haben.

(Wolfgang Riemann, CDU: Eine Journalistin hat gesagt, das sieht aus wie „Big Brother“.)

Aber es ist ein Unterschied. Wir Politiker im Plenum wollen uns begucken lassen und wollen uns hören lassen.

Das Wort hat der Innenminister Herr Timm. Bitte sehr.

(Beifall Siegfried Friese, SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, wie aufnahmebereit das Publikum für diese wichtige Debatte ist.

Die von Ihnen eingebrachte Änderung der Kommunalverfassung enthält mehr als nur eine Bestätigung oder Wiederholung dessen, was in der Landesverfassung formuliert worden ist. Vielmehr geht es im Interesse der Kommunen und auch des Landes darum, inhaltliche und verfahrensmäßige Konkretisierungen vorzunehmen, um den Konnexitätsgedanken praxisbezogen für alle Beteiligten und transparent für beide Seiten belastbar zu gestalten. Das hat Herr Müller auch schon angesprochen.

Dementsprechend geht es darum, das Gebot einer Kostenfolgeabschätzung gesetzlich zu verankern. Und konsequenterweise ist vorgesehen, dass diese Kostenfolgeabschätzung unter Beteiligung des Städte- und Gemeindetages sowie des Landkreistages in Mecklenburg-Vorpommern vorzunehmen ist.

Zu einigen Punkten im Einzelnen. In der Kommunalverfassung soll zunächst deutlicher als bisher verankert werden, dass mit der Verpflichtung zur Erfüllung neuer Aufgaben gleichzeitig ein strikter Kostenausgleich zu verknüpfen ist. Es werden alle neuen Aufgaben und Standards erfasst, für deren Erfüllung die Kommunen in die Pflicht genommen werden sollen.

Die vorgesehene Ausgleichsregelung setzt eine klare Prognose hinsichtlich des Umfangs der Ausgleichspflicht voraus. Hier steckt sicherlich der Teufel im Detail, wie ich vermute. Wir wollen es aber mal abwarten. Jedenfalls ist dieses Verfahren nun auf den Weg gebracht.

Diese Prognose soll durch eine Kostenfolgeabschätzung sowohl bei der Aufgabenübertragung als auch bei eingesparten Aufwendungen erreicht werden. Es geht in der Summe darum, dass die Finanzausstattung der Kommunen entsprechend ihrer Aufgaben, die sie wahrzunehmen haben, gestaltet werden muss. Künftig müssen Kostenfolgen des übertragenden Wirkungskreises und der Aufgaben der pflichtigen Selbstverwaltung realitätsnah ermittelt und transparent ausgewiesen werden, um einen nachvollziehbaren und überprüfbaren Ausgleich zu gewährleisten. Dies gilt sowohl für Belastungs- als auch für Entlastungseffekte und ist damit ausdrücklich keine Einbahnstraße.

Damit komme ich auf den Antrag der Opposition zu sprechen, der bezweckt, dass offensichtlich hier eine Einbahnstraße vorgesehen werden soll. Anders kann ich den Antrag nicht verstehen. Wenn es heißt „Eine Umkehrung dieses Prinzips, dass ein entsprechender... Ausgleich zugunsten des Landes zu schaffen ist, wenn die Gemeinden und Landkreise von Aufgaben entlastet werden, ist in der Verfassung... nicht vorgesehen.“, heißt das ja noch lange nicht, dass die Finanzausstattung der Kommunen

entsprechend der Aufgabenübertragung oder aber der neuen Standards, die definiert werden sollen oder worden sind, vorgenommen werden muss.

Meine Damen und Herren! Ich halte das, was die Kommunalverfassungsänderung vorsieht, für eine Selbstverständlichkeit. Wenn die Opposition meint, dass das keine ist, dann soll sie es sagen. Es ist eine schlichte Selbstverständlichkeit und wird in allen Ländern, die das Konnexitätsprinzip strikt beachten, auch strikt angewandt. Wir sagen es nur ausdrücklich, andere machen es ohnehin. Die Frage ist eigentlich nur die, ob man meint, dass man es nicht sagen soll und trotzdem macht, oder ob man meint, dass das, was man macht, auch definiert werden soll. Das ist die entscheidende Frage. Wir bekennen uns zur Ehrlichkeit und sagen, dass das, was gemacht wird, auch im Gesetz stehen soll. Und Sie, meine Damen und Herren, müssen sich erklären, wie Sie es für richtig halten. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Dr. Gerhard Bartels, PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Jäger von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Jäger.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst die Frage des Herrn Innenministers beantworten. Es ist nicht so, dass uns dieser Änderungsantrag nun gerade mal so eingefallen ist oder dass wir etwas verdecken wollen, was eigentlich so schon wäre oder so sein müsste, sondern es ist zu beobachten – und Herr Schoenenburg hat es heute morgen erwähnt, es ist so gelaufen –, dass die Änderung der Landesverfassung in einer weiten Diskussion dann endlich und schließlich geglückt ist, weil sich die Koalitionsfraktionen wohl so besprochen haben, das, was wir mit der Landesverfassung geben, das nehmen wir über die Kommunalverfassung mit der Änderung eben wieder zurück, denn man brauchte schließlich die Opposition zur Änderung der Landesverfassung.

Das war übrigens auch der Grund, warum wir nicht einem an sich durchaus sachgerechten Vorschlag, wenn man sich einig gewesen wäre, zustimmen konnten, die Beratung Ihres jetzigen Gesetzentwurfes in dieser einen Sitzung an zwei Tagen durchzuführen,

(Reinhard Dankert, SPD: Das ist ja schon gestorben.)

denn wir sind der Auffassung, dass diese Dinge, die Sie hier ergänzend, wie Sie so schön sagen, das heißt rücknehmend, hineinbringen, noch einmal in einer Anhörung geklärt werden müssen. Denn eigentlich wäre der Gesetzentwurf überflüssig gewesen, den Sie jetzt vorlegen, wenn Sie das, was Sie wollen, auch tatsächlich in die Landesverfassung hineingeschrieben hätten. Wir waren ja auf einer Diskussionsebene, da wurde der Entwurf mal wieder zurückgezogen und wieder hingebracht.

Es wäre auch unschädlich, in der Kommunalverfassung eine Regelungsinhaltsformulierung zu finden, die sich deckt mit der Landesverfassung, wenn auch – und Herr Müller, da stimme ich Ihnen zu – es sicher gut ist, wenn man über Modalitäten und die Notwendigkeit, die kommunalen Landesverbände bei der Kostenabschätzung zu beteiligen, wenn man dies regelt. Aber auch da verweise ich auf die Vordiskussion. Sie selber hatten zu einer bestimmten Zeit einmal geglaubt, und dem hätten wir

gern zugestimmt, dass das durch einen Initiativantrag und einen entsprechenden Beschluss des Landtages sehr wohl hätte geschehen können. So jedenfalls war der Vorschlag in der Anhörung der Sachverständigen, die diese Bestimmungen in ihren Ländern schon haben.

Wir können diesem Absatz 3 jeweils in den Paragraphen 4 und 91 der Kommunalverfassung nicht zustimmen, denn das, was der Herr Innenminister als Selbstverständlichkeit genannt hat, ist absolut nicht selbstverständlich. Ich will das begründen.

Sie haben die erfolgende Mehrbelastung ja auch in der Diskussion immer relativieren wollen: „Wir müssen gegenrechnen, was durch ein anderes Gesetz an Entlastung gekommen ist.“ Und es ist schon eigenartig, dass Sie das, was Sie wirklich wollen, erst in der Begründung schreiben – übrigens sehr ungewöhnlich für einen Entwurf aus der Mitte des Parlaments, das gibt es eigentlich nur bei Regierungsentwürfen, eine Begründung zu geben. Da fällt mir Ihr Beispiel vom Dalai-Lama ein. Wenn das so ist, dass Sie in die Begründung etwas hineinschreiben, was sich mit dem Text so nicht deckt, dann ist das wirklich wie mit der Schlange und dem Seil. Dann werden alle vorsichtig.

Und Sie haben auch aus den Stellungnahmen der kommunalen Landesverbände, die ja sehr kurzfristig abgefordert wurden, gesehen, dass die das genauso erkannt haben. Es soll also erstmalig ein finanzieller Ausgleich zugunsten des Landes – und damit sollte man auch sagen zu Lasten der Kommunen – vorgenommen werden, wenn Gemeinden, Landkreise durch Gesetz, Rechtsverordnung oder sogar durch Verwaltungsvorschriften von Kosten entlastet werden. Im Klartext heißt das, und das müssen wir deutlich feststellen: Sie wollen den Gemeinden wegnehmen, wenn der Landesgesetzgeber oder die Landesregierung ihre selbstverständlichen Pflichten erfüllen, nämlich Verwaltungsvereinfachung zu betreiben oder überzogene Standards auf ein vernünftiges Maß herabzusetzen. Das hat mit dem Konnexitätsprinzip – und darüber waren wir uns, glaube ich, doch ziemlich einig – überhaupt nichts zu tun, denn verfassungsrechtlich wird dieses Prinzip als Schutz der Gemeinden verstanden.

(Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

Und wir hatten heute morgen gehört, dass es einige von uns gibt, die meinen, es müsste auch im Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gelten. Also dieses Prinzip, das Sie da erfunden haben, gibt es nicht. Es wäre einmalig und es ist auch falsch.

Wir sehen eigentlich in dieser Regelung eine Verkürzung dessen, was Sie einmal in der Diskussion zum Finanzausgleichsgesetz gesagt haben. Es war doch sehr eigenartig, dass es einer sehr tatkräftigen Intervention aus der Staatskanzlei bedurfte, und zwar von sehr hoher Ebene. So, haben wir gehört, ist es zu diesem Satz gekommen. Er ist nicht ursprüngliche Fassung gewesen. Also die Selbstverständlichkeit, Herr Innenminister, die gab es nicht. Und dass sie eindeutig gegen die Interessen der Kommunen gerichtet ist, das wird ja jeder einsehen. Ich wundere mich eigentlich darüber, wie sich die Koalitionsfraktionen da auch ein Stück bevormunden lassen.

Richtig brisant wird es, wenn man diese beiden Absätze 3 zu den jeweiligen Bestimmungen mal im Verhältnis zum Finanzausgleich sieht. Wir entsinnen uns alle, dass Sie, als Sie die Finanzausgleichsmasse auf 2,5 Milliarden DM gedeckelt haben, uns alle getröstet haben, das