(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Heinz Müller, SPD: Dann erzählen Sie uns die doch mal!)
Ich will Ihnen nur sagen, diese Dinge sind weitestgehend von den Lasten her auf die Landkreise und kreisfreien Städte abgewälzt worden. Es müsste zusätzliches Personal geschult werden, eingestellt werden. 36.000 Anträge sind eingegangen und jeden Tag erwarten die Bürger eigentlich, dass ihre Anträge beschieden werden. Die Telefonflut in dieser Angelegenheit müsste dazu führen, dass man eigentlich einen sachkundigen Telefonisten beschäftigt, der nur zu dieser Frage Auskünfte geben kann, denn die Verwaltungen sind in dieser Frage weitestgehend überfordert.
Eins darf ich Ihnen aber auch noch sagen. Was passiert in diesem Bürokratenstaat, wenn man das so will,
bei dieser Frage, ich sage mal Monstergesetz? Mindestens sechs, wenn nicht acht Briefe müssen geschickt werden – vier von der Verwaltung und vier in der Regel von den Betroffenen. Das ist der Durchschnittswert.
(Dr. Ulrich Born, CDU: Das ist ja unglaublich! Das kann ja wohl nicht wahr sein! – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)
Und dann stehen da – nun muss ich mal meine Brille nehmen, das ist etwas klein geschrieben – zum Beispiel folgende Fragen drin, die Sie als Bürger zu beantworten haben, der über 65 Jahre alt ist: Haben Sie einen Schwerbehindertenausweis, einen Rentenbescheid ab 01.07.2002, Einkommensnachweis des Ehegatten, aktueller Wohngeldbescheid, aktueller Kontoauszug,
(Wolfgang Riemann, CDU: Da brauchen die von der Landesregierung gar nicht zu lachen. – Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)
Sparbuch, Mietwohnungen, Mietvertrag, Betriebskostenabrechnung, Schreiben des Vermieters über die Miethöhe in Euro,
Wohneigentum, Grundsteuerbescheid, Wassergebührenbescheid, Abfallgebührenbescheid, Kosten für Heizung, Lebensversicherung, meine Damen und Herren, private Haftversicherung, Hausratversicherung, Sterbeversicherung, private Rentenversicherung, private Unfallversicherung, Nachweis von Vermögen,
Autokaufvertrag, meine Damen und Herren, Aktien? Und dann gibt es noch einen Punkt „Sonstiges“, was das auch immer heißen mag. Auch das wird wahrscheinlich zu weiterem Briefverkehr führen, denn unter „Sonstiges“ wird jeder Bürger etwas anderes verstehen. Also insgesamt folgen auf diese sechs Seiten, die ich hier mal hochhalte, weitere 28 Nachfragen der Verwaltung.
Und deswegen meinen wir, meine Damen und Herren, das ist ein Gesetz, dem man nicht unbedingt so unheimlich groß zujubeln könnte und darf, denn das, was man den Bürgern in dieser Frage zumutet,
Meine Damen und Herren, nichtsdestotrotz sind wir natürlich als Land verpflichtet, ein Ausführungsgesetz zu diesem Bundesgesetz zu machen, und deswegen werden wir natürlich auch dieser Überweisung in den zuständigen Sozialausschuss zustimmen.
Ich will Ihnen nur noch zwei Zahlen aus einem anderen Landkreis sagen. Da sind zum Beispiel 2.600 Anträge bis 30.04. gestellt worden, davon sind 294 bearbeitet und sage und schreibe 5 bewilligt. Also die Erwartungshaltung, die mit diesem Gesetz gegenüber den Bürgern, den Rentnern und denen, die die Mindestrente und weniger haben, geweckt wurde, ist gewaltig.
Das Ergebnis, sage ich Ihnen, spricht nicht für Ihre gelobte Sozialpolitik, die Sie allen Bürgern in diesem Land und auch in Deutschland versprochen haben. Und deswegen höre ich jetzt einfach auf und sage: Lassen Sie uns in den Ausschüssen weiterberaten! – Danke schön.
Gemäß Paragraph 98 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Rainer Prachtl einen Ordnungsruf für den unparlamentarischen Ausdruck, den er verwandt hat in seinem Zwischenruf.
(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS – Zurufe aus dem Plenum: Was?! – Reinhardt Thomas, CDU: Das habe ich nicht gehört.)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die bedarfsorientierte Grundsicherung ist, so ist es hier mehrfach gesagt worden, eine eigenständige soziale Leistung, die den Bedarf für den Lebensunterhalt älterer und dauerhaft erwerbsgeminderter Personen sicherstellen soll. Mit dem Landesausführungsgesetz zum Grundsicherungsgesetz vervollkommnen wir die Rechtsgrundlagen zur Anwendung des Gesetzes. Es ist so manches über das Positive an diesem Gesetz gesagt worden, das will ich nicht wiederholen. Gleichwohl sehe ich ebenso wie Minister Holter so manches kritisch an diesem Gesetz und das möchte ich hier wohl schon sagen.
Die Grundsicherung ist im Zuge der von der PDS damals wie heute kritisierten Riester-Rente eingeführt worden, um verschämte Armut im Alter zu verhindern. Wie die Riester-Rente – im Übrigen eine der beiden so genannten Jahrhundertreformen der letzten Legislatur, sie hatte nur eine Halbwertszeit von 18 Monaten – hält die Grundsicherung auch hier nicht, was die Bundesregierung ihr verhieß. Gestartet mit großen Hoffnungen bleiben und blieben vor allen Dingen große Enttäuschungen. Durch Briefe der Rentenversicherungsträger und Veröffentlichungen entstand der Eindruck, alle älteren beziehungsweise erwerbsgeminderten Personen, die über weniger als 844 Euro monatlich verfügen, würden zusätzlich eine Grundsicherung erhalten.
Herr Glawe hat davon gesprochen, dass er recherchiert hat in zwei nicht näher bezeichneten Landkreisen. Ich möchte mal hinzulegen eine Recherche aus der kreisfreien Stadt meiner Heimatstadt Neubrandenburg. Dort sind 10.000 Briefe verschickt worden und 859 Anträge sind zur Bearbeitung gekommen. Die ernüchternde Bilanz ist sehr wohl, nur ein Bruchteil der Antragsteller erhielten eine Bewilligung, obwohl sie weniger als 844 Euro Rente erhalten.
Wissen Sie, der Hintergrund ist ganz einfach der: Die Systematik des Anspruchs an die Grundsicherung ist eng an die Sozialhilfe geknüpft. Und wenn Herr Glawe sehr stark ausgebreitet hat, welche Unterlagen man beibringen müsse – und ich hörte da so etwas raus, wie entwürdigend es wäre, eben all seine Versicherungspolicen, Abfallgebührenbescheide und so weiter beizubringen –,
dann muss ich sagen, von der CDU, insbesondere auch von Ihnen, Herr Glawe, habe ich zu keiner Zeit gehört, dass Sie sich über derartige Praktiken in Bezug auf die Sozialhilfe kritisch geäußert haben.
(Dr. Ulrich Born, CDU: Der Fragebogen ist so kompliziert, den kann nicht mal der Ministerpräsident ohne fremde Hilfe ausfüllen.)
(Zuruf von Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff – Dr. Ulrich Born, CDU: Ohne fremde Hilfe geht das nicht.)
Herr Dr. Born, vielleicht interessiert Sie das, denn die Postgebühr hat Sie ja vorhin auch interessiert.
(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU, Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff und Minister Dr. Wolfgang Methling – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)
Ein Ehepaar beispielsweise mit einer gemeinsamen Rente von 950 Euro bei einer Miete von 300 Euro und 8 0 Euro Heizkosten hat gerade mal einen Anspruch von 15 Euro Grundsicherung, es sei denn, nicht mal das würden sie bekommen, wenn Vermögen da wäre, was angerechnet werden kann.
Und verärgert und traurig – diese Erlebnisse haben sicherlich manche von uns im Wahlkreisbüro gehabt –, verärgert und traurig stellen dann viele fest, wenn ich Grundsicherung erhalten würde, dürfte ich nicht einmal die mühsam zurückgelegten Euros für die Beerdigungskosten behalten.
Bleibt zu vermuten – und insofern hat dieses Gesetz eine gewisse Schutzfunktion –, dass die Grundsicherung in Zukunft größere Bedeutung erhält aufgrund der unterbrochenen Erwerbsbiographien und aufgrund der Zunahme von Niedriglohnjobs. Und das wiederum wirft die Frage auf nach der Vermeidung und Verhinderung von Armut, und zwar in einer neuen Schärfe. Im Gegensatz zum dänischen Sozialsystem sind bei uns die Sozialleistungen wie Sozialhilfe oder Grundsicherung immer unter der Armutsgrenze. Sie liegt bei 50 Prozent und weniger des durchschnittlichen Einkommens, also bei 1.010 Euro pro Haushaltsvorstand und Monat.
Ich halte es für wichtig, in diesem Zusammenhang an das gemeinsame Wort der Kirchen „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ zu erinnern. Dort heißt es: „In den letzten 20 Jahren ist mit dem Reichtum zugleich die Armut in Deutschland gewachsen. … Armut hat viele Gesichter … Sie ist mehr als Einkommensarmut. Häufig kommen bei bedürftigen Menschen mehrere Belastungen zusammen, wie etwa geringes Einkommen, ungesicherte Wohnverhältnisse, hohe Verschuldung, chronische Erkrankungen, psychische Probleme, lang andauernde Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und unzureichende Hilfen. Diese Armutssituationen treffen besonders diejenigen, die mehrere Jahre auf Sozialhilfe angewiesen sind.“ Zitatende.