Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

Deshalb lade ich Sie abschließend am 7. Dezember nach Rostock ein. Wir können dann gemeinsam diskutieren, wie Gender in den Mainstream kommt.

(Harry Glawe, CDU: Wir kommen gerne.)

Ansonsten bin ich gern bereit, für das Parlament eine Weiterbildung dazu zu organisieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Harry Glawe, CDU)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Holznagel von der CDU-Fraktion. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich begann, mich mit Frauenpolitik zu beschäftigen, hätte ich eines gewiss nicht erwartet, und zwar dass ich Jahre später immer noch über die gleichen Probleme reden würde, obwohl das Grundgesetz geändert wurde zu diesem Thema, obwohl viele Gesetze eingebracht worden sind. Ich hätte angenommen, Frauenpolitik könne nach der Jahrtausendwende überhaupt kein Thema mehr sein. Insbesondere habe ich nicht damit gerechnet, dass man im Jahr 2000 auch noch Gleichstellungskonzeptionen benötigt. Aber wir haben ja gehört, wir brauchen sie.

In meinem jugendlichen Leichtsinn war ich der Meinung, man werde die Benachteiligung von Frauen und Defizite in der Gleichstellung von Frauen und Männern in ein paar Jahren überwunden haben. Vielleicht reden wir zu wenig mit Männern über Partnerschaft oder die Stellung der Familie.

(Harry Glawe, CDU: Genau.)

Vielleicht sollten wir das viel intensiver tun.

Manchmal frage ich mich, ob in der Frauenpolitik nicht immer noch auf der Stelle getreten wird. Insofern ist es

von Zeit zu Zeit sinnvoll, sich Rechenschaft abzulegen über die Situation der Frauen im Land und über die Umsetzung und Perspektiven von Gleichstellung, auch hier bei uns im Land Mecklenburg-Vorpommern.

Meine Damen und Herren! Dass das Land Mecklenburg-Vorpommern frauenpolitisch seine Besonderheiten hat, ist mir auch in der Vergangenheit immer wieder deutlich geworden. Die ausgesprochen hohe Erwerbsneigung der Frauen in Mecklenburg-Vorpommern ist ja in der bundesdeutschen Frauenszene ein durchaus bekanntes Thema und auch sehr gut beschrieben worden.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Das ist doch in Ordnung.)

Deshalb möchte ich meine Situationsanalyse und die Analyse der Gleichstellungskonzeption, die nunmehr durch die Landesregierung vorgelegt worden ist, unter das Thema Erwerbsbeteiligung stellen. Dies möchte ich sicher nicht deshalb tun, weil ich die Gleichberechtigung und die Gleichstellung von Frauen ausschließlich an ihrer Erwerbsbeteiligung messen möchte. Menschen – Männer wie Frauen – sollen möglichst selbst entscheiden, ob und in welchem Maße sie erwerbstätig sein wollen oder nicht. Aber ob sie solch eine Entscheidung überhaupt treffen können oder ob sie nicht vielmehr in vorgefertigte Rollen gepresst werden, das ist die maßgebliche Frage. Und Frau Staszak hat das hier ja schon deutlich beschrieben.

In einer Gesellschaft, in der die Chancen der Menschen nach wie vor von der Teilhabe an der Erwerbstätigkeit abhängen, müssen wir natürlich nach der Erwerbsbeteiligung von Frauen fragen, nach ihrer Erwerbsneigung, nach den Chancen und den Verwirklichungsmöglichkeiten der realen Möglichkeiten von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, denn durch die Erwerbsbeteiligung, durch die Beteiligung am Erwerbsleben, entscheiden sich nun mal wesentliche Dinge im Leben. Da entscheidet es sich, ob Gleichstellung gelebt werden kann oder nicht. Und ich möchte noch mal betonen, dass mir das Wort „gleichberechtigt“ hier viel deutlicher macht, was es bedeutet, denn es drückt auch das Besondere der Frau aus, das Besondere der Frau in der Familie. Die Möglichkeit, Einkünfte zu erzielen oder eine Alterssicherung aufzubauen, ist ebenso für die gesellschaftliche Akzeptanz, das heißt für die gesellschaftliche Gleichstellung, wie auch für die Spielräume für die gleichberechtigte, gleichgestellte Selbstverwirklichung von Frauen in unserem Lande wichtig.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie ist es nun für die Frauen in Mecklenburg-Vorpommern um diese Möglichkeit bestellt? Die Beteiligungschancen der Frauen im Arbeitsleben liegen in Mecklenburg-Vorpommern nach wie vor deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Trotz eineinvierteljähriger Erarbeitung einer Gleichstellungskonzeption ist die Frauenerwerbsquote nur marginal, nämlich von 48,1 Prozent im Oktober 1998 auf 48,5 Prozent im Oktober 2000, gestiegen. Das ist lediglich ein Anwachsen der Erwerbsquote von Frauen um 0,4 Prozent.

Meine Damen und Herren, ich könnte jetzt sagen, das ist nichts! Das ist lediglich die fragwürdige Gleichstellungspolitik der SPD/PDS-Regierung. Das liegt mehr als zwölf Prozent unter der Frauenerwerbsquote in den westlichen Bundesländern. Aber das möchte ich nicht sagen. Ich weiß, meine Damen und Herren, wie schwer es ist, hier in unserem Land Veränderungen zu schaffen. Ich hoffe, meine Damen und Herren der Koalition, dass Sie auch

gemerkt haben, dass in dieser Hinsicht kaum Erfolge für Parteipolitik zu erzielen sind.

Trotz der nunmehr vorliegenden Gleichstellungskonzeption ist nicht im mindesten absehbar – und das ist eigentlich die traurige zentrale Nachricht –, dass sich der Abstand in der nächsten Zeit verringern wird. Der Aufholprozess der Frauen am Arbeitsmarkt in einem neuen Bundesland – in Mecklenburg-Vorpommern –, der vor allen Dingen die Arbeitsmarktdiskussionen der 90er Jahre und vor allen Dingen auch des neuen Jahrtausends geprägt hat und prägen muss, ist hier leider zum Stillstand gekommen.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Frau Staszak hat den doppelt methodischen Ansatz ins Spiel gebracht.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Ich würde mich freuen, wenn er helfen würde. Aber Spaß beiseite.

Die Gleichstellungskonzeption, die nunmehr durch die Landesregierung vorgelegt worden ist, spricht zwar größtenteils von ihren Zielsetzungen, den zu schaffenden Grundlagen und vollführt auch eine beeindruckende Bestandsaufnahme, aber allein die Schlussfolgerungen und konkreten Zielvorgaben für die Verwirklichung einer höheren Erwerbsbeteiligung der Frauen in unserem Lande sind nicht nachhaltig genug überlegt. Und ich denke, wenn Frau Staszak hier betont hat, dass diese Gleichstellungskonzeption weiter erarbeitet werden muss, dass das ein Anfang ist, dann, glaube ich, sind wir uns auch wieder einig.

(Harry Glawe, CDU: Wir müssen über die Modelle hinauskommen.)

Frau Staszak, Sie wollen eine Frage stellen. Erlauben Sie das, Frau Holznagel?

Frau Holznagel, sind Sie fertig?

Nein. Ich bin noch nicht fertig.

Frau Holznagel, wollen Sie, dass eine Frage gestellt wird? (Zustimmung)

Frau Holznagel, was mir sehr unter den Nägeln brennt, ist die Bestellung der Gleichstellungsbeauftragten in Demmin. Sie wissen, dass in Demmin die Arbeitslosigkeit ganz besonders hoch ist, und ich wundere mich über die Schwierigkeiten, die da sind. Es sind ja mehrere Abgeordnete hier und Sie haben ja frauenpolitisches Wissen. Deshalb möchte ich gerne wissen: Wie stehen Sie dazu?

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Harry Glawe, CDU: Es gab noch nie so viele langzeitarbeitslose Frauen wie unter dieser rot-roten Regierung.)

Das ist doch Quatsch. Das wissen Sie doch.

Die Antwort gibt Frau Holznagel.

Frau Staszak, das Problem, was Sie angesprochen haben, bedrückt mich auch sehr. Aber es hat nichts mit der Stellung der Gleichstellungsbeauftragten in Demmin zu tun. Es hat sicher etwas damit zu

tun, dass die Gleichstellungsbeauftragte in letzter Zeit – ich glaube, ein halbes Jahr – krank war. Ich denke, wenn dieses Problem gelöst ist, wird die Stellung auch wieder eine andere sein. Ich glaube, wir können uns danach auch noch einmal darüber unterhalten.

Ich hoffe es. Also …

Entschuldigung. Frau Staszak, wollen Sie noch eine Frage stellen?

Meine Damen und Herren! Ich denke, zur Gleichstellungskonzeption ist doch noch einiges zu sagen. Es hilft nun einmal nichts, ständig modellhaft Projekte zu installieren, wie es jetzt, nach über zehn Jahren, zur Stärkung des ländlichen Raumes und der Verbesserung der Erwerbssituation von Frauen durch ein Projekt „Frauen und Arbeit regional“ geschehen soll. Es hilft auch nichts, frauen- und gleichstellungspolitische Mitwirkungen und Verschleierung der Erwerbstätigkeit von Frauen auf dem gemeinwohlorientierten Arbeitsmarkt, den GAP-Projekten, wo den Frauen vorgespielt wird, ihrer Erwerbsneigung würde entsprochen werden, und dieses auch noch zum Wohl der Allgemeinheit, was nun gerade durch GAP-Projekte nicht der Fall ist,

(Annegrit Koburger, PDS: Hä?)

quasi konzeptionell festzuschreiben, wo doch nachhaltige Beschäftigung von Frauen auf dem ersten Arbeitsmarkt das Wichtigste ist. Und ich denke, das sollte ein ganz großes Ziel auch in dieser Konzeption sein und muss wesentlich mehr unterstrichen werden. In Ihrer Konzeption befindet sich eine Vielzahl von Wegweisern, auf denen allerdings die Zielorte nicht klar lesbar sind und Entfernungsangaben, ja zeitliche Zielvorgaben mir hier einfach zu kurz kommen beziehungsweise auch fehlen.

Meine Damen und Herren! Die Umsetzung des GenderMainstreaming-Prozesses im operationellen Programm ist zwar konzeptionell verankert und Frau Staszak hat ja angekündigt, dass es hier weitergehen wird. Aber ich hätte es mir bei der Diskussion im gesamten Ostseeraum doch schon wesentlich dicker angemerkt, wie es gehen soll, wie es umgesetzt werden kann und was zu tun ist. Deswegen sage ich noch einmal, es muss deutlich hervortreten, was geschehen soll. Allein fachliche Unterstützung und das Anbieten guter Voraussetzungen für die Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Männern sind ohne Frage gut gemeinte richtige Worte, aber ich suche vergeblich – und ich habe das auch wirklich versucht, intensiv zu tun – nach konkreten, nachhaltigen und erfolgsorientierten Maßnahmen, die ich hier, da war ich auch etwas neugierig, vielleicht neu erwartet habe.

Meine Damen und Herren, ich frage Sie im Ernst, das kann doch noch nicht alles sein, dass Sie vorschlagen, im Rahmen der Existenzgründerqualifizierung Maßnahmen zu unterstützen, die das frauenspezifische Gründungsverhalten berücksichtigen. Hier frage ich Sie allen Ernstes: Was ist vor dem Hintergrund einer Gleichstellungskonzeption unter Gleichstellungsaspekten ein frauenspezifisches Gründungsverhalten? Aber vielleicht sagen Sie ja noch was dazu.

Wir bewegen uns hier, und davon ist Ihre Gleichstellungskonzeption durchzogen, und ich betone noch einmal, es handelt sich um eine Konzeption zur Gleichstellung – Sie haben es auch noch einmal gesagt –, um veraltetes und, ich

möchte sagen, manchmal auch überholtes Barrieredenken der Frauenpolitik. Sicherlich ist es schwer, hier neue Wege zu beschreiten, die dann auch verstanden werden.

Meine Damen und Herren! Wir müssen es schaffen, den Frauen einen größeren Anteil am Kuchen der Beschäftigung zu verschaffen, Rahmenbedingungen setzen, die auch konkret greifen. Dass die Stagnation der Erwerbsbeteiligung von Frauen auf einem derart niedrigen Niveau in Mecklenburg-Vorpommern stattfindet, macht mir Sorgen, natürlich besonders für meinen Landkreis Demmin. Die Probleme sind aber noch keineswegs gelöst, wenn Frauen einen Arbeitsplatz haben. Frauen sind in weit höherem Maße als Männer in Arbeitsverhältnissen tätig, die gemeinhin schlechtere Einkommens- und Aufstiegsperspektiven bieten. Das spiegelt sich in der Teilzeitquote, in ABM und SAM wider. Etwa jede dritte berufstätige Frau in Mecklenburg-Vorpommern hat keinen Vollzeitjob. Auch Frauen, die voll erwerbstätig sind, haben nicht immer die gleichen Chancen wie ihre männlichen Kollegen. Ein Vergleich der Einkommen zeigt dies unübersehbar. Frauen verdienen in Mecklenburg-Vorpommern immer noch wesentlich weniger als Männer.

Ob gleiche Chancen für Frauen gegeben sind, zeigt sich auch daran, welches Risiko sie haben, arbeitslos zu werden. Heute entspricht der Anteil der Frauen an der Arbeitslosigkeit in Mecklenburg-Vorpommern relativ ihrem Anteil an der Beschäftigung, nämlich 48,5 Prozent Beschäftigungsanteil der Frauen im Verhältnis zu 52,3 Prozent Erwerbslosenanteil der Frauen. Frauen sind im Lande in besonderem Maße von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Das wissen wir alle.

Angesichts der Bedeutung, die die Qualifikation für die Vermittlungsfähigkeit von arbeitslosen und langzeitarbeitslosen Frauen hat, muss überwunden werden, dass Frauen niedrig oder nicht qualifiziert in die Sozialhilfe oder in die Arbeitslosigkeit abrutschen. Aber auch das haben wir zu beachten in unserem Land: Leistungsstarke, gut qualifizierte Frauen wandern aus unserem Land ab, und das sind vor allem junge Frauen. Konkret bedeutet das, dass Frauen am Arbeitsmarkt nach wie vor auf geschlechtsspezifische Benachteiligungen stoßen.

Meine Damen und Herren! Die Vorbehalte von Arbeitgebern, die hier zum Ausdruck kommen, haben manchmal eine ganz banale Ursache. Auch gut qualifizierte junge Frauen können Mutter werden. Und ich wünsche, dass noch viel mehr Frauen Mütter werden, denn wir wissen, dass wir in unserem Land noch viel mehr junge Leute brauchen.

(Harry Glawe, CDU: Richtig. – Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Wir haben leider Anlass festzustellen, dass in Mecklenburg-Vorpommern die Bereitschaft der Wirtschaft abnimmt, die Risiken mitzutragen, die sich aus Familienpflichten ergeben. Ein Beispiel: Die Zahl der Anträge auf Ausnahmegenehmigung für die Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen steigt langsam an. Und das sollte uns aufmerksam machen. Auch wir wissen, dass eine Landesregierung nur begrenzte Möglichkeiten hat, auf das Verhalten der Betriebe Einfluss zu nehmen. Aber umso mehr muss sie dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen in einer Gesellschaft, die das Zusammenleben von Menschen ermöglicht, nicht einfach auf dem Altar der Wettbewerbsfähigkeit geopfert werden. Der Wettbewerb „Frauenfreundlicher Betrieb“ ist hier ein gutes Beispiel.