Protokoll der Sitzung vom 24.05.2000

Im Berufsschulbereich betrifft uns diese Problematik noch nicht aktuell, aber das Problem wächst in den Berufsschulbereich hinein. Zurzeit werden an den öffentlichen beruflichen Schulen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums 70.200 Schüler unterrichtet. Dafür stehen 2.361 hauptberufliche Vollzeit- und Teilzeitlehrkräfte und einige sonstige teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte – Honorarlehrkräfte – zur Verfügung. Angesichts des auch hier unvermeidlichen Strukturwandels in den nächsten zehn Jahren infolge zurückgehender Schülerzahlen auf ein Drittel des heutigen Standes und der demographischen Entwicklung der Altersstruktur der Lehrkräfte ist bereits jetzt eine systematische Anpassung des Lehrkräftebedarfes zwingend notwendig. Hier ist die Altersstruktur der Lehrer ungünstiger. Sie liegt derzeit bei den hauptberuflichen Lehrkräften bei 47,3 Jahren. Das ist natürlich eine alarmierende Botschaft.

(Zuruf von Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

Beide Entwicklungen, das heißt Schülerrückgang und Rückgang der Zahl der Lehrkräfte durch normalen Altersübergang, verlaufen nicht parallel. Ab dem Schuljahr 2007/08 kommt es unter der Voraussetzung der Beibehaltung der jetzigen Bedingungen für die Klassenbildung und der Klassengrößen zu einem Überhang an Lehrkräften im Bereich der beruflichen Schulen, also trotz ungünstiger Altersstruktur noch ein Überhang an Lehrkräften.

Damit eine kontinuierliche Führung dieses Prozesses über den gesamten Zeitraum möglich ist, wird der Personalentwicklung hohe Priorität eingeräumt. So können Kontinuität und Qualität in der beruflichen Bildung im Rahmen der notwendigen strukturellen Anpassung gesichert und die beruflichen Schulen systematisch und zielgerichtet entsprechend den künftigen Anforderungen entwickelt

werden. Mittel- und langfristig muss es uns gelingen, diesen Prozess des Lehrerabbaus nicht zuletzt durch das Lehrerpersonalkonzept, die Anwendung der Altersteilzeit und die Einführung von Arbeitszeitkonten zu regeln.

Natürlich ist es problematisch, im Berufsschulbereich, insbesondere dort, ausreichend junge qualifizierte Lehrkräfte zu gewinnen, weil die anderen Bundesländer weit attraktivere Angebote machen, als wir sie jemals machen können. Wir halten einen Einstellungskorridor von 50 Lehrerstellen bereit. Wir versuchen, über sozusagen bundesweite öffentliche Ausschreibungen in Tages- und Wochenzeitungen, bei Arbeitsämtern und im Internet junge Absolventen für eine Lehrertätigkeit in Mecklenburg-Vorpommern zu gewinnen. Erschwerend wirkt dabei, dass die Einsatzgebiete der Lehrer an beruflichen Schulen mittel- und langfristig wegen der sich dynamisch verändernden Wirtschaft heute noch nicht verlässlich prognostiziert werden können. Es wird umso wichtiger sein, dass wir neben der Gewinnung von jungen qualifizierten Lehrkräften so genannte Seiteneinsteiger pädagogisch qualifizieren. Das betrifft einerseits die bereits an den beruflichen Schulen ohne pädagogischen Lehrerabschluss tätigen Lehrkräfte, andererseits ist es notwendig, junge wissenschaftlich ausgebildete Hochschulabsolventen, die in den Schuldienst übernommen werden, berufsbegleitend zu qualifizieren.

Meine Damen und Herren, im zweiten Teil des CDUAntrages wird ein Thema berührt, das nach dem jüngsten OECD-Bericht besonders aktuell ist. Wenn die CDU verstärkte Werbemaßnahmen für den Beruf des Lehrers fordert, so muss sie sich zuallererst an den Fakten orientieren. Das scheint in der Opposition niemand getan zu haben.

(Wolfgang Riemann, CDU: Na, na, na!)

Sowohl die Planungsgrundlagen von 1995 als auch die aktuellen Zahlen verdeutlichen, dass wir bis zum Jahre 2010 mit einem deutlichen Überhang an Lehrern zu rechnen haben. Herr Bluhm hat ja darauf auch schon sorgenvoll hingewiesen. Gegenwärtige Prognosen sagen für das Jahr 2010 beispielsweise für den Grundschulbereich einen durchschnittlichen Beschäftigungsumfang voraus, der unter dem gegenwärtigen durchschnittlichen Umfang von circa 80 Prozent liegen wird. In den übrigen Schularten ist der Rückgang des durchschnittlichen Beschäftigungsumfanges zeitverzögert, aber keineswegs weniger drastisch.

Natürlich werden neue Lehrer gebraucht, aber eben nicht für alle Fächer, nicht für alle Bereiche. Hier wird man ganz genau analysieren müssen, welche Fächer dies in zehn Jahren und noch später unter Beachtung sich wandelnder Anforderungen sein werden. Eine pauschale Werbung jedenfalls würde Hoffnungen bei jungen Menschen wecken, die dann nach ihrem Examen nicht eingehalten werden können. Hier ist eben die Kontinuität demokratischer Regierungen gefragt. Wir müssen über die Wahlperiode hinaus an die Zukunft denken, ebenso wie ich dieses Lehrerpersonalkonzept nicht erfunden habe, sondern wie ich es als Minister geerbt habe, wie ich es zu exekutieren, umzusetzen, fortzuschreiben habe.

Wodurch wird ein Beruf attraktiv? – Durch eine gute berufliche Perspektive, durch attraktive Vergütung. Machen wir uns nichts vor! Mecklenburg-Vorpommern kann in der gegenwärtigen Lage nicht den Eindruck ver

mitteln, Lehrer würden hier einer finanziell rosigen Zukunft entgegensehen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Das klingt ja fast wie die Finanzministerin.)

Was meinen Sie, Herr Riemann?

(Wolfgang Riemann, CDU: Das klingt ja fast wie die Finanzministerin.)

Ach, Herr Riemann, erzählen Sie doch hier keinen Schnee!

Die Attraktivität würde nur mit zusätzlichen finanziellen Anreizen von nicht geringer Größenordnung zu erhöhen sein.

(Harry Glawe, CDU: Jetzt kommen wir zum Thema.)

Wir müssen uns überlegen, wie und ob wir zu solchen Anreizen kommen. Mal eben beispielsweise die Umzugskosten zu finanzieren reicht nicht aus angesichts dessen, dass Lehrer anderer Bundesländer nicht von Teilzeitregelungen betroffen sind und deshalb bis zu doppelt so viel verdienen wie in unserem Bundesland.

Was bleibt also von dem Antrag der Opposition? Die Begründung geht von falschen Voraussetzungen aus. Die Bedingungen sind kompliziert. Ein Personalentwicklungsprogramm gibt es bereits in Gestalt des Lehrerpersonalkonzeptes, an dem wir ständig arbeiten. Es wird ständig der Entwicklung angepasst. Für Werbemaßnahmen ist die Situation in einer Weise, wie Sie sich das vorstellen, nicht geeignet.

Es gibt Situationen, in denen man nur zwischen zwei Alternativen wählen kann.

(Wolfgang Riemann, CDU: Pest und Cholera.)

Die Alternative zum Lehrerpersonalkonzept ist die Bedarfskündigung. Das ist zu Zeiten einer Kultusministerin in diesem Lande geschehen. Wir setzen auf die Solidarität und auf dieses Konzept, wenn wir uns auch alle im Prinzip und grundsätzlich darüber im Klaren sind, dass die Teilzeit für Lehrer nicht gerade größte Motivationsschübe setzt. Aber wir müssen uns immer wieder bemühen, mit den Menschen zu reden und ihnen deutlich zu machen, dass ein sicherer Arbeitsplatz auch eine gute Voraussetzung ist für eine kontinuierliche Arbeit im pädagogischen Beruf, der hohe Kontinuität verlangt. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schnoor von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Frau Schnoor.

(Harry Glawe, CDU: Von den Finanzen habe ich gar nichts gehört. – Wolfgang Riemann, CDU: Steffie, jetzt kannst du den Vorruhestand für die Landesregierung fordern.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir scheint, wir haben nicht nur ein Problem.

(Volker Schlotmann, SPD: Die CDU.)

Aber vielleicht darf ich erst etwas auf die Vorredner eingehen. Herr Bluhm, ich finde es toll, dass Sie den Berichtsauftrag, den Sie an die Landesregierung gestellt haben, schon selber erfüllt haben. Vielen Dank dafür.

(Heiterkeit bei Angelika Gramkow, PDS – Andreas Bluhm, PDS: Ich weiß ja gar nicht, was Sie von einem solchen Bericht erwarten, aber ich verlange schon ein biss- chen mehr als das, was Sie gesagt haben.)

Ja, aber ich finde toll, dass Sie uns diesen Bericht bereits gegeben haben. Damit könnte man diesen Tagesordnungspunkt in dem einen Teil als erledigt betrachten.

Sie haben – und das habe ich mit Freude gehört – in Ihren Ausführungen Forderungen an die Bildungspolitik hier kundgetan, die auch schon seit langem die Forderungen der CDU sind. Das freut mich sehr zu hören, denn es geht um unsere Kinder hier in diesem Land und es ist gut, wenn diese Kinder eine gute Bildungspolitik bekommen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Herr Bluhm, bei Ihren Verhandlungen zum Umsetzen Ihrer Forderungen mit der Frau Finanzministerin wünsche ich Ihnen viel Glück. Wir werden Sie dabei unterstützen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Wolfgang Riemann, CDU: Wir drücken alle Daumen.)

Herr Bluhm, ich darf noch weitere Anmerkungen zu Ihren Ausführungen machen. Sie sagen, es gibt die rechnerisch hundertprozentige Unterrichtsversorgung. Diese rechnerisch hundertprozentige Unterrichtsversorgung führt zum Beispiel dazu, dass Eltern in einer Schule über ihre Kinder einen Brief mitgebracht bekommen, in dem dann steht: „Da Frau Soundso weiterhin ausfällt, steht kein Ersatzlehrer zur Verfügung. Die Eltern der betroffenen Klassen haben beantragt, den Unterricht planmäßig durchzuführen. Das bedeutet, dass tageweise eine Grundschulklasse zu Hause bleiben muss. Die betroffenen Schüler werden am Tag vorher eine Information erhalten.“ Und am Ende des Briefes: „Die Klasse 1 bleibt an diesem Tag zu Hause.“ Das ist die rechnerisch hundertprozentige Unterrichtsversorgung.

(Andreas Bluhm, PDS: Na ja, mit den Einzel- beispielen ist das so eine Sache. – Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS – Harry Glawe, CDU: Das ist ja ein dolles Ding! Das ist ja ein dolles Ding! – Zurufe von Jörg Vierkant, CDU, und Wolfgang Riemann, CDU)

Aber das ist das, was zählt, nämlich dass diese Kinder, dass jede Klasse an einem Tag in der Woche keinen Unterricht hat. Das ist das, was zählt.

(Harry Glawe, CDU: Kriegen wir zu Hause Privatunterricht, Herr Kauffold?)

Und, Herr Minister, wenn Sie darstellen, dass das Verfahren zur Umsetzung des Lehrerpersonalkonzeptes so klar ist und so gut läuft, dann frage ich mich allerdings: Was geschieht mit den derzeit anhängigen Klagen und wie werden sie wohl ausgehen? Wird dann dieses Konzept in der gleichen Form weiter umgesetzt werden?

Aber gehen wir erst mal auf andere Dinge ein. Wir haben also alle gemeinsam festgestellt, es gibt ein Problem,

(Harry Glawe, CDU: Haben wir nicht.)

und dieses Problem müssen wir heute lösen. Es ist nämlich kein Problem für morgen, denn jeder von uns wird

den einen oder anderen Schulrat seiner Region kennen, der händeringend nach qualifizierten Lehrkräften für seine Schule sucht, um regulär oder für Vertretungen einzustellen. Es geht partiell schon so weit, dass Eltern in Zeitungen inserieren, um Lehrer für ihre Kinder zu finden. Mein Kollege Rehberg hat in einer der letzten Debatten einen solchen Fall aus der „Ostsee-Zeitung“ zitiert. Und, meine Damen und Herren, das ist kein Einzelfall.

Ein Problem habe also nicht nur ich, wenn wir feststellen müssen, dass frisch eingestellte Lehrer mit unbefristeten Arbeitsverträgen ihren Dienst nicht antreten und ihre Arbeitsverträge zurückgeben. Das tun sie mitunter mit dem Hinweis, dass man ihnen beim Unterschreiben der Papiere auch noch die Verpflichtungserklärung zum Lehrerpersonalkonzept untergejubelt hat. Das ist eine Situation, die nicht nur unbefriedigend, sondern für die Entwicklung des Landes geradezu schädlich ist.

Wie es mein Kollege Jörg Vierkant bei der Einbringung schon zum Ausdruck brachte, bei der Unterzeichnung des Lehrerpersonalkonzepts 1995 waren SPD und CDU vor allem darauf bedacht, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Das Lehrerpersonalkonzept wurde damals von allen Seiten so interpretiert, dass es durchaus motivierend wirken könnte, Lehrern über ein solches Konzept Arbeitsplatzsicherheit zu gewährleisten. Aber, meine Damen und Herren, das Gegenteil ist eingetreten. Das Lehrerpersonalkonzept demotiviert den engagierten Lehrer und wiegt den Lehrer, der vormittags Recht und nachmittags frei hat, in Sicherheit.

Wir haben die Erfahrungen aus 40 Jahren Gleichmacherei nicht berücksichtigt, haben wieder versucht, mit kollektiver Solidarität eigentlich Unausweichliches zu verhindern. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Konkurrenz und Wettbewerb auch in der Schule hätte bei der Anwendung geeigneter Mittel für die Schüler mehr gebracht als die hier praktizierte Gleichmacherei, die auch vor den Schulleitern – und das sind die Leistungsträger an den Schulen – nicht Halt macht. Daher habe ich das Lehrerpersonalkonzept 1995 und 1996 mit einem lachenden und einem weinenden Auge gesehen. Es hat mich gefreut, dass die Sozialpartner im Jahr 1995 mit dem Lehrerpersonalkonzept eine Möglichkeit fanden, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Das sah das lachende Auge. Aber was ich von Anfang an kritisiert habe, ist der Umstand, dass die Qualität der Arbeit des einzelnen Lehrers in keiner Weise bei der Bemessung der Teilzeit als auch anderer Varianten des Konzepts Berücksichtigung fand. Das Konzept der Gleichmacherei führt das Lehrerpersonalkonzept auf die Verliererstraße. Und das sah und sehe ich mit dem weinenden Auge.

Die Verlierer sind hierbei nicht in erster Linie die Lehrer, nein, die wahren Verlierer sind wieder einmal die Schüler.

(Dr. Ulrich Born, CDU: So ist es.)

Sie müssen sich nämlich jeden Tag mit ausgebrannten Lehrern rumplagen oder mit Lehrern, die sich sagen, ob ich nun dies oder jenes tue, mich um den oder jenen Schüler kümmere, die Interessengemeinschaft oder den Klassenausflug organisiere, es ist gleich, ich bekomme eh nicht mehr Stunden, quasi, die Leistung wird nicht honoriert – also, was soll’s?

Aber ich will mich hier nicht in Pauschalurteilen ergehen.