Protokoll der Sitzung vom 11.09.2003

Einen kleinen Moment, ich muss Sie einmal kurz unterbrechen. Ich habe hier jetzt etwas zu sagen.

Ich weise erstens jegliche Kritik an der Amtsführung des Präsidenten hier zurück.

(Siegfried Friese, SPD: Richtig.)

Zweitens habe ich mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass es in einer geordneten Debatte auch um das Verstehen des Redners geht. Zwischenrufe sind möglich. Ich lasse mich hier aber nicht kritisieren, dass ich irgendwelche Zwischenrufe nicht ahnde. Wann der Punkt überschritten ist, das entscheidet der amtierende Präsident.

(Heike Polzin, SPD: Jawohl!)

So, Herr Thomas, jetzt können Sie in Ihrer Rede fortfahren.

Danke, Herr Präsident.

Kommen wir darauf zurück: Wenn Recht und Gesetz für Sie Steinzeit sind, dann frage ich mich, was Sie eigentlich wollen. Vielleicht aber ist das die Erklärung, dass Sie in dieser Regierung die Opposition sind, Opposition in der Regierung. Sie sitzen nämlich in dieser Regierung und in dieser Koalition politisch strategisch aus meiner Sicht in einer netten Mausefalle. Das Herzblut der PDS, die Wähler, wandern stetig zur SPD. Hinzu kommt die natürliche Überalterung der Wähler. Herr Ritter – und ich sage das sehr deutlich –, es ist legitim, sich nach neuen Wäh

lergruppen für die PDS umzuschauen, aber bitte nicht durch Zuwanderung in unser Sozialsystem auf Kosten der Steuerzahler.

(Heiterkeit bei einzelnen Abge- ordneten der SPD und PDS – Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Gabriele Schulz, PDS: Jetzt wird ‘s verrückt!)

Das war nicht im Interesse der Väter unseres Grundgesetzes.

(Peter Ritter, PDS: Es geht mir richtig ans Herz, wie Sie sich um die PDS sorgen.)

Das Ziel der Väter unseres Grundgesetzes war nach der fürchterlichen nationalsozialistischen Diktatur, den weltweit politisch Verfolgten in diesem Lande Asyl zu gewähren.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Das ist gut so und dafür steht die Opposition, steht die Union ohne Wenn und Aber.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Wir stehen aber auch dafür, Fehlentwicklungen zu kritisieren, die mit Asyl und politischer Verfolgung eben nichts mehr zu tun haben. Es muss doch in diesem Lande möglich sein, sachlich über die Rechtslage und Asyl zu diskutieren, ohne in die rechtsextreme Ecke direkt oder indirekt gestellt zu werden.

In Deutschland, meine Damen und Herren, kommt wirklich alles auf den Prüfstand. Keine soziale Errungenschaft ist mehr tabu. Bei den Reformen, die keine sind aus meiner Sicht, haben schon jetzt die verloren, die keine Lobbyisten im Bundestag haben und auch haben werden. Sehr viele Frauen und Männer werden an den Rand dieser Gesellschaft gedrängt und denen werden schon im Vorfeld finanzielle Sanktionen angedroht, mit denen in Deutschland lebende Ausländer überhaupt nicht mehr rechnen müssen,

(Jörg Heydorn, SPD: Welche?)

auch wenn sie gegen Gesetze und Auflagen im Gastland verstoßen. Und das nur, weil es eine politische Hysterie in diesem Land gibt, es ist leider so, gegen Frauen und Männer, die mit ihren Ansichten, ob Sie sie gut finden, oder nicht, auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Und ich meine auch, das hat mit politischer Kultur nicht mehr so viel zu tun.

Herr Abgeordneter Thomas, gestatten Sie eine Anfrage des Abgeordneten Heydorn?

Am Ende. Ich möchte zu Ende reden. Es gab schon genügend Unterbrechungen.

Sie aber – und den Eindruck vermitteln Sie – wollen Asylrecht für alle, die nach Deutschland kommen. Ich denke, das geht nicht, das geht aus wirtschaftlichen Gründen nicht, das geht aus ethnischen Gründen langfristig nicht und das ist auch, und darüber muss man reden, ein finanzielles Problem für dieses Land.

(Angelika Gramkow, PDS: Sind Sie gegen Zuwanderung?)

Damit lösen wir nicht die Zukunftsprobleme in der Welt und schon gar nicht in den Entwicklungsländern. Deutsch

land und Europa haben eine Verpflichtung gegenüber den Problemregionen in dieser Welt, weil sie eben wirtschaftlich so leistungsfähig sind, um Hilfe leisten zu können.

Vergleichen wir doch das mal mit dem militärischen Bereich. Da hat sogar die rot-grüne Regierung erkannt, dass die Terrorismusprobleme dort bekämpft werden müssen, wo sie entstehen, Beispiel Afghanistan. Europa hat auch erkannt, dass die ethnischen Probleme auf dem Balkan langfristig nur mit einer Befriedung auf dem Balkan zu lösen sind. Auch in der Zuwanderungsdebatte benötigen wir dieses Umdenken. Da wird doch wohl mal darüber geredet werden dürfen. Direkte Hilfe vor Ort, nämlich dort, wo in dieser Welt die Not am größten ist. Und Sie wollten ja eine Grundsatzdiskussion heute haben. Dann müssen wir Ihnen das auch so sagen.

Der dritten Welt ist nämlich nicht geholfen,

(Peter Ritter, PDS: Mit Waffen.)

wenn die leistungsfähigen Länder, wenn Europa, vor allem Deutschland, die Sozialprobleme der ganzen Welt importiert, daran selbst zu Grunde geht und den Ärmsten der Armen in dieser Welt eben nicht mehr so helfen kann, wie Sie es auch gerne hätten. Ein Asylbewerber kostet uns in Deutschland – und ich denke, das muss man auch mal sagen – circa 5.000 bis 7.000 DM monatlich. Haben Sie sich, haben wir uns eigentlich schon mal genau überlegt, wie vielen Menschen wir mit diesem Geld zum Beispiel in Äthiopien helfen könnten, damit sie in Würde in ihren Heimatländern verbleiben können?

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Gerd Walther, PDS: Darüber haben wir schon nachgedacht.)

Im Übrigen, …

(Angelika Gramkow, PDS: Man kann das doch nicht gegeneinander ausspielen!)

Das hat etwas damit zu tun, mit diesem Asylrecht. Sie wollten eine Grundsatzdebatte. Ich habe mich nur Ihren öffentlichen Argumenten angepasst.

Im Übrigen, Sie wollen doch auch immer mehr, viel mehr Demokratie wagen, also viel mehr Macht für das Volk. Da ist ein Volksentscheid auch mit dabei. Dann stellen Sie doch mal den Antrag, dass in Deutschland darüber abgestimmt wird.

(Angelika Gramkow, PDS: Wer verhindert denn, dass es Volksentscheide gibt im Grundgesetz?!)

Auch das ist eine wirkliche demokratische Legitimierung

(Zuruf von Peter Ritter, PDS)

von einem strittigen Thema, was wir haben.

(Angelika Gramkow, PDS: Ist die CDU neuerdings für Plebiszite im Grundgesetz?)

Frau Gramkow, und noch eins: Gerade Sie kennen die Haushaltslage des Landes und der Kommunen. Bei der Polizei schlagen SPD und PDS ganz kräftig zu. Das sind bei den Beamten über 100 Euro weniger im Monat. Die Krankenkassen streichen Leistungen für Versicherte aus ihren Katalogen.

(Peter Ritter, PDS: Und daran sind die Asylbewerber schuld, ja?)

Es ist auch legitim, darüber zu reden, was uns die nicht politisch Verfolgten kosten, was uns die nicht politisch Verfolgten wirklich kosten und ob es nicht besser wäre, dafür Hilfe vor Ort zu gewähren.

Und ich muss es ganz deutlich sagen, Sie müssen da mal hingehen: Wie sieht es aus im Lande, hinter den Kulissen, auch wenn man einmal nachfragt? In Rostock leben insgesamt 442 Asylbewerber. Im Juli wurden für diese Asylbewerber 198.000 Euro ausgegeben. Von Januar bis Juli 2003 waren es 1.217.000 Euro, im vorigen Jahr 2.093.000 Euro. Politisches Ziel ist es, in Rostock die Asylbewerberheime aufzulösen und voll auf dezentrale Unterkünfte zu setzen. Eine Statistik zur dezentralen Unterkunft und den Kosten wird nicht geführt. Warum wohl?

(Angelika Gramkow, PDS: Dann kommen Sie mit mir in Schwerin mal mit, dann gucken wir uns das mal an!)

Es werden Asylbewerber in dezentrale Unterkünfte eingewiesen, obwohl noch Platz in den Heimen ist. Und diese Heime sind nicht menschenunwürdig. Das sind gute Heime.

(Gerd Walther, PDS: Kommen Sie mal mit nach Bellin bei Ueckermünde! – Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Im Landkreis Bad Doberan musste ein neues Heim gebaut werden, weil nach der Richtlinie des Landes die Heime in Zentren verlegt werden sollten. Im Schnitt sind 108 Personen dort untergebracht. Die Kapazität ist für 160Personen ausgelegt. Gesamtkosten über 43.000 Euro im Monat, die der Landkreis allein für dieses Heim aufbringen muss.

Wie sieht die Realität aus, wenn man sich mal mit den Mitarbeitern unterhält, die die Sachen bearbeiten, die die Rechnungen bekommen? Asylbewerber sind im Durchschnitt sehr fordernd – die wirklich politisch Verfolgten nicht –, sie wissen, was sie wollen. Wenn sie zum Beispiel nicht dezentral untergebracht werden, dann kommen solange ärztliche Bescheinigungen über die Gesundheitsschäden durch diese Gemeinschaftsunterkünfte, bis das klappt. Es gibt Fälle von extremen Krankenkosten. Wenn Sie nachfragen, werden Sie diese Beispiele hören. Da fahren Asylbewerber nach Süddeutschland, gehen dort als Notfälle in die Klinik mit Kuraufenthalt. Die Ärzte schreiben alles auf, was verlangt wird, auch die teuersten Medikamente, die unsere Krankenkassen schon nicht mehr bezahlen. Komplettsanierungen von Zähnen sind an der Tagesordnung. Kein Arzt will unter Druck geraten, vielleicht ausländerfeindlich zu sein. Im Landkreis Bad Doberan haben sich die Kosten für Krankenhilfe innerhalb der letzten vier Jahre verdoppelt. Aber darüber redet man ja nicht, das ist unanständig.

Die überwiegende Anzahl der Asylbewerber ist äußerst mobil, auch mit Pkw, die auf andere Namen angemeldet sind. Die Ämter wissen das und sind macht- und hilflos. Nur circa 20 Prozent der Asylbewerber halten sich in den Heimen ständig auf. Dauernde Verletzungen der Aufenthaltsbeschränkungen sind an der Tagesordnung.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)