Protokoll der Sitzung vom 16.09.2004

Und wenn Bürgerinnen und Bürger ihr legitimes Recht, das ihnen laut Verfassung zusteht, nutzen, um ihre Interessen zu vertreten, dann ist es, wie gesagt, nicht nur legitim, sondern ausdrücklich natürlich auch von der Politik gewollt und insofern ein guter Beitrag.

Zweitens bin ich der Meinung, dass die Volksinitiative mit ihrer Initiative einen außerordentlich wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte, wie wir zukünftig Bildung, Erziehung und Betreuung im vorschulischen Alter gestalten,

darstellt. Insofern kann ich mich an dieser Stelle auch nur bei der Volksinitiative, wie gesagt, für dieses Engagement bedanken.

(Beifall Ute Schildt, SPD, und Angelika Gramkow, PDS – Zuruf von Torsten Renz, CDU – Michael Ankermann, CDU: Das sind doch Sprechblasen!)

Allerdings halte ich persönlich den Zeitpunkt der Volksinitiative für nicht so günstig, denn das Gesetz ist am 1. August in Kraft getreten und es gibt natürlich schon auch Meinungen, für die ich durchaus Verständnis habe, dass es relativ früh ist für Bewertungen, die natürlich notwendig wären und sind im Zusammenhang mit den Forderungen der Volksinitiative, wenn ein Gesetz in diesem Falle gerade mal sechs Wochen in Kraft ist.

(Zuruf von Andreas Petters, CDU)

Bei der CDU ist alles anders, die wissen ja alles schon, das sind ja richtige Hellseher. Herr Renz hat uns hier wieder eine Kostprobe geliefert.

(Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Herr Renz, ich bin da etwas zurückhaltender, zumal, Herr Renz, das dürfte Ihnen nicht verborgen geblieben sein, bei den Akteuren vor Ort,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und vor allen Dingen auch den Trägern selbst insbesondere natürlich jetzt, wo die Verhandlungen anstehen zu den Leistungsverträgen beziehungsweise die ja auch laufen, großes Interesse besteht, verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen vorzufinden. Insofern hält sich die Begeisterung der Akteure vor Ort für mögliche kurzfristige Änderungen am Gesetz, wie ich glaube, doch eher in Grenzen.

Jetzt zu den Forderungen der Initiative selbst. Es sind ja im Wesentlichen fünf Punkte, die man ganz kurz zusammenfassen kann:

Es geht erstens darum, dass die Volksinitiative einen verbesserten Erzieher-Kind-Schlüssel fordert, indem sie die jetzige Regelung, praktisch den durchschnittlichen Erzieher-Kind-Schlüssel, ändern will in folgende Formulierung: mindestens 1:6, mindestens 1:18 oder mindestens 1:22.

Die zweite Forderung bezieht sich auf landeseinheitliche Elternbeiträge.

Die dritte Forderung lautet, die Landesmittel – immerhin 77,7 Millionen Euro in 2005, Entschuldigung, in 2004,

(Torsten Renz, CDU: Herr Borchert, Sie brauchen das nicht auszuführen, Sie müssen Position beziehen! Position beziehen!)

in 2005 dann entsprechend 1,5 Millionen mehr – anders zu verteilen.

Bei der vierten Forderung handelt es sich um die verlässliche Regelung der Frage der Investitionen.

Und bei der fünften Forderung geht es um die Erweiterung der Beteiligungsrechte der Eltern.

Ich möchte an dieser Stelle nicht den Ergebnissen der Beratungen im Sozialausschuss vorgreifen und mich mit

Wertungen zurückhalten, um mich insofern heute vor allen Dingen darauf zu konzentrieren, mit welchen Fragen wir uns vor allem natürlich dann im Rahmen der Beratungen im Sozialausschuss befassen müssen. Wir müssen unter anderem die Frage beantworten: Welche Folgen hätten denn landeseinheitliche Elternbeiträge bezüglich zum Beispiel des gewollten Wettbewerbs, bezüglich der unterschiedlichen regionalen Bedingungen vor Ort? Oder die Frage: Wer werden denn Gewinner und Verlierer sein, wenn ich die Verteilung der Landesmittel, so, wie von der Volksinitiative gewollt, anders regele? Ist nicht möglicherweise die Frage der Investitionen abgedeckt durch die Leistungsverträge? Oder, was natürlich ganz entscheidend ist: Wie nutzten denn bisher die Eltern die schon vorhandenen Elternbeteiligungsrechte, die ja durch das neue KiföG entscheidend erweitert wurden? Brauchen wir wirklich hier weitergehende Elternrechte entsprechend des Schulgesetzes? Oder – und ich glaube, diese Frage wird sicherlich auch Herrn Riemann nicht überraschen, deswegen stehe ich natürlich hier, aber ich erwarte, dass alle anderen Abgeordneten ebenfalls diese Frage ernsthaft beantworten müssen: Welche finanziellen Folgen haben die Forderungen der Volksinitiative?

Ich will auch nicht die Frage verschweigen: Welche Interessenkollision bekommen wir, wenn wir möglicherweise Forderungen der Volksinitiative nachgeben, dann mit anderen Interessenvertretern? Wir wissen, wie schwierig es war, Kompromisse zu suchen und zu finden, gerade beim KiföG. Und allein, wenn Sie die unterschiedlichen Interessen sehen zwischen denen, die insbesondere die Kosten tragen, und denen, die Erwartungen haben an die Qualität in der Betreuung der Kinder, ich glaube, dann sind die Konflikte schon vorprogrammiert.

Ich möchte abschließend an dieser Stelle meinem Kollegen Jörg Heydorn ausdrücklich beipflichten, der gestern schon zu Recht darauf verwiesen hat, dass er sicher ist – und ich kann mich dem nur anschließen –, dass wir im Sozialausschuss sehr sachgerecht und sehr gründlich die Forderungen der Volksinitiative beraten werden, selbstverständlich auch auf der Grundlage der Anhörung der Vertreter der Volksinitiative, und dass wir entsprechend dann unsere Entscheidungen vorbereiten für die abschließende Beratung hier im Landtag. Insofern, meine Damen und Herren, beantrage ich die Überweisung, und zwar ausschließlich in den Sozialausschuss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Borchert.

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete der PDSFraktion Herr Koplin.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Unzweifelhaft besitzt die Volksinitiative eine erhebliche Autorität und Herr Borchert hat darauf verwiesen, dass sie sich aus der Gesetzgebung ableitet, Artikel 59 der Landesverfassung und Volksabstimmungsgesetz.

Lassen Sie sich daher sagen, Herr Renz, und all diejenigen, die ihm beigepflichtet haben durch Applaus, dass wir keinen Belehrungsbedarf haben im Umgang mit der Volksinitiative!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Jörg Heydorn, SPD: Sehr richtig.)

Wir wissen sehr wohl die Volksinitiative zu achten und mit aller Sorgfalt mit ihr umzugehen. Die PDS hat in hohem Maße Respekt davor, dass sich die Unterzeichner mit ihren eigenen Interessen Gehör verschaffen wollen und die Unterzeichner auf die politische Willensbildung des Landtages Einfluss nehmen möchten.

In der Behandlung der Volksinitiative geht es um Demokratie im ureigensten Sinne. Demokratie besteht nicht allein aus der Stimmabgabe am Wahltag und sie ist nicht allein eine Frage von Mehrheiten und Minderheiten, Demokratie ist auch das selten verwirklichte Prinzip des vorurteilfreien Dialogs über Interessen, Motive und Zielrichtungen.

(Egbert Liskow, CDU: Reden Sie doch mal über die Volksinitiative!)

Demokratie bedeutet, Herr Liskow, dass Volksvertreter über Absichten, Hintergründe und Rahmenbedingungen informieren,

(Egbert Liskow, CDU: Reden Sie doch mal über das Gesetz!)

und in einem solchen Dialog müssen wir Abgeordnete, vor allem diejenigen, die das KiföG mehrheitlich beschlossen haben, fragen: Gibt es bessere Wege als den gewählten? Sind die angestrebten Ziele mit den gewählten Mitteln und Methoden erreichbar und gibt es bislang Unberücksichtigtes, um das Gesetz wirkungsvoller zu machen? Deshalb – und insofern, Frau Schlupp, der Dialog – setzen wir uns mit den Initiatoren der Volksinitiative an einen Tisch und werden gründlich und ausgiebig beraten.

(Harry Glawe, CDU: Ja, wirklich?)

Wirklich. Welche Zweifel haben Sie, Herr Glawe? Welches Demokratieverständnis haben Sie, Herr Glawe?

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Jede einzelne Forderung der Volksinitiative ist dabei zu prüfen. Ich will auf drei Dinge eingehen:

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Erstens. Die Volksinitiative fordert verbindlich und unausweichlich festgelegte Personalschlüssel, weil es um eine an den individuellen Bedürfnissen orientierte Förderung geht. Die an den individuellen Bedürfnissen der Kinder und an ihren Fähigkeiten orientierte Förderung ist unbedingt gewollt. Wie aber bekommen wir die Quadratur des Kreises hin?

Wie kriegen wir sie hin? Darüber müssen wir gemeinsam reden, denn individuelle Bedürfnisse schaffen Unterschiedlichkeiten. Es kann heißen, dass ein besserer Personalschlüssel als 1:6, 1:18 oder 1:22 notwendig ist. Eine solche Frage kann aber nur vor Ort unter den konkreten Bedingungen entschieden werden. Hinzu kommt, dass die Gruppengrößen wechseln. Das erfolgt beständig im Verlauf des Jahres durch das Wechseln in die Grundschule, aber auch durch die Alltagserfordernisse innerhalb einer jeden Woche. Hieße das nicht – und da mache ich ein Fragezeichen dahinter –, wenn wir unter Ansehung einer solchen Situation dann einen festen Schlüssel vorstanzen, hieße das nicht, die Erzieherin sprichwörtlich arbeitstäglich zu heuern und zu feuern, um den verbindlichen Personalschlüssel einzuhalten?

Zweitens. Die Volksinitiative fordert eine bedarfsgerechte Verteilung der zur Verfügung stehenden Landes

mittel. Die PDS hat ein großes Interesse an einer gerechten Mittelverteilung. Es gilt zu hinterfragen, warum die Stärkung des ländlichen Raums, denn das verbirgt sich auch hinter dieser Forderung der Volksinitiative, ein sachwidriges Kriterium sein würde. Natürlich sind die Belange des ländlichen Raums zu berücksichtigen. Würde der ländliche Raum nicht gestärkt, könnte dies ein Sterben der Einrichtungen dort bedeuten. Würden dann die Kinder in den Städten Aufnahme finden? Wäre das im Interesse der Kinder und Eltern? Hinter all dem sind Fragezeichen.

(Harry Glawe, CDU: Sie haben sich doch gerade für Wahlfreiheit im Gesetz ausgesprochen.)

Lassen Sie uns im Ausschuss fachpolitisch abwägen, was im Interesse der Kinder klüger ist, die jetzige Regelung, 50 Prozent der zuzuweisenden Mittel nach belegten Plätzen und 50 Prozent nach der Anzahl der Kinder im Territorium, oder die vollständige Mittelzuweisung je belegtem Platz! Das ist ernsthaft noch einmal in Erwägung zu ziehen.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Ein Wort zur Legendenbildung der CDU, das Land würde seinen finanziellen Anteil pro Kind reduzieren. Ich stimme an dieser Stelle der Ministerin völlig zu. Wenn ich mir Ihre Presseerklärung anschaue, Herr Renz, dann kommt bei mir der Verdacht auf, dass da Häme im Spiel ist. So heißt es in einer Pressemitteilung von vor zwei Tagen: „Chance der Volksinitiative nutzen“, das Land würde seinen finanziellen Anteil pro Kind zurückfahren.

Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir im Jahre 2003

71.190 Kinder in Einrichtungen hatten und Landesmittel in Höhe von 76.185.900 Euro ausgegeben haben. Das sind pro Platz 1.070,17 Euro. In diesem Jahr sind es 77.500 Kinder, Landesmittel 86.050.000 Euro, und wir kommen auf einen Betrag von 1.110,32 Euro in diesem Jahr. Im nächsten Jahr werden es circa 1.113 Euro sein.

Drittens fordert die Volksinitiative, die Beteiligungsrechte der Eltern sinnvoller zu gestalten.