Protokoll der Sitzung vom 13.05.2004

Trotzdem haben wir heute, drei Jahre später, einen Antrag von SPD und PDS auf dem Tisch, den es eigentlich nicht geben dürfte, wenn konsequent an den hehren Zielen des damaligen Ministers zur Qualitätssicherung von Schule gearbeitet worden wäre. Man darf an dieser Stelle auch mal unseren Antrag vom Februar dieses Jahres neben Ihren legen und wird sich verwundert die Augen reiben, wie es bei so viel Ziel- und Wortgleichheit doch wieder nur zur Ablehnung kommen konnte.

Meine Damen und Herren, Ihre Initiative ist richtig und trotz Ihrer späten Einsicht absolut zu begrüßen. Ja, wir müssen Erziehungsfunktion von Schule wieder stärken und haben da bereits viel Zeit verloren. Deshalb kann ich nicht verstehen, warum Sie, Herr Bluhm, Ihre eigenen Bemühungen immer wieder durch ständige Ankündigungen über Strukturveränderungen konterkarieren. Seit sechs Jahren gestalten Sie als PDS in diesem Land Politik mit, also auch Bildungspolitik. In der schon erwähnten Landtagssitzung haben Sie der Gesamtschule mit integrativem Ansatz vehement das Wort geredet und die Regionalschule als Schritt dorthin bezeichnet.

(Andreas Bluhm, PDS: Korrekt.)

Wo Ihre viel beschworene soziale Gerechtigkeit herkommen soll, wenn Sie bei Ihrem Ansatz den hohen individuellen Förderbedarf, den Sie nämlich daneben setzen müssten, einfach ausblenden, das können Sie uns nachher vielleicht hier mal erklären.

(Andreas Bluhm, PDS: Das ist eine Debatte.)

Gleichmacherei, Herr Bluhm, ist nicht gerecht gegenüber dem Einzelnen.

(Andreas Bluhm, PDS: Niemand spricht von Gleichmacherei.)

Doch. Aber diesen Weg als Allheilmittel

(Beifall Angelika Gramkow, PDS – Andreas Bluhm, PDS: Sehr gut.)

für alle Probleme von Schule, Geld, Standorten, Integration – man kann es nachlesen in etlichen Zeitungsartikeln, in etlichen Reden von Ihnen –

(Andreas Bluhm, PDS: Ach, dann gucken Sie doch mal die Originalpapiere an!)

verfolgen Sie hartnäckig und stehen schon jetzt vor dem Scherbenhaufen Ihrer nicht enden wollenden Strukturdiskussion.

(Andreas Bluhm, PDS: Ach!)

Das Gymnasium ist die einzige weiterführende Schulart, die sich wirklich etablieren konnte,

(Angelika Gramkow, PDS: Aber warum denn?! – Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

und erfreut sich deshalb so großer Beliebtheit, und zwar auf Kosten der Qualität und des Leistungsniveaus aller anderen weiterführenden Schulen.

(Angelika Gramkow, PDS: Auf Kosten der Kinder.)

Warum? Weil das Gymnasium ist die einzige weiterführende Schule, die sich von Anfang an etablieren konnte.

(Angelika Gramkow, PDS: Warum denn?)

Da haben die Menschen Vertrauen, weil sie es satt haben, alle vier Jahre ein neues Schulsystem zu haben, neue Schularten,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

neue Visionen, wie immer sie heißen.

(Angelika Gramkow, PDS: Weil sie eine gute Schu- le für ihre Kinder wollen und nicht drei und vier.)

Das ist der Grund, Frau Gramkow! Das ist der Grund.

(Zuruf von Andreas Bluhm, PDS)

Aber wahrscheinlich sind Sie erst zufrieden, muss ich jetzt mal so sagen, wenn das Gymnasium, die eigentliche Eliteschmiede einer Nation, zur Gesamtschule in diesem Land mutiert ist.

(Angelika Gramkow, PDS: Na, das wäre doch ein Angebot.)

Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie es den Leuten! Dann sagen Sie es laut und deutlich!

(Angelika Gramkow, PDS: Wir sagen ziem- lich genau, was wir wollen, Frau Fiedler.)

Natürlich können wir alle vier Jahre Strukturen verändern. Das können wir machen.

(Andreas Bluhm, PDS: Ach, hören Sie doch auf!)

Es wird aber nichts nützen, wenn wir nicht endlich an Inhalte gehen.

(Angelika Gramkow, PDS: Wenn wir nicht aufpassen, passiert das von alleine, ohne dass wir etwas tun.)

Insofern gebe ich Frau Polzin völlig Recht. Aber das scheinen Sie ja auch endlich so zu sehen, weshalb uns ein diskussionswürdiger Antrag vorliegt.

(Andreas Bluhm, PDS: Das haben wir nie anders gesehen. Gucken Sie mal in die Originalpapiere, die im Landtag vorliegen!)

Meine Damen und Herren, im Forschungsbericht der Forschungsgruppe „Schulbezogene Jugendhilfe“ des Institutes für Erziehungswissenschaft der Universität Greifswald unter der Leitung von Herrn Professor Prüß wird der veränderte Lebenskontext unserer jungen Menschen exakt beschrieben. Zitat: „Im Zuge der rasanten gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte haben sich durch die Pluralisierung der Lebensformen und durch die Individualisierung der Lebensweisen veränderte Strukturbedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen ergeben. Für die Heranwachsenden der neuen Bundesländer kommt hinzu, daß sie … mit einem anderen Erfahrenshintergrund als ihre Eltern aufwachsen.“ Die erhöhten Bewältigungsanforderungen von Jugendlichen

bewegen sich zwischen Freiheit und Zwang zur eigenverantwortlichen Lebensführung. Der Umgang mit Freiheit und Rechten allerdings will gelernt sein. Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein müssen gleichzeitig ausgebildet werden. Dazu bedarf es der frühestmöglichen Orientierung, Vorbildwirkung, ständigen Korrektur, schlicht der Erziehung durch Eltern, Erzieher, Lehrer, Ausbilder, das soziale Umfeld und die ganze Gesellschaft.

Diese Aufzählung zeigt, dass Schule nicht allein gelassen werden darf und dennoch die Glieder dieser Kette, die ich gerade aufgezählt habe, zum Teil recht brüchig sind. Die vielen Ursachen kennen wir alle nur zu gut. Die Auswirkungen, ein täglicher Kampf unserer Pädagogen im Schulalltag, werden dann auch trefflich von Herrn Dr. Dieter Wehnert in der schonungslosen und ehrlichen Broschüre „Disziplin in der Schule: Wege zu einer neuen Umgangskultur“ beschrieben.

Ja, man muss es so deutlich sagen, wir haben unsere Lehrer von Beginn an mit den ständig anwachsenden Problemen allein gelassen und damit für große Unsicherheit gesorgt. Das gebe ich gerne zu. Die Rechte von Schülern und Eltern wurden gestärkt. Die Stellung unserer Lehrer ist jedoch gleichzeitig mit zunehmender Intensität auf vielfältigste Art und Weise geschwächt. Das spricht sich herum und hat zum Beispiel zur Folge, dass der Lehrerberuf in Mecklenburg-Vorpommern so unattraktiv ist, dass freie Referendarstellen zu mehr als einem Drittel nicht besetzt werden können, der Einstellungskorridor nicht voll in Anspruch genommen wird, unsere Kollegen zu alt werden, bedauerlicherweise viele gen Westen flüchten und beinahe zwei Drittel unserer Lehrer den beiden größten Gesundheitsrisikogruppen angehören. Hohe Krankenstände und zum Teil lange Ausfallzeiten sowie frühestmögliche Flucht in die Rente sind die Folgen, die wir beobachten. Ich habe jetzt bewusst nur auf die Lehrer abgezielt, weil sie es sind, die mit unterschiedlichster Mitarbeit durch Schüler und Elternhäuser den Erziehungsauftrag hier in den Schulen umsetzen müssen.

Meine Damen und Herren, es ist allerhöchste Zeit, dass wir gegensteuern und unseren Pädagogen die Möglichkeit eröffnen, ihren unstrittigen Erziehungsauftrag auch wahrnehmen zu können. Frau Polzin hat diesen Satz, glaube ich, fast ähnlich gesagt.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Sie als Koalitionsfraktionen fordern die Landesregierung auf, bis zum 30. September 2004 ein Konzept zu erarbeiten, dessen Umsetzung die Erziehungsfunktion der Schule zielgerichtet stärkt. Ich nehme doch an, dass bei diesem recht eng gesteckten zeitlichen Rahmen, den Sie bei uns übrigens nie akzeptiert hätten, das Ministerium bereits daran arbeitet. Die Anstrengungen beschränken sich dann hoffentlich nicht nur auf das Modellvorhaben „Selbständigere Schule“ oder das Ganztagsschulprojekt.

Unser Antrag, der im März hier behandelt wurde, hatte zwar eine Neuverhandlung und Weiterentwicklung des Lehrerpersonalkonzeptes zum Thema, das ist übrigens auch ein Punkt Ihres Antrages, die Intention jedoch war die gleiche, nämlich die Stärkung von Schule und Lehrerschaft.

Herr Bluhm, Sie hatten nicht nur, wie sich jetzt herausstellt, ungerechtfertigterweise jeden einzelnen Punkt zerpflückt und in Bausch und Bogen verdammt,

(Heiterkeit bei Peter Ritter, PDS: Oh, oh, oh!)

sondern Sie hatten vor allem konkrete rechtlich untersetzte Vorstellungen eingefordert – ich zeige Ihnen die Stelle in Ihrer Rede gerne –, die ich bei Ihrem Antrag jetzt aber auch vermisse. Man braucht kein Jurist zu sein,

(Karsten Neumann, PDS: Das wäre aber hilfreich. – Zuruf von Peter Ritter, PDS)

um zu erkennen, dass ein Konzept wohl nicht das richtige Mittel ist, wenn die Intention des Antrages nicht als bloße Willensbekundung in Form eines Papiertigers enden soll. Was wir brauchen, ist ein Gesetzentwurf, um diese Vorstellung rechtlich untersetzen zu können. Das muss hinten herauskommen und mit diesem Ziel werden wir uns konstruktiv an den Beratungen zu Ihrem Antrag beteiligen. Ich darf für die CDU-Fraktion schon einmal beantragen, Ihren Antrag auf Drucksache 4/1182 federführend in den Bildungsausschuss und mitberatend in die Ausschüsse Recht und Wirtschaft zu überweisen.

Die vielen ausbildenden Unternehmen unseres Landes haben als Abnehmer von Schule ein großes Interesse an der Erziehung in der Schule und einer qualitativ hohen schulischen, praktischen und praktisch verwertbaren Ausbildung. Zitat aus der vorhin schon genannten Broschüre „Disziplin in der Schule“: „Die Abnehmer von Schule, Industrie, Wirtschaft, Handel, Handwerk und Verwaltung sparen nicht mit Klagen und Vorwürfen. Schulabgänger können nicht mehr ausreichend gut lesen, sie können sich nicht mehr schriftsprachlich angemessen äußern, können nicht mehr rechnen. Zuweilen wird sogar von Illiterarität gesprochen. Orientierungslosigkeit, Verhaltensdefizite, Tendenzen zur Realitätsflucht und sogar Selbstdestruktion, mangelnde Leistungsbereitschaft, überzogenes Anspruchsdenken und fehlende Manieren werden beklagt.“

(Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Die IHKs in unserem Land werden nicht müde, ihre entsprechenden Forderungen zu formulieren, und zwar zu Recht. Wenn ich als Staat Ausbildungsbereitschaft einfordere und sogar Zwang durch Abgaben ausübe, dann habe ich auch die Pflicht, Ausbildungsfähigkeit sicherzustellen.