Protokoll der Sitzung vom 13.05.2004

Ja, 60 habe ich gesagt. Ich stelle mir mal so richtig die Nachkriegsklassen vor, wie sie so von der Generation unserer Eltern waren.

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Diese haben in den Schuljahren definitiv mehr fürs Leben gelernt als mitunter heute unter ganz anderen Rahmenbedingungen, weil ein Unterschied da war. Sie haben für sich begriffen, ich brauche dieses Wissen, ich will Bildung, ich will mein Leben selbst gestalten und Verantwortung übernehmen.

(Rainer Prachtl, CDU: Und mit Rohrstock und sonst welchen Dingen, also wirklich! Mit 60!)

Nein, also den würde ich nun mit Sicherheit nicht wieder einführen, Herr Prachtl, so gut müssten Sie mich eigentlich kennen.

(Rainer Prachtl, CDU: Aber diese Schul- klassen und die Ideen, die dahinterstehen!)

Ich rede von Motivation. Ich rede auch zum Beispiel von Kindern in Afrika, die unter sehr schlechten Rahmenbedingungen Wissen erwerben in kürzester Zeit.

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Die Motivation kommt immer von innen und das bedeutet, wir müssen da wieder hinkommen. Das ist eine Frage von Erziehung.

Wenn wir bei Jugendlichen vermissen – und das ist ja in der Regel die Wirtschaft, die diese Urteile fällt –, dass sie wenig konfliktfähig sind, dass die Teamfähigkeit fehlt, dass eine Anstrengungsbereitschaft in der Regel nicht vorhanden ist, dann muss man darauf reagieren. Aber man muss auch ehrlich die Frage stellen: Wie ist das denn bei ihren Vorbildern in der Erwachsenenwelt? Konfliktfähigkeit habe ich heute und auch in vielen anderen Runden hier allein im Parlament nicht unbedingt bemerkt. Auch wir versuchen – und das leben wir unseren Jugendlichen oft genug vor –, unterschiedliche Meinungen auszutragen, indem wir dem, der eine andere Meinung hat, zunächst mal verbal so was auf die Zwölf geben, dass der nicht mehr bereit ist, mir zuzuhören. Und das ist eigentlich das, was uns allen ein bisschen fehlt, wo wir alle auch selbst einmal das Raster der Eigenverantwortung darüber legen müssten. Nützt es mir eigentlich, wenn ich einen kurzen Lacher provoziere, indem ich einem anderen eine Bemerkung aus der Hüfte herüberreiche? Nützt es eigentlich, wenn ich in einem Schlagabtausch mal kurzzeitig Recht habe? Nützt es eigentlich für eine kurze Meinungsumfrage, mal so richtig eingeschlagen zu haben auf den Gegner?

Mir wird ehrlich gesagt ein bisschen angst, wenn ich weitergucke, denn wir richten damit nur eines an: Schulklassen, die hier sind, haben fast unisono die Meinung, du lieber Himmel, wenn wir so miteinander umgehen würden, dann wäre es eigentlich noch schlimmer. Und ich denke, da kann jeder nur bei sich anfangen und mal darüber nachdenken, wie schaffe ich es denn, meine Botschaft an den anderen zu bringen, ohne dass ich auf ihn einschlage, indem ich ihn nämlich zunächst mal wirklich ernst nehme und meine Argumente auf ihn einrichte.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Mit anderen Worten, ich würde den richtigen Hebel im Prinzip ab liebsten dort ansetzen, wo er hingehört, bei den Eltern, bei den Erwachsenen. Und ich denke, man kann in

der Gesellschaft nur damit anfangen, dass man sich zumindest mit dem Thema Schule mal ein bisschen ehrlicher befasst. Jeder redet darüber, jeder weiß etwas davon, jeder legt seinen Erfahrungsschatz von vor 20, 30 Jahren, den er selbst mit der Schule gemacht hat, darüber

(Reinhard Dankert, SPD: Da war es noch schön.)

und beurteilt die heutige Situation an Schulen. Ich sage Ihnen, es ist ein Grundfehler, dieses zu tun, denn die Schule von heute ist eine ganz andere. Wir müssen den Kindern von heute, die ja ganz anderen Einflüssen ausgesetzt sind, auch ganz anders begegnen. Und da komme ich auf das Problem, emotionales Lernen, soziales Lernen im positiven Sinne viel mehr in den Vordergrund zu bringen. Dahin gehend müssen wir unsere Lehrer nämlich wirklich unterstützen. Ein Kind, das von sich aus nicht das Gefühl hat, ich möchte das, ich will das, das ist für mich wichtig, wird man immer schwerlich zur Höchstleistung begeistern. Ein Kind, das für sich erkannt hat, Wissen ist etwas ganz Tolles, ich möchte hier weiterkommen und ich fühle mich bestätigt, ist die einzige Voraussetzung für eine gute Schule. Alle Diskussionen über Mehrgliedrigkeit und Schularten sind dagegen sekundär. Zu einer guten Schule gehören nur motivierte Eltern, Lehrer und Schüler. Und dann kann man im Grunde vieles machen im positiven Sinne und keinesfalls, wie mir vielleicht jemand unterstellen würde, wieder mit den uralten Methoden, die bis zur Prügelstrafe gehen. Mitnichten, ich möchte so nicht verstanden werden.

Aber ich sage an dieser Stelle auch, Erziehung heißt, Chancen geben und Grenzen setzen, heißt, einem Menschen von sehr früh an beizubringen, in dieser Gemeinschaft bist du ein Teil, du lebst von ihr, du bist auch für sie da. Solidarität ist etwas, was man erlebbar machen muss, in der Schule, in der Gesellschaft. Hinterher hinzugehen und zu sagen, nun seid mal schön solidarisch, wird wenig Früchte bringen, wenn nicht insgesamt ein Umdenken in dieser Gesellschaft passiert. Die Verantwortung der Gesellschaft für Bildung und Erziehung steht im Grunde auf dem Papier. Eine Säule hat sich fast verabschiedet, die andere halb und die Schule steht im Grunde in diesem wackeligen Gebilde.

Wir wollen zumindest mit diesem Antrag versuchen, das Ganze auf etwas festere Füße zu bekommen. Und ich will im Vorfeld auch noch sagen, wir beabsichtigen mit diesem Antrag nicht nur die Abstimmung, fertig, aus, sondern den Beginn der parlamentarischen Debatte im Ausschuss,

(Beifall Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

den Beginn der öffentlichen Debatte mit Vertretern von Schulen, von Wirtschaft und von sozialen Einrichtungen. Wir hoffen, Medieninteresse dabei zu wecken, denn auch da liegt ein Stück Verantwortung, das zu transportieren. Ich hoffe, dass wir am Ende dieses Prozesses mit einer parteiübergreifenden Abstimmung hineinkommen und sagen, liebe Lehrer, wir stärken euch bei eurer schweren Aufgabe den Rücken und wir haben die Bedingungen etwas passgerechter gemacht. Das wäre mein Wunsch bei diesem Antrag. Ich habe nachher noch genug Redezeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Frau Polzin.

Die können wir Ihnen leider nicht abziehen, weil für die Einbringung nur 5 Minuten angemeldet waren und es sind jetzt fast 15,

(Heiterkeit bei Heike Polzin, SPD)

aber von daher das nächste Mal vielleicht korrekter anmelden. Danke schön für die Einbringung.

Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erster hat das Wort der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Professor Dr. Dr. Metelmann. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Liebe Frau Polzin, ich nehme den Faden sehr gerne auf. Im Jahr der Bildungspolitik fordern Sie den Landtag auf, eine Debatte zu eröffnen über die Erziehungsfunktion, die bei Eltern, in Schulen und in der Gesellschaft liegt, und das können wir nur begrüßen. Die Debatte ist wichtig. Schule ist nicht allein zuständig für die Erziehung,

(Angelika Peters, SPD: Das ist wohl wahr.)

aber sie ist einflussreich, wenn wir der Schule die Möglichkeiten geben.

In diesem Antrag sind aufgelistet eine Vielzahl von strukturellen, von rechtlichen Rahmenvorstellungen, von Zielen bis hin zu den Standards zur Bewertung von Sozialverhalten. Der Bogen spannt sich von der Frage, wie wir die Lehrerinnen und Lehrer für die Erfüllung ihrer Aufgaben stärken, bis hin zu der Frage, welche Werte und Orientierungen wir eigentlich den Schülerinnen und Schülern als leitende Gewissheiten geben.

Wir brauchen diese Debatte. Wir brauchen sie erstens, weil wir ihre Ergebnisse einfließen lassen müssen in Schulprogramme, wie mehr Selbständigkeit für Schulen erzielt werden kann. An dieser Stelle müssen wir wissen, mit welchen Instrumentarien die selbständige Schule arbeiten kann. Wir brauchen sie für ein Schulprogramm Ganztagsschule. Dort ist dann auch Raum und Zeit gegeben für Erziehungsaufgaben in der Breite, wie wir uns das vorstellen. Wir brauchen die Ergebnisse für das Abitur in der Wissensgesellschaft, für die neue Abiturprüfungsverordnung, denn Fachkompetenz muss auf dem Boden einer verantwortungsbewussten Werteorientierung stehen. Und natürlich brauchen wir sie auch für das Lehrerbildungsgesetz, denn dort wird die Erziehungsfunktion als wichtige Säule der Heranbildung neuer Lehrerinnen und Lehrer stehen müssen.

Wir brauchen diese Debatte auch aus einem zweiten Grund. Der Bundespräsident hat gestern gerade in seiner Berliner Rede eingefordert, auch über Werteorientierung unter dem Stichwort „Grundsicherheit“ zu reden, und ich zitiere einen Satz: „Jeder Mensch braucht eine gewisse Grundsicherheit, damit er den Kopf frei hat, auch für Anstrengung und Erfolg im Beruf.“

Wir brauchen diese Debatte – und ich will den Bogen aus Mecklenburg-Vorpommern und über Deutschland hinaus auch in das Zusammenwachsen von Europa spannen –, wir brauchen den Dialog im Ostseeraum. „Co-operative Learning for Europe – Visions and Values“ hieß das Konferenzthema und heißt das Strategiepapier, das die

Bildungsminister von Estland, Litauen, Lettland und Mecklenburg-Vorpommern im Oktober des letzten Jahres unterschrieben haben. Das ist die Orientierung auf die Erziehungsfunktion auch in ihren Visionen und in ihren Werten. Wir brauchen diese Debatte und wir freuen uns auf ihre Ergebnisse. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Herr Minister.

Als Nächstes hat das Wort für die Fraktion der CDU die Abgeordnete Frau Fiedler-Wilhelm. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zu Beginn meiner Ausführungen vielleicht ganz kurz auf das eben Gesagte und Gehörte von Herrn Minister Metelmann und Frau Polzin eingehen. Sie haben beide Recht. Bildung muss in diesem Land wieder mehr als Chance begriffen werden und nicht als tägliche Belästigung. Wir haben sehr viele gute Veränderungen zu verzeichnen gehabt in den vergangenen Jahrzehnten, aber besonders natürlich in den letzten Jahren. Besonders betrifft das die Ausstattung von Schulen. Wir haben herrlich sanierte Schulräume, Fachkabinette, beste Unterrichtsausstattung, Lehrmaterialien und trotzdem kommen wir irgendwie nicht weiter und landen in einer Sackgasse. Also an der Ausstattung von Schulen kann es irgendwo nicht liegen.

Frau Polzin hat ebenfalls Recht, wenn sie sagt, Bildung und Erziehung können nicht allein der Schule aufgebürdet werden. Bildung und Erziehung sind ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Eine ganz große Rolle haben Elternhäuser und eine wichtige Rolle hat die Schule zu erfüllen. Der Schule allein diese Verantwortung zu übertragen, wäre sicherlich fehlgeschlagen. Insofern, Frau Polzin, kann ich Ihnen nur zustimmen. Nur was wir hier heute machen mit Ihrem Antrag, ist, den Bereich, den wir am ehesten beeinflussen können, so auszustatten, damit Erziehung wirklich in den Schulen stattfinden kann. Sie haben das ausgeführt, insofern völlige Übereinstimmung.

Meine Damen und Herren! „Wir werden mit einem inhaltlichen Konzept den Haupt- und Realschulbildungsgang attraktiver machen und ihn zu einer echten Alternative zum Gymnasium ausbauen.“

(Unruhe bei Egbert Liskow, CDU, und Rainer Prachtl, CDU)

Darf ich den Kollegen Liskow mal bitten, ein bisschen leiser zu sprechen, das stört nämlich hier vorne. Danke.

(Beifall Thomas Schwarz, SPD – Andreas Bluhm, PDS: Oh! – Heike Polzin, SPD: Das ist Ihre Fraktion, Frau Fiedler.)

„Mit der Einführung der Regionalen Schule geben wir sowohl eine Antwort auf die demographische Entwicklung als auch eine inhaltliche Antwort. … Wir werden …

3. die Erziehungsfunktion stärken.

Dazu liegt ein umfangreiches inhaltliches Konzept vor, das schrittweise umgesetzt werden wird.“

Meine Damen und Herren, dies war ein Zitat aus d e r Rede des Ministers Kauffold in diesem Landtag am 2 8. Juni 2001. Vor dem Hintergrund, dass besagtes umfangreiches Konzept nur noch seiner Umsetzung harrte, ist es natürlich verständlich, dass Initiativen und Positionspapiere der CDU sämtlichst abgelehnt wurden, trotzdem sie inhaltlich mit Ihrem heutigen Antrag übereinstimmten. Ich kann Ihnen allein aus der 3. Legislaturperiode vier konkrete Beispiele nennen. Und bei so viel Gleichheit, Frau Polzin, das verzeihen Sie mir, muss ich einfach auf diesen Fakt einmal eingehen.

Trotzdem haben wir heute, drei Jahre später, einen Antrag von SPD und PDS auf dem Tisch, den es eigentlich nicht geben dürfte, wenn konsequent an den hehren Zielen des damaligen Ministers zur Qualitätssicherung von Schule gearbeitet worden wäre. Man darf an dieser Stelle auch mal unseren Antrag vom Februar dieses Jahres neben Ihren legen und wird sich verwundert die Augen reiben, wie es bei so viel Ziel- und Wortgleichheit doch wieder nur zur Ablehnung kommen konnte.