Protokoll der Sitzung vom 16.05.2001

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Erste Lesung) – Drucksache 3/2049 –

Das Wort zur Einbringung hat der Innenminister Herr Dr. Timm.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landespolizei befindet sich in einem Prozess, der sie fit machen soll für die Herausforderungen dieses Jahrzehnts. Die Polizei will und wird sich am Ende des Jahrzehnts zu den leistungsstärksten im Bundesvergleich zählen können.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Zum Modernisierungsprozess gehören die Organisation, die Personalentwicklung, die Aus- und Fortbildung und Weiteres mehr, aber natürlich auch das Polizei- und Ordnungsrecht. Das Polizeirecht, meine Damen und Herren, bewegt sich im sensiblen und stets umkämpften Spannungsfeld zwischen den Freiheitsrechten des einzelnen Bürgers und der Schutzpflicht des Staates zugunsten

der Gemeinschaft. Damit muss Polizeirecht gleichzeitig mehrere Ziele auf einmal erfüllen. Erstens muss es eine hinreichende Eingriffsermächtigung für die Polizei bereitstellen, um die Bürger vor Straftätern konsequent zu schützen. Zweitens muss es die Bürger vor ungerechtfertigten Eingriffen des Staates und damit der Polizei schützen. Und drittens muss es durch einen Koordinierungsrahmen aller für die Sicherheit zuständigen Institutionen, besonders auch der kommunalen Ordnungsämter, zur Stärkung der inneren Sicherheit insgesamt beitragen, das heißt, auch der Gedanke der Prävention darf im Polizeirecht nicht fehlen. Diese Ziele, die teilweise im Konflikt zueinander stehen, gilt es in ausgewogener Weise miteinander zu vereinen.

Mit dem vorliegenden Entwurf des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes ist dieses nach unserer Auffassung gelungen. Es definiert polizeiliche Handlungsspielräume, sicherheitspolitische Ziele und legt – mit einfachen Worten gesagt – fest, was die Polizei darf und was sie nicht darf.

Die Gewährleistung und stetige Verbesserung der inneren Sicherheit in Mecklenburg-Vorpommern ist eine ganz zentrale Aufgabe der Landesregierung. Für die Landespolizei darf ich hier sagen, die Polizei benötigt für ihren sicherlich nicht einfachen Dienst unter anderem sichere rechtliche Befugnisse, eine schlagkräftige Organisation, eine solide Aus- und Fortbildung, ein modernes Laufbahnrecht. Wir wollen, meine Damen und Herren, diese Voraussetzungen schaffen.

Ich darf mich an dieser Stelle und auch ausdrücklich am heutigen Tage, meine Damen und Herren von der Koalition, für die gute Zusammenarbeit in der bisherigen Phase der Entwicklung moderner polizeilicher Grundlagen sehr herzlich bedanken.

(Zuruf von Gerd Böttger, PDS)

Meine Damen und Herren! Herr Böttger! Ich stelle fest und bin mir in diesem Punkt nicht nur mit Ihnen im Parlament, sondern auch mit vielen Fachleuten einig, innere Sicherheit lässt sich nicht allein durch staatlich exekutierte Sicherheit herstellen. Ein Zustand gesamtgesellschaftlicher innerer Sicherheit wird sich nur dort einstellen, wo die wesentlichen gesellschaftlichen Konflikte als Aufgabe des politischen Gemeinwesens verstanden und behandelt werden. In diesem Prozess leistet das Polizeirecht und damit natürlich auch die Polizei selbst einen wesentlichen Beitrag. Deshalb wird die Landesregierung an ihrer Doppelstrategie, Repression und Prävention gleichermaßen voranzustellen, weiterhin festhalten.

Ein modernes Polizeigesetz stellt natürlich auch weitergehende Anforderungen an den Gesetzgeber. Es reicht heutzutage nicht aus, im übertragenen Sinne gesprochen, einfach nur die Anzahl der Waffen zu erhöhen und ihr Kaliber zu verbreitern. Spätestens seit den beiden Entscheidungen des Landesverfassungsgerichtes zum Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommerns sollte klar sein, Maßstab einer Veränderung des Polizeirechts sind stets und ausnahmslos die Bestimmungen des Grundgesetzes und der Landesverfassung von Mecklenburg-Vorpommern, namentlich die bürgerlichen Freiheitsrechte, die in diesen Gesetzeswerken verankert sind.

Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf folgt dem eben skizzierten Rahmen. Ich möchte Ihnen im Folgenden in sieben Punkten die wichtigsten der einzelnen Änderungen kurz darstellen:

1. Einführung von Anhalte- und Sichtkontrollen

2. Schutz für Opfer häuslicher Gewalt

3. Einführung eines Aufenthaltsverbotes

4. Einführung eines Unterbindungsgewahrsams

5. Aufwertung der Kriminalprävention

6. Verringerung von Aufbewahrungsfristen bei Sexualstraftätern

7. Änderung von Regelungen zur Datenerhebung und Aufzeichnung

Meine Damen und Herren, schon die Aufzählung dieser wenigen Punkte macht deutlich, dass die Novelle nicht nur einige kosmetische Änderungen vornimmt, sondern eine grundlegende Neuausrichtung des Gesetzes hin zur Schaffung eines modernen Polizeirechtes für unser Land zum Inhalt hat. 44 der insgesamt 116 Bestimmungen sollen geändert beziehungsweise ergänzt werden.

Ich komme zu den einzelnen Punkten:

1. Einführung von Anhalte- und Sichtkontrollen

Mit der Einführung von lageerkenntnisabhängigen Anhalte- und Sichtkontrollen werden die bisherigen sehr weitgehenden und vom Verfassungsgericht teilweise für verfassungswidrig erklärten verdachts- und ereignisunabhängigen Identitätsfeststellungen auf das zulässige Maß zurückgeführt. Danach können derartige Kontrollen in örtlich und zeitlich begrenztem Rahmen nur dann angeordnet werden, wenn die Polizei über entsprechende Lageerkenntnisse verfügt und der Behördenleiter selbst derartige Kontrollmaßnahmen angeordnet hat.

Nach Einschätzung von Spezialisten sind solche unerwarteten und breit angelegten Kontrollen notwendig, um offensiv gegen Straftaten von erheblicher Bedeutung voranzukommen. Dazu gehören zum Beispiel die Deliktsbereiche Menschen- und Drogenhandel oder extremistische Straftaten, insbesondere, wie wir wissen, im Bereich der rechtsextremistischen Musikveranstaltungen und anderer, in denen der Verfolgungsdruck unbedingt erhöht werden muss.

Auf den begründeten Rat der Fachleute meines Hauses hin werden dabei zukünftig keine Identitätsfeststellungen und Zwangseingriffe mehr durchgeführt – und das ist der Unterschied zur bisherigen vom Verfassungsgericht kassierten Regelung –, sondern nur noch Personen angehalten und mitgeführte Fahrzeuge in Augenschein genommen. Diese verfassungskonforme Kontrollmöglichkeit wird zugleich auf den gesamten öffentlichen Verkehrsraum des Landes Mecklenburg-Vorpommern ausgedehnt.

2. Schutz für Opfer häuslicher Gewalt

Der Polizei wird ein so genanntes Wegweisungsrecht bei häuslicher Gewalt eingeräumt. Es soll dann angewendet werden, wenn Streitigkeiten in Familien, bei Paaren oder in Wohngemeinschaften eskalieren. Ergibt sich daraus eine Gefahrensituation, kann der gewalttätige Mitbewohner für maximal sieben Tage seiner eigenen Wohnung verwiesen werden. Damit soll das Opfer häuslicher Gewalt vorübergehend vor weiteren Bedrohungen geschützt werden, so dass Beratung gesucht und gerichtlicher Schutz veranlasst werden kann.

Mecklenburg-Vorpommern, meine Damen und Herren, ist das erste Bundesland, dass eine derartig ausgestaltete Schutzmöglichkeit in einem Gesetz verankert.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Zu beachten ist in weiteren Beratungsverfahren hier im Landtag die Verzahnung mit dem Gewaltschutzgesetz des Bundes, das derzeit ebenfalls im Bundestag beraten wird. Auch hier darf ich mich für die bisherige gute Zusammenarbeit bei der Formulierung dieses jeweiligen Paragraphens im Rahmen der Koalitionsarbeit sehr herzlich bedanken.

3. Einführung eines Aufenthaltsverbotes

Neu geregelt wird die Möglichkeit eines Aufenthaltsverbotes. Bislang konnten Polizei- und Ordnungsbehörden nur vorübergehende Platzverweise aussprechen. Nunmehr soll es Polizei- und Ordnungsbehörden erlaubt werden, eine Person bis zu einer Dauer von zehn Wochen einer Gemeinde oder eines Gemeindegebietes zu verweisen. Dies ist allerdings nur dann zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person dort Straftaten begehen wird. Erfolg verspreche ich mir von dieser Bestimmung als präventives Mittel für die polizeiliche Arbeit bei drohenden Straftaten, wenn zum Beispiel eine gewaltbereite beziehungsweise rechtsextremistische Szene öffentliche Plätze besetzt oder wenn Drogendealer sich vor Schulen aufhalten. Denkbar sind auch weitere Umstände, die die Anwendung dieses Paragraphen rechtfertigen.

4. Einführung eines Unterbindungsgewahrsams

In das Gesetz soll eine Regelung aufgenommen werden, die die richterlich festzusetzende Gewahrsamsdauer beim Unterbindungsgewahrsam auf bis zu zehn Tage festsetzt. Sie soll beispielsweise bei gewalttätigen Ausschreitungen, auch wiederum bei Rechtsextremisten in der letzten Zeit festgestellt oder bei Hooligans, verhindern, dass nachfolgende Straftaten begangen werden. Mit dieser Regelung wird jetzt für die Landespolizei an dieser Stelle Rechtssicherheit geschaffen.

5. Aufwertung der Kriminalprävention

Aufgrund der hervorgehobenen Bedeutung der Kriminalitätsbekämpfung für die öffentliche Sicherheit im Ganzen wird eine Bestimmung aufgenommen, die sich an alle staatlichen und nichtstaatlichen Träger öffentlicher Gewalt wendet. Sie soll im jeweiligen Zuständigkeitsoder Aufgabenbereich besonderes Augenmerk auf kriminalpräventive Aspekte richten. Das Ziel der Vorschrift liegt darin, die Kriminalprävention als gesamtgesellschaftliche Verpflichtung gesetzlich festzuschreiben und alle Bereiche zur Mitwirkung und Zusammenarbeit anzuhalten beziehungsweise zu veranlassen. So könnte eine Vielzahl von Straftaten schon im Vorfeld unterbunden werden, wenn kriminalpräventive Aspekte, wie zum Beispiel die Gestaltung des Wohnumfeldes – aber hier sind viele andere Bereiche denkbar –, in der Kommune verwaltungsseitig von vornherein mit bedacht werden.

6. Verlängerung der Aufbewahrungsfristen bei Sexualstraftaten

Die recherchefähige Aufbewahrungsfrist für personenbezogene Daten von jugendlichen oder erwachsenen Sexualstraftätern in Polizeicomputern wird von bisher 5 Jahren auf generell 15 Jahre verlängert. Die längere Speicherung im Polizeicomputer bietet die Möglichkeit, schnell auf früher unbeachtet gebliebene Ermittlungsansätze zurückgreifen zu können. Das ermöglicht eine

wirksamere Verfolgung von Sexualstraftätern, als wir sie bislang in unserem Land gehabt haben. Ich will darauf hinweisen, dass das für alle Bundesländer gilt, denn insbesondere in diesem Bereich haben wir landesgrenzenübergreifende Kriminalitätsbekämpfungsstrategien zu entwickeln.

7. Datenerhebung und Datenaufzeichnung

Die Datenerhebung mit technischen Mitteln aus Wohnungen ist unter Beachtung der Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes zukünftig nur noch dann zulässig, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person – denkbar wäre hier etwa eine Geiselnahme – unerlässlich ist. Damit wird eine zu weitgehende Regelung aus der zweiten Legislaturperiode, die im Übrigen überhaupt nie zur Anwendung kam, auf das erforderliche und auch gesetzlich zulässige Maß zurückgenommen. Zukünftig wird die Aufzeichnung von Notrufen bei Polizei-, Hilfs- und Rettungsdiensten sowie die Weitergabe von Daten an die Öffentlichkeit zu Fahndungszwecken auf eine eigenständige Eingriffsgrundlage im Polizeirecht gestützt.

Meine Damen und Herren, ich darf zusammenfassend feststellen, dass der vorliegende Gesetzentwurf der Polizei die notwendigen Eingriffsmöglichkeiten zur Verfügung stellt, ohne den Schutz der Bürger und damit seine bürgerlichen Freiheitsrechte zu vernachlässigen. Bei der Zielbestimmung Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten und Straftätern und Schutz der bürgerlichen Freiheitsrechte haben wir einen vertretbaren und vernünftigen Kompromiss gefunden. Im Rahmen der Ausschussberatungen wird ausreichend Gelegenheit bestehen, die einzelnen Vorschriften – ich sagte ja schon, es sind 44 im Ganzen – eingehend miteinander zu erörtern. Ich bitte Sie vor allem namens der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten des Landes um eine zügige Beratung in den einzelnen Ausschüssen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Herr Innenminister.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Jäger von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Innenminister hat die Zielsetzungen des vorgelegten Entwurfs vorgetragen. Wer gut zugehört hat, hat sicher bemerkt, dass er hier so referiert hat, als müsse man sich entschuldigen, wenn man der Polizei Befugnisse gibt, als sei nicht als Erstes die Aufgabe eines Sicherheits- und Ordnungsgesetzes, dafür zu sorgen, dass die Polizei ein geeignetes Handwerks-, nämlich rechtliches Handwerkszeug an die Hand bekommt.

(Beifall Reinhardt Thomas, CDU: Richtig. Und ein Polizeirentengesetz.)

Der Entwurf hat sicher einige sehr vernünftige Vorstellungen …

(Gerd Böttger, PDS: Sie müssen die Ver- fassung aber auch beachten, Herr Thomas.)