Diese Rentenkonzeption ist sachlich und fachlich falsch und letztendlich nicht umsetzbar und insbesondere nachteilig für ein Land wie Mecklenburg-Vorpommern, wo fast
jeder Zweite ein Nettoeinkommen von unter 1.800 DM hat. Meine sehr verehrten Damen der SPD, können Sie sich denn vorstellen, dass ohne eine nachgelagerte Besteuerung oder durch eine Verstärkung der Kinderkomponente oder einen höheren Zuschuss Menschen mit einem Nettoeinkommen von unter 1.800 DM bereit sein werden, etwas für private Vorsorge zu tun?
Lassen Sie mich zum Schluss eins sagen: Wer in der Rentenfrage Gerechtigkeit und Generationengerechtigkeit will, der kann die Riester’sche Rentenreform in dieser Form nur ablehnen. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Rehberg, es stimmt, es wurde sehr viel über die Rentenreform in den letzten Monaten diskutiert. Doch bei Ihnen habe ich den Eindruck, dass Sie die aktuelle Entwicklung überhaupt nicht mehr mitbekommen haben. Ich kann in keiner Weise das von Ihnen hier genannte Zahlenspiel nachvollziehen,
vor allen Dingen kann ich nicht nachvollziehen, dass Sie davon reden, dass die kindbezogene Komponente nicht verstärkt werden soll.
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Harry Glawe, CDU: Dann müssen Sie dafür was tun, Frau Seemann. – Eckhardt Rehberg, CDU: Dann müssen Sie den Verband der Renten- versicherungsträger mal fragen.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit Jahren werden relativ abstrakt die Herausforderungen diskutiert, die der demographische Wandel an die Arbeitsund Sozialpolitik stellt. Dieser demographische Wandel ist einerseits durch einen „Schrumpfungsprozess“ und andererseits durch einen „Alterungsprozess“ gekennzeichnet, und das ist nicht erst seit gestern oder heute bekannt. Lösungen hierfür hätten schon spätestens Anfang der 90er Jahre greifen müssen, zumal hiermit einhergehend Verteilungskonflikte zwischen den Generationen entstanden sind, zum einen auf dem Arbeitsmarkt und zum anderen in absehbarer Zeit bei der Alterssicherung.
Meine Damen und Herren, wir stehen in der Pflicht, gemeinsam Konzepte zu entwickeln, die statt eines „Krieges der Generationen“ ein „Bündnis der Generationen“ herbeiführen. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass statistische Prognosen anhand relativ statischer Annahmen erstellt werden. Denn wer weiß zum Beispiel heute, welche Interessen die noch nicht einmal geborenen Generationen haben? Wer von uns behauptet allen Ernstes zu wissen, ob künftige Generationen nach wie vor an einem hohen sozialen Sicherungsniveau interessiert sind oder vielleicht mehr Risiken auf sich nehmen wollen, die dem Einzelnen dann auch mehr Freiheiten eröffnen? In Umfragen sind die Aussagen der Jugendlichen hierzu jedenfalls äußerst differenziert.
(Harry Glawe, CDU: Also gibt es noch einen Generationenvertrag für Sie oder gibt es ihn nicht mehr?)
Trotz dieser Unbekannten muss Politik handeln, auch auf die Gefahr, bei Entscheidungen, die mittel- und langfristig zum Tragen kommen, in späteren Jahren Korrekturen vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, für Deutschland hat die UN die demographische Entwicklung von 1995 bis 2050 untersucht. Dabei geht man schon von einem positiven Szenario der Steigerung der Geburtenrate von 1,3 auf 1 , 6 Kinder pro Frau, einem positiven Wanderungssaldo von 200.000 Personen pro Jahr und einem Anstieg der Lebenserwartung der Frauen von 80 auf 84 und der Männer von 74 auf 79 Jahren aus. Die Zahl der 20- bis 60-Jährigen schrumpft von 46,5 auf 30,5 Millionen. Gleichzeitig, meine Damen und Herren, wächst die Zahl der über 60-Jährigen von circa 18 auf circa 28 Millionen. Legt man den so genannten „Altenquotienten“ zugrunde, das heißt, wie viele Personen über 65 Jahre kommen auf 100 Personen zwischen 15 und 65 Jahren, so muss konstatiert werden, dass ohne Wanderung und bei konstanter Erwerbsquote dieser Quotient von 24 auf 57 steigt. Folglich müssten die Beiträge zur Rentenversicherung, die in den letzten 35 Jahren schon von 14 auf über 19 Prozent – unter der CDU sogar auf über 20 Prozent – gestiegen sind,
Auch die viel diskutierten entlastenden Faktoren wie Zuwanderung, Steigerung der Geburtenrate und Erhöhung der Erwerbsquote werden nicht zu den Ergebnissen führen, die manche sich vielleicht erträumen. Wenn zum Beispiel der jetzige „Altenquotient“ gehalten werden soll, müsste Deutschland bis 2050 netto circa 188 Millionen Einwanderinnen und Einwanderer aufnehmen. Die Bevölkerung würde von 82 Millionen auf 299 Millionen ansteigen. Setzt man ein realistisches Einwanderungssaldo von 200.000 Personen pro Jahr an, steigt der „Altenquotient“ immerhin noch von 24 auf 49, da auch die Einwanderinnen und Einwanderer älter werden. Selbst dann, wenn man unterstellt, dass die Geburtenrate bis 2020 auf zwei Kinder pro Frau ansteigt, wird eine Verdoppelung des „Altenquotienten“ nicht verhindert.
Die Alterskohorten im gebärfähigen Alter sind schwach besetzt. Außerdem entscheiden sich schon heute nur noch circa zwei Drittel der Frauen im gebärfähigen Alter für ein Kind. Das hieße wiederum, dass diese Frauen drei Kinder bekommen müssten, und dies dürfte vollends illusorisch sein, denn damit läge die Geburtenrate über der der Entwicklungsländer. Die liegt nämlich bei 2,9 pro Frau.
Meine Damen und Herren, ich gehe auf diese Zahlen nicht ein, um Sie zu langweilen, sondern um deutlich zu machen, vor welch gewaltigen Problemen wir stehen. Da das Thema der Aktuellen Stunde natürlich einen Bezug zu Mecklenburg-Vorpommern haben sollte, obwohl es, meine Damen und Herren von der PDS, wieder einmal in den Bundestag gehörte, einige Daten für unser Bundesland:
Der Trend unterscheidet sich von dem bundesweiten nicht. Die Gesamtbevölkerung wird weiter abnehmen von
1998 mit knapp 1,8 Millionen Einwohnern auf gut 1,6 Millionen Einwohner im Prognosejahr 2020. Das entspricht einer Reduzierung – ich bin gleich fertig – von mehr als zehn Prozent. Die Abwanderung vor allem von jungen Frauen im gebärfähigen Alter wurde jüngst in der Presse reflektiert. Demgegenüber wächst die Gruppe der Älteren weiter stark an.
Meine Damen und Herren, über diese Fakten müssen wir uns unterhalten und gleichzeitig über den Fakt der Beitragsstabilität, denn, Herr Koplin, da unterscheiden wir uns. Ich halte es für sehr wichtig, dass die Beiträge stabilisiert werden aus arbeitsmarktpolitischen Gründen.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Ich muss hier doch einen argen Widerspruch deutlich machen. Der demographische Faktor ist sicherlich wichtig, aber nicht das Ausschlaggebende,
sondern das sind die grundlegenden Veränderungen in dieser Arbeitswelt. Die Rentendebatte ist eine gesellschaftspolitische und eine gesellschaftsstrategische und daher ist sie auch hier in Mecklenburg-Vorpommern zu führen und wird geführt. Hier geht es um solch gewichtige Fragen wie den sukzessiven Abbau oder die Sicherung eines auf Solidarität basierenden Sozialversicherungssystems, um die Aufkündigung des bestehenden oder die Schaffung eines neuen Generationenvertrages.
Die PDS steht für die Sicherung einer auf Solidarität basierenden Rentenversicherung und für die Schaffung eines neuen Generationenvertrages.
Angesichts der in der Gesellschaft breit geführten Diskussion und des verständlicherweise erheblichen öffentlichen Interesses ist es auch sehr bedauerlich und undemokratisch, dass PDS-Expertinnen und -Experten gezielt aus den Rentenkonsensgesprächen ausgegrenzt wurden.
Ich möchte hier explizit auf einige unserer Vorschläge eingehen, die in zahlreichen Punkten denen von sozialen Verbänden gleichen beziehungsweise Vorschläge von alternativen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aufnehmen.
Ein soziales Sicherungssystem, das hundert Jahre auf dem Buckel hat und den Bedingungen der Arbeitswelt von vor hundert Jahren entsprach, kann unter den heutigen Bedingungen so nicht mehr funktionieren,
sondern muss den Veränderungen in unserer Arbeitswelt angepasst werden unter der Beachtung folgender Grundprinzipien: Solidarität, soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit.
Was kennzeichnet die gegenwärtige gesetzliche Rentenversicherung, was sind ihre Wesenszüge? Das sind die Ausrichtung an einer kontinuierlichen männlichen Erwerbsbiographie von bis zu 45 Arbeitsjahren, die paritätische Finanzierung in Form von Beiträgen durch den Arbeitgeber anhand der Anzahl der Beschäftigten und Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer, Hinterbliebenenversorgung zur Absicherung nicht erwerbstätiger Ehegatten, zumeist Frauen. Diese Wesenszüge treffen heute so nur noch bedingt zu. Zum Beispiel wird eine ununterbrochene Erwerbsbiographie von 45 Jahren kaum noch erreicht. Das bedeutet, diskontinuierliche Erwerbsbiographien, die bisher hauptsächlich Frauen betrafen, werden zunehmend auch für Männer normal. Mit zu berücksichtigen sind auch der massenhafte Rückgang von Industriearbeitsplätzen durch Hochtechnologie und Rationalisierung, die Zunahme von Dienstleistungsarbeitsplätzen mit untertariflicher Entlohnung, zum Beispiel auch in Form von prekären Beschäftigungsverhältnissen, sowie die Zunahme von Frauenerwerbstätigkeit.
Die umlagefinanzierte sozialstaatliche Rente ist zu erhalten. Einnahmen- und Leistungsreformen haben diesem Ziel zu dienen.
Jede und jeder muss die Möglichkeit haben, sich im Laufe seines Erwerbslebens eine eigenständige Alterssicherung aufzubauen, die ein ausreichendes Einkommen im Alter garantiert.
Private Vorsorge darf nicht obligatorisch und muss auch nicht gefördert werden. Sie kann nur zusätzlich zur Erreichung eines höheren Alterseinkommens auf freiwilliger Basis sinnvoll sein.
Ein Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge als zweites Standbein mit besserer Verzahnung zur gesetzlichen Rentenversicherung ist zu favorisieren.
Die gesetzliche Rentenversicherung muss grundsätzlich bei langjährigen Versicherten Altersarmut verhindern. Sie braucht einen armutsfesten Sockel, der mittelfristig innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung durch eine Neugestaltung des Verhältnisses von Beitragsäquivalenz und Solidarausgleich zu schaffen ist.
Sicherung der Teilhabe am gesellschaftlichen Lebensstandard und Generationengerechtigkeit durch die Dynamisierung nach der Nettolohnformel
Zum Abbau bestehender Altersarmut ist eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung im Alter außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung auf steuerfinanzierter Basis unverzichtbar.