Protokoll der Sitzung vom 22.05.2003

Ich halte es in diesem Zusammenhang für kontraproduktiv, den Bundeshaushalt und den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit auf Kosten aktiver Arbeitsmarktpolitik sanieren zu wollen, über die Zahlen ist schon gesprochen worden. Nun stehen über den Haushalt der Bundesanstalt 124 Millionen weniger zur Verfügung. Und wenn dann noch aus dem Eingliederungstitel sowohl Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als auch Strukturanpassungsmaßnahmen als auch die Personal-Service-Agenturen finanziert werden sollen, kann jeder diese Milchmädchenrechnung aufmachen, dass mit weniger Geld mehr Maßnahmen zu finanzieren sind. Welche Folgen das hat, das ist uns allen hinlänglich bekannt.

Zwei Drittel des Zuwachses an Arbeitslosen in Ostdeutschland im Vergleich zu dem Vorjahr, also April 2002, sind dadurch entstanden, dass sich weniger Teilnehme

rinnen und Teilnehmer in den einzelnen Maßnahmen befinden. Insgesamt sind das in Ostdeutschland fast 79.000 Menschen, die nicht mehr an solchen Maßnahmen teilnehmen können. In Mecklenburg-Vorpommern sind das bei beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen 6.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, bei ABM sind es 5.000 weniger und bei SAM 2.000. Gleiches könnte man in der Form auch zu anderen ostdeutschen Ländern sagen, aber Mecklenburg-Vorpommern hat nach wie vor den höchsten Rückgang. Das wirkt sich ganz konkret auf die Statistik aus.

Wenn man über unseren Tellerrand hinaussieht und das Ausmaß auf dem so genannten zweiten Arbeitsmarkt in den neuen Ländern betrachtet – ich habe hier schon eine Zahl genannt –, dann wird sehr deutlich, dass, wenn ich die letzten sechs Jahre vom April 1997 bis zum April 2003 nehme, 250.000 Stellen weniger in Ostdeutschland zu verzeichnen sind, die über diesen zweiten Arbeitsmarkt über aktive Arbeitsmarktpolitik tatsächlich finanziert wurden.

Nun kann man sich in der Tat – das diskutiere ich genauso wie Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete – über die Sinnhaftigkeit der einen oder anderen Maßnahme tatsächlich unterhalten. Da sind wir uns, glaube ich, in der Einschätzung auch vollkommen einig. Die Frage ist tatsächlich, was wäre zu tun, und es wird auch immer gefragt, was jedoch heute nicht gesagt wurde, aber ich will dennoch darauf eingehen: Was kann das Land eigentlich tun? Kann das Land gegensteuern? Ich sage, ja, das Land kann gegensteuern und wir tun das auch. Wir können aber nicht alles kompensieren, was an Bundesmitteln, egal ob über die Bundesanstalt für Arbeit oder über den Bundeshaushalt, nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen war und jetzt wegfällt. Wir können auch mit einer noch so intelligenten Politik die Einbrüche bei der Förderung durch die Bundesanstalt für Arbeit nicht ausgleichen. Ich habe schon öfter die Zahlen gesagt: Von 100 Euro, die in der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt eingesetzt werden, kommen 90 Euro über die Arbeitsämter, 5 Euro kommen aus meinem Haushalt aus Schwerin und 5 Euro kommen eben aus Brüssel. Damit wird sehr deutlich, wie die Verhältnisse sind.

Ich meine, wenn man sich auch die Dynamik im Arbeitsmarkt ansieht, Statistiken sind nun mal kein dynamischer Ausdruck, sondern immer eine Momentaufnahme, haben wir es durchaus damit zu tun, dass es einen Wechsel gibt. Aber in Bezug auf die 189.000 Arbeitslosen haben wir statistisch gesehen eben 8.800 offene Stellen. Selbst hier gibt es Probleme, diese offenen Stellen zu besetzen, weil es leider so ist, dass unter den Arbeitslosen in Mecklenburg-Vorpommern oftmals nicht diejenigen ausgebildeten Leute für die entsprechenden Berufe gefunden werden. Deswegen meine ich, dass man sehr wohl mit Qualifizierungsmaßnahmen, und zwar genau in dem Sinne, wie es Frau Lück beschrieben hat, aber auch wie Sie es beschrieben haben, Frau Strenz, die Qualifizierungstätigkeit, die Qualifizierungsmaßnahmen auflegen muss, damit tatsächlich zielgerichtet so qualifiziert wird, wie der Bedarf auch in der Wirtschaft ist. Das ist ein Prozess, den wir in den letzten Jahren meines Erachtens auf eine gute Grundlage gestellt haben. Gab es 1999/2000 noch die Diskussion mit der Wirtschaft, dass viele Unternehmer uns nicht sagen konnten, wo denn ihr Qualifizierungsbedarf liegt, sieht heute die Situation ganz anders aus. Es wird sehr wohl gesagt, wir haben in den Branchen

Biotechnologie, Metall, Elektro oder Tourismus diese und jene Anforderungen, die wir in dem Fall auch ganz konkret durch Qualifizierungsprogramme erfüllen können. Ich bin auch gegen Qualifizierung um der Qualifizierung willen, damit dann am Ende statistisch abgehakt werden kann, dass wir soundso viele Personen hier einbezogen haben, die aber am Ende dann trotzdem keine Arbeit gefunden. Das ist also in der Tat erstens falscher Mitteleinsatz und zweitens auch Wecken falscher Hoffnungen und Erwartungen bei denjenigen, die sich in diesen Maßnahmen befinden.

Wenn jetzt darüber gesprochen wird, welche Maßnahmen notwendig sind, um Arbeitslose zu aktivieren und zu bewegen, in Arbeit zu kommen, gibt es ja auch Vorschläge von der Union. Es ist gut, dass sich alle Parteien daran beteiligen, das ist vollkommen in Ordnung. Aber wenn Sie vorschlagen, den Kündigungsschutz faktisch aufzuheben, das Arbeitslosengeld im ersten Monat zu kürzen und im Regelfall auf höchstens zwölf Monate zu beschränken, dann kann ich mich nur dem Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm anschließen, der da sagte: Aus Arbeitnehmern sollen nach CDU/CSU-Vorstellung wieder Tagelöhner werden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Ich glaube, das kann nicht das Ziel sein, wenn es darum geht, auch die sozial Schwachen wieder zu unterstützen. Ich bin der Meinung, dass es sehr wohl richtig ist, ein Programm für 100.000 junge Menschen aufzulegen, die heute Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe beziehen. Aber es wird einfach nicht ausreichen. Ich glaube, da sind wir uns einig, dass man das unterstützen muss. Die Frage ist, so, wie das schon ausgeführt wurde: Wie wird dieses Programm konkret ausgestaltet? Wir wissen im Moment nicht – ich weiß es nicht –, ob nicht die Länder oder auch möglicherweise die Kommunen zur Kofinanzierung herangezogen werden. Diese Frage ist also offen. Also es fehlt das finanzielle Fundament für dieses Programm. Diese Antwort muss uns gegeben werden, genauso wie ich der Auffassung bin, dass mit dem Bildungsgutschein – die 70 Prozent sind schon diskutiert worden, das brauche ich hier nicht mehr zu erläutern – natürlich ein Qualitätssprung in den Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen zu erreichen ist. Ich bin da vollkommen Ihrer Auffassung, die hier von verschiedenen Abgeordneten gesagt wurde. Ich meine auch, dass diese 70 Prozent sehr unterschiedlich angewandt werden sollten.

Ich habe gestern Abend mit dem Direktor des Arbeitsamtes aus Duisburg gesprochen – die Arbeitslosigkeit liegt dort so bei 14 Prozent, ein bisschen darüber –, der auch diese Vermittlungsgutscheine anwendet. Aber selbst er schätzt ein, dass eine Vermittlungsquote von 70 Prozent, Einzelfälle mal außen vor gelassen, nicht zu erreichen ist. Vielleicht sollte man dann tatsächlich über regionale Spezifika diskutieren. Und wenn man 70 Prozent im Bundesdurchschnitt auch für solche Regionen wie Duisburg oder Mecklenburg-Vorpommern erreichen will, muss man hier eine niedrigere Quote tatsächlich ansetzen. Dass natürlich andererseits in der Weiterbildungslandschaft, also zwischen den Unternehmen und Gesellschaften, die sich damit beschäftigen, dann auch ein anderer Wettbewerb entsteht, das möchte ich ausdrücklich begrüßen und unterstützen, weil hier meines Erachtens auch mehr Qualität erreicht werden kann.

Ein Wirtschaftsmagazin hat dieses Vorgehen als handwerklichen Pfusch bezeichnet, und zwar als handwerklichen Pfusch höchster Güte. Deswegen sage ich: Wir sollten in Deutschland keine Flickschusterei betreiben, sondern wir sollten solide Grundlagen für eine aktive Arbeitsmarktpolitik schaffen!

Genauso fragwürdig ist es für mich, wenn Arbeitslose eingeteilt werden sollen in arbeitsmarknahe und arbeitsmarktferne. Das heißt, die Gesellschaft oder diejenigen, die das vorhaben, schreiben von vornherein einen Teil der Arbeitslosen ab, indem sie als nicht vermittlungsfähig eingestuft werden. Sie werden also faktisch auf Dauer auf dem Niveau der Sozialhilfe festgeschrieben. Ich glaube, das kann nicht der Weg sein, der eine solidarische Gesellschaft ausmacht. Meines Erachtens geht es darum, tatsächlich die Voraussetzungen zu schaffen, damit Menschen schneller in Arbeit kommen, so, wie Hartz es auch angedacht hat. Aber die Instrumente, die Hartz vorschlägt, greifen gerade in den Regionen zu kurz, die auch Mecklenburg-Vorpommern ausmachen, denn die Menschen können eben nicht reagieren, weil es an den notwendigen Arbeitsplätzen fehlt, und deswegen besteht einfach auch die Gefahr, dass diese Politik zum Desaster wird.

In Niedriglöhnen den Ausweg zu suchen, das wird nicht funktionieren. Ich kann Ihnen berichten, dass wir in den letzten zwölf Monaten versucht haben, in 100 Unternehmen Stellen im Niedriglohnbereich zu finden. In einem Jahr sind in 100 Unternehmen zwei Stellen gefunden worden. Hier wird sehr deutlich, dass gerade in MecklenburgVorpommern der Niedriglohnbereich nicht die Zukunft sein kann, genauso wie Kürzungen für Leistungsanfänger diesen Bereich nicht ausmachen können.

Frau Strenz, ich habe mit Interesse zugehört, dass Sie über steuerfinanzierte Beschäftigungspolitik gesprochen haben, denn auch hier – und da stimme ich übrigens mit Wirtschaftsvertretern überein – muss man klare Positionen formulieren und beziehen. Wenn es also so ist, dass die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung nur dafür eingesetzt werden sollen, wo die Verpflichtung besteht, wofür diese Beiträge eingesetzt werden sollen, muss man über andere Wege diskutieren, um deutlich zu machen, dass es jenseits der Beiträge auch Chancen für eine aktive Arbeitsmarktpolitik geben muss. Deswegen werden gerade in Flächenländern Maßnahmen im Ökobereich, im kulturellen Bereich, im Jugendbereich, im Sportbereich, im Frauen- und Familienbereich über eine solche aktive steuerfinanzierte Beschäftigungspolitik zu realisieren sein, wenn wir nicht die Versicherungsbeiträge heranziehen wollen. Das halte ich für den richtigeren Weg, hier steuerfinanziert vorzugehen.

Das wird allseits diskutiert, ich habe es heute erstmalig auch von einer CDU-Vertreterin gehört, was mich sehr erfreulich stimmt. Aber deutlich muss jetzt werden, dass ein solches Konzept auch seitens der Bundesregierung realisiert wird. Und damit wir uns auch darauf verständigen können, sollten wir den Begriff „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ tatsächlich beerdigen, weil der Begriff „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ erstens gerade im Osten sehr deutlich macht, die Brücke, die damit suggeriert wird, ist nicht da wegen der fehlenden Jobs, da sind wir uns ja sicherlich alle einig. Zweitens wird damit eine Erwartungshaltung oder ein Erwartungsdruck auf die Projekte erzeugt, die aufgrund der objektiven Situation in der Wirtschaft gar nicht realisiert werden kann. Das ist über

haupt keine Kritik an der Wirtschaft oder an anderen Leuten, sondern es ist einfach die Frage, dass hier von falschen Voraussetzungen ausgegangen wird. Wir sollten auch allen Beteiligten klar sagen, was solche Projekte können und was sie nicht können. Deswegen geht es bei diesen Maßnahmen nicht darum, Arbeit zu beschaffen, sondern tatsächlich Leuten, die arbeitslos sind, eine Perspektive in solchen Projekten zu geben,

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

die auch durch die Gesellschaft anerkannt wird und die notwendig ist. Wie oft höre ich in den Kreisen in Mecklenburg-Vorpommern: Die Frauenwerkstatt macht zu, der Jugendklub muss zumachen, wir können dieses oder jenes Projekt nicht mehr finanzieren, weil Arbeitsmarktförderung wie bisher nicht mehr zur Verfügung steht. Hier sehe ich einen riesigen Handlungsbedarf. Wenn wir uns darüber einig sind, dann wird das die Haushaltsverhandlungen für 2004 und 2005 hoffentlich entsprechend begleiten.

Meine Damen und Herren von der CDU, ich kann die Ausführungen von Herrn Rehberg heute Morgen in der Aktuellen Stunde nun gar nicht mehr verstehen, wenn er in Frage stellt, was mit den Mitteln, die wir für aktive Arbeitsmarktpolitik im Einzelplan 15 haben, werden soll, wenn er diese streichen will. Ich meine, es geht darum, dass wir genau hier deutlich machen, dass wir eine Arbeitsmarktpolitik betreiben, die auf die Wirtschaft orientiert ist. Ich habe an dem Beispiel Qualifizierung deutlich gemacht, dass es weitere Möglichkeiten gibt. Aber auch alle diejenigen, die jetzt keine Chance haben, in Wirtschaftsarbeitsplätze, um einmal diesen Begriff zu gebrauchen, vermittelt zu werden, sollten eine Chance haben, indem sie in den schon erwähnten Projekten auch steuerfinanziert beschäftigt werden können, und zwar nicht nur beschäftigt werden können, sondern sinnvolle Arbeit leisten, die die Gesellschaft tatsächlich nötig hat, um auch ein soziales und ein kulturelles Umfeld für die wirtschaftliche Tätigkeit hier in Mecklen b u r g - V o rpommern zu schaffen.

Ich möchte noch auf die Personal-Service-Agenturen eingehen. Personal-Service-Agenturen werden jetzt starten, sie werden Ende Mai, Anfang Juni in MecklenburgVorpommern loslegen. 23 Personal-Service-Agenturen soll es in Mecklenburg-Vorpommern geben und 1.200 Arbeitslose sollen hier aufgenommen werden. Fraglich ist jedoch, ob sie über diese Personal-Service-Agenturen auch in eine Dauerbeschäftigung vermittelt werden können. Ich würde vorschlagen, dass wir mal ein halbes Jahr abwarten und erste Erfahrungen sammeln sollten. Es ist zwar ein durchaus geeignetes Instrument, Voraussetzung ist jedoch, dass auch genügend Arbeitsplätze in der Wirtschaft, im Dienstleistungsbereich und anderswo zur Verfügung stehen, wo dann auch hinvermittelt werden kann. Das ist genau die spannende Frage, die beantwortet werden muss.

Die ostdeutschen Arbeitsminister sind sich meiner Meinung nach in der Einschätzung der Situation im Osten Deutschlands einig. Wir haben bereits im vergangenen Jahr eingefordert, dass das Versprechen von Rot-Grün in der Koalitionsvereinbarung realisiert wird und dass die kommunale Infrastruktur Ost aufgelegt wird. Das ist immerhin ein Milliardenprogramm und alle warten sehnsüchtig darauf. Das wäre ein ganz konkreter Beitrag, um nicht nur die kommunale Infrastruktur zu verbessern,

sondern über diesen Weg Aufträge auszulösen, über die dann auch ganz konkret Arbeitslose in Arbeit kommen können. Das wird aber alles nicht reichen.

Wenn Frau Strenz hier von Sonderregelungen spricht, bin ich der gleichen Auffassung, das ist bekannt. Herr Riemann – der nun nicht anwesend ist – hat heute Morgen die Frage gestellt, wo denn diese Vorschläge für das Ostmodell von Hartz sind. Es gibt ein Innovationsprojekt Ost, welches für ein breites Bündnis für Arbeitsplätze, Aufträge und Unternehmensansiedlungen wirbt. Die Fraktionsvorsitzenden der PDS in den ostdeutschen Landtagen, mein Kollege Harald Wolf aus Berlin und ich werden dieses Projekt in den nächsten Wochen nicht nur veröffentlichen, sondern auch in der Öffentlichkeit diskutieren. Erste Vorstellungen sind dazu genannt worden.

In der Endkonsequenz geht es darum, jenseits von aktiver Arbeitsmarktpolitik deutlich zu machen, dass das Hauptkredo darauf ausgerichtet werden muss, dass es in den neuen Ländern zur wirtschaftlichen Belebung kommt, um über diesen Weg die Vermittlungschancen für Arbeitslose deutlich zu erhöhen. Nichtsdestotrotz wird das Engagement im sozialen, im ökologischen, im kulturellen, im Frauen-, Familien- und Jugendbereich notwendig sein, um alle diejenigen, die arbeiten wollen, auch tatsächlich in Arbeit zu bringen.

Ich bin insofern froh über die Debatte am heutigen Tage und generell über die Debatte, die in Deutschland gegenwärtig abläuft, dass wir über Alternativen diskutieren, über das, was sich in den vergangenen Jahren verfestigt hat. Dass Reformen notwendig sind, darüber sind sich alle Parteien einig. Hier geht es nur darum, in welche Richtung werden die Reformen vorangetrieben, damit es auch tatsächlich zu den gewünschten Effekten kommt und dass tatsächlich die Arbeitslosigkeit in Deutschland – und damit auch in Mecklenburg-Vorpommern – deutlich gesenkt wird.

Ich kann nur davor warnen: Wer meint, an der aktiven Arbeitsmarktpolitik kräftig sparen zu wollen, der stellt den sozialen Frieden in Frage! Das will ich nicht! Ich bin deswegen der Meinung, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass es weiterhin eine aktive Arbeitsmarktpolitik in Deutschland und in Mecklenburg-Vorpommern gibt, denn dann kommen wir auch weiter voran. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Herr Minister.

Trotz Geburtstag gilt ja die Geschäftsordnung. In dem

Zusammenhang hat die CDU-Fraktion gemäß Paragraph 85 A b s atz 1 der Geschäftsordnung zusätzlich weitere acht Minuten Redezeit.

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Herr Mohr für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Sehr geehrte Kollegin Strenz, auch von mir werden Sie heute ein dickes Lob bekommen, denn ich habe Ihre Ausführungen so verstanden, dass Sie sich hier und heute ganz klar und deutlich zur Arbeitsmarktpolitik bekannt haben. Ich finde, das ist zu begrüßen. Insofern, denke ich, teilen Sie die Auffassung, die Herr Minister Holter vertreten hat, die wir im Übrigen als SPD ohnehin hier in dieser

Landtagsfraktion vertreten. Frau Strenz, ich stelle aber auch fest – der Minister hatte das bereits angesprochen –, dass Sie sich offenbar hier in einem doch, wie ich meine, diametralen Gegensatz zu Ihrem Fraktionsvorsitzenden Herrn Rehberg befinden, der ja ganz deutlich, nicht nur heute Morgen, sondern schon in den vergangenen Tagen, in einer großen Tageszeitung gezeigt hat, dass er den Landeshaushalt auf Kosten der aktiven Arbeitsmarktpolitik sanieren will, indem er zum Beispiel den öffentlichen Beschäftigungssektor vollständig in den Keller fährt. Insofern, denke ich, gibt es bei Ihnen sicherlich Abstimmungsprobleme. Ihre Äußerungen, Frau Strenz, konkret in dieser Beziehung, haben mir gut gefallen und ich kann sie nur unterstützen.

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Zur Sache: Es ist dringend notwendig, denke ich, Akzente in der Arbeitsmarktpolitik zu setzen. Deshalb sind ja hier auch die Koalitionsfraktionen auf diesem Politikfeld nach wie vor besonders aktiv. Zwar besitzen wir als Landesgesetzgeber bekanntermaßen keine Gesetzgebungskompetenz, wenn es um den einschlägigen Bereich des SGB geht, ich denke aber, dass wir als Parlament und Landesregierung alle Chancen und alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen müssen, um auf die Bundesregierung und die Gesetzgebung des Bundes beim Thema Arbeitsmarktpolitik im Sinne dieses Gesetzes Einfluss zu nehmen. Es steht fest, dass einige Punkte im neuen Regelwerk der Hartz-Gesetze der besonderen Spezifik des Ostens und anderer strukturschwacher Gebiete in Deutschland nicht ausreichend Rechnung tragen. Das gilt im Übrigen auch für die aktuelle Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Arbeit und der hiesigen Arbeitsämter. Das haben wir seit Beginn der Reformdebatte zur Arbeitsmarktpolitik im vergangenen Jahr auch stets gesagt.

Ich möchte das konkretisieren: Es ist zwar nachvollziehbar und richtig – und insofern bin ich auch wieder bei Ihnen, Frau Strenz –, dass zum Beispiel im Bereich der Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung auch die Zielsetzung verfolgt wird, eine Qualitätsverbesserung von Weiterbildungsmaßnahmen zu erreichen. Aber die Erkenntnis, wonach eine schnelle und effektive Vermittlung von Menschen in Arbeit nur da möglich ist, wo auch Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen, muss sinngemäß natürlich auch für den Bereich der Weiterbildungsmaßnahmen gelten. Das heißt, dass eine solche Weiterbildungsmaßnahme unabhängig von ihrer jeweiligen Qualität nicht zu einer Eingliederung des betroffenen Erwerbslosen führen wird, wenn ihm nach Abschluss der Fortbildung gerade keine seiner neu gewonnenen Qualifikation entsprechende Arbeitsstelle von einem Arbeitgeber angeboten werden kann. Und was Mecklenburg-Vorpommern betrifft, hier sind die Zahlen schon genannt worden, die kennen wir alle, kommen circa 9.000 offene Stellen auf circa 190.000 arbeitsuchende Menschen in diesem Land.

Im Ergebnis folgt daraus, dass die Prognose einer Eingliederungsquote von 70 Prozent als Kriterium für die Bewilligung einer konkreten Qualifizierungsmaßnahme vor diesem Hintergrund jedenfalls für unser Land illusorisch ist. Deshalb sollten wir hier auf diese Quote Wert legen, bei der mir auch ehrlich gesagt nicht ganz klar ist, wie sie überhaupt zu händeln ist und gehandhabt werden soll. Letzten Endes, denke ich, kann man im Nachgang beurteilen und sicherlich rechnerisch genau feststellen,

wie effektiv eine Maßnahme war. Dies aber schon im Vorfeld praktisch festzulegen und dann sogar eine genaue Prozentzahl zu nennen, ehrlich gesagt, damit habe ich immer noch meine Probleme. Und letzten Endes hat mir das auch in den zuständigen Arbeitsämtern bislang keiner so richtig erklären können. Deswegen ist es besser, ganz drauf zu verzichten oder zumindest sollte hier ein realistisches Niveau vorgenommen werden. Ich denke, die Probleme beim Handling dieser Quote bleiben.

Wir meinen auch, dass es bei der bisherigen Praxis der Ausgabe von Bildungsgutscheinen Änderungen geben muss. Das möchte ich anhand von ein paar Zahlen belegen. Insgesamt ist von den vorhergehenden Rednern sehr viel allgemein dargestellt worden. Insofern nenne ich vielleicht noch einmal ein paar konkrete Zahlen:

Im ersten Quartal dieses Jahres sind im Arbeitsamtsbezirk Neubrandenburg insgesamt 781 Bildungsgutscheine ausgegeben worden. Davon wurden 471 eingelöst, das entspricht einem Prozentsatz von 60,3 Prozent. Für Stralsund stehen 1.152 Ausgaben 514 Einlösungen gegenüber, das entspricht 44,6 Prozent. Für Rostock stehen 557 Ausgaben zu Buche, 240 Einlösungen, das macht 43,1 Prozent. Und bezogen auf den Arbeitsamtsbezirk Schwerin stehen 332 Ausgaben lediglich 56 Einlösungen gegenüber, das entspricht dann gerade noch einer Quote von sage und schreibe 16,9 Prozent.

Diese Zahlen machen, denke ich, sehr anschaulich deutlich, dass die bisherige Vergabepraxis bei den Bildungsgutscheinen nicht funktioniert. Hier wird man sicherlich auch der Auswertung der Arbeitsämter Beachtung schenken müssen, wenn es darum geht, bei den jeweiligen Betroffenen abzufragen, aus welchen Gründen der Bildungsgutschein von ihnen in der Regelfrist von drei Monaten nicht eingelöst wurde.

Erste Einschätzungen, die wir insbesondere bei betroffenen Erwerbslosen angestellt haben, zeigen schon jetzt, dass diese offensichtlich in vielen Fällen mit der ihnen nunmehr zuerkannten freien Auswahl von zugelassenen Maßnahmen und Trägern überfordert sind. Hier ist deshalb, meinen wir, eine bessere Betreuung des Gutscheinempfängers durch das Arbeitsamt erforderlich.

(Beifall Ute Schildt, SPD)

Und noch ein weiterer Aspekt fällt bei den oben genannten Zahlen auf, wie unterschiedlich die Ausgabe von Bildungsgutscheinen in den verschiedenen Arbeitsbereichen offensichtlich gehandhabt wird, obwohl gemessen am Beispiel der aktuellen Aprilzahlen die Anzahl der Arbeitslosen in den Arbeitsamtsbezirken Schwerin und Stralsund mit 42.749 beziehungsweise 42.031 absolut vergleichbar ist, sind in Stralsund sage und schreibe circa 3,5-mal, also dreieinhalbmal so viele Gutscheine an Arbeitslose ausgegeben worden wie in Schwerin. Hier sind, denke ich, klare Verwaltungsanordnungen von der Spitze der Bundesanstalt in Nürnberg zu fordern und natürlich auch eine Geschäftspolitik, die auf eine möglichst einheitliche Behandlung der Betroffenen ausgerichtet ist. Die Ermessens- und Prognosespielräume des jeweiligen Mitarbeiters des Arbeitsamtes dürfen nicht dazu führen, dass die Bewilligung einer Weiterbildungsmaßnahme und damit ja letzten Endes auch die Zukunft eines arbeitslosen Menschen davon abhängig gemacht wird, ob er jetzt in Stralsund, Neubrandenburg, Rostock oder Schwerin gemeldet ist. Das kann nicht sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte abschließend noch einmal auf einen grundsätzlichen Punkt zu sprechen kommen. Wie gesagt, Arbeitsmarktpolitik ist ja heute schon von vielen Seiten her beleuchtet worden, über die Arbeitsmarktpolitik des Bundes ist viel gesprochen worden. Hierzu vielleicht noch einmal ein kleiner Impuls von meiner Seite vor einem anderen Hindergrund. Die Bundesregierung handelt natürlich, wenn es darum geht, insbesondere arbeitslosen jungen Menschen im Alter bis zu 25 Jahren eine berufliche Perspektive zu geben. Das ist hier bereits angesprochen worden. Die Kampagne, die beim Bund für Ausbildung und Beschäftigung aufgelegt worden ist, für eben diese von Arbeitslosigkeit besonders betroffenen Personengruppe, dieses Programm ist sicherlich dringend notwendig und richtig. Ich denke, und keiner von uns will das leugnen, Frau Strenz, ich komme noch einmal drauf zurück, auch hier bin ich Ihrer Meinung, dass angesichts einer Zahl von allein 560.000 jungen arbeitslosen Menschen in Deutschland dieses Programm natürlich bei weitem nicht ausreichend ist. Wir müssen also gucken, wo hier gegebenenfalls noch Chancen sind und wie wir dieses Problem noch besser in den Griff bekommen. Wir müssen uns daher, denke ich, im Hinblick auf die Zukunft der Arbeitsmarktund Wirtschaftspolitik, angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit, aber auch in Anbetracht einer Sockelarbeitslosigkeit von durchschnittlich vier- bis viereinhalb Millionen Menschen in den letzten Jahren in diesem Land überlegen und schließlich auch entscheiden, ob wir Politik, as usual weitermachen wollen. Und wenn ich Politik as usual sage, dann meine ich mehr oder weniger die Politik, die von allen Regierungen, sei es Rot-Gelb, SchwarzGelb, Rot-Grün, jetzt in den vergangenen drei Jahrzehnten in dieser Republik gemacht wurde,

(Reinhardt Thomas, CDU: Das ist ja wohl nicht zu vergleichen!)

eine Politik, die ausschließlich auf Wachstum ausgerichtet war und auch heute noch ist, aber die offensichtlich in dieser Form so nicht mehr funktioniert wie vielleicht noch im Jahr 1970. Damals gab es noch die Vollbeschäftigung. Ich denke, egal welche Maßnahmen ergriffen werden, dass wir keinesfalls mehr solche Wachstumsraten erzielen, die eben zu dieser Vollbeschäftigung in diesem Land führen werden. Fest steht für mich jedenfalls deshalb die Notwendigkeit, sehr bald zu entscheiden, ob wir zukünftig weiterhin in Kauf nehmen wollen, dass viele Menschen in unserem Land keine beruflichen Perspektiven mehr haben, oder ob wir unseren Politikansatz grundlegend und strukturell ändern.

Der Soziologe Ralf Darendorf hat es eigentlich sehr klar formuliert und auch treffend auf den Punkt gebracht. Er hat gesagt, ich zitiere: „Die Wissensgesellschaft erweist sich als eine Gesellschaft des bewussten Ausschlusses vieler aus der modernen Arbeitswelt.“ Meine Meinung ist, dass wir es uns nicht erlauben können, unsere Wissensgesellschaft, aber eben auch unsere Arbeitsgesellschaft von heute, im Sinne der Definition von Darendorf weiterzuentwickeln. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Millionen von arbeitslosen Menschen ins gesellschaftliche Abseits gedrängt werden und wir ihnen das Gefühl geben, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Und deshalb, denke ich, kommen wir letzten Endes nicht umhin, die Arbeitswelt von heute und morgen neu zu gestalten. Ich bin davon überzeugt, dass eine gerechtere Verteilung des gesamten Arbeitsvolumens in unserem Land auf mehr Menschen im Rahmen der Nutzung intelligenter und alter

nativer Arbeitszeitmodelle einen substantiellen Beitrag leisten kann. Ich nenne nur das Beispiel VW. Die 32-Stunden-Woche dort hat gezeigt, dass dieses eine Variante sein kann. Deshalb meine Aufforderung, mein Appell an uns alle: Fangen wir endlich an, hierüber ernsthaft nachzudenken und zu diskutieren! Abschließend bitte ich Sie selbstverständlich noch um die Annahme unseres Antrages. – Vielen Dank.