Das Wort zur Berichterstattung hat die Vorsitzende des Bildungsausschusses, die Abgeordnete Frau LochnerBorst. Bitte schön, Frau Vorsitzende.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bildungsausschuss hat die Beschlussempfehlung zum Gesetzentwurf zur Neunten Änderung des Schulgesetzes vorgelegt und empfiehlt dem Landtag mehrheitlich die Annahme in der durch den Bildungsausschuss geänderten Fassung. Dazu hat der Bildungsausschuss eine zweitägige und eine eintägige öffentliche Anhörung durchgeführt und weitere schriftliche Stellungnahmen erbeten.
An dieser Stelle möchte ich mich bei den Sachverständigen bedanken, die als Vertreterinnen und Vertreter von Schulen, Lehrerverbänden, Eltern und Schülern sowie als Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und kommunalen Landesverbände zum Teil schon über viele Jahre hinweg nicht müde werden, ihren Sachverstand in die Beratungen um schulgesetzliche Regelungen einzubringen. Ich möchte hier die Arbeit aller Anzuhörenden ausdrücklich würdigen. Ich gestehe ihnen allen den Blick über die gesamte schulpolitische Landschaft zu und bin mir sicher, dass alle darüber hinaus auch ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Als Ausschussvorsitzende habe ich auch weiterhin ein großes Interesse an den Meinungen und Positionen der Anzuhörenden und deshalb ist es mir wichtig, ihre geleistete Arbeit heute zu würdigen.
Meine Damen und Herren, wenn im Bereich Schulgesetzgebung eine Kontinuität zu verzeichnen ist, dann ist es die der ständigen Änderungen. Ich habe diese Entwicklung einmal reflektiert und möchte sie Ihnen hier vor Augen führen. 1991 beschloss der Landtag als eines der ersten weitreichenden Gesetze das Schulreformgesetz, welches 1992 eine Änderung erfuhr. 1993 legte die damalige Opposition, die PDS, einen Entwurf eines Schulgesetzes vor, der zurückgezogen wurde. Einen erneuten Anlauf gab es 1996. Da gleichzeitig ein Gesetzesentwurf der Landesregierung vorlag, wurde der Oppositionsentwurf abgelehnt, und das Land erhielt ein Schulgesetz, mit dem die Einführung des 13. Schuljahres ab dem 1. August 2000 beschlossen wurde.
Seit 1996 läuft nun ein Änderungsmarathon. Die hauptsächlichen Änderungen bestanden in der ersten Änderung im Jahr 1996 mit der Änderung des Haushaltsrechtsgesetzes 1997, Änderung des Stichtages für den Beginn der Schulpflicht. Die zweite Änderung erfolgte 1997 mit dem Gesetz über kostensenkende Strukturmaßnahmen und der Einführung von vier staatlichen Schulämtern,
(Heiterkeit bei Andreas Bluhm, PDS: Das war aber noch alles unter der Ägide der CDU- Fraktion, ja! – Zuruf von Torsten Renz, CDU)
die dritte Änderung – ich werde alle aufzählen, Herr Bluhm –, die dritte Änderung 1999 mit einem Änderungsgesetz,...
(Unruhe bei Siegfried Friese, SPD, und Torsten Renz, CDU – Andreas Bluhm, PDS: Mit Sicherheit. – Glocke der Vizepräsidentin)
mit dem die Mitwirkungsrechte von Schülern, Eltern, Lehrern und das Recht auf freie Meinungsäußerung erweitert wurden. Die vierte Änderung folgte 1999 mit der Änderung des Haushaltsrechtsgesetzes 2000, Änderung der Gewährung von Finanzhilfen für Schulen in freier Trägerschaft. Die fünfte Änderung kam 2002 mit einem Änderungsgesetz, Einführung der Regionalen Schule und des Abiturs nach zwölf Schuljahren sowie Erlangung der Berechtigung zum Übergang in die Klassenstufe 11 mit einer bestandenen Prüfung zum Ende der Jahrgangsstufe 10.
Nachdem durch die sich in der Opposition befindliche Fraktion der CDU 2000 ein Änderungsgesetz eingebracht und zurückgezogen wurde und ein weiteres 2001 abgelehnt worden war, folgte die sechste Änderung im Jahr 2002 mit einem Änderungsgesetz, Korrektur von Unstimmigkeiten, die durch die fünfte Änderung entstanden waren. Die siebte Änderung erfolgte 2003 mit einem Änderungsgesetz, mit dem die Möglichkeit geschaffen wurde, dass Hauptschüler die Schule weiter besuchen dürfen. Die achte Änderung 2003 kam mit einem Änderungsgesetz, mit dem Volkshochschulen für Kurse zum Erwerb schulischer Abschlüsse finanzielle Förderung gewährt wurde, sowie Regelungen zur Schulentwicklungsplanung und Sonderregelungen für Sportgymnasien. Und nun haben wir die neunte Änderung, über die heute befunden werden soll.
Mit dieser Darstellung wird augenfällig, dass es tatsächlich Jahre gegeben hat, in denen das Schulgesetz nicht geändert wurde. Dafür gab es dann aber in manchen Jahren gleich zwei Änderungen. Für mich ist aber an dieser Stelle etwas anderes sehr deutlich geworden. Mit den bereits acht beschlossenen Änderungen des Schulgesetzes halte ich es nunmehr mit der neunten Änderung für sachdienlich und zwingend notwendig, dass von der bereits vielfach in dem Änderungsgesetz enthaltenen Ermächtigung des Ministeriums zur Neuverkündung Gebrauch gemacht wird. Wie soll ein Gesetz umgesetzt und, was noch wichtiger ist, richtig verstanden werden, wenn der Gesetzestext aus einer Vielzahl von Novellen besteht, es aber keine gültige gesamtheitliche, neu verkündete Fassung des Schulgesetzes für das Land MecklenburgVorpommern gibt, und das auch noch in einem Bereich, der doch sehr viele Bürgerinnen und Bürger direkt betrifft? Die Schwierigkeiten des Nachvollziehens von Änderungen im Kontext zu den gültigen Regelungen des Schulgesetzes macht im Übrigen die Arbeit im Gesetzgebungsverfahren im Ausschuss sehr deutlich. Da ich ein durchaus optimistischer Mensch bin, hoffe ich als Vorsitzende des Bildungsausschusses darauf, dass dem Bildungsministerium bis zur nächsten Änderung des Schulgesetzes zumindest die Zeit bleibt, um eine Neuverkündung in der aktuellen Fassung zu schaffen.
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich mich ganz besonders bei unserem Ausschusssekretariat, namentlich bei Frau Sorge, bedanken.
Ohne die hier geleistete Arbeit in den vergangenen Wochen und Monaten wären die Beratungen im Ausschuss nicht derart formal reibungslos verlaufen. Das Ausschusssekretariat hat trotz aller redaktioneller Änderungen, Änderungsanträge, Korrekturen – wir wissen, wovon wir reden, alles, was so auf den Tisch kam in unserem Ausschuss – an keiner Stelle den Überblick verloren
und hat uns eine reibungslose Arbeit ermöglicht. Dafür gebührt besonders Ihnen, liebe Frau Sorge, ich habe Sie heute schon gesehen, ein herzlicher Dank des gesamten Ausschusses.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 120 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Es ist ein guter Tag für gute Schule. Wir stehen vor der Verabschiedung eines Schulgesetzes, das wichtige Bausteine für gute Schule bereitstellt. Ich sage bewusst, Bausteine, denn dieses Gesetz kann nur den Rahmen liefern. Gute Schule entsteht im Inneren dieses Bauwerkes, im Zusammenwirken von Lehrern, Eltern, Schülerinnen und Schülern sowie allen Partnern, die am Schulleben beteiligt sind. Einige Bausteine haben eine ganz besondere Bedeutung. Ich nenne Ganztagsschule, ich nenne mehr Selbständigkeit für Schule, längeres gemeinsames Lernen, Stärkung der Erziehungsfunktion, Qualitätsmanagement, also alle Maßnahmen der inneren und äußeren Evaluation, neue Abiturprüfungsverordnung, ausreichende Größe für lebendige, gute Schulen. Lassen Sie mich auf sechs Bausteine eingehen.
Das neue Schulgesetz gibt die Möglichkeit, Ganztagsschule nicht nur in offener Form, sondern auch in gebundener Form zu organisieren. In der gebundenen Ganztagsschule ist die Teilnahme am Schulprogramm für die Schüler verpflichtend. Diese gebundene Ganztagsschule kann teilweise, also für einen Teil der Schüler, verpflichtend oder voll gebunden geprägt sein, dann für alle Schüler verpflichtend. Die Entscheidung liegt bei der Schulkonferenz. Für die Eltern ist die gebundene Form mit verlässlichen Betreuungszeiten verbunden. Für die Träger lässt sich der Schülertransport oft leichter organisieren. Das Wesentliche ist aber eine neue Schulkultur. In Ganztagsschulen ist Zeit für mehr Unterricht, vor allem aber für anderen Unterricht. Zeitintensive Unterrichtsformen wie zum Beispiel offener Unterricht oder Initiativen zum selbständigen Lernen finden ihren Raum. Es gibt über den Tag verteilt mehr Ruhe für das individuelle Lernen und das Fördern von Schülerbegabungen in der Schule und in der Gemeinschaft. Einsame Hausaufgaben werden zu Schularbeiten in der Gemeinschaft. Die Chancengleichheit in der Bildung wird erhöht, wenn Ganztagsschule mangelnde Betreuungsmöglichkeiten in der Familie oder schwache regionale Bildungsangebote außerhalb der Schulen ausgleichen kann.
Die gebundene Ganztagsschule schafft eine verlässliche Lern- und Lebenswelt. Sie öffnet Schulen für die Kooperation mit Vereinen, Kirchen, Künstlern, Betrieben, Trägern der Jugendhilfe, der Sozialarbeit.
(Torsten Renz, CDU: Sagen Sie doch mal bitte konkret, wie Sie das finanziell untersetzen wollen, die Förderung der Ganztagsschulen!)
Sie beinhaltet die Verzahnung von schulischen und außerschulischen Institutionen. Durch die vielen Beteiligten ist sie natürlich auch eine sichtbare Bildungspartizipation
(Torsten Renz, CDU: Sie sollen nicht das Modell Ganztagsschule beschreiben, sondern wir wollen wissen, wie das finanziert wird.)
Lassen Sie mich zur Entwicklung der Ganztagsschule einige Verbesserungen ihrer Rahmenbedingungen nennen. Dazu gehört die personelle Ausstattung, der Faktor der Unterrichtswochenstunden pro teilnehmenden Schüle r wird fast verdoppelt und mit der Klärung der zukunftsfähigen Standorte für unsere Schulen können die Mittel des Investitionsprogramms für bauliche Verbesserungen endlich weiter ausgeschöpft werden.
Hier ist im Augenblick bereits ein Drittel der Gesamtfördersumme – 28 Millionen von 93 Millionen für Mecklenburg-Vorpommern – mit 55 Zuwendungsbescheiden ausgereicht worden. Nicht zuletzt verbessert die Regelung der gebundenen Ganztagsschulen die Rahmenbedingungen guter Schulen, denn sie fördert Stetigkeit, Planbarkeit und Wirksamkeit der pädagogischen Programme.
Im Gesetzestext heißt es: „Die Schulen planen und gestalten den Unterricht, die Erziehung und die Organisation ihrer inneren Angelegenheiten eigenverantwortlich. Ihnen soll Verantwortung für Personal und Sachbedarf übertragen werden. Das Land und die Schulträger sind verpflichtet, die Schulen in ihrer Selbständigkeit und Eigenverantwortung zu fördern und zu unterstützen.“ Eine Ganztagsschule, die mehr Selbständigkeit in ihrer Organisation hat und über eine ausreichend große Schülerzahl verfügt, hat beste Voraussetzungen, gute Schule zu sein. Durch die Schulgesetznovelle entstehen Freiräume für Schulleitungen in personellen und sächlichen Angelegenheiten. Es werden Voraussetzungen geboten für effektive und bedarfsgerechte Entscheidungen vor Ort und für eine selbständige Verwaltung und Gestaltung von Schule.
Dazu gehört das Arbeitsfeld Personalmanagement. In den selbständigen Schulen hat sich in unserem Modellversuch bewährt, dass Schulleitungen in einem begrenzten Rahmen über Lehrkräfte in Abstimmung mit dem örtlichen Personalrat selbst entscheiden können. Dadurch kann auch den Wünschen der Lehrkräfte und dem situationsbedingten Bedarf in der jeweiligen Schule besser entsprochen werden und die Lehrer arbeiten mit höherer Arbeitszufriedenheit und mit der Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung.
Dazu gehört das Arbeitsfeld Mittelbewirtschaftung. Die Schulen schließen dazu Verträge mit dem Schulträger ab. Die Selbstbewirtschaftung umfasst Sachmittel des Schulträgers, zweckgebundene Einnahmen, Einnahmen aus Vermietung, Einnahmen aus Verwaltungsgebühren. Der Schulleiter, persönlich verantwortlich für die Mittelbewirtschaftung, entscheidet über die sächlichen Anschaffungen der Schule.
Dazu gehört natürlich das Arbeitsfeld der inner- und außerschulischen Partnerschaften. Gerade im pädagogischen Ansatz der Ganztagsschulen ist die Einbeziehung von Kooperationspartnern aus der Region wichtig, um das Angebot auszugestalten.
Lernen in der Heterogenität der Gruppen, mit dem Ziel, das Leistungsniveau für alle zu heben, Chancengleichheit im Blick, längeres gemeinsames Lernen ist pädagogisch und organisatorisch anspruchsvoll, setzt veränderte Lehrerverantwortung und veränderten Unterricht voraus. Dazu gehört, um einige Punkte aufzugreifen, das Arbeiten im Lehrerteam. Dazu gehören fachübergreifender Unterricht, die Erarbeitung und Umsetzung einer methodisch-didaktischen Konzeption für das Lernen in heterogenen Gruppen, der Aufbau individueller Lern- und Entwicklungsangebote für lernschwache oder besonders begabte Schüler. Unterstützt wird der veränderte Unterricht durch die Bereitstellung von Förderstunden. Im Schuljahr 2006/2007 sind das immerhin für jede fünfte Klasse vier zusätzliche Förderstunden. Längeres gemeinsames Lernen wird erfolgreich organisiert unter begleitender Evaluation. Ich gehe darauf nachher ein.
Eine der wesentlichen Voraussetzungen für gute Schule mit längerem gemeinsamen Lernen ist eine gute Lehrerfortbildung. Schon in der ersten Ferienwoche 2005 – also jetzt – finden in den Staatlichen Schulämtern die zielführenden Dienstberatungen zum pädagogischen Konzept mit den Schulleiterinnen und Schulleitern der Regionalen Schulen, der Gesamtschulen und der Musik- und Sportgymnasien statt. Mit Beginn des Schuljahres 2005/2006 setzt die Fortbildung der Lehrkräfte ein. Dazu gehören Fachvorträge und Seminare mit Bildungswissenschaftlern, mit erfahrenen Lehrerinnen und Lehrern. Schwerpunkte sind: Unterricht in heterogenen Lerngruppen, Umgang mit Standards, Arbeiten im Team, Rolle der Führungskräfte und Qualitätsmanagement. Für Lehrkräfte ist ein Fortbildungsmodul vorgesehen, das jeweils drei Lehrerinnen und Lehrer pro Schule berücksichtigt, die den Kern des Lehrerteams der Jahrgangsstufe 5 im Schuljahr 2006/2007 bilden sollen. Sie sind federführend bei der Ausgestaltung des längeren gemeinsamen Lernens und sie erteilen den Großteil des Unterrichts in der Jahrgangsstufe 5. Wir gehen aus von 430 Klassen im Schuljahr 2006/2007. Das bedeutet Fortbildung von ungefähr 1.300 Lehrkräften. Diese Fortbildungen finden regional in den Schulen und vorrangig in der unterrichtsfreien Zeit statt.
Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass Gesamtschulen in besonderer Weise gute Schulen des längeren gemeinsamen Lernens sind. Sie nehmen in besonderer Weise die große Heterogenität der Schülerschaft, die Unterschiedlichkeiten der Herkunft sowie der Leistungsmöglichkeiten und der Leistungsbereitschaft auf und sie sind besonders erfahren in den Differenzierungsnotwendigkeiten der umfassenden Lernangebote. Sie gewähr
leisten schon lange die Durchlässigkeit zwischen allen Bildungsgängen und zeigen, wie Eltern und Schule schneller auf die Leistungsentwicklung ihrer Kinder eingehen können. Außerdem sind sie im ländlichen Raum natürlich ganz besonders geeignet, ein umfassendes wohnortnahes Bildungsangebot aller vorzuhalten.