Protokoll der Sitzung vom 13.05.2004

Punkt 8: „Erhöhung der rechtlichen Verbindlichkeit von Elternrechten und -pflichten bei der Ausübung ihres gesetzlichen Erziehungsauftrages vor allem in der Zusammenarbeit mit den Schulen“. Brauchen wir also eine Änderung des Schulgesetzes? Brauchen wir doch ein neues Gesetz? Brauchen wir schärfere Sanktionsmöglichkeiten? Was genau meinen Sie damit? Eine nachhaltige Stärkung der Wahrnehmung der Verantwortung der Eltern, wie soll das aussehen? In der Begründung steht dieser Fakt noch einmal.

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

Und als Letztes Punkt 9: „Schaffung von Standards für eine einheitliche Bewertung des Sozialverhaltens von Schülern“. Wir haben diesen Punkt gerade im Ausschuss besprochen. Hier geht es nicht nur um Kopfnoten, aber sie könnten immerhin eine umständliche verbale und verklausulierte Bewertung ersetzen, wenn die Notenstandards sowieso zugrunde gelegt werden.

Meine Damen und Herren, wir müssen nicht das Rad ständig neu erfinden, nur damit die Anträge die genehme Unterschrift Ihrer Parteien tragen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Richtig.)

Außerdem liegen gute Sachstandsanalysen und Lösungsvorschläge auf dem Tisch. Ich habe die eine Broschüre genannt. Ich halte auch noch einmal gerne den Forschungsbericht hoch.

(Heiterkeit bei Heike Polzin, SPD: Kann ich die noch mal sehen?)

Wollen Sie es noch einmal sehen? Ach, ich gebe Ihnen das gleich, Frau Polzin.

Einer Beratung zugunsten der Erfüllung des Auftrages von Schule für die Zukunft unserer jungen Menschen ohne ideologische Scheuklappen – das sagten Sie vorhin auch, Frau Polzin – sehen wir mit Spannung entgegen und hoffen am Ende auf einen praktikablen Output aus diesen vier Ausschüssen. Ich bin sicher, dies ist im Sinne der hier bleibenden Lehrer, die noch hier arbeiten wollen, die fast alle immer noch hoch motiviert sind und ihrem Beruf als Berufung nachgehen

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

und tagtäglich mit viel unbezahltem Engagement die Schule am Laufen halten. Bei all den gerade gestern debattierten Schwierigkeiten und ständigen Einschrän

kungen verdient dies höchste Anerkennung und Unterstützung.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Herr Bluhm, Sie werden nicht müde, bei allen Veranstaltungen genau das herauszustreichen, und da kann ich Ihnen nur aus vollstem Herzen zustimmen.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Die Stellung von Lehrern aber endlich so zu stärken, wie sie es brauchen, um ihren Job vor Ort machen zu können, wäre schon einmal ein guter Anfang. In diesem Sinne wünsche ich uns allen für diesen Antrag beste Erfolge.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Frau Fiedler-Wilhelm.

Ich habe noch einmal eine Nachfrage zu dem Vorschlag der mitberatenden Ausschüsse. Das war jetzt der Rechtsund Europaausschuss?

Das waren der Rechtsund Europaausschuss sowie der Wirtschaftsausschuss. Und der Sozialausschuss, glaube ich, wurde von den Koalitionsfraktionen beantragt.

Danke schön.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Bluhm von der Fraktion der PDS. Bitte, Herr Vizepräsident.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Frau Fiedler-Wilhelm, die Strukturdebatte ist aus meiner Sicht, und das habe ich versucht, gestern schon zu einem anderen Tagesordnungspunkt deutlich zu machen, eine in der bildungs- und gesellschaftspolitischen Diskussion notwendige Debatte, wenn wir internationale Entwicklung ernst nehmen, wenn wir die Entwicklungen der Mädchen und Jungen, die Leistungsfähigkeit deutscher Schülerinnen und Schüler ernst nehmen, wenn wir ernst nehmen, was PISA uns ins Stammbuch geschrieben hat, dass es weltweit kein anderes Bildungssystem gibt, das so soziale Benachteiligungen befördert durch seine Struktur, wie das deutsche.

(Beifall Rudolf Borchert, SPD, Angelika Gramkow, PDS, und Karsten Neumann, PDS)

Und wenn es denn der Ansatz ist, der humanistische Ansatz, jedem Kind die ihm gerechte höchstmögliche Bildung zu erteilen, dann muss es legitim sein, auch unter diesen Bedingungen die Strukturdebatte zu führen, denn unter den Blinden ist der Einäugige natürlich König.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Dann dürfen Sie aber bei Einstellungen nicht sparen, denn beides zusammen ist nicht möglich.)

Aber die Fragestellung einer generellen Debatte über die äußere Schulstruktur in Deutschland, nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, die steht auf der Tagesordnung und darum werden wir sicherlich nicht kurzfristig, niemand will hier innerhalb von einem oder zwei Jahren irgendetwas neu einführen, aber wir werden um diese

Strukturdebatte, und aus der leiten sich natürlich inhaltliche Ansätze ab, nicht mehr umhinkommen.

(Beifall Dr. Gerd Zielenkiewitz, SPD, Angelika Gramkow, PDS, und Karsten Neumann, PDS)

Meine Damen und Herren, meine Jugendweihereden fange ich immer mit einem Zitat an und es passt auf die heutige Debatte. Ich zitiere: „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und plaudert, wo sie arbeiten sollte. Sie verschlingt bei Tisch die Speisen, legt die Beine übereinander und tyrannisiert die Eltern.“

(Siegfried Friese, SPD: Zweieinhalbtausend Jahre alt.)

Dies ist kein Zitat von heute, meine Damen und Herren, sondern niedergeschriebenes Vorurteil über die Jugend vom griechischen Philosophen Sokrates vor fast 2.400 Jahren.

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Erziehung ist also schon immer eines der zentralen Themen in der gesellschaftlichen Entwicklung gewesen. Erziehung ist ohne Frage ein komplexes Thema. Sie hat viele Facetten, viele Methoden und viele Wirkungen. An ihr sind viele beteiligt, aber in der Regel ist der Adressat vieler Maßnahmen nur das einzelne Individuum selbst. Und wegen dieser Komplexität möchte ich meine Ausführungen zu diesem Tagesordnungspunkt, obwohl es mich reizt, auf viele Fragen, die Frau Fiedler-Wilhelm hier aufgeworfen hat, zu antworten – dafür reichen aber meine 16 Minuten leider nicht aus, das müssen wir auf den Ausschuss verschieben, aber ich komme auf die Fragestellungen dann gerne zurück –, ich möchte also meine Ausführungen heute hier in der Debatte mit drei grundsätzlichen Anmerkungen beginnen:

Erstens. Das Erziehungsrecht der Eltern ist in Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes festgelegt. Es ist aber auch als eine Pflicht beschrieben. Über die Betätigung der Eltern bei der Pflege und Erziehung der Kinder wacht, so das Grundgesetz, die staatliche Gemeinschaft.

Zweitens. Erziehung ist über die Elternrechte und -pflichten hinaus ein gesamtgesellschaftlicher Prozess. Gewollt oder ungewollt nehmen andere Personen, existierende gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Medien und vieles andere Einfluss auf den individuellen Erziehungsprozess.

Drittens. Die Schule spielt bei der Erziehung junger Menschen eine spezifische Rolle. Die Schule hat im Rahmen ihres Bildungs- und Erziehungsauftrages eine besondere Verantwortung. Diese Verantwortung ist so bedeutsam, weil wegen der Schulpflicht alle Kinder eine Schule besuchen müssen, weil die Eltern ihre Kinder für eine bestimmte Zeit der Schule, also im Grunde genommen fremden Personen anvertrauen, weil die Schule im Gegensatz zu den häufig ungeplanten und unplanbaren Erziehungseinflüssen der Gesellschaft einen ebenso konkreten wie überschaubaren sozialen Raum darstellt, eben wie das Elternhaus, nur größer und vielschichtiger, weil die Lehrerinnen und Lehrer im Gegensatz zu den meisten Eltern für diese Aufgabe, Bildung und Erziehung zu leisten, ausgebildet worden sind.

Ich möchte an dieser Stelle deutlich hervorheben: Trotz der besonderen Bedeutung der Schule für die Erziehung

junger Menschen kann sie Defizite bei der Erziehung im Elternhaus oder aber Defizite und Verwerfungen durch gesellschaftliche Einflüsse nicht allein ausgleichen, häufig nur abmildern. Es ist deshalb mehr als ungerecht, wenn wissentlich oder unwissentlich den Lehrerinnen und Lehrern dafür so manches Mal die Hauptverantwortung angelastet wird,

(Beifall Heike Polzin, SPD, Angelika Gramkow, PDS, und Kasten Neumann, PDS)

denn die überwiegende Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer, auch bei uns im Land, erfüllt ihre Aufgabe höchst professionell mit viel Herzblut und Engagement. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle wieder einmal ausdrücklich bedanken. Wir wissen unsere Kinder bei diesen Lehrerinnen und Lehrern in guten Händen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Heike Polzin, SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erziehung ist wohl eine der schwierigsten Aufgaben in unserem Leben. Sie beginnt mit der Geburt eines Kindes und endet nie.

(Angelika Peters, SPD: Das ist wohl wahr.)

Trotz aller Mühen, Freuden und Rückschläge ist das Ergebnis sehr, sehr lange offen. Wir sind als Eltern, teilweise als Großeltern, als Mitmenschen, Geschwister, Freundinnen oder Freunde beteiligt. Wir freuen uns, wenn wir Fortschritte sehen, und ärgern uns, wenn es manchmal nicht so klappt. Aber in der äußeren erzieherischen Dreieinigkeit von Eltern, Gesellschaft und Schule entsteht aus diesen Puzzlesteinen mit der Zeit nur ein schönes Bild, wenn die einzelnen Steine richtig und sinnvoll eingefügt werden. Es gibt dabei allerdings genügend Gelegenheiten, diese Zusammenstellung zu stören, falsche Steine zu setzen oder sie falsch anzuordnen, meist unbewusst, aber manchmal eben auch vorsätzlich.

Auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben wir als Gesetzgeber so manchen Einfluss, aber eben auch nur begrenzt. Sie wirken oft außerhalb unserer Einflussnahme, unserer Kenntnis und unserer Einwirkungsmöglichkeiten. Deshalb ist es aus meiner Sicht umso wichtiger, dass die Elternhäuser und die Schule bei der Erziehung wieder enger zusammenrücken und wieder enger zusammenarbeiten. Hier sind überschaubare Strukturen und Personengruppen vorhanden, Raum und Zeit der Einflussmöglichkeiten sind klar definiert.

Und, liebe Frau Fiedler-Wilhelm, es war ein Ministerpräsident, der Herr Berndt Seite, der einmal von diesem Pult gesagt hat: „Erziehung hat an einer Schule in Mecklenburg-Vorpommern nichts mehr zu suchen.“ Ich suche Ihnen dieses Zitat aus der 1. Legislaturperiode sehr gerne heraus. Das hat nämlich auch dazu geführt,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

nicht alleine, aber auch dazu geführt, dass viele Lehrerinnen und Lehrer zutiefst verunsichert waren, ob sie denn überhaupt noch eine Erziehungsfunktion in der Schule haben.