Protokoll der Sitzung vom 31.01.2002

Also, meine Damen und Herren, diese Querdiskussionen bitte ich doch auf dem Gang zu führen. Ich bitte noch einmal, die Ordnung in diesem Hause einzuhalten und den Rednern hier zuzuhören.

Danke schön, Herr Präsident.

Wodurch ist nun die Situation der Alleinerziehenden in unserem Land gekennzeichnet? In Mecklenburg-Vorpommern leben zurzeit etwa 40.000 alleinerziehende Mütter und Väter. Ihr Anteil an den Familien mit Kindern unter 18 Jahren liegt dabei bei circa 30 Prozent. Den so genannten sozialen Risiken sind hauptsächlich Alleinerziehende ausgesetzt, die mit ihren unter 18-jährigen Kindern in einem Haushalt leben, davon 12 Prozent, die Sozialhilfe erhalten, und zudem sind 41 Prozent der Alleinerziehenden im Land als einkommensarm einzuordnen. Das heißt, sie verfügen durchschnittlich lediglich über ein Monatseinkommen zwischen 1.100 und 1.200 Euro.

Alleinerziehende sind überwiegend ledige Frauen in der Mehrzahl zwischen 25 und 40 Jahren. Sechs von sieben alleinerziehenden Elternteilen sind Frauen, deren Einkommen immer noch durchschnittlich unter dem von Männern liegt. Zudem sind Frauen stärker von der Ausgrenzung auf dem Arbeitsmarkt betroffen, denn wir wissen alle, Frauen sind schwerer vermittelbar, einerseits leider immer noch durch Vorbehalte von Arbeitgebern und andererseits durch den hohen Aufwand zur Kinderbetreuung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, materielle Armut gilt als ein zentrales Merkmal zur Beschreibung der Situation von Alleinerziehenden. In der Tat wird in der Mehrzahl der Befragten in der Sozialberichtserstattung ihre wirtschaftliche und finanzielle Situation als Hauptproblem in ihrem Leben benannt. Die finanziellen Probleme betreffen dabei die unterschiedlichsten Lebensbereiche, die alltägliche Haushaltsführung, sowohl die Möglichkeit zur Nutzung kostenpflichtiger Freizeitangebote als auch Kinderbetreuung et cetera. Die Einelternfamilie – man muss sich daran gewöhnen – ist also eine Familienform, die für Sozial- und Familienpolitik von hervorgehobener Bedeutung ist. Alleinerziehende müssen ihre eigene und die Existenz ihrer Kinder durch Erwerbsarbeit materiell absichern und die volle, meist alleinige Verantwortung für die Versorgung und Erziehung ihrer Kinder tragen. Diese Doppelbelastung und Alleinzuständigkeit eines Elternteils macht diese Familienform anfälliger für das Wirksamwerden von Risiken, die zu einem erhöhten Bedarf an Transferleistungen und anderen sozialen Leistungen führen können.

Aus dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht des Bundes ist ersichtlich, dass 1998 rund 60 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland keine Steuern zahlen mussten, demzufolge auch nur 40 Prozent von einem Haushaltsfreibetrag von 2.871 Euro profitierten. Auch dies ist ein Spiegelbild der oftmals sehr schwierigen sozialen Lage von Alleinerziehenden.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Genau dort liegt das Problem.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt möchte ich konkret auf den vorliegenden CDU-Antrag eingehen.

Als Erstes, Herr Riemann, eine Richtigstellung: Der im Antrag zitierte Haushaltsfreibetrag für 2001 beträgt nicht 2.916 Euro, sondern, wie bereits erwähnt, 2.871 Euro. Vermutlich haben Sie diesen Betrag falsch aus der „Berliner Zeitung“ vom 10. Januar abgeschrieben, aber das kann ja mal passieren.

(Wolfgang Riemann, CDU: Wir schreiben nichts ab.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat am 10. November 1998 festgestellt, dass dieser Haushaltsfreibetrag durch seine Beschränkung auf Alleinstehende gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes verstößt. Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, stattdessen den Betreuungs- und Erziehungsaufwand eines Kindes steuerlich freizustellen.

Die rot-grüne Bundesregierung hat nach einer verfassungskonformen Lösung gesucht und sie schließlich auch gefunden. Der Haushaltsfreibetrag wird in drei Stufen auf 2.340 Euro im Jahre 2002 bis 2004 auf 1.188 Euro abgeschmolzen. Erst ab 2005 wird kein Haushaltsfreibetrag mehr gewährt. Das heißt, der erste Schritt ist so bemessen, dass die Verringerung des Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsfreibetrages ausgeglichen wird. Die weiteren Schritte verlaufen zeitlich parallel zu den Entlastungsstufen der Steuerreform. Belastungen für die Gruppe der Al l e i nerziehenden werden so möglichst vermieden.

Damit hat die Bundesregierung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts politisch umgesetzt, denn alternativ zu dieser Regelung die Gewährung von Haushaltsfreibeträgen auch auf Familien mit Kindern auszudehnen hätte zu Mehrausgaben von schätzungsweise 10 Milliarden Euro geführt. Und dies ist bekannterweise aufgrund der Haushaltslage von niemandem zu finanzieren, auch nicht von Ihnen, meine Damen und Herren der CDU.

Der CDU-Vorwurf, es gäbe keinen adäquaten Ausgleich, ist falsch.

(Wolfgang Riemann, CDU: Ist nicht falsch.)

Die Bundesregierung hat durch eine Reihe von Maßnahmen entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts für Kompensation gesorgt. Dazu gehören folgende Maßnahmen:

Erstens. Das Kindergeld für die ersten beiden Kinder wurde 2002 um jeweils 16 Euro von 138 Euro auf 154 Euro pro Monat erhöht.

Zweitens. Ab dem 01.01.2002 wurde der bisherige Betreuungsfreibetrag in Höhe von 1.546 Euro inhaltlich um den Erziehungsbedarf des Kindes erweitert. Somit kann ein Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsfreibetrag in Höhe von 2.116 Euro pro Jahr und Kind bis zum 27. Lebensjahr eines Kindes gewährt werden. Die bisherige Altersgrenze lag übrigens bei 16 Jahren. Diese Zusammenfassung kindbezogener Abzugsbeträge entspricht auch einer ausdrücklichen Forderung des Bundesverfassungsgerichtes, denn diese Freibetragskonzeption berücksichtigt, dass sich der jeweils notwendige Bedarf im Laufe der Jahre verändert. Der zunächst überwiegende Betreuungsbedarf wird später durch den Erziehungsbedarf, bei älteren Kindern durch den Ausbildungsbedarf überlagert.

Drittens. Darüber hinaus können ab 01.01.2002 erwerbsbedingte Betreuungskosten für Kinder unter 14 Jahren steuerlich geltend gemacht werden. Alleinerziehende

können diese erwerbsbedingten Betreuungskosten bis zu einer jährlichen Höhe von 750 Euro absetzen, soweit die Betreuungskosten den Betrag von 774 Euro übersteigen. Sofern ein Elternteil ausnahmsweise Anspruch auf den vollen Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung hat, kann er nachgewiesene Kinderbetreuungskosten, soweit sie höher als 1.548 Euro betragen, bis maximal 1.500 Euro steuerlich geltend machen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat auch ausdrücklich gefordert, die steuerliche Berücksichtigung der Erziehungskosten für alle Eltern neu zu regeln. Dieser Forderung kommt das Bundesfinanzministerium jetzt mit einem weiteren aktuellen Gesetzentwurf nach, der die steuerliche Abzugsfähigkeit der Erziehungskosten für Alleinerziehende bereits ab dem ersten Euro vorsieht. Für verheiratete Eltern würde weiterhin wie bisher eine Untergrenze von 1.500 Euro gelten.

Und nun zum Vorwurf der CDU, hier gebe es möglicherweise Probleme bei der Behandlung von Alt- und Neufällen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

Eine solche Ungleichbehandlung, meine Damen und Herren der CDU, ist jedoch für Übergangsregelungen – und darum geht es hier – unvermeidlich. Sie ist auch sachlich gerechtfertigt,

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

weil sich die Altfälle, Herr Riemann, auf den Wegfall einer bisher gewährten Steuererleichterung neu einstellen müssen. Dies ist eine Regelung im Interesse der Mehrheit der Betroffenen und ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht wenigstens auch von Ihnen so gesehen wird.

Wie werden sich nun die neuen Steuerregelungen für eine Einelternfamilie auswirken? Die meisten Einelternfamilien werden durch die neue Familienförderung, ich habe einige Details angesprochen, ab 2002 besser gestellt. Allein stehende Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit einem Kind unter 14 Jahren und Betreuungskosten von jährlich 1.524 Euro erfahren im Vergleich zu 2001 folgende Besserstellung, dazu drei Fallbeispiele: Beim Jahresbruttolohn von 15.338 Euro sind es 140 Euro im Jahr, bei einem Jahresbruttolohn von 20.451 Euro eine Besserstellung von 150 Euro im Jahr und bei einem Jahresbruttolohn von 30.577 Euro eine Besserstellung von 170 Euro.

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Das sind Daten, Fakten, Zahlen, die ja wohl keiner bestreiten will.

Richten wir jetzt den Blick nach vorne! Frau Koburger hat zu Recht die Frage gestellt: Was hat denn die CDU Konstruktives zu bieten in Sachen Zukunft von Familienpolitik? Ich möchte diese Frage für die SPD beantworten. Die SPD wird mittelfristig eine Weiterentwicklung der Familienbesteuerung konstruktiv erreichen und hat dazu auf dem SPD-Bundesparteitag im November letzten Jahres für die nächste Legislaturperiode – wir gehen davon aus, dass wir dann ebenfalls wieder in Regierungsverantwortung sind – neben der Notwendigkeit weiterer Kindergelderhöhungen auch die Umgestaltung des Ehegattensplittings beschlossen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Es ist immer schwierig, wenn die Grundanlagen schon nicht stimmen.)

Es gilt, eine sozial ausgewogene Umschichtung von der steuerlichen Förderung der gut situierten Einverdienstehe über das Splitting zu einer besseren Unterstützung von Eltern und Kindern zu erreichen.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD)

Nur so wäre sichergestellt, dass Einelternfamilien nicht schlechter gestellt sind als Paarfamilien. Eine ganz zentrale Frage! Unter anderem wegen der Komplexität unseres Steuerrechts und der zu beachtenden Vertrauensschutztatbestände bedarf allerdings diese Reform des Ehegattensplittings einer sorgfältigen Prüfung und umfangreicher gesetzgeberischer Vorbereitungen. Die SPD ist dazu bereit, sie ist dazu in der Lage, im Gegensatz zur CDU.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Das dauert alles viel zu lange. – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Herr Riemann, die für die nächste Legislaturperiode vorgesehene Reform der Sozialhilfe sollte aus SPD-Sicht Folgendes berücksichtigen: Es sind Möglichkeiten einer der Sozialhilfe vorgelagerten Existenzsicherung von Kindern und Jugendlichen zu prüfen und zu verbessern. Eine solche Regelung käme vor allem Alleinerziehenden zugute, die ja bekannterweise häufig auf Sozialhilfe angewiesen sind.

Flankierend zu einer Verbesserung der Familienleist u n gen wäre eine zielgenaue und sachgerechte Steuere n t l a stung von Einelternfamilien durch eine verbesserte B erücksichtigung erwerbsbedingter Betreuungskosten sinnvoll. Alleinerziehende sind besonders auf ein bedarfsdeckendes Kinderbetreuungsangebot angewiesen, so, wie wir es zurzeit in unserem Land ja bereits vorhalten. In vielen anderen Bundesländern ist das bekannterweise nicht der Fall.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Alleinerziehende müssen die Chance erhalten, ein vom Staat weitestgehend wirtschaftlich unabhängiges und selbstbestimmtes Leben führen zu können und eine gleichberechtigte gesellschaftliche Akzeptanz zu erfahren.

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Grundsätzlich muss aber die Frage intensiver als bisher diskutiert werden, ob denn das Steuerrecht für Familienpolitik überhaupt das geeignete Mittel ist.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD)

In jedem Fall brauchen wir zumindest eine klare Trennung von steuerpolitischen und familienpolitischen Maßnahmen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Dr. Margret Seemann, SPD: Richtig.)

Das ist das Mindeste.

Und jetzt zu Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion.

(Harry Glawe, CDU: Was?)

Wie dem Antrag zu entnehmen ist, schlägt Sie ja wieder mal das soziale Gewissen.

(Harry Glawe, CDU: Genau.)

16 Jahre hat Ihre Partei in Deutschland Familienpolitik gemacht.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Harry Glawe, CDU: Ja, aber besser als Sie. – Nils Albrecht, CDU: Ich denke, Sie sind eine innovative Partei und schauen nach vorn. – Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Also, wer solche Anträge wie Sie stellt, der muss sich natürlich auch gefallen lassen, dass mal nach hinten geguckt wird, mal die Frage gestellt wird: Was haben Sie 16 Jahre gemacht?