Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

Aufbauend auf diesen Grundsätzen, so möchte ich es einmal bezeichnen, sind die in den nachfolgenden Punkten aufgeführten Maßnahmen der Einzelressorts zu betrachten. Sicherlich kann und wird es Kritik von unterschiedlicher Seite geben bezüglich der Vollständigkeit. Das ist ja hier schon ein bisschen deutlich geworden. Ich sage jedoch, eine Landesgleichstellungskonzeption kann, nein, sie darf kein starres Programm ähnlich einem Gesetz sein. Gleichstellungspolitik ist immer unter Berücksichtigung ihres prozessualen Charakters zu planen und zu gestalten. Eine diesbezügliche Konzeption muss also so aufgebaut sein, dass sie aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst werden kann. Enthaltene Bestandteile können an Schwerpunktkraft verlieren. Neue Maßnahmen gewinnen an Bedeutung und müssen als Schwerpunkte Bestandteil werden können.

Diese Schwerpunktsetzung finden wir in dem vorliegenden Material in allen Teilbereichen wieder. Sie sind zum Teil allgemein gehalten und lassen somit situativen Gestaltungsspielraum. Wir finden allerdings auch schon sehr konkrete und untersetzte Aufgaben und Maßnahmen. Frau Karla Staszak hat sie detailliert genannt. Ressortübergreifende Ansätze kommen noch recht zaghaft zum Tragen. Wir stehen also hier auch am Anfang einer neuen Herangehensweise. Menschen, sprich Beamtinnen und Beamte oder Angestellte, die bisher auf der Basis eines entsprechenden Regelwerkes ihre Arbeit darauf ausgerichtet haben, streng nach Ressort getrennt zu agieren, müssen nunmehr schrittweise zu einer neuen ressortübergreifenden Herangehensweise befähigt werden. Wenn wir ehrlich zu uns selber sind, unterliegen wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier dieser ressortbestimmten Denkweise ebenso. Das heißt, auch wir müssen lernen, komplexer zu agieren. Und ich denke, wir haben hier ein Material vorgelegt bekommen, an dem wir uns fleißig, egal ob in der Regierung oder im Parlament, abarbeiten können.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, PDS)

Vielen Dank, Frau Koburger.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Seemann von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich finde es schon beachtlich, bei dem vorangegangenen Tagesordnungspunkt war der Saal voll. Das Thema war offensichtlich sensationsheischend. Hier wurde darüber diskutiert, wer eigentlich das Recht hat, Bürger zu vertreten. Jetzt diskutieren wir über über 50 Prozent der Bevölkerung, nämlich über die Belange von Frauen,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD, Annegrit Koburger, PDS, und Birgit Schwebs, PDS)

und scheinbar hat ein Großteil derjenigen, auch auf Seiten der CDU-Fraktion, die für sich in Anspruch genommen haben, den Alleinvertretungsanspruch für die Bürger zu haben, fluchtartig das Parlament verlassen.

(Beifall Beate Mahr, SPD, und Birgit Schwebs, PDS – Peter Ritter, PDS: Aber das ist doch nichts Neues.)

Ich finde es, gelinde gesagt, beschämend, wie hier mit den gleichstellungspolitischen Belangen umgegangen wird.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Dr. Christian Beckmann, CDU: Nun gucken Sie doch mal, wo die Minister alle sind! – Zuruf von Karla Staszak, SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, haben Sie keine Angst, ich wiederhole nicht alles, was meine Vorrednerinnen schon gesagt haben. Ich bemühe auch nicht noch einmal das in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes verankerte Gleichstellungsgebot und den Artikel 13 der Landesverfassung, um zu begründen, weshalb auf Initiative der Koalitionsfraktionen im März 1999 der Landesregierung der Auftrag erteilt worden ist, eine Landesgleichstellungskonzeption zu erarbeiten. Wer nach der Lektüre der uns nach etwas über einem Jahr auf Drucksache 3/1443 vorgelegten Unterrichtung noch immer nicht den Unterschied zwischen dem sich auf den personalrechtlichen Bereich des öffentliches Dienstes beziehenden Gleichstellungsbericht und der alle Politikfelder umfassenden Gleichstellungskonzeption verstanden hat, dem werde ich das wohl auch hier nicht mehr begreiflich machen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte stattdessen meine Rede auf sechs wesentliche Punkte beschränken:

Erstens möchte ich den Dank an Karla Staszak und ihre Mitstreiterinnen richten für die vorgelegte qualitativ hochwertige Arbeit, die sicherlich so nicht ohne die gute Kooperation mit den anderen Ressorts möglich gewesen wäre.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Annegrit Koburger, PDS)

Zweitens wurde die vorliegende Konzeption ganzheitlich und im Sinne des Gender-Mainstreaming – das haben wir heute schon mehrfach gehört – entwickelt. Dies bedeutet, die Entwicklung, Organisation und Evaluierung von politischen Entscheidungsprozessen und Maßnah

men so zu betreiben, dass in jedem Politikbereich und auf allen Ebenen die Ausgangsbedingungen und Auswirkungen auf die Geschlechter berücksichtigt werden, um auf das Ziel einer tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern hinwirken zu können. Kurz gesagt heißt das auch: Gleichstellungspolitik ist eine Querschnittsaufgabe.

Die Gleichstellungskonzeption bietet drittens eine hervorragende Handlungsgrundlage, indem sie durch eine sinnvolle methodische Herangehensweise den Weg zur Realisierung aufzeigt. Zielsetzung, gesetzliche Grundlagen und die Bestandsaufnahme machen mehr als deutlich, dass nicht mangelnde Fähigkeiten von Frauen die Ursache für Benachteiligungen sind, sondern dass Nachteile vielmehr aus der strukturellen Diskriminierung, aus Vorurteilen und Verhaltensweisen erwachsen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Viertens greift die Konzeption entsprechend ihrem Querschnittsanspruch alle wesentlichen Bereiche auf, in denen Maßnahmen zum Abbau struktureller Diskriminierung in ihrer Komplexität erfasst und ergriffen werden müssen. Dabei werden unter anderem die Zugangsbedingungen zum Arbeitsmarkt und zum Wirtschaftsleben ebenso behandelt wie Fragen im Bildungsbereich oder auch das Problem der häuslichen Gewalt. Die Aufzählung ist natürlich nicht abschließend.

Fünftens. Die Konzeption greift als wesentliche These auf, dass Chancengleichheit in unserer Gesellschaft vor allem gleiche Zugangschancen zur Bildung, Ausbildung und Arbeit bedeutet. Noch immer hindern Traditionen und Vorurteile Frauen daran, ihre Fähigkeiten voll in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung einzubringen.

(Beifall Beate Mahr, SPD)

Frauen bleiben oftmals entscheidende Ressourcen vorenthalten, die ihnen sozusagen gleiche Wettbewerbsbedingungen ermöglichen würden. Strukturelle Voraussetzungen können unter anderem geschaffen werden durch die Berücksichtigung der spezifischen Potentiale von Mädchen und Jungen im Rahmen von Lehrplänen, durch gleiche Zugangsbedingungen zum Erwerbsleben und Arbeitsmarkt für Frauen und Männer sowie durch die Ermöglichung gleicher Aufstiegschancen im Büro.

Die Gleichstellungskonzeption schafft sechstens die Grundlagen für eine stringente Umsetzung der genannten Ziele in den einzelnen Bereichen. Neben Maßnahmen, die ständig realisiert werden beziehungsweise sich bereits in der Realisierung befinden, wie die Förderung von Frauenhäusern und Beratungsstellen oder eben auch die Einrichtung eines Integrationsförderrates, werden Aufgaben genannt, die kurz- beziehungsweise mittelfristig erfüllt werden sollen. Dazu gehören zum Beispiel die Prüfung einer Novelle des Gleichstellungsgesetzes und die Umsetzung des Landesaktionsplanes „Gewalt gegen Frauen“.

Und ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich unserem Innenminister dafür danken, dass er sich so zügig heranwagt, auch das Sicherheits- und Ordnungsgesetz zu ändern.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Ich glaube, unter anderen politischen Konstellationen wären wir so weit noch nicht gekommen.

Für diese Maßnahmen wird eine konkrete Ausgestaltung und die Erarbeitung eines Zeitplanes notwendig sein. Darunter fallen regionale Strukturanalysen ebenso wie besondere Fortbildungsmaßnahmen zum Gender-Mainstreaming. Letzteres halte ich persönlich für alle – und zwar wirklich für alle – Hierarchiestufen für notwendig.

Meine Damen und Herren! Wir leben in einem Rechtsstaat, der allen Bürgerinnen und Bürgern formal gleiche Rechte garantiert. Aber die praktische Wahrnehmung dieser Rechte und Pflichten hängt in einem hohen Maße von der Herstellung der Chancengleichheit ab. Und dafür reicht es nicht aus, keine Unterschiede in der Gesetzgebung zu machen. Mit der Umsetzung der Gleichstellungskonzeption werden wir weitere Schritte gehen, um Strukturen zu verändern, die derzeit Frauen benachteiligen. Konzeptionen sind das eine, der Wille und die Beharrlichkeit, diese umzusetzen, das andere.

Und, Frau Kollegin Holznagel, dass eine Konzeption nicht in allen Punkten ad hoc umsetzbar ist, sondern kontinuierlich daran gearbeitet werden muss, denke ich, wissen Sie auch allein. Und ich sage Ihnen ganz deutlich, wenn Anfang der 90er Jahre, wo Sie Regierungsverantwortung mitgetragen haben, andere Rahmenbedingungen gesetzt worden wären, dann wäre es so weit, wie wir zum Teil mit der Situation von Frauen gekommen sind, gar nicht erst gekommen. Frau Koburger hat es mir vorhin schon vorweggenommen, der Begriff „Erwerbsneigung“ kommt vor allen Dingen aus CDU-geführten Ländern, und zwar immer mit diesem negativen Beigeschmack, wenn wir nicht so viele Frauen hätten, die unbedingt arbeiten wollen, dann würde es auch nicht so eine hohe Arbeitslosenquote geben.

Meine Damen und Herren! Frauen sind zum Großteil besser qualifiziert als Männer. Und es ist überhaupt nicht einzusehen, dass sie ihre Lebensperspektiven anders gestalten sollen als Männer.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Torsten Koplin, PDS: Richtig.)

Es geht hier doch nicht darum, dass Männer benachteiligt werden. Es geht darum, dass Frauen die gleichen Chancen bekommen wie Männer.

Frau Dr. Seemann, gestatten Sie eine Frage der Abgeordneten Frau Schnoor?

Zum Schluss.

Wenn ich mir ansehe, was wir nach gut zwei Jahren in dieser Regierungskoalition im Gleichstellungsbereich bereits erreicht haben, bin ich optimistisch, dass wir weiter vorankommen werden. Die vorliegende Konzeption nennt dazu ausreichend Handlungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten. Im Laufe der Zeit müssen diese sicherlich noch fortgeschrieben werden und diese gelten ebenso für alle hier Anwesenden wie für alle Ressorts der Landesregierung. Seien Sie sich sicher, dass beharrliche Abgeordnete und mit Sicherheit die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Landesregierung darauf achten werden, dass diese Konzeption nicht zum Papiertiger verkommt. Aber dieses Hinweises bedarf es wohl gar nicht, denn ich setze auch weiterhin darauf, dass sowohl für die Landesregierung als auch für jeden einzelnen freigewählten Abgeordneten die Gleichstellung eine Selbstverständlichkeit ist. – Danke.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD, Harry Glawe, CDU, und Angelika Gramkow, PDS)

Frau Schnoor, Sie können jetzt Ihre Frage stellen. Bitte.

Danke schön.

Frau Dr. Seemann, ist Ihnen bekannt, dass der Begriff „Erwerbsneigung“ ein wissenschaftlicher Begriff ist aus der Arbeitsmarktforschung, den man in jedem Volkswirtschaftslehrbuch nachlesen kann?

Das ist mir bekannt, Frau Schnoor. Das Problem ist nur, dieser Begriff wird im politischen Raum missbraucht aus meiner Sicht, um deutlich zu machen, dass eigentlich die Frauen gar keinen Anspruch haben, erwerbstätig zu sein.

(Reinhard Dankert, SPD: So ist es. – Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)

Er wird missbraucht dahin gehend, dass er mit einem negativen Beigeschmack versehen wird, und dadurch entsteht diese Wertung. Es wird deutlich gemacht, dass, wenn die Frauen darauf verzichten würden – bleiben wir mal im Osten – zu arbeiten, dann der Anteil von Arbeitslosen nicht so hoch wäre. Und das ist eigentlich das Fatale, einen an sich neutralen Begriff politisch zu missbrauchen.

Vielen Dank, Frau Dr. Seemann.

Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

Kann ich davon ausgehen, dass wir nach dieser Aussprache die Unterrichtung durch die Landesregierung verfahrensgemäß für erledigt erklären? – Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann gilt es als so beschlossen.

Meine Damen und Herren, wir treten nun in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird fortgesetzt um 12.20 Uhr. Ich wünsche Ihnen guten Appetit.

Unterbrechung: 11.18 Uhr ___________

Wiederbeginn: 12.23 Uhr

Meine Damen und Herren! Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 15: Beratung der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU – Qualität der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen im Land Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache 3/1414.