Protokoll der Sitzung vom 13.12.2001

(Reinhardt Thomas, CDU: Das hat der Minister schon getan.)

Ja, Herr Thomas, wen sollen wir denn da bedauern? Den zuständigen Richter und die Kammer, den Staatsanwalt oder vielleicht die Angeklagten, die, wie Sie in Ihrer Begründung sagen, neun Jahre lang auf ihren Prozess warten mussten, die Ärmsten? Was wollen Sie uns denn eigentlich noch alles hier zumuten?!

(Dr. Ulrich Born, CDU: Vielleicht müssen wir den Justizminister bedauern.)

Sie schreiben in der Überschrift Ihres Antrages ganz fett „Prozessverschleppung bei dem Landgericht Schwerin“. Sie unterstellen also dem Gericht bewusste Verschleppung. Prozessverschleppung ist natürlich für die Richterschaft ein ätzender Vorwurf und sie hat das in Gestalt des real existierenden Richterbundes auch zu Recht mit Empörung weit von sich gewiesen.

Doch, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allem Unbehagen sind wir dennoch für eine sachliche Behandlung dieses Problems. Die Öffentlichkeit ist empört, und das zu Recht. Die Frage, wie es dazu kommen konnte, verdient aus unserer Sicht schön nähere Aufklärung und Begründung. In diese Wunde muss man den Finger legen. Dass in diesem Verfahren Staatsanwälte und Justizminister, ganz vorsichtig gesagt, irgendwie nicht ganz wach oder präsent waren, liegt doch wohl auf der Hand. Also muss ich allerdings nun der CDU, so Leid es mir tut, doch irgendwie zustimmen, wenn es im Begründungstext heißt: Das ist „ein Justiz-Skandal“.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Und warum tut Ihnen das Leid, wenn Sie uns zustimmen müssen?)

Mörder und Brandstifter neun Jahre lang nicht zur Rechenschaft gezogen zu haben, ist ein Skandal. Was ist

da eigentlich gelaufen? Das ist auch unsere Frage. Klar ist aus unserer Sicht vor allen Dingen Folgendes: Hier ist Aufklärung nötig, denn was hier gelaufen ist, ist mit einiger Gewissheit etwas mehr, als dass irgendein Amtsgericht gegen die guten Sitten verstoßen hätte.

Und da hört man nun – und das greift wohl auch die CDU mit Ihrem Antrag auf –, dass das Gericht nicht tätig werden konnte, da man fortwährend in Untersuchungshaft Sitzende verarzten musste. Es wären demnach also widrige Zeitgründe, die diesen Prozess bisher nicht möglich machten. Ich frage da mal nur beiläufig, meine sehr verehrten Damen und Herren, was für ein Täterspektrum wir im Land haben müssen, wenn andere Prozesse Vorrang haben mussten und diese Täter – wie gesagt, der Vorwurf der Anklage lautet auf versuchten Mord und schwere Brandstiftung – nicht einmal in Untersuchungshaft gekommen sind. Da kann doch wohl das Jugendstrafrecht kaum schuld daran sein.

(Wolfgang Riemann, CDU: Ach nee?)

Und ich frage mich auch: Was hat die Staatsanwaltschaft getan? Wo sind deren Anträge? Warum hat, wenn die Kammer nicht reagierte, keiner Krach geschlagen? Oder, meine sehr verehrten Damen und Herren, hatte etwa auch sie anderweitige Arbeitsüberlastungen, um zum Beispiel Verfahren gegen Anti-Nazidemonstranten auf den Weg zu bringen?

Es ist doch mehr als lächerlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn beispielsweise zum Stichwort „Verfahrensbeschleunigung“ immer gesagt wird, man müsse möglichst jeden Hühner- und Ladendieb noch am selben Tag vor den Kadi bringen und sollte ihn, wenn es nicht anders geht, für die Prozesssicherung sogar in vorbeugende Untersuchungshaft nehmen, während man derartige Täter neun Jahre ungeschoren lässt. Das passt einfach nicht zusammen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Ja, Jugendstrafrecht.)

Also in diesem Punkt stimmt das, was Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, im Begründungstext schreiben: Es ist in der Tat ein Skandal. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, was sollen denn die 15 Stellen als Schlussfolgerung aus diesem Verfahren? Und Sie sagen in Ihrem Antrag ja auch nicht einmal, wie viele davon Richter und wie viele Staatsanwälte und an welchem Ort notwendig wären. Das ist also wieder einmal die allergrößte Präzision, wie sie eben nur ein CDU-Antrag haben kann. Hauptsächlich 15 Stellen, lautet die Botschaft. Und so wird leider wie bei Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, nur all zu oft zusammengeschrieben, was eben nicht zusammengehört.

(Wolfgang Riemann, CDU: Ach nee?!)

Neue Märchen braucht das Land.

Und dann lese ich mit Staunen in Ihrem Begründungstext, dass der Prozess gegen längst ermittelte und längst angeklagte terroristische Verbrecher – und darum handelt es sich nach der Anklage und so reflektieren Sie es auch in der Begründung Ihres Antrages – sage und schreibe neun Jahre lang nicht stattfinden konnte, weil 15 Stellen für Richter und Staatsanwälte fehlten. Schluss des Schlusses Ihres Antrages: Wo kein Ankläger, wo kein Richter, da auch kein Prozess. So ist wohl die eigentliche Logik des Antrages zu verstehen, wenn er überhaupt

einen Sinn machen soll. Diese aus unserer Sicht völlig absurde Argumentation muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Glauben Sie denn allen Ernstes, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, dass wir uns die Hosen mit der Kneifzange anziehen? Man kann es drehen und wenden wie man will,

(Harry Glawe, CDU: Ihnen fehlt nur die Kneifzange, sonst würde alles gehen.)

die Frage bleibt: Was soll denn nach neun Jahren noch ernstlich an Wahrheit über das konkrete Tatgeschehen herauskommen? Die Hintergründe, auf die es allerdings aus unserer Sicht bei diesem Verfahren auch im Interesse der Wahrheitsfindung ankäme, verblassen nach neun Jahren.

(Herbert Helmrich, CDU: So ist es.)

Deswegen hätte der Prozess schon längst stattfinden müssen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

Vielleicht sogar in der Zeit von 1992 bis 1994.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Und es gäbe doch wohl auch für heute noch eine ganze Menge von bedeutsamen, aufzuschließenden Wahrnehmungen über den rechtsextremistischen Background – besser gesagt, Underground – wie eben auch über das Versagen des damaligen Innenministers, des Polizeichefs und der Rostocker Chefs, die bekanntlich einer nach dem anderen ihren Hut nehmen mussten. Denn bekanntlich förderte gerade dazu der Untersuchungsausschuss des Landtages herzlich wenig zutage, weil es nämlich bekanntermaßen mannigfaltige Interessen gab, politisch zu mauern. Wäre es nicht gerade auch deshalb richterliche Pflicht gewesen, hier längst ernsthaft nachzufassen, meine sehr verehrten Damen und Herren? Die Pleite kann allerdings andererseits – das ist unsere Überzeugung – heute nicht damit gerechtfertigt werden, es fehlten 15 Richterstellen. Das ist völlig absurd.

Der Richterbund hat sich kürzlich mit der Forderung von 10 Stellen begnügt. 10 Stellen sind gut, 15 sind besser, sagt die CDU. Warum nicht 20, warum nicht 30, warum nicht 50 Stellen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU?

(Wolfgang Riemann, CDU: Das wird Ihnen Herr Helmrich schon noch erläutern.)

Denn wenn ein Gericht, wie Sie bereits in der Überschrift Ihres Antrages schreiben, Prozessverschleppung betrieben hat, ist es wohl doch erst einmal logisch, zunächst bei diesem Gericht den rechtsstaatlichen Enterhaken anzusetzen, anstatt gleich auf blauen Dunst 15 – übrigens nicht ganz billige – Staatsanwaltschafts- und Richterstellen hinterherzuwerfen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Richter sollen auch nicht billig sein.)

Man muss diesen Wahnsinn nicht unbedingt auf die Spitze treiben.

Und was die Finanzierung der Wunschstellen betrifft, so ist das, was im Antrag dazu gesagt wird, allerdings – gestatten Sie diese Bezeichnung, meine sehr verehrten Damen und Herren – eine reine Luftbuchung. Es sollen Stellen aus der Regierung genommen werden, sagen Sie,

die im Prinzip sowieso nicht besetzt sind, allerdings mit Ausnahme des Justizbereiches. So einfach geht das nicht, das hat der Justizminister hier deutlich gemacht. Da sollen Stellen besetzt werden, die sowieso nicht besetzt sind. Wie das alles genau funktionieren soll, sagen Sie uns nicht.

(Wolfgang Riemann, CDU: Da gibt es einen Antrag der Landesregierung an den Finanzausschuss zur Umsetzung.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU! Natürlich, Herr Riemann, nehmen wir Ihnen Ihre vorbildliche Fürsorge für die Justiz überhaupt nicht ab. Noch vor einem Vierteljahr haben Sie anlässlich der Haushaltsberatungen 10 Richterstellen verlangt, jetzt sollen es 15 sein. Gut. Aber die Crux war doch, dass Sie, jedenfalls bei den entscheidenden Haushaltsberatungen, so haben es zumindest mir die Mitglieder, die für uns im Rechtsausschuss sitzen, mitgeteilt, dass Sie bei den entscheidenden Haushaltsberatungen im Rechtsausschuss überhaupt nicht dabei waren, um für die Belange der Justiz wie die Löwen zu kämpfen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Im Finanz- ausschuss ist das abgelehnt worden. Fragen Sie den Finanzpolitiker!)

Ich rede hier vom Rechtsausschuss, Herr Riemann, vom Rechtsausschuss.

(Wolfgang Riemann, CDU: Ja, wir haben den Antrag gestellt im Finanzausschuss und er ist abgelehnt worden. – Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Die Schaumschlägerei im Plenum ist Ihnen wieder einmal wichtiger als die Arbeit im Ausschuss, Herr Riemann.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Federführend ist der Finanzausschuss im Haushalt! Federführend, Herr Ritter, ist der Finanzausschuss!)

Dann können wir uns ja eigentlich die Fachausschüsse sparen, wenn Sie dort nicht mehr arbeiten. Dann brauchen wir bloß noch den Finanzausschuss.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Dr. Ulrich Born, CDU: Nein. – Zuruf von Dr. Gerhard Bartels, PDS)

Es war Ihnen doch eigentlich vier Wochen ganz piepegal,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Es geht darum, dass der Antrag abgelehnt worden ist.)

was mit Ihrem Antrag auf zusätzliche Richterstellen wurde. Freilich, wie man hörte, hatten Sie flächendeckend Parteiveranstaltungen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ach was! – Harry Glawe, CDU: Ach nee!)

Vielleicht waren Sie ja gerade auf Kanzlerkandidatensuche,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ach!)

was natürlich wichtiger ist als Haushaltsberatungen im Fachausschuss.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Beate Mahr, SPD – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)