Protokoll der Sitzung vom 11.12.2002

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 5. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 5. und 6. Sitzung liegt Ihnen vor.

Im Ältestenrat bestand Einvernehmen darüber, die Ersten Lesungen des Gesetzentwurfes der Fraktionen der PDS und SPD „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Landespflegegesetzes“ auf Drucksache 4/77 und des Gesetzentwurfes der Fraktion der CDU „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Landespflegegesetzes“ auf Drucksache 4/85(neu) in verbundener Debatte als Zusatztagesordnungspunkt 1 nach dem Tagesordnungspunkt 3 aufzurufen. Weiterhin bestand Einvernehmen darüber, den Tagesordnungspunkt 16 anstelle des Tagesordnungspunktes 4 im Anschluss an den heutigen Zusatztagesordnungspunkt 1 zu beraten. Der Tagesordnungspunkt 4 wird morgen im Anschluss an den Tagesordnungspunkt 14 beraten. Es bestand Einvernehmen im Ältestenrat darüber, die Eidesleistung des neugewählten stellvertretenden Mitglieds des Landesverfassungsgerichts morgen zu Beginn der Sitzung als Zusatztagesordnungspunkt 2 aufzurufen. Der Tagesordnungspunkt 15 wird abgesetzt. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 5. und 6. Sitzung gemäß Paragraph 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

Regierungserklärung des Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern

Das Wort hat der Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Am 22. September hat die große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler des Landes Mecklenburg-Vorpommern der Landesregierung erneut das Vertrauen geschenkt.

Hatten die Journalisten 1998 nach der Bildung der ersten rot-roten Koalition noch erwartet, die Welt würde bei uns auf den Kopf gestellt, so haben sie sich jetzt, vier Jahre später, schon daran gewöhnt, dass selbst das Schloss noch an seinem alten Platz steht. Ich denke, meine Damen und Herren, das ist auch gut so, denn da steht es genau richtig.

Gemeinsam haben wir in den vergangenen vier Jahren eine Menge für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land erreicht: Die wirtschaftliche Basis hat sich verbreitert, die Rahmenbedingungen für die Ansiedlung von Unternehmen haben sich verbessert, Straßen, Schienen, Flughäfen und Häfen, aber auch Krankenhäuser und Hochschulen sind weiter ausgebaut worden. Beim Export haben die Unternehmen kräftig zugelegt, der Tourismus entwickelt sich hervorragend, die Chancen für Bildung und die Qualität der Bildung haben sich erhöht und die Kriminalität ist gesunken. Meine Damen und Herren, das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Zu einer ehrlichen Bilanz gehört es aber auch zu sagen, dass zwar Tausende neue Arbeitsplätze in Zukunftsbranchen entstanden sind, dass zugleich aber auch Tausende von Arbeitsstellen auf dem Bau weggebrochen sind. Auch die Zahl der ABM- und SAM-Stellen ist seit 1998 allein bei uns im Land um über 40.000 zurückgegangen. Der Abbau ist zwar prinzipiell richtig, aber er erfolgte meiner Meinung nach viel zu schnell. Hinter jeder Zahl in der Statistik steht ein Mensch, der sich nicht mehr gebraucht fühlt. Und deshalb ist die Sicherung von bestehenden und die Schaffung von weiteren neuen Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt auch in den folgenden vier Jahren das Hauptziel dieser Regierungskoalition.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Dabei wollen wir uns am Prinzip der Nachhaltigkeit orientieren. Das heißt, das Streben nach wirtschaftlichem Erfolg, ökologischer Verträglichkeit und sozialer Gerechtigkeit miteinander zu verbinden. Wirklicher Fortschritt bedeutet, alle Menschen mitzunehmen, nicht auf Kosten der Umwelt zu wirtschaften. Nur so sichern wir heute die Grundlagen für morgen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Meine Damen und Herren, gemeinsam – auch mit Hilfe der Solidarität der alten Bundesländer, des Bundes und mit Hilfe der EU – haben wir in den letzten vier Jahren viel erreicht. Allen, die dabei mitgewirkt haben, danke ich herzlich: den Mitgliedern dieses Hauses, den Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft und der Gewerkschaften, der Kultur, der Kirchen, der Medien, des Sports sowie der Bundeswehr und allen Menschen, die durch ihr Engagement im Ehrenamt, im Beruf und im gesellschaftlichen Leben mitgeholfen haben, unser Land weiter voranzubringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Und ich glaube, das Erreichte kann uns Mut machen für den weiteren Weg, den wir zu gehen haben. Auch der wird uns einiges abverlangen. Doch was wir bisher erreicht haben, was wir bisher geleistet haben in MecklenburgVorpommern, ist Grund genug, selbstbewusst nach vorn zu schauen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Und manchmal blitzt dieses Selbstbewusstsein schon auf, zu Recht, aber der in den Jahrzehnten gewachsene Glaube an die Allmacht des Staates ist bei uns zum Teil immer noch groß. Politik muss stärker als bisher den Mut haben, deutlich zu machen, was sie in der Demokratie leisten kann und was nicht. Politik kann günstige Rahmenbedingungen schaffen. Aber sie nutzen, um etwas daraus zu machen, das müssen die Bürgerinnen und Bürger selbst. Und viele tun das auch schon mit Erfolg.

Wir in Mecklenburg-Vorpommern haben das Zeug dazu. Wir haben Veränderungsbereitschaft und Flexibilität bewiesen – da hat man uns in der Wende viel abverlangt. Wir haben gezeigt, dass wir uns schnell auf Neues einstellen können. Dabei haben wir aber auch erkannt, dass Freiheit nur zufrieden stellt, wenn es zugleich gelingt, Solidarität und Zusammenhalt zu bewahren. Auch was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht, haben wir im

Osten gegenüber dem Westen einen Vorsprung. Wir verfügen über Erfahrungen und Erkenntnisse, die wir nun endlich selbstbewusster als bisher in die bundesweite Zukunftsdiskussion einbringen können und müssen. Wir haben auch etwas zu geben.

Unser Land Mecklenburg-Vorpommern hat Hunderttausende motivierter, tatkräftiger Menschen, die Tag für Tag „ihren Mann“ und „ihre Frau“ stehen, die ihre Arbeit tun in den Kaufhallen, in den Häfen, in der Verwaltung, in den Hochschulen, Schulen und Kindergärten von Boizenburg bis Ueckermünde, von Rostock bis Neubrandenburg. Sie sind die Kraft unseres Landes.

Materiell wollen wir in den nächsten Jahren Schritt für Schritt mit dem Westen gleichziehen. Das ist sicherlich ein Baustein unseres Erfolges, denn für viele bedeutet zum Beispiel gleicher Lohn auch endlich die verdiente Anerkennung für gleiche Leistung. Aber in diesem materiellen Angleichungsprozess dürfen wir uns selbst nicht aus den Augen verlieren. Der Vergleich mit anderen kann ein Ansporn sein, aber wer sich immer nur mit anderen vergleicht und nur darüber seinen Erfolg definiert, findet nicht zu sich selbst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Deshalb haben wir in Mecklenburg-Vorpommern unseren Weg gewählt, wir haben unsere Stärken klar erkannt und zugleich den Mut, eigene Prioritäten zu setzen, um diese Stärken mit voller Kraft auszubauen.

Gemeinsam wollen wir in den kommenden Jahren unser Land noch attraktiver machen. Wir wollen:

ein modernes Mecklenburg-Vorpommern, in dem es sich gut leben lässt, das mehr Menschen als heute Arbeit bietet und in dem es sozial gerecht zugeht,

ein erfolgreiches Mecklenburg-Vorpommern, das noch mehr jungen Menschen Chancen bietet,

ein weltoffenes und tolerantes Mecklenburg-Vorpommern, in das die Menschen gerne kommen und in dem sie auch gerne bleiben.

Darüber hinaus wollen wir das Land mit der modernsten Verwaltung und das kinder- und familienfreundlichste Land Deutschlands werden. Bei uns soll es leichter sein als anderswo, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Schon heute sind wir da besser als viele. Aber wir wollen noch besser werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Vor diesem Hintergrund gilt es, fünf große Aufgaben zu bewältigen, um diese Ziele zu erreichen. Ich möchte sie „Die fünf großen I“ nennen: Investition, Innovation, Internationalisierung, Image und Integration.

In vielerlei Hinsicht können wir dabei schon an das anknüpfen, was in der letzten Legislaturperiode dazu erarbeitet wurde. Es geht also um Kontinuität. Da, wo es möglich ist, müssen wir auch den Mut haben zu klaren Reformen. Und den haben wir.

1. Investition

Zur Glaubwürdigkeit in der Politik gehört es, nicht mehr zu versprechen, als man halten kann. Und wir alle wissen, die weltwirtschaftliche Lage ist zurzeit nicht gut, die Haushaltslage im Bund, im Land und in den Kommunen ist sehr ernst. Und das muss man den Menschen auch klar sagen,

damit sie wissen, wie die Handlungsmöglichkeiten des Staates aussehen. Mehr Realismus und weniger Utopie sind das Gebot der Stunde. Und ich sage hier deutlich: Nicht alles, was wünschbar ist, ist auch finanzierbar. Zwar sind die eigenen Steuereinnahmen bei uns in Mecklenburg-Vorpommern gestiegen, da aber in vielen Geberländern die Steuereinnahmen stark rückläufig sind, verringern sich unsere Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich. Und um die beträchtlichen Steuerausfälle zu kompensieren, müssen wir in diesem Jahr und in den nächsten Jahren die Nettokreditaufnahme erhöhen und Anfang des kommenden Jahres einen Nachtragshaushalt verabschieden. Dabei werden wir schmerzhafte Spareingriffe, vor allem bei den konsumtiven Ausgaben, nicht vermeiden können, um die Investitionen auf einem vergleichbar hohen Niveau zu halten. Und dieses hohe Niveau müssen wir halten, um die Nachholbedarfe weiter abzubauen. Zugleich erhöht sich damit der Druck, in den nächsten Jahren noch stärker zu konsolidieren, um die Neuverschuldung bis Ende des Jahrzehnts auf null zurückzuführen. Wir begrüßen die Vorschläge der Bundesregierung, die zu Einnahmeverbesserungen der Bundesländer führen, und unterstützen die Initiative mehrerer Bundesländer zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Was ich nicht unterstütze, meine Damen und Herren, ist, eine Vermögenssteuer einzuführen, die im Ermessen des jeweiligen Bundeslandes liegt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das führt uns nicht weiter. Wir wollen dieses Geld aus den Einnahmeverbesserungen, die möglichen Einnahmen aus der Vermögenssteuer nutzen, um die Verschuldung weiter zurückzuführen und um Bildung zu finanzieren.

Diese Finanzpolitik der Nachhaltigkeit ist eine Investition in die Zukunft. Und es gibt zu ihr keine ernst zu nehmende Alternative, denn nur diese Politik eröffnet zukünftig neue Handlungsspielräume. Und davon profitieren wir alle, auch unsere Kinder.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Es geht also um ein wohl abgewogenes Verhältnis von Sparen und Investieren. Damit, meine Damen und Herren, sichern wir die Zukunft.

Dabei hilft uns vor allem die im vergangenen Jahr durchgesetzte Neuregelung des Länderfinanzausgleiches. Zusammen mit der Verabschiedung des Solidarpaktes II besteht nun Planungssicherheit für das Land bis zum Jahr 2020. Wäre es beim Länderfinanzausgleich den unionsgeführten Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Hessen gelungen, sich mit ihren Vorstellungen durchzusetzen, hätte unser Land 400 Millionen Euro jährlich weniger zur Verfügung. Das wäre verheerend gewesen. Ich will noch einmal daran erinnern: Spätestens ab 2020 müssen wir auf eigenen Füßen stehen. Und daran arbeiten wir.

Meine Damen und Herren, wir investieren in Wirtschaft und Infrastruktur:

Im Vergleich zu den ersten beiden Legislaturperioden hat sich unsere Wirtschaftsstruktur im Land stark verbessert. Unsere Wirtschaft hat heute mehr Standbeine als früher. Die einseitige Abhängigkeit von der Bauwirtschaft ist so nicht mehr gegeben. Der Tourismus hat sich hervorragend entwickelt. Wir haben eine beachtliche Zahl

erfolgreicher Technologieunternehmen. Und allein in den letzten vier Jahren ist es gelungen, über 100 Neuansiedlungen im industriellen Bereich zu realisieren und bei einigen Unternehmen zu deutlichen Erweiterungen zu kommen. Ausländische Firmen bieten inzwischen rund 9.000 Arbeitsplätze und viele Ausbildungsplätze im Land. Und der attraktivste Wirtschaftsstandort im Osten Deutschlands ist nach einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertages nicht Leipzig, Dresden oder Erfurt, es ist Rostock.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Und in der letzten Legislaturperiode haben sich auch die Investitionen wieder erhöht. Das verarbeitende Gewerbe wächst bei uns seit 1998 von Jahr zu Jahr weit über Bundesdurchschnitt. Damit erhöht sich zugleich sein Anteil am gesamten Bruttoinlandsprodukt. Und diese Entwicklung muss fortgesetzt werden. Auch mit unserem Wirtschaftswachstum – leider nur 0,9 Prozent im ersten Halbjahr – liegen wir im Bundesvergleich auf Platz 3. Trotz schwieriger konjunktureller Lage hat sich unsere Wirtschaft also ziemlich wacker geschlagen. Und das verdient viel Anerkennung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie die Ernährungsindustrie sind nach einem tief greifenden Strukturwandel inzwischen zu einem Motor der wirtschaftlichen Entwicklungen in unserem Land geworden. Hier sind in den letzten Jahren viele wettbewerbsfähige Arbeitsplätze entstanden. Gleichzeitig stellen sich die Unternehmen neuen Herausforderungen der ressourcenschonenden Produktion, des Tierschutzes sowie den gewachsenen Ansprüchen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Unsere landwirtschaftlichen Betriebe haben den Wunsch der Verbraucher nach mehr Sicherheit und Transparenz aufgenommen. Was unsere ökologisch bewirtschafteten Flächen angeht, sind wir mit über 100.000 Hektar bundesweit die Nummer 1 und in Europa haben wir einen Platz in der Spitzengruppe. Wir werden unseren im Agrarkonzept 2000 beschriebenen Weg bis 2006 konsequent fortsetzen. Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und die Vielfältigkeit der Landwirtschaft sind die Säulen der wirtschaftlichen Entwicklung auf dem Lande, um die uns viele beneiden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Vor diesem Hintergrund sehen wir die EU-Osterweiterung als große Herausforderung und auch als große Chance für die Land- und Ernährungsgüterwirtschaft. Die Bemühungen der EU-Kommission unter EU-Kommissar Fischler, sich mit einer EU-Agrarreform auf den Zeitpunkt nach dem Beitritt vorzubereiten, unterstützen wir. Eine willkürliche Kappung der Direktbeihilfen für die Landwirtschaft nach Betriebsgröße lehnen wir aber ab,

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der PDS)