Protokoll der Sitzung vom 13.03.2003

Zweitens. Wenn Sie dann in Ihrem jugendlichen Elan der Auffassung sind, dass das hier nicht der richtige Ort ist, über so ein Thema zu diskutieren, ja dann frage ich Sie allen Ernstes, wem gestehen Sie das Recht zu, über Krieg

und Frieden zu diskutieren. Den Leuten auf der Straße haben Sie es zugestanden. Das habe ich zumindest hoffnungsvoll so vernommen.

(Siegfried Friese, SPD: Der Satz soll gestrichen werden.)

Wenn aber nicht wir als Volksvertreter zu diesem elementaren Thema diskutieren sollen an diesem Ort, dann weiß ich wirklich nicht, wo wir das sonst noch tun sollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Übrigens, was dann wirklich – ja, jetzt muss ich genau überlegen, damit ich keinen Ordnungsruf bekomme –, was wirklich jenseits von Gut und Böse war, ist, was Sie dann hier veranstaltet haben, eine Aufrechnungsarie zu vollziehen,

(Torsten Koplin, PDS: Das war fürchterlich! Schlimm!)

wer denn wann was wo nicht getan habe in den letzten Jahren hier im Parlament, welche Resolution wir hätten machen müssen. Ich sage Ihnen, dass ist ein Schuss aus dem Glashaus, denn der Kollege Ritter und auch der Kollege Bluhm haben mit Recht gesagt, Sie hätten da mehrfach Gelegenheit gehabt, mit uns gemeinsam als aufrechte Demokraten bestimmte Dinge hier zu verabschieden. Und ich erinnere auch an diese Frage der Kurden. Als ich damals über die Situation der Kurden hier berichtet habe in diesem Haus, das können Sie vielleicht nicht wissen, da habe ich nur Hohngelächter aus Ihrer Fraktion geerntet.

(Karsten Neumann, PDS: Ja.)

Und etliche dieser Kolleginnen und Kollegen sitzen heute noch da.

(Karsten Neumann, PDS: Ja.)

Das sind solche Sachen, da denke ich mir, da sollten Sie vorher in Ihrer Fraktion vielleicht mal ernsthaft darüber diskutieren, ob es bestimmte Dinge gibt, die man parteipolitisch vielleicht ein bisschen ausblendet

(Harry Glawe, CDU: Das ist doch nicht wahr.)

und im Sinne von Demokratie hier diskutiert. Da lade ich Sie zu ein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Meine Damen und Herren, ich war bei dem Thema Kurden und das Thema Kurden ist untrennbar mit dem Thema Irak verbunden, ob wir das wollen oder nicht. Ich sage Ihnen, kurdische Kinder, Frauen und Männer leben in Angst und Schrecken, Tag und Nacht. Sie werden seit Jahren drangsaliert, nicht nur drangsaliert, sie werden ermordet, sie werden mit übelsten Formen der Kriegsführung wie zum Beispiel Giftgasangriffen überzogen und vernichtet. Sie wurden damals und werden auch heute noch in den Kellern des irakischen Gemeindienstes gefoltert und um ihr Leben gebracht, meine Damen und Herren. Andere Oppositionelle müssen, wo immer sie sich auch aufhalten in der Welt, damit rechnen, ermordet zu werden. Das sind nur einige wenige Aspekte der Situation der Menschen und der Menschenrechte im Irak. Dazu kommt ein unbestritten gewaltiges Aggressionspotential, gedacht zur Kriegsführung gegen das eigene Volk, aber auch um Nachbarländer zu überfallen.

Meine Damen und Herren, das ist alles unstrittig. Das ist aber auch nicht alleine das Werk eines Mannes. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Diskussion auch da ein Stück weit etwas vernachlässigt. Das ist nämlich nicht nur allein ein Mann. Ein Mann an der Spitze, nämlich Saddam Hussein, kann es nur machen, weil er sich mit einer Clique, die an der Macht teilhaben und verdienen kann, halten kann.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist richtig.)

Nur deswegen kann er das betreiben. Darauf baut sein diktatorisches System auf, wie allerdings in vielen anderen Ländern auch.

Meine Damen und Herren, was aber schlimm dabei ist, ist, dass dies ja schon seit ewigen Zeiten nicht nur teilweise geduldet wird, sondern, wenn es dann in ökonomische, ökonomisch-politische Bedingungen reingepasst hat, unterstützt worden ist. Auch wenn Ihnen das nicht gefällt, das ist so. Wer war denn der größte Verbündete der Iraker? Wer hat die Iraker ausgestattet mit Massenvernichtungswaffen? Wer war das?

(Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

Überlegen Sie mal ganz genau! Ich sehe Ihren zweifelnden Blick. Das waren die Sowjets und das waren die Amerikaner, und zwar zuhauf. Und die Amerikaner haben sich da eine goldene Nase verdient.

(Peter Ritter, PDS: So ist es.)

Das mal zu Ihren Versuchen von Geschichtsklitterung an manchen Ecken hier.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Wie aber, meine Damen und Herren, steht es um das Volk der Iraker? Haben die normalen Männer und Frauen, haben die Kinder in diesem Land wirklich Schuld auf sich geladen, Schuld, die sie jetzt sühnen müssen? Das frage ich Sie wirklich. Weil sie Iraker sind, haben sie deswegen Bomben und Tod verdient? Geschieht es ihnen recht, dass sie nach über zehn Jahren Sanktionen und damit verbunden oft auch Hunger, geschieht es ihnen wirklich recht, wenn sie jetzt verstümmelt werden, wenn sie die letzte Habe verlieren und sie ihr Dach über dem Kopf verlieren? Geschieht ihnen da Recht? Diese Frage möchte ich Ihnen stellen.

(Der Abgeordnete Dr. Armin Jäger bittet um das Wort für eine Anfrage.)

Meine Damen und Herren, genau um diese Frage geht es nämlich im Falle eines Angriffes der USA und einer so genannten willigen Koalition auf den Irak. Darum geht es. Es gibt Sprachverharmloser, meine Damen und Herren, die sprechen in diesem Zusammenhang dann von so genannten Kollateralschäden. Wunderschönes Wort: Kollateralschäden! Was sind denn Kollateralschäden? Rufen wir uns das doch wirklich mal in Erinnerung. Das sind Schäden im zivilen Bereich, das sind Tote und Verletzte, Ausgebombte und Flüchtlinge. Wir reden hier von zu erwartenden über 600.000 Flüchtlingen aus dem Irak. Das sind Kollateralschäden, die man ja bereit ist, in Kauf zu nehmen, weil man sich ja einbildet oder zumindest versucht, der Bevölkerung in Europa und anderswo zu suggerieren, dass man ja chirurgische Eingriffe betreiben kann in einem solchen Krieg. Die Bilder kennen wir doch alle aus dem Fernsehen. Und wie die amerikanischen Militärs damit umgehen, das sehen wir jetzt an der Struk

tur, die aufgebaut werden soll, wie dann eine mögliche Berichterstattung auszusehen hat.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte meinen Beitrag erst zu Ende bringen.

Ich sage Ihnen: Wird Politik eigentlich niemals schlauer? Lernt man denn nicht aus gemachten Erfahrungen? Und vor allem, gibt es nach wie vor keine moralischen Grenzen im politischen Handeln? Zählen politische und ökonomische Einflusssphären immer noch mehr als ein paar Tausend unschuldiger Menschenleben? Diese Fragen müssen wir uns immer wieder stellen, meine Damen und Herren.

(Zuruf von Gesine Skrzepski, CDU)

Wieso verhält man sich gerade in diesem Fall so martialisch? Ich frage Sie: Wo waren denn die Gralshüter der Demokratie, als in Ruanda zig Tausende abgeschlachtet worden sind? Diese Frage müssen wir uns gefallen lassen, meine Damen und Herren. Und da sage ich Ihnen, da hätte nicht die USA das verhindert. Da hätten ein paar Tausend Blauhelme, ein paar Tausend Blauhelme, das betone ich ganz bewusst, ein Genozid verhindern können.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Da bin ich Ihrer Auffassung. Das stimmt.)

Deshalb geht es im Falle des Irak tatsächlich um eine akute Bedrohung der Menschheit mit Massenvernichtungswaffen. Und da sage ich Ihnen, nach allen Erkenntnissen der UN-Inspektoren und anderer Fachleute ist das schlicht und einfach nicht der Fall.

Meine Damen und Herren, wenn das so ist, dann gibt es keinen zwingenden Grund, warum jetzt und ohne weitere Kontrollen gegen den Irak Krieg geführt werden soll.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Nochmals zur Verdeutlichung, damit wir uns hier auch nicht falsch verstehen, und ich lasse mich da auch ungern falsch interpretieren: Es geht hier nicht um Antiamerikanismus. Das auf keinen Fall. Wer mich kennt, wer meine Beziehungen zu den USA, zu dem Land und den Menschen dort kennt, weiß das ganz genau. Aber es geht hier um die politische Kultur unserer demokratischen Staatengemeinschaft und das ist das höherwertige Gut. Und deshalb, meine Damen und Herren, darf die Art und Weise, wie die USA-Regierung mit der UNO umspringt, diese Art und Weise darf keine Akzeptanz finden. Nach der aktuellen Lesart der US-Regierung taugt die UNO nur dann etwas, wenn sie sich die Auffassung der USA zu eigen macht, andernfalls taugt sie nichts. Das kann nicht sein!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Meine Damen und Herren, erstens, das hat die UNO nicht verdient.

Zweitens, die Gründungsväter der UNO, und hier an maßgeblicher Stelle die USA, werden mit diesem Verfahren der USA der Lächerlichkeit preisgegeben.

Und drittens ist das keine nachhaltige moderne Politik, sondern eine allein an Macht und militärischer Stärke orientierte Großmachtpolitik und widerspricht dem Charakter des US-amerikanischen Volkes.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat sich von Anfang an klar und deutlich positioniert. Sie ist

gegen einen Krieg im Irak. Ich möchte Ihnen das mal zitieren, es ist Ihnen vielleicht geläufig. Artikel 26 des Grundgesetzes unserer Bundesrepublik, da steht im Absatz 1: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Wir werden und der Kanzler wird dafür sorgen, dass kein maßgeblicher Politiker dieser Regierung sich diesem Vorwurf aussetzt, der in diesem Absatz des Grundgesetzes festgelegt ist. Es wird sich keiner strafbar machen. Deswegen wird es mit uns keinen Krieg und keine Beteiligung am Krieg geben. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Noch ein anderer Punkt. Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass wir in dieser Situation, das sage ich in vollem Bewusstsein, dass wir in dieser Situation zum alten Europa gehören. Und ich betrachte in diesem Zusammenhang diesen Begriff nicht als Schande. Im Gegenteil, er ist Ausdruck einer eigenen Willens- und Geisteshaltung in der Weltpolitik. Und Partnerschaft darf sich eben nicht darin erschöpfen, dass man mit Ergebenheitsadressen an den US-Präsidenten in die USA fliegt. Nein, im Gegenteil, diese Partnerschaft gewinnt an Wert dadurch, dass man eben unterschiedlicher Auffassung sein kann, dieses auch öffentlich artikuliert und dass das dann vor allen Dingen verdammt noch mal akzeptiert wird.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Das hat nämlich mit Undankbarkeit oder Schwäche nichts zu tun, meine Damen und Herren.

Genau das, was ich zum Schluss gesagt habe, haben viele Menschen in diesem Land, aber auch in vielen anderen Ländern erkannt und sie haben lobenswerte, hervorragende – wovon uns manchmal vielleicht, und damit meine ich keine einzelne Fraktion, uns allen als Volksvertreter ein bisschen mehr gut tun würde – Zivilcourage gezeigt, Zivilcourage, indem sie auf die Straße gehen, ihre Auffassung sehr deutlich vertreten und sich auch nicht von irgendwelchen rumlavierenden Politikern ins Boxhorn jagen lassen.

(Gabriele Schulz, PDS: Genau.)