Immer wieder, wenn es um Interessenentscheidungen oder verschiedene Interessenabwägungen geht, stellen wir Vollzugshemmnisse im Umwelt- und Naturschutzbereich fest. Das wissen wir doch. Diese werden in der Verwaltung, in denen Menschen am Werke sind, die von Interesseneinflüssen nicht unberührt bleiben – auch das wissen wir –, immer wieder bestehen. Selbst wenn der Sachverstand der Naturschutzbehörden zunimmt, reduziert sich dadurch allenfalls das Begründungsdefizit, so dass das Risiko einer Fehlgewichtung der Naturschutzbelange geringer wird, aber es ist doch damit nicht ausgeräumt. Deshalb ist die Funktion der Verbände, diesen Ausgleich im Rechtsträgerdefizit zu erfüllen. Die Kontrolle einer Entscheidung, die von außen einen Vollzugsdruck auf die Verwaltung erzeugen kann, bedarf eines Klägers. Diese Funktion kann eine Behörde nicht wahrnehmen. Das wissen Sie. Ist eine Entscheidung über eine naturbelastende Maßnahme getroffen worden, können Verbände mit dem Ziel der Aufhebung dieser Entscheidung unter bestimmten Voraussetzungen Klage erheben. Abgesehen von der Präventionsfunktion, die ich vorher beschrieben habe, im Rahmen der allgemeinen Möglichkeiten ist mit der Klage auch eine Rechtsschutzfunktion verankert. Und darauf kommt es uns an. Die Verbandsklage erreicht also, dass Verwaltungshandeln durch die Gerichte objektiv kontrolliert und die Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz abgesichert wird.
Und, meine Damen und Herren, wir haben es heute gehört, Hauptargumente gegen diese Verbandsklage sind vor allen Dingen die Gefahr einer Überlastung der Verwaltungsgerichte, die Gefahr einer längeren Prozessdauer wegen eines Nebeneinanders von Verbandsklagen und Individualklagen,
die Gefahr des Missbrauchs dieses Rechtsinstituts durch Verbände und eine damit einhergehende Prozessflut, die Gefahr eines Investitionsstaus im Sinne einer Lähmung von Vorhaben und die mangelnde Eignung der Verbände.
Die Bedenken haben sich bislang weder im Ausland, wo die Verbandsklage übrigens auf viel größere Akzeptanz stößt, noch in der Praxis der anderen Bundesländer bewahrheitet. Und da helfen auch keine Einzelbeispiele. Es ist in den Untersuchungen nachgewiesen, dass diese Argumente der Behinderung einfach nicht stimmen.
Darüber hinaus ist zu fragen, ob schon mal jemand auf den Gedanken gekommen ist, dass das individuelle Klagerecht in der Bundesrepublik abzuschaffen sei,
nur weil es mit diesem individuellen Klagerecht zu Verzögerungen in den Entscheidungen kommt. Ich denke, nicht.
Und zum anderen sei darauf verwiesen, dass in den neuen Bundesländern bis zum Dezember 2002 – das wissen Sie – für eine Vielzahl von Projekten die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat aufgrund der Beschleunigungsgesetze und des Gesetzes zur Beschränkung der Rechtsmittel in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. All das sollten Sie, wenn Sie über Verbandsklage reden, auch mal mitbenennen. Im Übrigen sei darauf verwiesen, von Klageflut kann in der Bundesrepublik überhaupt keine Rede sein.
So hat eine Untersuchung zum Beispiel ergeben, von 1978 bis 1997 ergingen bundesweit 150 Entscheidungen zur Verbandsklage. In der gleichen Zeit liefen übrigens 2,1 Millionen Individualklagen vor Verwaltungsgerichten. Das heißt, nur 0,01 Prozent der Klagen sind auf Verbandsklage zurückzuführen. Und wenn Sie es mal ganz simpel nehmen, das heißt, in den Jahren kam es pro Jahr zu acht Entscheidungen per Verbandsklage. Also von Flut, wie gesagt, kann nicht die Rede sein.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetz wird zum einen geregelt, dass Planfeststellungen, Plangenehmigungen, der Verzicht darauf und die Befreiungen Gegenstand der Klage sein können. Darüber hinaus wurde die räumliche Beschränkung festgelegt, die deutlich macht, dass vor allem sensible Flächen wie Naturschutzgebiete, Nationalparke und FFH-Gebiete unter besonderen Schutz fallen. Ich wünschte mir, das gebe ich zu, eine weniger örtlich beschränkte Klagebefugnis, worüber wir auch im Verfahren noch streiten können.
Ungeachtet dessen sind aber die Erfassung der UVPpflichtigen Vorhaben und der Umgebungsschutz von FFH-Gebieten ein richtiger Schritt in Richtung umfassendes Klagerecht. Mit dem Gesetz haben wir unserer naturräumlichen Ausstattung entsprochen, indem wir zum Beispiel den Horstschutz und den Alleenschutz ab zehn Bäumen aufgenommen haben.
Wirkliche Bauchschmerzen habe ich allerdings – und das sage ich hier auch als Umweltpolitikerin, auch wenn Sie es anders sehen, Herr Seidel – mit den formulierten Ausnahmeregelungen, und da gibt es ja nicht wenige. Da ist die A 20, da sind die Zubringer, der bebaute Innenbereich, GuD-Kraftwerke – das sind für mich schon ziemliche Brocken, an denen ich selber würge.
Nicht zu akzeptieren ist darüber hinaus aus meiner Sicht dann auch noch die Ausnahmeerweiterung auf die Erschließung von Industrie- und Sondergebieten nach Baunutzungsverordnung. Das heißt, darunter fallen Gewerbebetriebe aller Art, Lager, Einkaufszentren, Handelsbetriebe, Hafenbetriebe, Fremdenverkehr, Ladengebiete und so weiter.
Was also fällt dann überhaupt noch unter Klagebefugnis, könnte man fragen. Sie sehen, es gibt noch viel zu beraten gerade in Bezug auf die Ausnahmeregelungen. Es gibt viel zu beraten, um das Umweltrecht so zu gestalten, dass wir das gemeinsame Ziel, zu dem sich alle beken
Und, meine Damen und Herren von der CDU, eins sei mir doch gestattet: Welche Bäuche und welche daraus resultierenden Gefühle wichtig sind, da mag jeder seine eigene Wertung treffen in Bezug auf die Investoren Ihrer Seite. Ich meine schon, dass eben nicht nur die Investoren, sondern auch die hier lebenden Menschen unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Lebensgrundlagen zu betrachten und zu bedenken sind. Und zum anderen Ihr Verweis auf den Koalitionsvertrag und wie wortbrüchig man sein kann oder nicht: Ich will Sie daran erinnern, Sie hatten die Verbandsklage auch einmal festgeschrieben in Ihrem Koalitionsvertrag, wenn ich mich richtig erinnere,
Im Übrigen, meine Damen und Herren, die heutige Debatte stimmt mich hoffnungsfroh, nicht in Bezug auf die CDU, aber in Bezug auf unseren Koalitionspartner.
Ich freue mich. Nach dem, was Herr Klostermann gesagt hat, gehe ich davon aus, dass es vielleicht noch Anträge gibt, um dieses Gesetz auch weiter zu verbessern. In diesem Sinne bitte ich um Überweisung des Gesetzes und um eine sachgerechte Debatte im Rahmen der Anhörung und des Verfahrens in den Ausschüssen. – Danke.
Frau Muth, darf ich fragen: Was meinen Sie, warum die Landesregierung die Ausnahmen dort formuliert hat? Damit Sie etwas zu würgen haben oder weil man vielleicht doch vermutet, dass da Probleme entstehen können?
Herr Seidel, die Ausnahmen in diesem Gesetz resultieren – das wissen Sie – aus einem Kompromiss zweier Koalitionspartner, von dem der eine eine andere Haltung zu Infrastrukturmaßnahmen hat als der andere.
Sie wissen, dass zum Beispiel die Ausnahme der A 20 ja schon im Koalitionsvertrag geregelt wird. Von daher kann ich Ihnen nur so weit sagen: Diejenigen, die für diese Infrastruktur und die zügige Durchführung der Infrastrukturprojekte stehen, sagen, sie ist nicht klagefähig. Ich hätte es mir gewünscht, denn wenn man vernünftig verwaltungstechnisch Umweltbelange, Naturschutzbelange mit anderen Belangen abwägt, muss man keine Klage fürchten.
Darf ich dann noch eine zweite Frage anschließen? In den Ausnahmen ist ja auch die Bahnstrecke Lübeck–Stralsund enthalten. Was unterscheidet die Bahnstrecke Lübeck–Stralsund von der Bahnstrecke Berlin–Rostock?
Das ist eine gute Frage. Ich würde vorschlagen, im Rahmen der Ausschussberatungen können Sie das dann mit den Fraktionen erörtern.
Ja, es tut mir Leid, meine Herren, ich möchte hier keine Bahn- oder Straßendebatte mit Ihnen führen. Sie wissen ganz genau, dass ich für diese Ausnahmeregelung nicht bin, Herr Seidel. Und deshalb diskutieren Sie das mit denjenigen, die diese Ausnahmeregelung möchten. – Danke.
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Barbara Borchardt, PDS: Auch dieser Entwurf ist ein Kompromiss.)
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 3/2042 zur federführenden Beratung an den Umweltausschuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Finanzausschuss, den Wirtschaftsausschuss sowie den Landwirtschaftsausschuss zu überweisen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Danke. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Danke. Der Überweisungsvorschlag ist bei drei Stimmenthaltungen angenommen.
Meine Damen und Herren, damit treten wir in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 13.50 Uhr fortgesetzt. Guten Appetit.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bitte um Aufmerksamkeit.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 5: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsund Ordnungsgesetzes, Drucksache 3/2049.
Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Erste Lesung) – Drucksache 3/2049 –