Protokoll der Sitzung vom 03.03.2004

dern. Und ich hätte mir auch gewünscht, dass eine Einzelfallprüfung hier mehr Erfolg gehabt hätte.

Bereits 1999 stellte der Bundesgerichtshof fest, dass Bodenreformland vererbbar war. Daraufhin habe ich den Landwirtschaftsminister ermahnt, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und die Bodenreformerben nicht weiter in dieser Art und Weise zu verfolgen. Ein Schreiben von unserem Landwirtschaftsminister Herrn Backhaus hatte mir dann aber bescheinigt, dass ich eine irrige Rechtsauffassung vertrete. Darüber muss ich jetzt auch noch ein bisschen schmunzeln.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Was?! Das ist aber nicht in Ordnung. Da hat er sich aber geirrt. Da hat er Ihnen aber was Falsches vorgelegt.)

Meine Damen und Herren, obwohl das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte es nicht an Eindeutigkeit vermissen ließ, hat eben die Bundesregierung mit der Zustimmung der betroffenen Länder Revision beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Unser Minister sagte dazu, dass er dies akzeptiert. Ich denke aber, die Zustimmung für MecklenburgVorpommern ist auch gegeben worden. Wie dieses Votum unseres Landes zustande gekommen ist, ist mir ein Rätsel.

(Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Vielleicht bekommen wir dazu auch noch Aufklärung.

Herr Minister Dr. Backhaus, Sie haben gerade bei der Veranstaltung in Neubrandenburg beklagt, dass wir zu diesem Thema doch mehr in Ruhe arbeiten müssten, um den inneren Frieden auch auf unseren Dörfern zu erhalten und in die Zukunft zu schauen. Dem kann ich nur zustimmen.

(Ute Schildt, SPD: Ja?)

Aber, Herr Minister, Ruhe wird man erst dann haben und die wird auch erst dann einziehen, wenn diese Verfahren und auch dieses Revisionsverfahren beendet sind. Und deshalb wäre dieses Revisionsverfahren meiner Meinung nach nicht nötig. Schnelles Handeln zur Umsetzung des Urteils wäre wichtig und würde uns hier in dieser Sache auch mehr helfen.

(Zuruf von Ute Schildt, SPD)

Meine Damen und Herren der PDS, für mich ist es auch unverständlich, warum Sie als regierungstragende Fraktion den Einfluss auf das Handeln der Landesregierung nicht genutzt haben.

(Peter Ritter, PDS: Dann lesen Sie sich mal die Debatten aus der großen Koalition zu diesem Thema durch! Sie werden sich wundern, Frau Holznagel.)

Ich will Ihnen ja auch nur sagen, dass es vielleicht besser gewesen wäre, sich dafür einzusetzen, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern gar nicht das Votum zur Revision gibt. Vielleicht hätten wir dann die Chance gehabt, dass man sich wirklich sehr schnell damit beschäftigt, wie dieses Urteil umgesetzt werden kann, denn das ist eine ganz wichtige Sache, um hier weiter keine Verzögerung zuzulassen.

Wie eine Entschädigung dann aussehen kann, lässt das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte offen. Das ist natürlich so. Die ersten Äußerungen

des Landwirtschaftsministers gingen davon aus, dass die betroffenen Menschen ihre Flächen oder Flächen des Landes zurückübertragen bekommen. Auch ich bin der Auffassung, dass diese Lösung am gerechtesten wäre und dazu beitragen würde, den Frieden in den Dörfern wieder herzustellen in diesem Punkt.

(Ute Schildt, SPD: Damit verbreiten Sie Unruhe in den Dörfern.)

Wo dies aber nicht möglich ist, meine Damen und Herren, muss eine ausreichende monetäre Entscheidung auf der Basis des Verkehrswertes des Jahres 1992 erfolgen. Gleichzeitig muss die Landesregierung sich dafür einsetzen, dass eine Entschädigung schnell und unbürokratisch erfolgen kann. Und ich denke, das ist jetzt auch die Aufgabe im Bund und im Land, dazu die Festlegungen zu treffen, ob es nun ein Gesetz wird oder wie damit umgegangen wird. Ich denke, das ist jetzt die Arbeit, die wir zu tun haben. Und ich wünsche uns dafür die richtige Zeit und ein schnelles Handeln. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Frau Holznagel.

Ums Wort gebeten hat jetzt der Minister für Landwirtschaft, Ernährung, Forsten und Fischerei Herr Dr. Backhaus.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedauere es auch, dass wir erstens diese Startschwierigkeiten heute gehabt haben und zum anderen, dass dieses so schwerwiegende Thema wie die Abwicklung oder auch die Konsequenzen aus der Bodenreform leider nur in einer Aktuellen Stunde abgefasst und bearbeitet wird. Ich hätte mir wirklich gewünscht, wenn wir dieses in einem richtigen Tagesordnungspunkt abgehandelt hätten.

(Beifall Ute Schildt, SPD: Ja, wir auch.)

Ich meine auch, dass an den Anfang der Ausführungen gehört, dass die Dimension, die im Zusammenhang damit steht – nämlich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verklagt zu werden, und zwar die Bundesregierung für ein Gesetz, was eine CDUgeführte Bundesregierung 1992 erlassen hat –, noch gar nicht weit genug abzuschätzen ist.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Die Regierung er- lässt keine Gesetze. – Harry Glawe, CDU: Die Gesetze erlässt immer noch der Landtag.)

Es ist schon schlimm, Herr Dr. Jäger, dass eine Bundesregierung tatsächlich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf der Grundlage eines CDUGesetzes verklagt wird. Ich finde das schlimm.

(Beifall Ute Schildt, SPD – Dr. Armin Jäger, CDU: Sie haben mitgestimmt. – Harry Glawe, CDU: Sie haben mitgespielt.)

Und ich will das ausdrücklich noch mal hervorheben, was Frau Kühnel schon angedeutet hat.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Die Konsequenzen, die sich aus diesem Urteil ergeben, sind noch gar nicht abzuschätzen. Wir müssen sehr deutlich noch mal herausstellen, dass es einmal darum geht, dass mit dem Modrow-Gesetz – ich glaube, das wird lei

der immer wieder verkannt – der Wille der damaligen Volkskammer nochmals durch die letzte Volkskammer untermauert worden ist, ausdrücklich aktiven, ich betone, aktiven, Landwirten Volleigentum zu übertragen und damit letzten Endes überhaupt erst einmal wieder Privateigentum und damit die Bindung zum Eigentum zu eröffnen, denn bei den Blockparteien unter der Führung auch der SED, das muss man einfach festhalten, hat bekanntlich Privateigentum keine Rolle mehr gespielt,

(Beifall Dr. Henning von Storch, CDU, und Karin Strenz, CDU)

sondern es ging darum, das Privateigentum abzuschaffen, es zu vergesellschaften und damit den Eigentumsbegriff als solches zu zerstören. Auch dieses gehört zur Geschichte. Dass daran die Nationale Front und damit auch die Blockparteien mitgewirkt haben, sei an dieser Stelle ausdrücklich noch mal herausgearbeitet.

Ich meine, dass wir jetzt sehr genau und behutsam mit dieser Informationsgrundlage, die wir mittlerweile haben, umgehen müssen. Es ist richtig, das Urteil liegt jetzt in deutscher Sprache vor, es ist aber noch nicht rechtskräftig. Auch dieses möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Die rechtliche Beurteilung, die in den Häusern bereits stattgefunden hat, lässt da sehr vieles offen. Und ich will eins auch voranstellen: Diejenigen, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt haben, wären nach DDR-Recht und auch nach dem Willen von Herrn Modrow nicht ins Grundbuch gekommen. Sie haben keine Beziehung mehr zur Landwirtschaft, zur Nahrungsgüterwirtschaft gehabt. Das heißt, auch dann muss die Diskussion geführt werden, was mit den Enteignungen zu DDR-Zeiten ist.

Ich möchte Ihnen ausdrücklich noch einmal ein paar Zahlen nennen: Zu DDR-Zeiten hat es 130.000 Grundbücher gegeben, wovon Bodenreformeigentümer profitiert haben. Ich betone nochmals: 130.000. Zu DDR-Zeiten sind bereits 80.000 Grundbücher gelöscht worden. Das heißt, 80.000 Menschen sind enteignet worden zu DDR-Zeiten. Das heißt, es sind noch 50.000 Grundbücher nach der Wende vorhanden gewesen – das Gesetz ist im Übrigen auf besondere Initiative des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat geändert worden – und zunächst hatte der Bund vor, dieses Eigentum der Treuhandanstalt zu übertragen. Auch das gehört zur ganzen Wahrheit. Seinerzeit hat sich Herr Brick, der leider heute nicht anwesend ist, durchsetzen können, auch mit der Maßgabe, aufgrund der Handlungsprobleme mit der Treuhandanstalt zu versuchen, das Eigentum in Landeseigentum zu überführen. Dies hat dann stattgefunden und es hat viele Veranstaltungen gegeben, wo ich auch aufgetreten bin und gesagt habe, dieses unsägliche Thema der Bodenreform muss endlich ein Ende haben. Die Diskussionen 1992 oder auch davor haben von unserer Seite immer – und ich betone das ausdrücklich noch mal, für mich und meine Fraktion – klar ausgewiesen: Ein Rütteln an der Bodenreform wird es mit der Sozialdemokratie nicht geben!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Gabriele Schulz, PDS)

Und wir haben auch immer wieder formuliert, dass altes Unrecht durch neues nicht ersetzt werden darf. Auch das gehört dazu.

Schauen wir uns jetzt diese 50.000 Grundbodenbücher an. Es wird immer vergessen, auch gerade von der PDS,

dass wir genau im Sinne derjenigen, die aktiv in der Landwirtschaft gearbeitet haben, dieses Bodenreformeigentum zu Volleigentum übertragen. Es sind im Übrigen 43.000 Fälle, die aus dem Modrow-Gesetz profitiert haben. Das begrüßen wir ausdrücklich. Sie sind Volleigentümer geworden. Diese Menschen sind in der Landwirtschaft tätig gewesen und haben dann gerade nach der Wende die Möglichkeit gehabt, darauf basierend mit einer neuen Existenz frei zu entscheiden, in welcher Form sie in der Zukunft weiter tätig sein wollen, in der Landwirtschaft, in einer Genossenschaft oder mit anderen juristischen Personen ausdrücklich die Betriebe wieder neu einzurichten.

Wenn Sie jetzt zusammenrechnen, dann fehlt noch die andere Zahl – die Betroffenen sind nach der Wende, ich betone ausdrücklich, auch nach 1992, als dieses Modrow-Gesetz im Übrigen und DDR-Recht nachgezeichnet worden sind –, es fehlt dann die Zahl, die insgesamt noch übrig bleibt zu den 50.000, nämlich 7.000. Davon sind 3.500 Fälle – darauf hat Frau Kühnel hingewiesen – nicht auffindbar. Wir finden die Erben nicht. Die Landgesellschaft hatte ja den Auftrag von Herrn Brick erhalten, diese Grundbücher zu überprüfen. Die Erben sind nicht auffindbar. Da ist automatisch das Land für das Eigentum gerichtlich eingesetzt worden. Es ist im Übrigen bei anderen Erbfällen ja auch so, wenn die Erben nicht aufzufinden sind.

Und jetzt streiten wir uns also – und die Juristen in den Fraktionen werden mir da Recht geben – und es geht um 3.500 Fälle, die nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und aus der Sicht des Modrow-Gesetzes hätten nicht ins Eigentum gesetzt werden dürfen. Dieses wird vom Europäischen Gerichtshof in der 2. Kammer anders bewertet, und zwar auch nicht die Grundsatzfrage, ist die Enteignung berechtigt gewesen, ja oder nein, sondern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bemängelt ausdrücklich die entschädigungslose Enteignung. Er sagt aber wiederum leider auch nicht – und das ist ein großer Mangel dieses Urteils aus meiner Sicht –, was er denn unter einer angemessenen Entschädigung eigentlich versteht.

Und hier, meine sehr geehrten Damen und Herren, fängt es dann noch mal an, dass wir die Bodenreform bemühen müssen. Wir wissen alle, dass die Alteigentümer nichts unversucht lassen, an ihr Eigentum wieder heranzukommen. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Ob man es für richtig oder gut oder schlecht hält, das lasse ich dahingestellt.

Deswegen hat das Vermögensrechtsänderungsgesetz oder insbesondere das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, von dem Frau Kühnel ja schon gesprochen hat, ausdrücklich den Alteigentümern eine Entschädigungsleistung angeboten. Und ich betone ausdrücklich, auch dieses wird leider von den Medien oftmals nicht erwähnt. Die letzte Volkskammer hat ausdrücklich am 15.Juni 1990 festgelegt, was im Zuge der Deutschen Einheit hundertprozentig festzuschreiben ist, und das ist das, was auf satzungsrechtlicher und hoheitrechtlicher Ebene an Enteignungen stattgefunden hat. Das heißt, an der Bodenreform darf nicht gerüttelt werden. Im Übrigen hat dieses ja auch in den 2-plus-4-Gesprächen eine klare und eindeutige Rolle gespielt.

Warum sage ich das, wenn jetzt sowohl von der CDU als auch von der PDS gesagt wird, es geht nicht in die letzte Instanz? Es wird ja immer nur gesagt, leider von

Herrn Ritter, die nächste, die letzte Instanz ist die Große Kammer.

(Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Und da habe ich Verständnis, ich sage das ausdrücklich, ich habe Verständnis geäußert für die Entscheidung der Bundesregierung, dass man die letzte Instanz wählen sollte, um dann endlich Rechtssicherheit auch für diese Problematik zu finden,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

denn wir wissen, dass die Alteigentümer bereits in der Kleinen Kammer ihre Klage angesiedelt hatten und die Kleine Kammer merkwürdigerweise diesen Prozess in die Große Kammer überwiesen hat.

(Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Und für mich gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen der gegebenenfalls zu erwartenden Entschädigungsleistung und der Veränderung für die Alteigentümer. Hier gibt es ganz klar Parallelen gegebenenfalls auch für das Urteil, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Kleinen Kammer getroffen hat. Und deswegen bitte ich um Verständnis.

Diese sehr emotional geführte Diskussion um die Bodenreform und auch die sehr emotional geführte Debatte, die jetzt hier entfacht wird, führt nicht zu mehr Gerechtigkeit, sondern im Gegenteil. Und ich verstehe nicht – warum, weshalb und weswegen, dazu habe ich ein paar Dinge in den vergangenen Tagen zur PDS und auch zur CDU gesagt –, dass diejenigen, die in der Vergangenheit vor 1989 die volle Verantwortung für Enteignungen in der DDR-Zeit getragen haben, sich als Rächer der Enterbten aufspielen. Ich finde das in der Sache nicht angemessen.