Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Die Jugendarbeitslosigkeit zeigt solch eine eindeutige Fehlentwicklung im Land auf, die sich auch eindrücklich in den nackten Zahlen widerspiegelt. Im Februar waren zuletzt 23.483 junge Menschen im Land unter 25 Jahren von Arbeitslosigkeit betroffen. Das ist die höchste Arbeitslosigkeit in dieser Altersgruppe seit 1991! Allein während der letzten zwölf Monate bedeutet dies einen Anstieg von rund zehn Prozent. Ein leichter Rückgang im März auf 22.673 Arbeitslose ändert nichts an der bedrückenden Situation.

Auch Ihre einstigen Wahlkampfhelfer des DGB bescheinigen Ihnen ja mittlerweile absolutes Versagen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Land.

(Beifall Dr. Christian Beckmann, CDU – Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

So war erst gestern der „Ostsee-Zeitung“ zu entnehmen: „,Jetzt kann die Landesregierung keine Beschimpfungen mehr auf die Arbeitslosen loslassen’“. Da erscheint es mir als regelrechter Hohn, wenn Sie sich hier

hinstellen und Ihre Politik des Nichtstuns und des politischen Stillstandes versuchen zu überdecken, zu überdecken mit fadenscheinigen Argumenten gegen meine Fraktion, es würde unsererseits nur alles schlecht geredet und keine eigenen Konzepte vorgelegt.

Meine Damen und Herren, zu unserer Entschließung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vom 16. November 2000: Ich will nur auf zwei oder drei Fakten eingehen: Wir haben damals gefordert in den Punkten 6 und 7: Die Sicherung einer hohen Investitionsquote, eine auskömmliche Finanzausstattung der Kommunen und eine Verbesserung bei der Unternehmenskultur, Berücksichtigung im Bildungsbereich, verstärkte Förderung von Unternehmensgründungen, insbesondere von Hochschulabsolventen. Und Sie, Herr Minister Holter, haben damals gesagt: „Ich möchte hier nur sagen, der Antrag kommt zu spät, hat sich an und für sich selbst erledigt.“ Die Landesregierung handelt?! Herr Holter, wir haben es ein halbes Jahr später. Sie haben nichts, aber auch gar nichts getan!

(Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

Und, meine Damen und Herren, es sind noch nicht einmal drei Stunden vergangen, da haben Sie mit Ihren Stimmen einen Antrag meiner Fraktion zur wirtschaftlichen Entwicklung im Land „Zukunft Mecklenburg-Vorpommern“ abgelehnt. Dieser Antrag enthielt konkrete Handlungsvorschläge für einen nachhaltigen wirtschaftlichen und vor allem arbeitsmarktwirksamen Aufschwung und zeigte Möglichkeiten zur Entwicklung des Landes Mecklenburg-Vorpommern auf. Wer substantielle Anträge der Opposition ohne inhaltliche Überprüfung ablehnt, muss sich solche Kritik gefallen lassen. Verschonen Sie uns also zukünftig mit derartigen Vorwürfen!

Es wäre bei weitem schlimm genug gewesen, wenn es die Landesregierung dabei belassen hätte, ein groß angekündigtes Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nicht vorzulegen. Wenn ich mir jedoch dazu noch die Presse der letzten Wochen und Monate vor Augen halte, fühle ich mich mehr als verschaukelt und auch die jungen Leute müssen sich mehr als verschaukelt fühlen. SVZ vom 25. Oktober 2000: „,Zehn bis 20 Millionen Mark’ für das Programm müssten ,von der gesamten Landesregierung geschultert werden’, erklärte Holter gestern in Schwerin. „,Ich’“ – so Holter – „,gehe davon aus, dass die Ministerien dem offen gegenüberstehen.’ … Wie auch immer das Sofortprogramm aussehen soll, eine interministerielle Arbeitsgruppe werde bis zum 14. November konkrete Vorschläge erarbeiten, um das Programm noch im Haushalt 2001 verankern zu können, sagte Holter.“

Meine Damen und Herren! Weder vom Programm noch von der interministeriellen Arbeitsgruppe habe ich bisher Konkretes gehört. Stattdessen müssen wir uns von Herrn Holter auf der Landtagssitzung vom 16. November zu unserem Antrag „Entschließung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Mecklenburg-Vorpommern“ sagen lassen: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine interministerielle Arbeitsgruppe, wenn sie tatsächlich zielorientiert arbeitet, viel schneller Ergebnisse auf den Tisch packt, als wenn ein Ministerium alleine Vorschläge macht und die TippelTappel-Tour der Ressortabstimmung betreibt.“ Herr Holter, nur zur Erinnerung: Wir haben heute den 5. April 2001!

Meine Damen und Herren! Wie ernst es der Landesregierung mit der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit

im Land ist, zeigen auch die kürzlich getroffenen Äußerungen der Finanzministerin und des Ministerpräsidenten. So stellt sich Frau Keler bei der IHK hin und hat nichts Besseres zu tun, als junge und gut ausgebildete Menschen dazu aufzufordern, aus Mecklenburg-Vorpommern wegzugehen.

(Dr. Christian Beckmann, CDU: Das ist ja unglaublich! Das ist ja unglaublich! – Wolfgang Riemann, CDU: Die Besten sollen weggehen. – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das haben Sie, glaube ich, vom ehemaligen Mi- nisterpräsidenten gelernt. Der soll das ja mal er- klärt haben. – Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Es waren die Jahrgangsbesten der IHK Schwerin, die Absolventen der Winterprüfung. Die Jahrgangsbesten!

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Also der Herr Seite hat mehrfach solche Erklärungen abgegeben.)

Frau Keler, ich erwarte von verantwortlichen Politikern in diesem Land, dass man solch einer Gruppe junger Menschen sagt,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Bleibt hier! Bleibt hier!)

wir brauchen euch, wir brauchen euch in diesem Land. Und wenn ihr die Hochschulreife nicht habt, dann macht sie auf dem zweiten Bildungsweg nach! Geht auf unsere Fachhochschulen, geht auf unsere Universitäten – die Sie ja von der Landesregierung ständig hoch loben, die auch gut sind, das ist unsere feste Überzeugung als CDU – und geht den Weg in die Selbständigkeit! Füllt die Lücke von 18.000 fehlenden Unternehmern in Mecklenburg-Vorpommern, sucht eure Chance in Mecklenburg-Vorpommern!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Reinhardt Thomas, CDU: Das wollen sie doch gar nicht!)

Das muss doch verantwortliche Politik sein gegenüber diesen jungen Leuten und nicht, den Rat zu geben, dass sie abwandern sollen und dann vielleicht irgendwann wieder zurückkommen sollen. Frau Keler, Sie haben dies in Schwerin gesagt, in Westmecklenburg, wo durchaus Chancen bestehen, wenn ich Arbeitslosenquoten von 13,6 Prozent in Ludwigslust sehe oder knapp 16 Prozent in der Landeshauptstadt Schwerin. Wir können doch wirklich nicht als Politiker den jungen Menschen den Rat geben, geht weg und kommt dann zurück. Der Rat muss doch sein: Sucht eure Chance hier! Wir wollen den Rahmen so setzen, dass ihr eure Chancen hier habt.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Reinhardt Thomas, CDU: Richtig.)

Und das fügt sich in die Reihe ein. Der Herr Ministerpräsident auf dem Jahresempfang der Katholischen Kirche vor zwei Tagen hier in Schwerin: Er wird von Kardinal Sterzinsky auf das Problem der Abwanderung angesprochen und Herr Ministerpräsident hat nichts anderes zu tun, als dieses Problem zu verniedlichen.

(Minister Dr. Peter Kauffold: Das stimmt doch so gar nicht.)

Und, Herr Ministerpräsident Ringstorff, man sollte sich vorher informieren, ehe man behauptet, dass Mecklen

burg-Vorpommern eine geringere Abwanderung hat – und hören Sie gut zu: „…als Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Thüringen und Sachsen.“

(Reinhardt Thomas, CDU: Da hat er doch glatt gelogen. – Dr. Armin Jäger, CDU: Da war ich dabei. – Wolfgang Riemann, CDU: Wieder bei einer Unwahrheit erwischt! – Zuruf von Dr. Christian Beckmann, CDU)

Herr Ministerpräsident, ich habe mir die Zahlen besorgt. Ich kann Ihnen eine Empfehlung geben: Gehen Sie noch mal zur Grundschule und befassen Sie sich mit den vier Grundrechenarten!

Wir haben eine Abwanderung …

(Andreas Bluhm, PDS: Aber doch nicht bei diesen Stundentafeln, Herr Rehberg! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS – Wolfgang Riemann, CDU: Das stimmt, da lernt er es nie!)

Herr Kollege Bluhm, für diese Stundentafeln sind Sie seit zweieinhalb Jahren mitverantwortlich.

(Angelika Gramkow, PDS: Ach, Herr Rehberg, geben Sie zu, das war wirklich gut!)

Ich finde es toll, dass Sie Ihre eigene Politik beklagen.

(Monty Schädel, PDS: Aber der war doch gut, Herr Rehberg, nicht?!)

Das finde ich sehr gut.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Der war doch wirklich gut.)

Aber nun zu den Rechenkunststücken unseres Herrn Ministerpräsidenten:

(Monty Schädel, PDS: Der kann noch nicht mal sagen, dass ein Witz gut war.)

4.500 junge Leute sind insgesamt abgewandert im Jahr 1999, davon 5.000 unter 25 Jahren. Herr Ministerpräsident Ringstorff, meine Damen und Herren der Landesregierung, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von SPD und PDS, Niedersachsen hat eine Zuwanderung von 35.100 zu verzeichnen, davon 20.000 junge Menschen unter 25. Schleswig-Holstein hat eine Zuwanderung von 14.000 Menschen zu verzeichnen, davon 6.400 unter 25. Sachsen hat eine Abwanderung von 10.600 und Thüringen eine Abwanderung von 4.000 zu verzeichnen.

Herr Ministerpräsident Ringstorff, wir haben die höchste Abwanderung in den neuen Bundesländern und deutschlandweit insgesamt, und die prozentualen Zahlen – ich habe es nachgerechnet – belegen dies auch. Hören Sie doch bitte endlich auf, hier Schönredereien zu betreiben, zu verniedlichen! Stellen Sie sich endlich diesen Problemen! Und als Erstes kann man sich diesen Problemen als Landesregierung stellen, indem man den Rahmen für junge Leute so setzt, dass hier Arbeitsplätze entstehen. Hier haben Sie vollkommen versagt. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Herr Rehberg.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Minister für Arbeit und Bau Herr Holter.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuerst meinen herzlichsten Dank an die Opposition in diesem Hause. Nachdem wir in der schon erwähnten interministeriellen Arbeitsgruppe unter Federführung von Mitarbeitern meines Hauses das Jugendsofortprogramm in trockenen Tüchern haben, fordert die CDU, dieses nun fertig zu stellen und vorzulegen. Ich kann nur sagen, es ist ein begnadetes Timing. Ja, es ist richtig, es hat etwas länger gedauert als im Herbst angenommen, aber auch demokratische Prozesse spielen sich in einem Kabinett ab.

(Reinhardt Thomas, CDU: Es dauert alles etwas länger, als Sie in Ihrem Koalitionsvertrag geschrieben haben.)

Andererseits bin ich der Auffassung, lieber etwas Qualitatives und Substantielles vorzulegen, als hier einen Schnellschuss auf den Tisch zu packen.

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)

Wir werden als Kabinett in wenigen Tagen über die Vorlage zu diesem Programm befinden. Es ist also in der Ressortabstimmung. Das Programm kann im Mai starten. Vielen Dank also für die gute Gelegenheit, hier die Grundzüge dieses Programms, dieses neuen Programms vorzustellen.

Ich betone, das neue, weil es darauf ankommt, dass es sich von herkömmlichen Programmen sehr wohl unterscheidet. Es baut nicht darauf auf, viel Geld auszugeben, damit junge Menschen irgendwo geparkt und die Arbeitslosenstatistiken geschönt werden können, sondern es geht um einen Brückenschlag in zukunftsfähige Branchen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Und ich erinnere mich sehr wohl, Herr Rehberg, an die Rede, die Sie heute Morgen gehalten haben, inwieweit denn die PDS in der sozialen Marktwirtschaft angekommen sei oder nicht. Ich denke, Sie haben die Aussage getroffen, dass wir meinen, dass man mit staatlichen Mitteln Arbeitsplätze schaffen könnte. Ich will hier nachweisen, dass es mit diesem Programm auch anders geht. Deshalb trägt dieses Programm den Namen „Jugend, Arbeit, Zukunft“, wir können uns auf den Kurznamen JAZ verständigen. Dieses Programm will jungen Fachkräften im Land eine Chance zur Arbeitsaufnahme in Mecklenburg-Vorpommern bieten. Es baut auf Eigeninitiative und hat die jeweilige regionale Infrastruktur im Blick.