Protokoll der Sitzung vom 15.11.2001

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Von den fünf Punkten vom 13. November, davon möchte ich wirklich nicht reden. Das ist schon mehr als schlicht. Also mit diesem Antiterrorprogramm, den fünf Punkten, haben Sie sich, glaube ich, bei der Landespolizei den gleichen Ruf erworben wie Scharping bei der Bundeswehr.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Insgesamt ist festzustellen, dass die Landesregierung die seit dem 11. September entstandene Situation ignoriert. Unser Land ist weder personell noch technisch auf Terroristenbekämpfung vorbereitet, also nicht auf die neuen Herausforderungen. Trotz Kritik der Gewerkschaft der Polizei, die immer wieder auf die bestehende dramatische personelle Situation bei der Polizei hingewiesen hat, geschieht nichts. Die weiteren Mehrbelastungen der Polizei, hervorgerufen durch die aktuelle Sicherheitslage, führen langfristig zu einer Gefährdung der inneren Sicherheit im Land. Und wer die extreme Belastung der Polizei ignoriert, der setzt die innere Sicherheit in diesem Lande aufs Spiel. Deswegen fordern wir mit unserem Antrag ein Antiterrorpaket in Höhe von mindestens 30 Millionen DM im Haushaltsetat 2002/03.

Die von uns geforderten 177 Stellen sind das Mindeste, was die Polizei benötigt. Die alten Argumente von Herrn Dr. Timm, die können Sie vergessen! Wir brauchen Verstärkung bei der Bereitschaftspolizei – da sind ja nicht einmal alle Züge aufgefüllt –, um die Landespolizei von zusätzlichen Einsätzen zu entlasten, und wir benötigen Stellen für Sondereinheiten, Spezialkräfte und neue Ermittlungseinheiten zur Terrorismusbekämpfung sowie EDV-Spezialisten für die Terrorismusdateien.

Auch der Bereich organisierte Kriminalität muss personell verstärkt werden. Fakt ist, der Weltterrorismus wird mit Drogengeldern finanziert.

(Annegrit Koburger, PDS: Ja, da bringt die USA die Leute noch drauf, dass wir das finan- zieren. Da haben die nämlich jahrelange Erfah- rungen. – Zuruf von Monty Schädel, PDS)

Europa wird über die Seidenroute aus Afghanistan und über die Balkanroute aus den Kurdengebieten mit Drogen überschwemmt.

Ja, und Sie fordern die Drogenfreigabe! Das steht ja auch in diesem Kontext.

(Annegrit Koburger, PDS: Sie haben nichts verstanden, aber auch gar nichts!)

Der Kampf gegen Terrorismus ist also auch aus unserer Sicht ein Kampf gegen Drogen- und Menschenhandel.

Und was macht der Innenminister? Er verkündet am letzten Wochenende die Einstellung von 450 neuen Polizisten bis 2006 und verschweigt, dass das nur der Ersatz für die Ruheständler ist. Dazu SVZ-Kommentar vom Wochenende: „Die Timm’sche Hurra-Statistik erinnert an etwas Titanic, DDR oder die neueste Unterrichtsausfallstatistik vom Bildungsminister Peter Kauffold.“ Dem ist nichts hinzuzufügen!

Jeder Terrorist und jeder Drogendealer ist technisch perfekt ausgerüstet, während vielen Sachbearbeitern der Kriminalpolizei und in Sonderermittlungseinheiten Mobiltelefone, PC, Laptop und Internetanschlüsse noch fehlen. 7 Millionen DM für die verbesserte technische Ausstattung sind wenig genug, um die Landespolizei auch technisch in die Lage zu versetzen, diese Formen des Terrorismus bekämpfen zu können. Zu der genannten technischen Grundausstattung benötigt die Polizei vor allem aber auch ABC-Ausrüstungen und die Technik für ABCGefahrenanalysen. Die Anthrax-Angriffe in den USA zeigen, dass die Landespolizei mit Brief-Röntgengeräten und Strahlengeräten zur Abtötung von Bakterien in Briefen ausgestattet werden muss.

Auf die Sicherheitsdefizite der beschlossenen Polizeiorganisationsstruktur haben wir in den Ausschüssen und hier im Parlament wirklich genug hingewiesen. Mit dieser Struktur sind – und das muss man mal deutlich sagen – Umgruppierungen und neue Dienstposten verbunden, die die Einsatzfähigkeit derzeitig einfach weiter in Frage stellen. Die Sicherheitsdefizite durch den Rückzug aus der Fläche haben wir Ihnen sehr lange und deutlich hier im Parlament gesagt. Und angesichts der neuen Herausforderung durch den Terrorismus muss auch diese Polizeiorganisationsstruktur auf den Prüfstand. Das wäre normalerweise eine Aufgabe, die schon längst hätte angepackt werden müssen.

Sie können einfach nicht so weitermachen, als wäre am 11. September nichts geschehen. Eine Polizei, die im Dauerstress bis Ende des Jahres 800.000 Überstunden vor sich herschiebt, kann nicht gleichzeitig mit einer neuen Organisationsstruktur konfrontiert werden. Die Bezahlung der Überstunden ist im Übrigen selbstverständlich. Wenn das zu einem Antiterrorpaket gehört, dann frage ich mich wirklich: Wo leben wir hier eigentlich? So was steht in einem Antiterrorpaket drin – also da ist man fassungslos!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Die Bezahlung der Überstunden ist in einem Antiterrorpaket! Da muss ich mich wie zu DDR-Zeiten fragen: Mein Gott, von wem werden wir denn hier noch regiert?

(Annegrit Koburger, PDS: Zum Glück nicht von Ihnen!)

Der islamische Terrorismus hat am 11. September

(Gerd Böttger, PDS: Das hätten Sie damals mal fragen sollen. Haben Sie bloß nicht. Hat er ja nicht! – Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS)

der zivilisierten Welt den Krieg erklärt. Das Ziel ist die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Ordnung.

(Unruhe bei Dr. Armin Jäger, CDU, und Gerd Böttger, PDS)

Das ist für Sie vielleicht lächerlich, für uns nicht!

(Glocke der Vizepräsidentin)

In Deutschland gibt es 31.000 islamische Extremisten. Und eins muss man auch sagen: Wir werden niemanden pauschal in irgendeinen Verdacht nehmen, aber auch wir haben 6.000 Muslime in unserem Land, wo wir mit einem gewissen Anteil von Extremisten rechnen müssen. Deswegen ist die strukturelle und personelle Stärkung des Verfassungsschutzes zwingend geboten. Der Verfassungsschutz benötigt fürs Erste diese acht Spezialisten zur Terror- und Extremismusbekämpfung, aber er benötigt vor allen Dingen politische Rückendeckung. Das ist wichtig. Und die bekommt er doch bisher nur von uns.

(Heiterkeit bei Gerd Böttger, PDS)

Alle Weisungen, die die Arbeit des Verfassungsschutzes zur Beobachtung extremistischer Strukturen im Lande beschränken, müssen sofort aufgehoben werden. Herr Dr. Timm, es gibt da noch eine ganz besondere Weisung. Der Verfassungsschutz darf nicht weiter zum Spielball politisch-ideologischer Interessenlagen dieser Koalition gemacht werden! Das müssen wir ganz deutlich sagen. Es müssen alle extremistischen Organisationen einschließlich der Querverbindungen zu den islamischen überwacht werden! Und da kennen wir ja aus der Vergangenheit einige.

Auch im Katastrophenschutz gibt es noch einige Defizite. Mit unseren Vorschlägen wollen wir ein 3-MillionenDM-Paket auflegen, um die gröbsten Defizite abzubauen. Dazu gehörten die Sicherstellung der Einsatzbereitschaft der Spezialtechnik des THW und Verträge mit Spezialfirmen, um im Notfall Kräne und Fahrzeuge bereitstellen zu können. Derzeit stehen den Feuerwehren in MecklenburgVorpommern immer noch nicht genügend Fahrzeuge für ABC-Gefahrenanalysen zur Verfügung. Es fehlt auch an Medikamenten zur Bekämpfung von Krankheiten nach ABC-Angriffen. Deswegen müssen die Erst- und Ersatzbeschaffung von Fahrzeugen für ABC-Gefahrenanalysen weiter beschleunigt sowie die Anschaffung und dezentrale Lagerung von Medikamenten so schnell wie möglich erfolgen. Eine verstärkte Fortbildung ist dann natürlich an der neuen Technik auch notwendig.

Bei unseren Vorschlägen zur Stärkung der inneren Sicherheit handelt es sich aus unserer Sicht um Mindestanforderungen. Und sehen Sie sich mal das Antiterrorpaket von Brandenburg an, 36,1 Millionen DM! Ich denke, da liegen wir auch in vernünftigen Relationen. Wir haben darauf verzichtet, weitere Vorschläge im Bereich des SOG und des Verfassungsschutzgesetzes zu machen, weil wir ohnehin der Meinung sind, dass das sehr platt abgelehnt wird.

Im Bundesrat liegt seit dem 12. Oktober der Antrag der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen als „Entschließung des Bundesrates zur wirksameren Bekämpfung des internationalen Terrorismus und Extremismus“ vor. Dieser Antrag ist aus unserer Sicht eine relativ

frühe und vernünftige Antwort auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen nach den Terroranschlägen in den USA. Und der Antrag war notwendig, weil sich schon damals abzeichnete, dass die Regierungskoalition in Berlin nicht in der Lage ist, sich auf ein angemessenes Sicherheitspaket zu einigen. Wir haben ja den Streit mit den Grünen erlebt. Und was wir also gestern hier erlebt haben zum Sicherheitspaket I und II, war auch keine Sternstunde dieses Parlamentes.

Zur Aufdeckung der gefährlichen Netzwerke benötigen Polizei, Verfassungsschutz, Geheimdienste und die Strafverfolgung rechtliche Instrumentarien für dauerhafte personenbezogene Maßnahmen. Das ist sehr wichtig in diesem Bereich. Dazu gehört der Überblick über Personen mit extremistischem und terroristischem Hintergrund, über personelle Vernetzung, Organisationsstrukturen und vor allen Dingen Finanzströme in Deutschland und im Ausland. Das ist klar in diesem Antrag definiert, zum Teil bin ich in meiner Rede schon gestern darauf eingegangen.

Angesichts der extrem konspirativen Vorgehensweise und der ethnischen Abschottung islamistischer Extremisten und Terroristen müssen die Möglichkeiten der Datenerhebung, -übermittlung und -speicherung behördenübergreifend sowie international weiter verbessert werden. Wir müssen mehr tun! Und Sie tun hier immer so, als ob das ausreiche, was wir mittlerweile haben. Das genügt nicht. Es ist einfach Fakt und das wird Ihnen auch jeder sagen. Aus unserer Sicht kann nur so das Netzwerk der ausländischen Extremisten und Terroristen in Deutschland, Europa und Übersee wirklich effektiv und auch langfristig bekämpft werden.

Und eines muss man auch ganz deutlich sagen: Unsere Partner in der EU und der NATO verfolgen sehr gespannt, was in Deutschland insgesamt passiert – einerseits Einsatz der Bundeswehr, aber sie verfolgen auch sehr gespannt, was hier zu diesen Sicherheitspaketen im Lande gemacht wird. Und ich glaube, da haben wir in Berlin morgen auch die Stunde der Wahrheit und wir sollten es hier nicht so weit kommen lassen. Es ist so, dass sich der Bundeskanzler Schröder im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit eigentlich nur noch auf die Opposition verlassen kann. Ich denke, dass man bei so einem Thema mehr parteiübergreifende Gemeinsamkeiten finden kann und eigentlich auch finden muss!

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Nach dem gestrigen Trauerspiel können wir nur hoffen, dass Sie sich wenigstens einmal gegenüber Ihrem Koalitionspartner durchsetzen. Wir haben den Eindruck, dass der sich ja auch Ihnen gegenüber in vielen Dingen durchsetzt. Sie sollten es vor allen Dingen deshalb heute überlegen, denn es kann doch wohl nicht sein, dass die Ablehnung unseres Antrages schon gestern im „Neuen Deutschland“ hier angekündigt worden ist

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, das machen sie so.)

und die SPD dann diesen Antrag auch getreu mit ablehnt.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

In diesem Sinne darf ich Sie nochmals bitten, Ihre Einstellung zu überdenken und unserem Antrag zuzustimmen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Herr Thomas.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat jetzt der Innenminister Herr Dr. Timm.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Acht Wochen nach dem Terrorangriff in den Vereinigten Staaten und sechs Wochen nach der Landtagswahl von Hamburg hat die Christlich-Demokratische Union das Thema innere Sicherheit in Mecklenburg-Vorpommern entdeckt.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ach, Herr Timm! Das ist doch albern! – Zurufe von Siegfried Friese, SPD, und Gerd Böttger, PDS – Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS)

Die Koalitionsaussage, Herr Dr. Jäger, Ihrer Partei hier, Ihres Landesverbandes – der Bundesverband und vor allem die CSU sind sehr vorbildlich in dieser Frage – lautet, Sie wollen eine Koalition mit der PRO eingehen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Wer ist denn das?)

Wissen Sie, vorauseilender Gehorsam oder was auch immer das Motiv sein mag –

(Dr. Armin Jäger, CDU: Erzäh- len Sie doch keine Märchen!)