Protokoll der Sitzung vom 31.01.2001

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Mein Kollege Dr. Born wies bereits auf die gesamtgesellschaftliche Komponente von Schule hin und Frau Polzin sprach auch von der Erziehung, die in ihrer Schule stattfindet. Vielleicht wähle ich auch den Einstieg zur Problematik Unterrichtsversorgung über diesen Weg und möchte also zunächst feststellen, dass gewiss Schule, Bildung nicht die massiven gesellschaftlichen Probleme insgesamt lösen kann. Die CDU hat sich immer gegen diese Auffassung gewehrt, dass Schule ein Reparaturbetrieb der Gesellschaft ist. Sie kann es nicht sein.

(Zuruf von Heike Polzin, SPD)

Aber gerade Bildungspolitiker der SPD haben immer wieder diesen Anspruch erhoben und in die Schule Erziehungsbereiche verlagert, die dort nicht hingehören. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, die Schule hat eine Erziehungsfunktion und wird sie auch behalten. Sie ergänzt die Erziehung im Elternhaus, das ist der feine Unterschied. Sie ersetzt die Erziehung des Elternhauses nicht, aber sie ergänzt diese. Daher zeugen Umwelterziehung, Verkehrserziehung, Sexualerziehung und vieles andere mehr von dem Anspruch der Schule, vieles von dem zu vermitteln, was eigentlich originäre Aufgabe der Eltern ist.

Wenn es um Unterrichtsversorgung geht, dann müssen wir uns auch dieser Tatsache stellen, denn viele Ressourcen werden durch die Einbeziehung solcher Erziehungsziele gebunden. Zeit, die für Wissensvermittlung, Wiederholung und Vertiefung sowie für die Aneignung von Methodenkenntnissen verloren geht. Wenn es um die Unterrichtsversorgung geht, dann müssen wir auch ganz genau prüfen, was in die Schule hineingehört und was im Sinne der eigentlichen Aufgaben wieder stärker denen übertragen werden muss, die nach dem Grundgesetz dafür zuständig sind.

Meine Damen und Herren, das Problem der Unterrichtsversorgung wird sich in Kürze dramatisch zuspitzen. Viele Lehrer spüren es in den Schulen deutlich, dass die Einführung des 13. Schuljahres rein personell zu Lasten der Haupt- und Realschulen geht. Die zusätzlichen Stunden müssen abgesichert werden, denn die Lehrkräfte, die nun zusätzlich in der 11. Klasse eingesetzt sind, fallen in der Sekundarstufe I weg und müssen kompensiert werden.

(Harry Glawe, CDU: So ist es.)

Neben dem fachfremd erteilten Unterricht, vor allem in Haupt- und Realschulen, findet wiederholt eine Verschiebung im Bildungsangebot zu Lasten der Mehrheit der Schüler statt. Nicht zu verschweigen ist die Tatsache, dass sich heute schon zahlreiche Grundschullehrer einen weiteren Job gesucht haben. In den Kollegien macht der Spruch die Runde, dass die Lehrer vormittags in der Schule unterrichten und nachmittags bei McDonalds bedienen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ja.)

Wir sollten uns fragen, ob wir das gewollt haben. Herr Kauffold sagte, dass wohl 67 Lehrer in Mecklenburg-Vorpommern kündigen wollen. Die Dunkelziffer muss höher sein oder es muss zumindest eine Dunkelziffer geben, denn Folgendes stimmt mich mehr als bedenklich: Allein im Schulamtsbezirk Greifswald haben sich bis heute schon mehr als 30 junge Lehrer gemeldet, die im laufenden Schuljahr oder zum Ende dieses Schuljahres kündigen wollen. Ich frage: Wie werden die im laufenden Schuljahr ausscheidenden Lehrer ersetzt? Nach unseren Informationen gar nicht. Der Unterricht wird, wie auch immer, vertreten. Die Schüler werden beschäftigt oder der Unterricht fällt aus.

Zur Diskrepanz in der Fachlichkeit des Unterrichts kommt noch ein weiteres Problem, eigentlich sind es mehrere. Wir haben ein deutliches Stadt-Land-Gefälle zu verzeichnen. In größeren Städten, so resümieren die Schulräte unseres Landes, kann man eher von einer entspannten Situation ausgehen, in ländlichen Gegenden gibt es bei der Unterrichtsversorgung überproportional viele Probleme.

(Andreas Bluhm, PDS: Na logisch, ist doch klar.)

Dieses Gefälle berücksichtigen Ihre Statistiken ebenso wenig, sehr geehrter Herr Bildungsminister, wie die Situation an einzelnen Schulen. Mittlerweile geht Ihnen nun auch die letzte Reserve noch aus, denn bisher können die Referendare im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes Lückenbüßer für ausfallende Kollegen sein. Aber wenn jedes Jahr im Haupt- und Realschulbereich nur vier junge Kollegen in den Vorbereitungsdienst gehen, dann schmilzt diese strategische Reserve sehr schnell dahin und die Einschreibezahlen in den Universitäten sprechen für diesen Trend.

Sie haben sehr viel zu tun, sehr geehrter Herr Bildungsminister, Sie haben einen Job auszufüllen, um den ich Sie nicht gerade beneide.

(Harry Glawe, CDU: Oh, oh! – Dr. Ulrich Born, CDU: Vorsicht! Vorsicht!)

Es ist aber aus meiner Sicht an der Zeit, endlich die richtigen Prioritäten zu setzen. Die regionale Schule gehört aus meiner Sicht gewiss nicht dazu. Herr Kauffold, schaffen Sie endlich Anreize, um junge Menschen – und da stimme ich auch dem Schlusssatz von Herrn Bluhm zu – für ein Lehramtstudium zu motivieren und junge tätige Lehrer im Land zu halten. Genau das ist das entscheidende Erfordernis unserer Zeit, und nicht das Abwarten, bis der Leidensdruck an der Schule noch größer wird. – Danke schön.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Andreas Bluhm, PDS: Machen wir alles gemein- sam. – Zuruf von Dr. Gerhard Bartels, PDS)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Bretschneider von der SPD-Fraktion. Bitte sehr, Frau Bretschneider.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU: Oh, jetzt! – Kerstin Kassner, PDS: Persönlicher Fan!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Herr Born, der Beifall wird Ihnen gleich vergehen,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Nein. – Harry Glawe, CDU: Was?)

weil ich natürlich als Erstes die Frage stellen muss, ob die CDU nicht mehr bis zehn zählen kann, denn die Schüler, die jetzt die Schule verlassen

(Wolfgang Riemann, CDU: Na, euer Harald be- herrscht ja noch nicht mal die Prozentrechnung!)

und über deren Ergebnisse hier so heftig von Frau Schnoor debattiert wurde,

(Zuruf von Steffie Schnoor, CDU)

das sind genau diejenigen, Frau Schnoor und meine Damen und Herren von der CDU,

(Wolfgang Riemann, CDU: Ein Achtel ist mehr als ein Zwölftel und nicht umgekehrt. – Dr. Ulrich Born, CDU: Zehn minus drei ist sieben.)

die die Stundentafelkürzungen im vollen Umfang abbekommen haben.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Das sind die Ergebnisse Ihrer verfehlten Politik, die Sie damals betrieben haben. Und ob Sie das nun hören wollen oder nicht, es ist so.

Nun haben Sie ja auch schon zugegeben, dass Sie lange danach gesucht haben, ein Thema für diese Aktuelle Stunde zu finden, weil Ihnen inhaltlich ja auch nicht allzu viel einfällt, und haben sich deshalb den Monat Januar ausgeguckt, der ja nicht nur im Bereich der Schulen von einem besonders hohen Krankenstand geprägt ist. Und deshalb war das natürlich ein willkommener Anlass, hier noch einmal draufzuhauen.

Ich will an der Stelle noch einmal grundsätzlich betonen, dass die Probleme, die in der Schul- und Bildungspolitik anstehen, keineswegs hausgemachte sind, nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern sie sind bundesweit zu lösen.

(Harry Glawe, CDU: Schulen sind doch Ländersache, Frau Bretschneider.)

Und ich rede da sowohl von sinkenden Schülerzahlen als auch von überalterten Kollegen, von der Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur, von der Modernisierung und Qualitätsverbesserung, die sowohl in alten und neuen, in SPD- und in CDU-geführten Bundesländern Probleme darstellen und die wir zu lösen haben. Ich denke, wir sollten konstruktiv nach vorn blicken

(Harry Glawe, CDU: Genau.)

und uns diesen Aufgaben stellen.

(Harry Glawe, CDU: Richtig.)

Ich will vielleicht einige Fakten aus der Diskussion heute noch einmal zusammenfassen, weil ich denke, einigen von Ihnen muss man das auch immer wieder sagen, damit Sie es endlich begreifen: Wir liegen mit unseren Ausfallquoten im Schulbereich im Bundesdurchschnitt, und das nicht mal schlecht. Die Vorwürfe der CDU, dass hier jede zehnte Stunde ausfiele, sind nicht haltbar

(Harry Glawe, CDU: Das hat Herr Kauffold doch selbst bestätigt.)

und auch die Unterrichtungsversorgung ist verbessert worden.

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Und wenn die Anzahl der zur Vertretung anstehenden Stunden angestiegen ist, dann ist das nicht erfreulich,

(Harry Glawe, CDU: Dann lesen Sie mal die Pressemitteilung von Herrn Kauffold!)

aber wir haben uns dem Problem gestellt und auch auf diesem Gebiet ist ja in den letzten Jahren etwas getan worden. Wenn Lehrer krank sind, dann wird man das auch durch die unterschiedlichsten Modelle und durch die unterschiedlichsten Variationen in keinem Fall endgültig verhindern können. Wir werden immer und überall damit leben müssen, dass Menschen krank werden.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ja, Sie kommen aber trotzdem, Frau Bretschneider.)

Außerdem ist offensichtlich auch kein Zusammenhang herzustellen zwischen Krankenstand und Schulart und auch nicht zwischen Langzeiterkrankung und Schulart. Natürlich müssen wir an der Stelle darauf hinweisen, dass es im Lehrerberuf, weil er eben so stressig ist und weil dort mit Menschen gearbeitet wird, eine Reihe von Problemen gibt, die vielleicht in anderen Berufsgruppen nicht ganz so häufig auftreten, wie beispielsweise vermehrtes Auftreten von Burn-out-Syndromen, ebenfalls allgemeine erhöhte Krankheitsanfälligkeit und natürlich auch im Zusammenhang mit dem Alter.

Ich bin eigentlich froh, dass es durch die Maßnahmen, die wir eingeleitet haben im Land, natürlich auch hier ein paar Möglichkeiten gab, gegenzuhalten und Effekte zu erzielen, wie beispielsweise durch Altersteilzeit, dass Kollegen, wenn sie älter sind, eben nicht mehr ganz so lange vor der Klasse stehen müssen, wie das sonst notwendig wäre. Das wirkt sich positiv auf den Gesundheitszustand aus. Und natürlich gilt das ebenso für Vorruhestandsregelungen, dass Kollegen eben eher als sonst diese Möglichkeiten in Anspruch nehmen können, aus dem Bereich auszuscheiden.

Ich denke, an der Stelle sei auch noch mal darauf hingewiesen, dass natürlich das Lehrerpersonalkonzept gerade im Grundschulbereich uns hier positive Effekte beschert hat, Nebeneffekte sicherlich, aber hier sind die Vertretungsregelungen längst nicht so gravierend wie in den anderen Schularten.

Wenn wir uns umschauen – und wir leben ja nicht auf einer Insel –, dann müssen wir an der Stelle auch konstatieren, dass unsere Probleme natürlich in dem Maße zunehmen werden, wie die Pensionierungswellen in den alten Bundesländern fortschreiten, und das wird in den nächsten Jahren massiv der Fall sein. Wir haben eben leider auch aufgrund dieser Situation schon jetzt das Problem, dass die Stellen nicht so besetzt werden können und dass es Auswirkungen auf den Vertretungsunterricht gibt. Ich will aber an dieser Stelle auch noch mal ein paar Zahlen nennen, die deutlich machen, dass MecklenburgVorpommern keineswegs allein steht mit dem Problem der offenen Stellen. Wir haben in unserem Land wie gesagt 170 davon, meine Damen und Herren,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das werden aber mehr.)

und in Bayern und in Baden-Württemberg sind es jeweils 3.500 –