Protokoll der Sitzung vom 17.05.2001

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die EU will mit einer neuen Verordnung mehr Wettbewerb im ÖPNV erreichen. Mehr Wettbewerb soll helfen, die Qualität der Angebote zu erhöhen und die Kosten zu senken. Ich glaube, Wettbewerb ist grundsätzlich in Ordnung, aber es muss sich um einen fairen Wettbewerb handeln, fair für alle Beteiligten, das heißt für die Verkehrsunternehmen, für die Kunden und auch für die Beschäftigten. Das muss insgesamt beachtet werden. Und, Herr Seidel, ich glaube, Sie haben das Gewicht zu sehr auf einen reinen Wettbewerb gelegt und weniger auf die Beschäftigten.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Richtig ist, der ÖPNV muss attraktiver werden. Er muss seinen Kunden mehr Qualität bieten und gleichzeitig auch langfristig finanzierbar bleiben. Meine Damen und Herren, nun wird man aber nicht mehr Qualität erreichen, wenn man beispielsweise die Verminderung der Löhne zur Kostensenkung ganz in den Vordergrund stellt. Ich bin überzeugt, zu niedrige Löhne bringen auch immer zu niedrige Qualität mit sich.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Siegfried Friese, SPD: Richtig.)

Und gerade dies, eine niedrige Qualität, können wir uns im ÖPNV überhaupt nicht leisten. Während wir hier über dieses Thema reden, befassen sich der Wirtschafts- und der Verkehrsausschuss des Bundesrates mit einem Gesetzentwurf Nordrhein-Westfalens für ein Bundesgesetz. In dem Entwurf eines Gesetzes zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen ist neben dem Baubereich auch der ÖPNV Thema. Wir werden diese Initiative grundsätzlich unterstützen, in der die Tarifbindung von Unternehmen gefordert wird, die sich um öffentliche Aufträge bemühen. Grundsätzlich sage ich deshalb, weil wir noch eine Änderung erreichen wollen, wir wollen nämlich, dass für die Tarifbindung der handelsrechtliche Sitz des Unternehmens maßgeblich sein soll,

(Siegfried Friese, SPD: Richtig.)

nicht der Sitz des öffentlichen Auftraggebers.

(Siegfried Friese, SPD: Genau.)

Das heißt, dieses soll dem Schutz unserer Unternehmen dienen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Peter Ritter, PDS)

Meine Damen und Herren, Lohndumping und Qualität sind wie Wasser und Feuer. Das eine löscht das andere

aus. Ich denke, nicht nur im Bereich des ÖPNV sollten wir uns bewusst für den Weg der Qualität entscheiden. Außerdem müssen die Leute bei uns im Land auch so viel verdienen, dass sie von ihrer Arbeit leben können.

(Siegfried Friese, SPD: Richtig.)

Das schließt nicht aus, dass der ÖPNV effizienter werden muss. Dann können wir mit den öffentlichen Mitteln auch mehr erreichen. Ich denke, dass es möglich ist, gleichzeitig Kosten zu senken, die Qualität des Angebots zu verbessern und ein annehmbares Lohnniveau zu sichern.

Meine Damen und Herren, die Länder haben im Bundesrat durchaus die Gefahr eines reinen Preiswettbewerbs gesehen, wenn mehr Wettbewerb im ÖPNV eingeführt wird, denn dann könnte unter Umständen die Qualität des Verkehrsangebotes leiden. Zudem könnten nach Ansicht des Bundesrats Lohn- und Sozialdumping und im Extremfall die Bildung neuer Monopole die Folge sein. Um dies zu verhindern, fordert der Bundesrat gesetzliche Regelungen, die faire Wettbewerbsbedingungen sicherstellen. Außerdem sollen die Regelungen mittelständische Anbieterstrukturen fördern und Qualitäts-, Umwelt- und Sozialstandards sichern. Die Mindestkriterien zur Qualität im Vorschlag der EU-Kommission sind nämlich sehr allgemein gehalten. Hier müssen Präzisierungen erfolgen. Wir brauchen ergänzende Reglungen auf nationaler Ebene.

Dies kann am besten durch ein Vergabegesetz des Bundes geschehen. Damit würden in allen Bundesländern gleiche Bedingungen geschaffen. Die Landesregierung unterstützt daher die entsprechende Forderung des vorliegenden Antrages der Fraktionen der PDS und der SPD. Wir werden auch die Notwendigkeit eines Vergabegesetzes des Landes prüfen. Es scheint jedoch sinnvoll, erst die Arbeit am Vergabegesetz des Bundes abzuwarten und dann das landesgesetzlich noch zu regeln, was an Regelungsbedarf übrig bleibt.

Meine Damen und Herren, auch gegenwärtig achten wir bei unseren Ausschreibungen darauf, dass Qualitätskriterien eingehalten werden. Das ÖPNV-Gesetz des Landes regelt die Zuständigkeit für den SPNV und den sonstigen ÖPNV. Das Land ist Aufgabenträger für den SPNV und die Landkreise und kreisfreien Städte sind Aufgabenträger für den ÖPNV. Beide können bei ihren Ausschreibungen Festlegungen über Qualität und Standard ihres ÖPNV treffen. Ich denke, es ist vernünftig, dass die Verantwortlichen vor Ort bestimmen können, wie die konkrete Ausgestaltung des ÖPNV aussehen soll. Wir haben als Land bei unseren Ausschreibungen im Schienenverkehr Qualitätskriterien vorgegeben und berücksichtigt, wenn wir die eingegangenen Angebote beurteilt haben. Das können die Landkreise und die kreisfreien Städte in ihren Ausschreibungen beim ÖPNV auch tun und ich füge hinzu: Sie sollten es auch tun. Alle Aufgabenträger – Land, kreisfreie Städte und Landkreise – können die Bieter beispielsweise verpflichten, qualifiziertes Fahrpersonal einzusetzen, um so die geforderte Qualität des Verkehrsangebots sicherzustellen.

Meine Damen und Herren, wir werden den Aufgabenträgern – den Landkreisen und kreisfreien Städten – Unterstützung geben, damit sie für den Wettbewerb gerüstet sind. Wir werden auch bei Ausschreibungen nach der neuen EU-Verordnung unsere Unterstützung anbieten. Denkbar ist zum Beispiel eine landesweite Empfehlung,

die den Aufgabenträgern helfen soll. Ferner soll bei der Fortschreibung des ÖPNV-Landesplans auch auf die EUVerordnung eingegangen werden. An der Fortschreibung wird derzeit gearbeitet. Der letzte ÖPNV-Landesplan wurde 1997 vorgelegt. Er hat eine Laufzeit von fünf Jahren und die Bearbeitung des neuen ÖPNV-Landesplans wird voraussichtlich im nächsten Jahr abgeschlossen sein. Ich komme gern der Aufforderung nach, den Landtag davon zu unterrichten.

Meine Damen und Herren, insgesamt bin ich der Meinung, dass der Antrag der Regierungsfraktionen unterstützt werden sollte. – Danke sehr.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Ritter von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Herr Ritter.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Herr Seidel, ich glaube, so weit liegen wir gar nicht auseinander, denn auch in der Überschrift unseres Antrages haben wir ja bewusst formuliert „Wettbewerb im ÖPNV – Chancen und Risiken“ und nicht nur „Wettbewerb – Risiken“. Ich denke, das sollte man noch einmal hervorheben. Und die Befürchtungen, die wir aber dargestellt haben, auch bei diesem Antrag, werden von vielen anderen geteilt, denn seit der Veröffentlichung der Vorschläge der EUKommission zur Liberalisierung des ÖPNV haben sich eine Reihe von Verbänden, Gewerkschaften und Fachgremien und nicht zuletzt die Verkehrsministerkonferenz zu dieser Problematik ja geäußert.

Unter Bezugnahme auf die jetzigen Regelungen zur Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen entsprechend Paragraph 13 a Personenbeförderungsgesetz wird zum Beispiel in den Empfehlungen der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände des Deutschen Industrie- und Handelstages unter anderem festgestellt, ich zitiere: „ÖPNV beschränkt sich nicht auf die Erbringung der reinen Fahrleistungen von A nach B, sondern wird als Produkt aus einer Summe von Leistungen gebildet. Neben den eingesetzten Fahrzeugen zählen hierzu auch zum Beispiel Fahrgastinformations-, Tarifund Vertriebssysteme sowie ein Beschwerdemanagement. Nicht nur im Verkehrsverbund beziehungsweise Verkehrsgemeinschaftsstrukturen wird die Vielschichtigkeit des ÖPNV durch ein abgestimmtes fahrplan-, tarifund kundengerechtes Serviceangebot offensichtlich. Durchzuführende Ausschreibungen müssen dieser Komplexität des ÖPNV gerecht werden.“

Die Erfahrungen, die aufgrund der Regelungen des Personenbeförderungsgesetzes bereits jetzt mit Ausschreibungsverfahren verbunden sind, werden künftig von besonderer Bedeutung sein. Viele der Stellungnahmen im Zusammenhang mit den EU-Vorschlägen beschäftigen sich daher mit der Thematik der Ausschreibungen, da nicht auszuschließen ist, dass ohne Änderung der EUVorstellungen der gesamte ÖPNV dem Ausschreibungswettbewerb unterliegt.

In der Stellungnahme des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen VDV heißt es, ich zitiere: „Im Mittelpunkt der verkehrspolitischen Zielstellung für den ÖPNV müssen die Mobilitätsbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger stehen. Im Falle von Ausschreibungen ist es nach Auffassungen des VDV wichtig, dass neben betrieblichen,

technischen und umweltrelevanten Standards auch arbeits- und sozialrechtliche Qualitätsniveaus einbezogen werden können.“

Zum Schluss seiner Analyse stellt der VDV fest, dass dem Verordnungsentwurf der Kommission in seiner derzeitigen Fassung nicht zugestimmt werden kann. Zur gleichen Schlussfolgerung gelangt die Europäische Transportarbeiterföderation. Die in der Föderation zusammenarbeitenden Verkehrsgewerkschaften fordern einen verpflichtenden Qualitätskatalog, der unter anderem folgende Punkte enthalten soll:

Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten,

Qualifizierung und Entwicklung des Personals,

Schutz bestehender tariflicher Regelungen,

klare Unternehmensplanung im Hinblick auf Investitionen, Dienstleistungsniveau und Beschäftigung.

Ferner wird gefordert, dass Wettbewerber in jedem Fall einen Sitz im Land der Leistungserbringung haben, damit sozial-, arbeits- und tarifrechtliche Bestimmungen durchgesetzt werden können. Die Eisenbahnergesellschaft Transnet stellt fest, ich zitiere: „Das Ziel eines attraktiven ÖPNV wird nur dann erreicht, wenn Wettbewerbselemente mit politischen und vertraglichen Regulierungselementen sinnvoll verknüpft werden. Wird eines dieser Elemente vernachlässigt, führt dies zwangsläufig zu unerwünschten Ergebnissen.“

Sie sehen also, es stellt sich niemand gegen den Wettbewerb. Es werden nur klare Regelungen gefordert. Analysiert man also alle Standpunkte zu den Vorschlägen der EU-Kommission, wird deutlich:

Erstens. Der Wettbewerb im ÖPNV ist politisch von der Mehrheit gewollt. Gefordert werden aber auch bundesund landesrechtliche Regelungen über die Art und Weise sowie Inhalt von Ausschreibungen zur Sicherung klarer und fairer Wettbewerbsregelungen.

Zweitens werden die Regelungen des Personenbeförderungsgesetzes auf ihre Praktikabilität überprüft und gegebenenfalls geändert werden.

Drittens wird der ÖPNV-Landesplan in seiner gegenwärtigen Fassung bis 2002 gültig unter Berücksichtigung der neuen Erfordernisse fortgeschrieben werden. Der Herr Minister hat darauf hingewiesen.

Viertens müssen die Nahverkehrspläne als Instrument kommunalen Handelns soweit qualifiziert werden, da sie als Grundlage für Ausschreibungsverfahren dienen können.

Fünftens brauchen die kommunalen Aufgabenträger bei der Erfüllung der neuen Aufgaben umfassende Unterstützung von Seiten des Landes.

Die Liberalisierung des ÖPNV innerhalb der EU durch EU-Recht ist noch nicht Realität. Nach bisherigen Erfahrungen und Schätzungen wird aber spätestens 2005 der Wettbewerb Realität werden. Es bleibt uns also nicht mehr viel Zeit, um Chancen und Risiken abzuwägen und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. – Danke schön.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Gerloff von der SPD-Fraktion. Bitte sehr, Herr Gerloff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf jetzt das Schlusswort halten zu dieser Thematik. Wettbewerb im ÖPNV – Chancen und Risiken, ich betone ausdrücklich die Chancen. Ich denke, in jeder Hinsicht hat sich bisher bewiesen, dort, wo die europäische Politik für Liberalisierung gesorgt hat, das heißt Wettbewerb, haben in der Regel die Verbraucher etwas davon gehabt. Bei der Telekommunikation wissen wir das alle, beim Strom haben es noch nicht alle begriffen. Man kann Strom teuer oder man kann Strom auch preiswert einkaufen. Beim Güterverkehr wirkt in vielen Bereichen die Liberalisierung und zum Teil bei den Postdiensten. Die Reaktionen sind immer unterschiedlich, wenn etwas geändert werden soll. Das ist normal. Die Betreiber und die Aufgabenträger haben Bedenken, die Verbraucher erhoffen sich günstigere Bedingungen und sinkende Preise.

Natürlich treten die Anbieter von ÖPNV-Leistungen zunächst als Besitzstandswahrer auf, machen ein Mordsgeschrei, bringen die Verbände und die Gewerkschaften in Position und führen letztendlich zu einer allgemeinen Verunsicherung, die aber niemandem nützt. Die Politik in Europa, auf der Bundesebene, auf der Landesebene ist für den Wettbewerb in kontrollierter Form.

ÖPNV, das haben wir mehrfach gehört, ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge und hat zum Zweck, die Mobilitätsbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu sichern. Die Aufgabenträger – und das sind bei uns im Land bekanntlich die Kreise und kreisfreien Städte – sind in einer Zwickmühle. Sie sehen natürlich auch den Vorteil bei den bestehenden Finanznöten, die öffentlichen Verkehrsangebote kostengünstiger vorzuhalten. Sie haben auch die Pflicht, die gesetzlichen Vorgaben – europäisches Recht, künftige bundes- oder landesrechtliche Regelungen – umzusetzen. Aber sie sind in der Regel auch Eigentümer von Verkehrsunternehmen und stehen unter dem Druck, dort die Arbeitsplätze zu sichern und die Leute bei Laune zu halten. Sie müssen aber auch die Angebots- und Leistungsqualität im ÖPNV sichern.

Wir müssen unterscheiden zwischen eigenwirtschaftlichen und gemeinwirtschaftlichen Leistungen. Und da gibt es noch einen gewissen Dissens mit dem Entwurf der EUVerordnung, dass wir nämlich in Deutschland eigenwirtschaftliche Leistungen auch dann als solche ansehen, wenn aufgrund von gesetzlichen Regelungen Ausgleiche und Erstattungen gewährt werden, zum Beispiel im Ausbildungsverkehr oder nach dem Schwerbehindertengesetz. Im Grunde sind dies ja politische Entscheidungen. Wenn man will, dass Schwerbehinderte kostenfrei den ÖPNV nutzen sollen, dann darf das nicht zu Lasten der Unternehmen erfolgen,

(Angelika Gramkow, PDS: Richtig. Ja, die werden schlecht bezahlt.)

sondern die müssen dafür auch einen Ausgleich bekommen. Ebenso, wenn man den Ausbildungsverkehr verbilligen will, dann brauchen die Verkehrsunternehmen eine sachgerechte Bezahlung ihrer Leistungen. Dafür gibt es bei uns Gesetze und das muss auch so bleiben.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, PDS)

Ich denke, diese Regelungen haben auch mit dem Wettbewerb nichts zu tun. Sie strangulieren nicht den Wettbewerb, weil jeder Wettbewerber unter gleichen Bedingungen diese Leistungen in Anspruch nehmen wird.