richtshof, also auch dieses Landtages, Bestand haben kann, ist zweifelhaft, bedenkt man die möglichen Konsequenzen einer solchen Regelung.
Viertens. Ebenso wenig förderlich ist die Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung der Anzahl der durch die Staaten vertretenen Bürgerinnen und Bürger. In Kopplung mit dem gegenwärtig allseits akzeptierten Mehrheitsprinzip könnte eine solche Forderung die Angst vor einer deutsch-französischen Dominanz in allen Bereichen fördern und das Verfassungsprojekt unnötig gefährden.
Fünftens. Das deutsche Föderalismusmodell ist in den Augen der europäischen Nachbarn nicht gerade erfolgreich. Zwar überzeugt das Konzept intellektuell und theoretisch, die Verfassungswirklichkeit in Deutschland jedoch spricht nur eine Sprache – die des Kompetenz- und Verantwortungswirrwarrs.
Und da haben wir das Pech – lassen Sie mich das einfügen –, dass die Leiterin der entsprechenden Kommission im Konvent, Frau Stuart, zwar Britin ist, aber in Deutschland groß geworden ist, sehr gut deutsch spricht und die Verhältnisse in Deutschland sehr gut kannte. Und wo man sich nun anschickt, diesen Zustand auf europäischer Ebene ernsthaft anzugehen, ist die Verlockung des deutschen Modells nicht gerade groß. Dies wird sich auch so lange nicht ändern, wie wir unsere Föderalismusdiskussion und die Reform- und Zukunftsfähigkeit dieses Modells nicht unter Beweis stellen.
Sechstens. Nachdem fast 20 Jahre zur Herstellung des gemeinsamen Binnenmarktes aufgewendet werden mussten, muss nunmehr der Herstellung des inneren Zusammenhaltes, der wirtschaftlichen und sozialen Kohäsion die oberste Priorität zukommen. Die Verfassung sollte zugleich den erreichten Stand sichern und eine neue wertebasierte Idee der Europäischen Union vermitteln. Auch darüber haben wir bereits kurz im Rechts- und Europaausschuss gesprochen. Wir wollen – und teilen dort beispielsweise die Auffassung des Landtages RheinlandPfalz –, dass die inzwischen völlig unstrittige Implementierung der Charta der Grundrechte ein erstes wichtiges Signal an die europäische Öffentlichkeit ist. Eine obligatorische Annahme der Verfassung durch eine Volksabstimmung in allen Ländern der dann erweiterten Union wäre ein weiteres nicht zu unterschätzendes Signal auch an die Herzen der Bürgerinnen und Bürger in Mecklenburg-Vorpommern, über deren Gewinnung wir gestern gesprochen haben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Anmerkung zum Schluss. Der Konvent, der Europäische Konvent, ist auch demokratisch sondergleichen. Alle Standpunkte, alle Arbeitspapiere, Protokolle und Stellungnahmen sind für jeden EU-Bürger lesbar. Die Diskussion findet in breiter Öffentlichkeit statt und ist dementsprechend dynamisch. Zeigen auch wir die Bereitschaft zu einer dynamischen Diskussion, in der wir unsere Hausaufgaben erledigen und zugleich ein erfolgversprechendes Projekt für die Zukunft entwickeln! Ich persönlich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und hier im Landtag und hoffe auf eine deutliche und entschlossene Stellungnahme des Landtages Mecklenburg-Vorpommern. – Vielen Dank.
Herr Neumann, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie gesagt haben, es wurden in Richtung des Europäischen Konventes bereits Stellungnahmen im Namen des Landtages abgegeben? Können Sie mir sagen, von wem diese abgegeben wurden und welche Legitimation es dafür gab?
Ja, gerne. Ich habe formuliert, auch in unserem Namen. Wenn beispielsweise die Versammlung der Regionen Europas eine Stellungnahme abgibt und für die Regionen, die deutschen Landtage et cetera pp. eine Stellungnahme abgibt, dann kommt die natürlich an. Niemand guckt in die Mitgliederliste und stellt fest, dass Mecklenburg-Vorpommern nicht vertreten ist. Das ist der Punkt, auf den ich hinweisen wollte. Genauso beispielsweise die CALRE, also die Konferenz der Parlamente der Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen, in ihrer Stellungnahme, die wir hier, also auch in diesem Landtag, noch gar nicht diskutiert haben oder wozu wir auch ein eigenes Votum nicht abgegeben haben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist Anliegen des Antrages, dass wir uns mit unserer Resolution dem Vorschlag aus Schleswig-Holstein anschließen, einen Konvent einzurichten. Schön, sage ich mal, denn ein Konvent ist mitunter, wie die Geschichte lehrt, eine ganz revolutionäre Sache und deshalb sind wir schon dafür.
Dennoch ist es allerdings für eine Jubelfeier oder ähnliche Begrüßungsrituale als Ausdruck der Freude über einen beabsichtigten Konvent natürlich zu früh. Aber der Beschluss, sich aktiv an einem Konvent zu beteiligen, wenn er dann zustande kommt, geht in Ordnung. Und auch der übrige Resolutionstext zeichnet sich aus unserer Sicht dadurch aus, dass er die Problemlage richtig beschreibt.
Dennoch ist nach unserer Auffassung die Überschrift „Föderalismus voranbringen – Länderkompetenzen stärken“ überaus optimistisch formuliert,
denn der Föderalismus, meine Damen und Herren, und die Debatte hat es ja deutlich gemacht, befindet sich in einer Malaise.
Er leidet vor allem an Auszerrung. Dies ist das eigentliche Elend des Föderalismus. Und auch die „Frankfurter Rundschau“ vom vorgestrigen Tage hat ja formuliert „Die Entmachtung der Landesparlamente und die Existenzfrage“. Und deswegen, meine Damen und Herren, ist das schon eine entscheidende Frage, mit der wir uns hier heute befassen.
Und was die Diagnosen zum Föderalismus betrifft, sagte beispielsweise Henning Voscherau, freilich zur Zeit, als er Hamburger Erster Bürgermeister und amtierender Bundesratspräsident war und noch etwas zu sagen hatte: „Nicht nur die Freiheit, auch der Föderalismus stirbt zentimeterweise.“ Er sprach berechtigterweise von zentimeterweiser, schleichender Aushöhlung. Und der Befund, dass es dem Föderalismus alles andere als gut ginge und geht, ist stimmend und liegt auch heute, zwölf Jahre später, auf der Hand. Medizin wusste er allerdings damals auch nicht. Und selbstverständlich sind bisher beispielsweise auch alle Vorstellungen von Länderneugliederungen, obwohl dies als Quasiauftrag im Grundgesetz Artikel 29 schon vor über 50 Jahren vereinbart worden ist, jenseits der gegenwärtigen und wohl auch künftigen Politik. Herr Voscherau beispielsweise sagte in demselben Kontext zum Plan des Nordstaates, in den dann Hamburg einzugehen hätte und somit seine Selbstständigkeit verlöre, nur ganze vier Worte: „Nie und nimmer nicht!“.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, Föderalismus vollzieht sich natürlich zuerst durch den Parlamentarismus in jedem einzelnen Land. Landtage verfügen über die unmittelbare Legitimation, denn nur die Abgeordneten sind von den Bürgern gewählt. Am Begriff des parlamentarischen Regierungssystems lässt sich deshalb verdeutlichen, dass den so gewählten Parlamenten im Gefüge des politischen Systems die zentrale Rolle zukommt, auch wenn es sich im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger auch bei uns im Land oftmals so nicht wiederfindet.
Mittlerweile ist allerdings die klassische Trennung zwischen Legislative und Exekutive für die Analyse der Parlamentsrealität schon fast unbrauchbar geworden. Erstens, auch unser Landtag wird strukturiert durch den Gegensatz von regierender Mehrheit und Opposition und zweitens, die regierende Mehrheit bildet so eine Art Funktionseinheit auf der Grundlage eines Koalitionsvertrages. Das hat nun zur Folge, dass das Gesamtparlament als ausschlaggebendes Gesetzgebungsorgan bei dieser Sichtweise auch durch die Widerspiegelung in den Medien außerhalb des Blickfeldes gerät
Die Machtkontrolle und Machteinschränkung der Regierung übernimmt in weiten Teilen nicht mehr das gesamte Parlament, sondern oftmals nur noch die Opposition.
Und diese Wirklichkeit hat heute drei Kraftpole herausgebildet: Regierung, Mehrheitsfraktionen, Opposition.
Und trotzdem realisiert sich die parlamentarische Demokratie zuerst über die Landtage und damit über jeden Einzelnen von uns Abgeordneten.
Deshalb geht es bei der Entwicklung und Diskussion um den Föderalismus in Deutschland auch immer um das Selbstverständnis eines Landtages und seiner Abgeordneten, unabhängig von der Zugehörigkeit zur Koalition oder Opposition, auch und gerade gegenüber der Regierung.
Und auch in Mecklenburg-Vorpommern hat natürlich die Exekutive stets das Ziel, Verwaltungshandeln von parlamentarischen Einflüssen – ich formuliere das vorsichtig – zunehmend freizuhalten und ohne das Parlament zu entscheiden.
Hier gibt es stets die Konflikte zwischen Regierung und Landtag. Ob und in welchem Umfang dieses eine Landesregierung oder ein Minister vornehmen, liegt also zuallererst an den Mitgliedern des Landtages in seiner Gesamtheit und dann erst in zweiter Linie daran, ob man der Opposition oder der Koalition angehört. Deshalb geht es auch um unser Selbstverständnis, um unser Durchsetzungsvermögen, um unser Selbstbewusstsein und die Qualität unserer eigenen täglichen Arbeit.
Es geht auch um unseren Widerstand gegen alle Bestrebungen, ob nun bewusst oder unbewusst, den Landtag als gesamtes legislatives Organ aus der Entscheidungsfindung herauszuhalten.
Und auch die Durchsetzung unserer in der Landesverfassung verankerten Rechte erfordert von uns allen gemeinsam Engagement und Stehvermögen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Problem des deutschen Föderalismus gibt es bekanntlich ganze Bibliotheken von Schrifttum.