Protokoll der Sitzung vom 16.03.2000

wir holen uns die kommunalen Landesverbände an den Tisch, wir holen uns kommunale Praktiker an den Tisch, um mit ihnen gemeinsam zukunftsweisende Entscheidungen vorzubereiten.

So, und dann, Herr Jäger, kommt die Frage: Warum sitzt denn da nicht die Regierung drin?

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Also ich sage Ihnen ganz ehrlich, wenn wir da noch reinschreiben würden, der Innenminister sitzt mit am Tisch und der Minister für die Raumordnung sitzt mit am Tisch, dann hätte ich damit kein Problem. Ich habe nur das Problem, dass wir hier ein Organ der Legislative haben, das legislative Entscheidungen vorbereiten soll. Nur deswegen haben wir die Mitglieder der Exekutive nicht zu Teilen dieser Enquetekommission gemacht. Das heißt aber nicht, dass die draußen vor der Tür warten müssen auf unsere weisen Entscheidungen, sondern ich gehe davon aus, dass der Innenminister, der Minister für Bau und Arbeit als der für die Raumordnung zuständige Minister und der Justizminister an unseren Beratungen selbstverständlich teilnehmen werden

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Dazu gibt es ja auch Festlegungen in der Landesverfassung.)

und dass sie ihre Fachkompetenz hier in die Diskussion mit einfließen lassen. Von daher sehe ich hier überhaupt kein Problem.

Probleme sehe ich vielmehr darin, dass das, was wir inhaltlich erarbeiten, einer Öffentlichkeit vermittelt werden muss, bei der – auch darauf ist von Vorrednern schon hingewiesen worden – psychologische Probleme eine große Rolle spielen.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Die Orte, in denen die Menschen wohnen, in denen sie oft, gerade im ländlichen Raum, geboren und aufgewachsen sind, stiften Identität, geben ein Stück Heimat. Und sehr oft stoßen wir auf emotionale Widerstände, wenn wir mit Überlegungen an die Menschen herantreten, diese Gebietsstruktur zu ändern. Ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir solche emotionalen Widerstände nicht mit

einer Hand einfach wegschieben, sondern wenn wir sie sehr sehr ernst nehmen und wenn wir ihnen große Beachtung schenken. Es ist nach meiner Einschätzung eine wesentliche Aufgabe auch dieser Enquetekommission, sich genau hierüber Gedanken zu machen und genau hier anzusetzen und zu überlegen, welche Brücken können wir denn bauen, um zu zukunftsfähigen Strukturen zu kommen, ohne die Menschen aus ihrer Verwurzelung zu reißen und ohne ihnen einen Entfremdungsprozess zuzumuten. Ich will nur zwei, drei Beispiele nennen, um deutlich zu machen, was ich meine.

Wir haben in der Kommunalverfassung das Instrument der Ortsteilbeiräte und wir sollten überlegen, und das ist eine Fragestellung, die meines Erachtens die Enquetekommission sich auf den Tisch ziehen sollte, ob denn diese Ortsteilbeiräte – ich halte den Namen übrigens nicht für glücklich, Ortsbeiräte wäre mir wesentlich lieber –

(Heidemarie Beyer, SPD: Ja.)

ein Instrument sein können, um die genannten psychologischen Probleme zu reduzieren, und ob es in diesem Zusammenhang sinnvoll wäre, Rechte, Möglichkeiten und Einflussnahme dieser Ortsbeiräte juristisch zu stärken. Wir werden in diesem Jahr in eine Diskussion eintreten zur Novellierung der Kommunalverfassung. Dort sind diese Ortsteilbeiräte – so heißt es ja dort – normiert und es wäre nach meiner Einschätzung sinnvoll, wenn wir dann bereits Vorschläge der Enquetekommission zu diesem Thema ganz konkret vorliegen hätten.

Ein zweites Thema – das Kommunalwahlgesetz. Sehr oft wird als Problem gesehen, dass eine kleine Gemeinde, die ansonsten vielleicht bereit wäre, ihre Eigenständigkeit aufzugeben, Ängste hat, dass in der großen Gemeinde keiner aus diesem Gemeindeteil in der Gemeindevertretung anwesend sein wird. Nun kennen wir unser Kommunalwahlgesetz. Darin steht, dass Gemeinden bis 1.500 Einwohner einen Wahlbereich bilden. Warum ändern wir diese Bestimmung nicht und eröffnen die Möglichkeit, dass wir solche Gemeinden in mehrere Wahlbereiche einteilen?

(Gabriele Schulz, PDS: Genau darüber müssen wir nachdenken.)

Damit hätten sie eine Garantie, dass einer oder eine aus ihrem Bereich in der Gemeindevertretung sitzt. Ich denke, solche Brücken können wir bauen und wir müssen sie bauen. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, denke ich, muss unsere Enquetekommission tätig werden. Sie muss uns Entscheidungsstrukturen der Zukunft liefern. Sie muss uns aber auch Brücken liefern, wie wir zu solchen Strukturen kommen.

Und nun zu einem Aspekt, der mich bewegt, wenn ich mir den Antrag der CDU ansehe. Zunächst mal möchte ich sagen, ich war eigentlich sehr froh, als ich diesen Antrag in die Hand bekommen habe, weil dieser Antrag für mich ein Dokument eines Prozesses ist. Wenn ich mir noch vor wenigen Wochen angehört habe, wie hier in diesem Landtag argumentiert worden ist – auch von Ihnen, Herr Rehberg –, dann war das eine sehr undifferenzierte Ablehnung aller angeblichen Pläne zu Gemeindezusammenschlüssen,

(Torsten Koplin, PDS: Das ist meistens so.)

wobei Sie dabei unterstellt haben, es seien bereits jetzt Gemeindezusammenschlüsse durch Gesetz gemeint. Sie wissen, das ist nicht so. Aber wenn ich diese sehr undifferenzierte Ablehnungsposition vergleiche mit diesem

Papier, das da jetzt auf dem Tisch liegt, dann ist da ja eine deutliche Entwicklung erkennbar. Jetzt wird eine Veränderung der Gemeindestruktur nicht mehr rundheraus abgelehnt, sondern es wird gesagt: Bedingungen, Voraussetzungen, Zieldefinitionen und ähnliches. Ich denke, das ist ein erheblicher Schritt nach vorn und das ist eine Ebene, auf der man viel leichter miteinander diskutieren kann – über Bedingungen, über Ziele und über Voraussetzungen. Und deswegen begrüße ich dieses Papier, auch wenn ich nicht alles, was in diesem Papier drinsteht, inhaltlich für richtig und für akzeptabel halte. Das bezieht sich insbesondere auf die Frage des Verhältnisses von Funktionalreform und kommunaler Strukturreform.

Wenn ich Sie richtig verstehe und wenn ich das Papier richtig lese, Herr Jäger, ist Ihre Vorstellung, wir machen erst mal den ganz großen Entwurf, wie denn die Verwaltung des Jahres 2010 aussieht. Dann fangen wir an zu realisieren, und zwar fangen wir oben an.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja sicher.)

Als erstes diskutieren wir über die Zahl der Ministerien.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, zum Beispiel.)

Und so arbeiten wir uns dann runter und im Jahre 2025 sind wir bei den Kommunalstrukturen angekommen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Nee. – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Vielleicht, vielleicht. – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Dieses ist meines Erachtens eine völlig falsche Herangehensweise.

(Harry Glawe, CDU: Aber Sie machen es doch so.)

Nein, wir machen es nicht so, Herr Glawe.

(Harry Glawe, CDU: Aber natürlich!)

Ganz im Gegenteil, ich wollte gerade auf das Gutachten von Hesse zu sprechen kommen.

(Harry Glawe, CDU: Immer Zeit schinden, viel reden, immer viel reden.)

Das Gutachten von Hesse, das Sie ja recht positiv zitiert haben – sicherlich zumindest als Denkanstoß, und ich sehe es auch so, als Denkanstoß positiv, ich will nicht alles übernehmen, aber als Denkanstoß sehr positiv –, dieses Gutachten von Hesse empfiehlt uns ja genau nicht diesen Weg, sondern das Gutachten von Hesse empfiehlt uns – und das ist meines Erachtens richtig –, auf allen Ebenen anzusetzen und auf allen Ebenen etwas zu tun,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, ja.)

von ganz oben bis ganz unten, und nicht ein zeitliches Nacheinander.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Oben ist nichts. – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Die einen warten nicht auf die anderen, sondern wir versuchen, auf allen Ebenen unsere Verwaltungen zu effektivieren und bürgerfreundlicher zu gestalten, und zwar gleichzeitig, nicht nacheinander, sondern gleichzeitig. Ich denke, das ist der richtige Weg. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Das von mir eingangs aufgezeigte Problem auf der kommunalen Ebene hat nicht die Zeit zu warten, bis wir uns entschieden haben,

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

ob wir sieben, acht, neun, sechs oder zwölf Ministerien brauchen, sondern dieses Problem muss jetzt angegangen werden, aber nicht im Sinne einer Brechstange, sondern wir müssen im Sinne eines Das-Problem-sich-aufden-Tisch nehmen nach Lösungen suchen und dann vernünftige Lösungen umsetzen. Das, meine Damen und Herren, ist genau der Weg, den wir hier vorschlagen. Das ist genau der Weg der Enquetekommission, so, wie Kollegin Schulz ihn eingangs skizziert hat. Ich bitte Sie, ihrem Votum folgend, beide Anträge in die genannten Ausschüsse zu überweisen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS und Dr. Armin Jäger, CDU)

Danke schön, Herr Müller.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Böttger von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin auch der Meinung, dass der Antrag der CDU eine Vielzahl von richtigen Fragen aufwirft. Die 14 Fragen, die Sie hier formuliert haben, sind richtige Fragen, aber es sind eben Fragen und jeder von uns, der in der Kommunalpolitik tätig ist, könnte weitere hinzufügen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig. – Zuruf von Martin Brick, CDU)

Aber ist es wirklich eine Frage der Herangehensweise, wie ich zu vernünftigen Antworten komme? Und da unterscheidet sich unser Vorgehen von Ihrem schon erheblich.

(Harry Glawe, CDU: Ja.)

Sie nämlich wollen zuallererst – und Herr Jäger hat es heute hier noch mal gesagt – eine Konzeption oder eine Auffassung der Landesregierung. Und dann machen Sie natürlich folgendes, Herr Jäger: Wenn diese Konzeption erfolgreich sein sollte, dann kenne ich Sie, dann werden Sie sagen, Sie waren der eigentliche Erfinder.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Nein.)

Wenn Ihnen etwas daran nicht passt, dann werden Sie sagen: Wir haben es schon immer gewusst, die taugen nichts.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Also ich verstehe ja Ihre Situation.