Protokoll der Sitzung vom 27.06.2001

(Peter Ritter, PDS: Das ist wie aus dem Musikantenstadel.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicherlich war der Erfolg vom Wochenende auch deshalb möglich, weil sich der Bund bewegt hat. Doch auch der hat im Vorfeld mit allen Mitteln gepokert. Ich erinnere an den Versuch des Bundesfinanzministers, die ostdeutschen Bundesländer in die finanzpolitische Zwangsjacke zu stecken.

Es war doch kaum noch erträglich, wie vor wenigen Wochen Herr Eichel quasi ein Kaninchen in Form eines Gefälligkeitsgutachtens des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Hut zauberte, in dem so mir nichts, dir nichts der Nachholbedarf Ostdeutschlands in Form seiner Infrastrukturlücke von annähernd 300 Milliarden DM auf 157 Milliarden DM, also gerade mal die Hälfte, heruntergerechnet wurde, und das, obwohl vorher fünf Institute einschließlich des DIW mit zwei verschiedenen Messmethoden unabhängig voneinander auf besagte 300 Milliarden DM gekommen sind.

Ich hoffe, dass die Bundesregierung bei der Umsetzung der Beschlüsse vom Wochenende höhere Seriosität an den Tag legt als beim Zustandekommen, denn ein Blick in den Korb II der Beschlüsse zeigt – und, Herr Borchert, Sie werden ja auch zumindest das Ergebnisprotokoll in der Hand haben –, es handelt sich überwiegend um KannBestimmungen, um Zielgrößen, Bestimmungen und Handlungsaufforderungen. Die immer wieder zitierten 100 Milliarden DM sind eine so genannte Zielgröße, nicht mehr und auch nicht weniger.

Was passiert zum Beispiel, wenn sich herausstellen sollte, dass dieses Ziel nur dann erreicht werden kann, wenn die Bundesregierung von einem anderen Ziel abweicht, nämlich die Nettoneuverschuldung im Jahr 2006 auf null herunterzufahren? Welches Ziel hat dann eine höhere Priorität? Oder was passiert, wenn die Mittel aus den EUStrukturfonds nach 2006 für Ostdeutschland deutlich zurückgefahren werden? Dass sie zurückgefahren werden, wurde ja in der Ziffer 10 der Anlage 3 vereinbart. Denn was kann es anderes heißen, wenn wir mit anderen Regionen in Westeuropa vergleichbar gemacht werden? Gleicht das der Bund dann wieder aus? Da können Sie die Bundesregierung noch so oft auffordern, bei der EU diesbezüglich vorstellig zu werden. Und, meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat ja bislang nicht einmal im Bereich der Kapazitätsbegrenzung irgendetwas Positives für Mecklenburg-Vorpommern herausholen können.

(Wolfgang Riemann, CDU: Nichts hat er erreicht, nichts!)

Und dann wollen wir ihm die Zukunft der EU-Mittel anvertrauen?! Ein mehr als vages Unterfangen nach meinem Dafürhalten.

Und sehen Sie, bei aller Freude über das erreichte Ergebnis sollten wir nicht länger als notwendig in Champagnerlaune feiern, sondern die Ärmel aufkrempeln und unter den nunmehr vorhandenen Rahmenbedingungen das Beste machen, denn wir haben nun erst die finanzielle Sicherheit. Inhaltlich müssen die Länder nun ihre Leistungsfähigkeit beweisen. Da ist der Konkurrenzkampf groß und ich befürchte, für SPD und PDS in diesem Land zu groß. Dies zeigt auch ein Blick auf die Finanzplanung bis zum Beginn des Soli II im Jahr 2005.

Aber mich treibt eine andere Frage um: Was passiert eigentlich bis zum Jahr 2005? Herr Ministerpräsident, gibt es von Ihrer Seite einen einzigen konkreten und sachdienlichen Hinweis darauf, wie verhindert werden kann, dass die Wohlstandsschere zwischen Ost- und Westdeutschland bis dahin weiter auseinander geht? Sie sind zu Recht stolz auf das Erreichte in den letzten zehn Jahren. Ich kann Ihnen nur wieder sagen: Ich bin insbesondere stolz darauf, was wir in den ersten acht Jahren erreicht haben gemeinsam mit den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Sylvia Bretschneider, SPD: So ist jeder auf seins stolz. – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Was Sie in den letzten zweieinhalb Jahren vollbracht haben, ist auch nicht der Rede wert. Da können Sie auch nicht stolz drauf sein.)

Ob wir auch auf die nächsten Jahre stolz sein können, das wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

Herr Schoenenburg, Sie haben zumindest eins vollbracht – die geringste Beschäftigung seit drei Jahren, die höchste Jugendarbeitslosigkeit seit zehn Jahren, die höchste Arbeitslosigkeit seit drei Jahren und die höchste Abwanderung in Deutschland. Das haben Sie in fast drei Jahren Rot-Rot vollbracht!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

Das ist das Ergebnis Ihrer Arbeit und Sie haben zusätzlich die Investitionsquote von 27 auf 20 Prozent heruntergefahren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Die Auswirkungen sehen Sie draußen in der wirtschaftlichen Entwicklung bei unter einem Prozent und beim Arbeitsmarkt.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das ist ja kompletter Unsinn, was Sie da erzählen! Kompletter Unsinn!)

Das ist das Ergebnis Ihrer politischen Arbeit!

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: 1998 waren die Zahlen nicht besser und da waren Sie dran, trotz Kohl-ABM.)

Herr Ministerpräsident, gibt es eine einzige öffentlich bekannte kritische Stellungnahme Ihrerseits gegen die Kürzungsorgien der Bundesregierung beim Aufbau Ost?

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Ich denke an die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die allein in diesem Jahr um rund 300 Millionen DM abgesenkt wurde, und an die Dotierung im Bereich des Straßenbauplanes für Bundesstraßen mit einer Absenkung um 480 Millionen DM. Das entspricht einer Kürzung von 40 Prozent. Ich denke weiterhin an die Finanzhilfen für Pflegeeinrichtungen Ost, die ausgerechnet unter einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung an die Wand gefahren werden, minus 58 Millionen DM allein in diesem Jahr.

Meine Damen und Herren, mit einem Aufbau Ost hat das alles wenig zu tun. Das ist keine vernünftige Strukturpolitik, wie wir sie uns vorstellen.

(Die Abgeordnete Angelika Peters meldet sich für eine Anfrage.)

Und das Trugbild einer vernünftigen Ostförderung durch Rot-Grün in Berlin geht ja weiter. Herr Ministerpräsident, was sagen Sie zu dem Fakt, dass im Bundeshaushalt 2002 Einnahmen aus dem Soli in Höhe von 22,3 Milliarden DM eingestellt sind? Übrigens, wenn der Soli bei 5,5 Prozent bleibt, dann haben wir mit einer realen Steigerung von 3 bis 4 Prozent per anno zu rechnen. Und dann sehen Sie sich einmal an, wie die Schere immer noch weiter auseinander geht, auch bei den Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, die ja ab dem Jahr 2009 deutlich abgesenkt werden.

Herr Rehberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Nein, zum Schluss.

Gleichzeitig werden aber nur 20,5 Milliarden DM für die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen ausgegeben. Da werden einfach mal 1,8 Milliarden DM zweckentfremdet oder verschwinden in den Weiten des Eichel’schen Haushaltskonsolidierungskurses. Mit Konsolidierung, meine Damen und Herren, hat dies wenig zu tun, mit Enttäuschung der Hoffnung der ostdeutschen Menschen aber sehr viel.

Und, meine Damen und Herren, was sagt das Bundesfinanzministerium? Es verweist auf 17,4 Milliarden DM für Verkehr, Wohnungsbau, Investitionszulagen und weitere Förderbereiche, die im Jahr 2002 in den Osten fließen sollen. Dazu kämen noch einmal – hören Sie – als Sonderleistung Ost 1,4 Milliarden DM für Familienleistungen und Tilgungsraten im Rahmen des Fonds Deutsche Einheit. Diese Milchmädchenrechnung ist gelinde gesagt ungewöhnlich. Was, so frage ich mich, soll die Gegenrechnung von Straßenbaumitteln und Familienförderung eigentlich aussagen? Diese anteiligen Bundesmittel stehen doch allen Bundesländern zur Verfügung. Da machen die neuen Länder doch gar keine Ausnahme.

Doch damit nicht genug. Wenn ich einmal die von mir soeben genannten Zahlen addiere, komme ich auf eine Gesamtsumme in Höhe von rund 40 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, nur zur Erinnerung: Vor vier bis fünf Jahren war die Höhe des Nettotransfers von West nach Ost doppelt so hoch, aber dies unter einer CDU/CSUgeführten Bundesregierung. Das ist die nackte Wahrheit. Rot-Grün hat innerhalb von wenigen Jahren die Nettotransfers von West nach Ost um die Hälfte reduziert. Und die Ergebnisse sehen wir.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Wolfgang Riemann, CDU: Da helfen auch keine Sommerreisen des Kanzlers.)

Ein weiteres Faktum. Noch ein Beispiel: Da verkündet die Bundesregierung voller Stolz eine Erhöhung der Mittel für die ostdeutsche Städtebauförderung und spricht in diesem Zusammenhang von zusätzlichen 900 Millionen DM.

(Angelika Gramkow, PDS: Für drei Jahre.)

Die Wahrheit ist eine andere. Dies entspricht genau der Summe, die seit dem Jahr 2000 im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Ost eingespart wurde. Und zusätzlich wird noch erwartet, dass die Länder dies in gleicher Höhe kofinanzieren.

Unter dieser Bundesregierung ist der Aufbau Ost heute also weder Chef- noch Herzenssache, sondern eine Kapitulation vor der Wirklichkeit. Herr Ministerpräsident, da

reicht es eben nicht, neben dem Bundeskanzler im Blitzlicht zu stehen und ansonsten offenkundig in Berlin als wohlfeiler Statist zu fungieren.

(Heiterkeit bei Minister Dr. Wolfgang Methling – Rudolf Borchert, SPD: Das ist eine Frechheit!)

Wissen Sie, das ist keine Frechheit, das scheint eine Tatsache zu sein.

(Zuruf von Rudolf Borchert, SPD)

Wenn die These von Thierse, der ich noch ausdrücklich nicht widersprechen möchte, der Osten stehe auf der Kippe, nicht wahr werden soll, dann müssen Sie jetzt etwas tun für den Zeitraum bis zum Jahr 2005. Deshalb fordere ich Sie nachdrücklich auf, unterstützen Sie gemeinsam mit Thüringen das Sonderprogramm Ost, welches fünf ganz konkrete inhaltliche Schwerpunkte für die neuen Länder setzt und was solide durchfinanziert ist:

beschleunigter Ausbau der Verkehrsinfrastruktur

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Infrastrukturpauschale für die Kommunen

Städtebauförderung

(Beifall Friedbert Grams, CDU)

Innovations- und Kompetenzzentren

und die Verbesserung der technischen und naturwissenschaftlichen Laborausstattung allgemein und berufsbildender Schulen

Meine Damen und Herren, das wäre etwas für die Zukunft der Jugend. Und wenn Sie noch, Herr Ministerpräsident, als Anregung eine Gegenfinanzierungsmöglichkeit – Bernhard Vogel hat das schon – solide auf den Tisch gelegt haben wollen, warum ergreifen Sie nicht als Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern die Initiative, dass ab dem Jahr 2002 die Investitionszulage überprüft wird, Höhe 4,6 Milliarden DM?! Alle Wirtschaftsforschungsinstitute sind sich einig, dass dies Gießkannenförderung ist und diese 4,6 Milliarden DM nicht zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes genutzt werden, sondern für ein Zukunftsprogramm Aufbau Ost ab dem Jahr 2002.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Dann würden Sie eine Initiative ergreifen, die wirklich für die Zukunft des Landes Mecklenburg-Vorpommern etwas wäre und wo wir ein Zeichen setzen würden gegen die Abwanderung junger Leute, die ja gerade unter Ihrer Regierungsherrschaft massiv zugenommen hat.

Meine Damen und Herren! Übrigens, das soll ab dem Jahr 2004 sowieso überprüft werden. Aber warum denn nicht sofort? Warum nicht die Initiative ergreifen, damit die Wohlstandsschere zwischen West und Ost, die ja immer weiter auseinander geht – und alle Konjunkturprognosen deuten darauf hin –, eben nicht mehr weiter auseinander geht?!