Wenn ich mich recht erinnere an das, was Sie sagten – schon im Februar vertraten Sie ja die Auffassung, dass die in der Ostsee stationierten Schlepper zu kraftlos seien, das heißt, nicht über ausreichende Schleppkapazität verfügen. Das haben Sie heute auch untersetzt. Dieser Auffassung schließt sich aber genau die Expertenkommission nicht an. Die an der Ostseeküste unter deutscher Flagge im Einsatz befindlichen Kapazitäten weisen insgesamt einen Pfahlzug von circa 290 Tonnen auf.
(Reinhardt Thomas, CDU: Das ist doch die Milch- mädchenrechnung, die nicht funktioniert. Da gibt es nicht mal einen Vertrag dazu. Das ist wirk- lich lächerlich! – Zuruf von Lutz Brauer, CDU)
Zudem stehen Schleppkapazitäten in Dänemark bereit, die vertraglich verabredet bei Havarien behilflich sind. Experten gehen davon aus, dass in der Ostsee im Rahmen einer großen Havarie eine Leistung von circa 100 Tonnen Pfahlzug gebraucht wird. Hinsichtlich der größeren der benötigten Schiffe heißt es im GrobeckerBericht: „Die Expertenkommission empfiehlt, eine dem Risikopotential angemessene Pfahlzugkapazität für Notschleppeinsätze auch mit kleineren Schiffen abzudecken.“
„Es hat sich gezeigt, dass die Forderung nach hoher Schleppkraft eines Notfallschleppers allein nicht angebracht ist.“
„Eine Zugkraft von über 100 Tonnen nützt nichts, wenn nicht entsprechende Schlepperbindungen hergestellt werden.“ Das ist doch ein wichtiger Punkt. Die Expertenkommission ist der Meinung, dass neben der Notschleppkapazität mehrere Schlepper mit kleinen Leistungen kombiniert würden und hervorragende Manövrierfähigkeit der eigentliche Punkt sei bei Havarien.
Meine Damen und Herren, ich will damit sagen, man kann den einen Schluss ziehen und man kann den anderen Schluss ziehen. Wichtig ist doch, dass am Ende – und das wird doch zurzeit getan und in Expertengruppen beraten – darüber geredet wird, wie setzt man vorhandene Kapazitäten ein, welche Erweiterungen sind wirklich notwendig, ohne Kapazitäten zu schaffen, die am Ende irgendwo liegen und nicht einsetzbar sind. Ich sage Ihnen an dieser Stelle und das sagt auch die Kommission: Viel hilft nicht immer viel.
Die Regierung ist auch im Gespräch – das wissen Sie – mit dem Bundesverkehrsminister und dem Bundesumweltminister zu Ihrem Punkt 4, zur Lotsenpflicht für die deutsche Ostseeregion. Auch wir vertreten die Auffassung, dass Schiffe ab einer bestimmten Größe in schwierigen Seegebieten oder mit besonderer Ladung zur Beratung und Begleitung durch Lotsen verpflichtet sind. Und wir reden heute nicht das erste Mal darüber, das ist ja klar. Diese Begleitung könnte sowohl an Bord als auch von Land aus erfolgen, eine Forderung, die nach unserer
Ansicht durchaus sinnvoll, aber eben nicht neu ist, Herr Thomas, und an deren Verwirklichung gearbeitet wird. Auch das wissen Sie.
Ich will nicht auf weitere Forderungen, die Sie formuliert haben, eingehen, denn ich denke, der Umweltminister hat es sehr ausführlich getan. Aber eines lassen Sie mich doch sagen: In Anbetracht der Bedeutung dieser Aufgabe sind natürlich Expertengespräche nötig, Sie haben sie ja aufgeführt. In Anbetracht dieser Aufgabe sind Kooperationen nötig, das wissen alle.
Aber ich muss Sie hier jetzt wirklich fragen, und das mache ich jetzt zum dritten Mal, und ich wiederhole es, weil Sie ja auch so beharrlich immer wiederholen, dass in dieser katastrophalen Lage niemand etwas tut:
Erklären Sie mir doch einmal, was ist an der Situation in den Jahren 1999 und 2000 wirklich anders als in den Jahren von 1990 bis 1998, in denen Sie hier und auf Bundesebene regiert haben! Erklären Sie mir das!
Und erklären Sie mir doch mal, warum Sie immer wieder nur Ihren politischen Schwerpunkt auf die Nachsorge legen! Erklären Sie hier mal am Mikrophon,
Doppelwandtanker, Lotsenpflicht, kleine Tankerkapazitäten, damit bei einer Katastrophe nicht so viel Öl ausfließt –
(Lutz Brauer, CDU: Das soll Sie doch nicht hindern, es besser zu machen. – Heiterkeit bei Dr. Berndt Seite, CDU)
Und dann sage ich Ihnen noch etwas, Herr Thomas. Es ist eben doch sehr unseriös, auch wenn es fachlich gut verpackt war, Äpfel mit Eiern zu vergleichen. Wenn Sie England und Deutschland vergleichen und dabei völlig unterbelichten, dass wir in einem föderalen Staat natürlich andere Strukturen haben – und Sie stehen doch wohl zum föderalen Staat –, und damit uns deutlich machen wollen diesen Vergleich, dass hier unter den föderalen Strukturen, die wir alle wollen, alles viel komplizierter und dass das eine Katastrophe ist, ist das eine schlichtweg falsche Darstellung. Dass Änderungsbedarf da ist, wissen wir, darüber wird beraten.
Meine Damen und Herren, ich denke, was vor allen Dingen wichtig ist, da gearbeitet wird in Expertenkommissio
nen, auch in Ministerien auf Bundes- und Landesebene, dass wir uns zur gegebenen Zeit unterrichten lassen sollten, welche Arbeitsergebnisse aus den Arbeitsgruppen vorliegen und welche aktiven Maßnahmen wir ergreifen müssen. In allen Ehren das Engagement von Herrn Thomas auf diesem Gebiet – das habe ich schon einmal gesagt –, aber, Herr Thomas, glauben Sie mir, Ihre selektive Wahrnahme, dass nur Sie etwas tun,
(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Lutz Brauer, CDU: Ach, Frau Muth! – Reinhardt Thomas, CDU: Das haben wir nicht gesagt. Aber es dauert uns zu lange. – Kerstin Kassner, PDS: Sehr schön.)
Im Rahmen der Debatte ist beantragt worden, den Antrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 3/1293 zur federführenden Beratung an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Wirtschaftsausschuss, an den Umweltausschuss sowie an den Tourismusausschuss zu überweisen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der SPD- und PDSFraktion gegen die Stimmen der CDU-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen somit zur Abstimmung in der Sache. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Der Antrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 3/1293 ist mit den Stimmen der SPD- und PDS-Fraktion gegen die Stimmen der CDU-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrages der Fraktionen der PDS und SPD – Bahnverkehr wettbewerbsfähig machen, Drucksache 3/1300. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 3/1323 vor.
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Ritter von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Herr Ritter.
Erstens. „Der Bund gewährleistet, daß dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird.“ So weit das Grundgesetz.
Zweitens. „Eine gute Erreichbarkeit aller Teilräume untereinander durch Personen- und Güterverkehr ist sicherzustellen. Vor allem in verkehrlich hoch belasteten Räumen und Korridoren sind die Voraussetzungen zur Verla
gerung von Verkehr auf umweltverträglichere Verkehrsträger wie Schiene und Wasserstraße zu verbessern. Die Siedlungsentwicklung ist durch Zuordnung und Mischung der unterschiedlichen Raumnutzungen so zu gestalten, daß die Verkehrsbelastung verringert und zusätzlicher Verkehr vermieden wird.“ So weit das Raumordnungsgesetz.
Sie sehen also, meine sehr verehrten Damen und Herren, klare Regelungen sind vorgegeben. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass die Umsetzung seit Jahren mehr als vernachlässigt wird. Die alte Bundesbahn fuhr in die roten Zahlen auch durch einen kontinuierlichen Rückzug aus der Fläche. Kundennähe ging durch Schließung von Bahnhöfen und den Abbau von Personal verloren. Die Frage war, welche Entwicklung würde die neue DB AG nehmen. Die Realität heute lautet: Der Negativtrend der Bahn konnte nicht gestoppt, eine Verlagerung von Verkehr auf umweltverträglichere Verkehrsträger wie Schiene und Wasserstraße, wie im Raumordnungsgesetz gefordert, konnte oder wollte nicht erreicht werden.
Jedoch der Bahn allein die Schuld zuzuweisen wäre zu einfach. Ausbau und Erhalt der Infrastruktur sind bekanntlich eine Aufgabe der staatlichen Gemeinwohlvorsorge. Bundesländer, Kreise und Kommunen teilen sich die Pflicht für den Nahverkehr, während der Bund für den Fernverkehr zuständig ist. Er finanziert den Neubau, Ausbau und Erhalt von Bundesstraßen, Bundeswasserstraßen und eben Bundesschienen. Und wenn dann immer wieder im Gespräch ist, dass im Zuge der Fortführung der Bahnreform 9.000 Streckenkilometer in Zusammenarbeit mit den Ländern oder auch privaten Betreibern regionalisiert werden sollen, stellt sich schon die Frage, ob sich die Bahn künftig nur noch auf hochrentable Hochgeschwindigkeitsstrecken konzentriert, um börsenfähig zu werden, und den Ländern den Rest überlässt und diese dann zusehen können, wie sie damit klarkommen. Ein deutliches Signal unseres Landtages an die Bundesregierung ist also mehr als überfällig.
In einem Schreiben an Bundeskanzler Schröder macht der Vorsitzende der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands, Norbert Hansen, deutlich: „Der Bundesregierung kommt hier eine entscheidende Verantwortung zu, nicht nur als Eigentümer des Bundesunternehmens Bahn, sondern vor allem auch als politische Instanz, die letztlich die verkehrspolitischen Weichen in die eine oder in die andere Richtung zu stellen hat. In der Koalitionsvereinbarung hat sich diese Regierung klar zum Ziel der Verlagerung von Verkehren auf die Schiene bekannt. Dieser Weg ist verkehrs- und umweltpolitisch sinnvoll und ökonomisch vernünftig. Er sollte auch in einer schwierigen Situation nicht leichtfertig in Frage gestellt werden.“
Und die Situation ist in der Tat ernst. Laut einem Bericht des „Spiegel“ sind ohne Kurskorrektur für die Jahre 2000 bis 2004 Verluste von 13,3 Milliarden DM, Schulden von circa 20 Milliarden DM und die Aufzehrung des Eigenkapitals der Bahn zu erwarten. Ein Teil der Sanierungsstrategie der DB AG ist die Einsparung von Personalkosten in Höhe von 3,6 Milliarden DM. Einsparung von Personalkosten bedeutet aber wieder Abbau von Personal, bedeutet wieder Abbau von Leistungsfähigkeit, Abbau von Sicherheit, Abbau von Attraktivität.
Dabei wären an anderer Stelle durchaus Möglichkeiten vorhanden, mit den zur Verfügung stehenden Geldern sinnvoll umzugehen. So beinhaltet das von der Bundesre
gierung im letzten Herbst vorgestellte Investitionsprogramm für den Zeitraum der Jahre 1999 bis 2002 rund 14 Milliarden DM zum Ausbau und Neubau von Bundesschienenwegen. Jedoch annähernd die Hälfte dieses Geldes wird von nur zwei Großprojekten aufgefressen. Der Neubau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Köln und Frankfurt am Main wird rund 3,4 Milliarden DM und die Fortführung der Bauten am Bahnknoten Berlin wird weitere 2,8 Milliarden DM beanspruchen. Jeder kann sich dann ausrechnen, was für die Strecken im Fernverkehr durch unser Land übrig bleibt.
Auf die Mehrkosten bei vielen neuen Bauvorhaben der Bahn angesprochen, antwortet Bundesverkehrsminister Klimmt in einem „Spiegel“-Interview: „Die Verantwortung liegt bei der Bahn. Es tut weh, dass die ICE-Strecke Köln–Frankfurt voraussichtlich 2 Milliarden DM mehr kostet als geplant. Mir wird fast schwindlig, wie leicht man heute mit dem Begriff Milliarde umgeht. Ich bin auch erschrocken, wie bei den Bauten in Berlin Mittel verbumfiedelt wurden.“ So weit der Bundesverkehrsminister. Ich hoffe nur, dass es nicht bei seinem Erschrecken bleibt, sondern dass gehandelt wird.