Protokoll der Sitzung vom 12.11.2003

(Ministerin Sigrid Keler: Cicero.)

Meine Damen und Herren, das sagte Marcus Tullius Cicero 55 vor Christus im alten Rom, vor über 2.000 Jahren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Heinz Müller, SPD: Und wo hat der das hergeklaut?)

Und ich meine, dass dieser Spruch, der im Übrigen in meinem Abgeordnetenzimmer hängt, auch heute noch im Großen und Ganzen aktuelle Bedeutung hat, wobei ich den letzten Satz im Hinblick auf unverschuldete Arbeitslosigkeit zu relativieren gern bereit bin.

(Heiterkeit und Zuruf von Ministerin Sigrid Keler)

Meine Damen und Herren, ich habe in dieser Diskussion heute zum ersten Mal eine schonungslose Analyse dessen erlebt, was wir heute an wirtschaftlicher und finanzpolitischer Situation haben. Und ich habe auch andere Töne vernommen, als wir sie bisher hatten. Ich habe mich vor allem gefreut, dass die gegenseitigen

Schuldzuweisungen im Bundesrat früher und heute unterblieben sind und dass ganz offensichtlich die Chance besteht, einen neuen Anfang in der öffentlichen Diskussion zu machen.

Meine Damen und Herren, ich verkenne nicht die Bemühungen der Landesregierung, mit der schwierigen Situation fertig zu werden. Das muss man anerkennen. Und ich verkenne auch nicht und bin der Ministerin Frau Keler dankbar, dass sie ganz klar gesagt hat, dass schmerzliche Einschnitte bevorstehen. Wir werden, wenn wir nicht auf Kosten der zukünftigen Generationen hier leben wollen, diese auch vornehmen müssen.

Es hat neulich der bayerische Finanzminister gesagt, wir müssen uns immer wieder klar werden, dass wir 30 Jahre lang zu sehr über unsere Verhältnisse gelebt haben. Das ist eine sehr nüchterne Bestandsaufnahme.

(Angelika Gramkow, PDS: Das ist aber Jammern auf ziemlich hohem Niveau.)

Und, meine Damen und Herren, ich füge aus meiner Sicht hinzu, wir dürfen auch nicht verkennen, dass die Kosten der Wiedervereinigung um ein Erhebliches höher ausgefallen sind und weiter ausfallen, als sie jemals voraussehbar waren.

Meine Damen und Herren, an jedem Tag erreichen uns neue Hiobsbotschaften. Immer mehr werden die Menschen verunsichert, werden wuschig und werden auch in ihrer persönlichen Lebensführung verunsichert. Wir wissen, dass wir nicht alleine dastehen, sondern im Wesentlichen eingebettet sind in die bundesstaatliche Gesamtsituation. Aber, meine Damen und Herren, wir haben sehr wohl zu fragen: Machen wir eigentlich unsere Schularbeiten hier in Mecklenburg so, dass sich ein Erfolg abzeichnen kann? Und da ist es einfach unsere Aufgabe und auch Aufgabe der Opposition zu fragen: Tun wir das? Wie ist es mit dem Personalüberhang, den wir in der Verwaltung haben? Muss es sein, dass wir für 2004 die zweithöchste Neuverschuldung pro Einwohner nach Bremen haben werden? Und, meine Damen und Herren, wollen wir wirklich keine heiligen Kühe schlachten? Ich bin beim Bereich der Hochschulen. Wenn wir Hochschulautonomie wollen, müssen wir auch die Frage prüfen, ob Studiengebühren gerechtfertigt sind. Wie wollen wir eigentlich die Hochschulen für die Zukunft finanzieren, wenn es keine Studiengebühren gibt? Meine Damen und Herren, das muss endlich ernst genommen werden.

Und ich sage Ihnen ein Weiteres: Wir werden uns sehr sorgfältig mit den Vorschlägen der Regierung im Finanzausschuss befassen, aber, Frau Ministerin, alles, was wir vorgeschlagen haben, oder weitestgehend alles, ist abgelehnt worden. Und es ist nicht so, dass wir zugleich in jedem Fall neue Ausgaben gefordert haben. Wir haben ganz einfach andere Prioritäten gesetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Wolfgang Riemann, CDU: So ist es!)

Ich bin sehr wohl der Meinung, dass wir – und das ist eben auch angesprochen worden – uns ganz ernsthaft um Deregulierung bemühen sollen. Aber, meine Damen und Herren, dann müssen wir auch anfangen, darüber nachzudenken, was heute eigentlich noch Aufgabe unseres Staates ist. Wie haben wir eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Vorzeichen der sozialen Marktwirtschaft und des Prinzips der Subsidiarität des Staates angefangen? Und dann müssen wir heute feststellen,

dass wir uns davon sehr weit entfernt haben. Und wer einmal einen Blick in den Umfang des Bundesgesetzblattes wirft, um wie viel mehr das heute geworden ist, dann müssen wir fragen, ob wir da nicht allmählich umkehren müssen. Wir müssen anfangen, den Staat auf das zurückzuführen, was unvermeidbar notwendig ist. Und wenn wir in der CDU den Grundsatz des mündigen Bürgers vertreten, dann hat er absolut Vorrang vor den staatlichen Aufgaben für den versorgten und verwalteten Bürger.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und wenn Sie, Frau Gramkow, sagen, wir brauchen vielleicht noch mehr Steuern – ich hoffe, ich habe Sie falsch verstanden –, dann sage ich Ihnen als jemand, der aus der Landwirtschaft kommt, nur eines: Kühe, die man melken will, kann man nicht gleichzeitig schlachten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und ob die Diätenerhöhung um 0,5 Prozent auf 19 Euro ein wirksames Mittel ist, das überlasse ich Ihrer Beurteilung. Ich halte das schlicht für populistisch.

(Gabriele Schulz, PDS: Und trotzdem ist es ein Signal. – Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

Meine Damen und Herren, ich begrüße, dass die Frau Ministerin eine eigene Steuerschätzung für das Land vornehmen will. Ich begrüße, dass der Herr Ministerpräsident gesagt hat, die Zusatzrenten aus der DDR sind eine gesamtstaatliche Aufgabe und nicht nur allein Sache der neuen Bundesländer.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Wer hat die so hoch getrieben?)

Das halte ich für eine vernünftige Sache.

Ich will aber auch noch eins sagen: Wenn immer wieder davon die Rede ist, die Bürgschaften für die Wirtschaft, die ausgelegt würden, würden das Ganze befördern, meine Damen und Herren, die Praxis sieht völlig anders aus. Die Bürokratie, die den Existenzgründern heute entgegengebracht wird, das Verweigern der Banken, die hohen Hürden bei der Gewährung von Bürgschaften sind kontraproduktiv. Da müssen wir anfangen abzubauen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich bin mit Herrn Schlotmann der Meinung, dass sich bei der Abwanderung sowie bei der Arbeitslosigkeit im Augenblick eine Tendenzwende erkennen lässt. Wir wollen hoffen, dass es eine echte Trendwende ist. Meine Damen und Herren, und wenn von tabuloser Prüfung aller Bereiche die Rede ist, dann lassen wir uns überraschen, was die Regierung uns für Vorschläge zu machen hat. Die Regierung ist am Zuge. Wir werden uns einer konstruktiven Mitarbeit nicht versagen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und einzelnen Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr von Storch.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete der SPD-Fraktion Frau Schildt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als wirtschaftspolitischer Sprecher einer Fraktion hat man ja häufig Gelegenheit, mit Fachleuten ins Gespräch zu kommen, die in der Wirtschaft tätig sind. Und

da gibt es ganz unterschiedliche Erfahrungen und auch ganz unterschiedliche Vorstellungen, was man von Politik erwartet. Da gibt es die, die sagen, da brauche ich mehr, da brauche ich mehr, und da gibt es auch ganz andere Erfahrungen.

Ich war kürzlich beim Bundesverband mittelständischer Wirtschaft eingeladen zu einer Diskussion und da gab es sehr ehrliche Worte, ehrliche Worte an sich selbst. Die Unternehmer haben gesagt: Leute, wir haben ein Image, das ist fast so schlecht wie das der Politik. Das wollen wir doch nicht haben. Wir müssen doch erst einmal überlegen, was können wir jetzt machen, um unser Image aufzupolieren, um den Menschen zu zeigen, wir können was, wir sind die Unternehmer hier im Land, wir können was. Und was müssen wir dann begleitend dazu haben?

(Dr. Armin Jäger, CDU: Lehrstellenabgabe.)

Und ich denke, wenn wir über Wirtschaftspolitik für unser Land sprechen, dann ist es von entscheidender Bedeutung, die Menschen mit ins Boot zu holen, die Wirtschaft bei uns gestalten, die Menschen, die die Rahmenbedingungen nutzen müssen, die wir als Politiker gestalten, und dass wir mit ihnen das absprechen, dass sie aber auch erkennen, wir sind die, die tun. Und diese Leute tun sehr viel. Und wir haben kein Recht, das, was sie tun, schlechtzureden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Heinz Müller, SPD)

Ich denke, unsere Aufgabe ist es, für die Zukunft sehr klar zu sagen, was wollen wir als Landespolitik, welche Bereiche in der Wirtschaft brauchen besondere Unterstützung, weil sie ein Avantgarde sind – ja, das ist ein tolles Wort –, weil sie einfach für unser Land Wirtschaftsschwerpunkte darstellen.

Der Wirtschaftsminister hat es gesagt: Der Tourismus, die Gesundheitswirtschaft, das sind Bereiche, die beginnen zu blühen,

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS)

die werden über die Landesgrenzen hinaus wahrgenommen und die haben Chancen, zusätzliche Arbeitsplätze zu entwickeln. Dabei müssen wir helfen.

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Da gibt es die Land- und Ernährungswirtschaft in unserem Land absolut auf einem Topniveau mit einer guten Stimmung, die wir nicht kaputtmachen lassen dürfen, und wo wir neue Chancen in neuen Produktentwicklungen sehen müssen, die wir auch in Gang bringen. Das ist ein zweiter Bereich für unser Land, für das wir prädestiniert sind und wo wir die Unternehmer, die tätig sind, unterstützen wollen dabei – unterstützen, es nicht selbst tun, aber unterstützen.

(Beifall Reinhard Dankert, SPD)

Und da ist der Bereich der maritimen Wirtschaft. Wir sind ein Land an der Ostsee und der baltische Raum wird sich entwickeln. Und alles, was da hineingehört, das braucht Unterstützung. Ich will jetzt nicht auf einzelne Förderkriterien eingehen, aber das ist ein Bereich, da muss etwas rein. Und das, was sich neu etabliert, die Biotechnologie – und das ist auch ein Verbund mit Land- und Nahrungsgüterwirtschaft,

(Beifall Dr. Till Backhaus, SPD, und Reinhard Dankert, SPD – Dr. Till Backhaus, SPD: Genau!)

das ist ein Bereich mit Gesundheitswirtschaft –, das müssen wir unterstützen. Da müssen wir Rahmenpunkte setzen. Und damit sich das entwickelt, muss die Infrastruktur weiter auf dem Weg ausgebaut werden, wie wir ihn eingeschlagen haben, und da darf es auch unter diesen Bedingungen keine wesentlichen Einschnitte geben. Wenn Wirtschaft sich entwickeln soll, wenn Einnahmen aus der Wirtschaft durch Steuereinnahmen verbessert werden sollen, müssen wir ganz klar sagen, wie wir uns das vorstellen.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Das müssen wir unserer Wirtschaft sagen, das müssen wir den Menschen sagen, die in der Wirtschaft tätig sind, und dazu müssen wir uns ganz klar am Tisch zusammenfinden und das für uns festschreiben. Und wir müssen natürlich auch die Rahmenbedingungen auf den Prüfstand setzen, die Existenzgründungen ermöglichen. Wie viele verschiedene Wege gibt es? Wir haben es im Ausschuss ja schon angesprochen, vielleicht gibt es dort Möglichkeiten, Geld manchmal etwas effizienter einzusetzen. Das ist eine Aufgabe und die müssen wir aufgreifen.

Und wir müssen als Viertes ganz klar über das sprechen, was wir aufs Papier bekommen haben und was wir mit unserer Wirtschaft besprochen haben. Da muss herauskommen, das sind unsere Ziele, „M-V tut gut.“, und diese Botschaft muss nach außen gehen. Denn nur da, wo andere wissen, wo sie hinwollen, da werden sie auch hinkommen,

(Beifall Detlef Müller, SPD)

weil sie dann Zuversicht haben, da passiert etwas und da bin auch ich richtig.